Incompatibilty-Report
Es gibt Filme, die schüren auf krude Weise das Fernweh. Und es gibt andere, die skizzieren, wie schwierig der Ausbruch aus dem Gewohnten und das sich Einlassen auf ein fremdes Land sein können. „Ausgerechnet Sibirien“, der dieser Woche in den Kinos angelaufen ist, gehört zu dieser letzten Kategorie.
In der ersten Einstellung joggt die Hauptfigur Matthias Bleuel (Joachim Król) keuchend und ausdruckslos durch eine farblose Kulisse: Feldmark, Wohnsiedlung, als Soundtrack eine Erzählung über sibirischen Schamanismus vom tragbaren CD-Player. Und nicht nur die Technik, der Mann und der ganze Film scheinen seltsam aus der Zeit gefallen. Unschuldig-erstaunt kommentiert Bleuel den Verkauf des Ehebetts an ein schwules Pärchen mit „ist’n Doppelbett“. Vom Auftrag des Seniorchefs, von der Inhaberin der russischen Partnerfirma ein Foto mitzubringen, ist er sichtlich irritiert. Auf die titelgebende Dienstreise nach Sibirien geht er direkt vom vollvertäfelten Konferenzraum aus, ängstlich, aber vor allem teilnahmslos - im Kopfhörer stets die beschwörende Stimme der Schamanen-Erzählung. Den Elan und Tiefgang, die sich darin andeuten, dass Bleuel im Flugzeug russische Vokalen paukt, deutet der Film erst sehr spät aus.
Denn zunächst strandet der unbeholfene Charakter in Novosibirsk, wo ihm nur der Zufall in Gestalt seines ehemaliger Klassenkamerad Rolf (Armin Rohde) zum Ticket für den Weiterflug verhilft. Endlich in Ostsibirien angekommen, will er dann sofort in die Firma: „Ich muss mir doch einen Überblick verschaffen.“ Die Blicke, die der ihm zur Seite gestellte Dolmetscher Artjom (Vladimir Burlakov) und der Fahrer wechseln und wohl auch die Zeitverschiebung, nimmt das Klischee des deutschen Geschäftsreisenden dagegen gar nicht wahr. Stattdessen eröffnet er die Feier zu seiner Begrüßung mit einer hölzern-wichtigen Urkundenübergabe. Das passt natürlich so gar nicht zu dem feucht-tumultigen Familienfest, das sofort danach um ihn herum ausbricht. Und der Fehler wiederholt sich, sei es, dass Bleuel die Freude der Russen über kalifornische Orangen (und möglicherweise dahinter einen erfolgreichen Schwarzmarkt-Deal) mit „unprofessionell“ quittiert oder sich allzu sehr in Vorträgen zur Logistik und über andere Betriebsthemen ergeht. Dass die resolute Chefin und der restliche Clan ihn nicht aus dem Laden jagen, verdankt er allein Dolmetscher Artjom, der nicht nur übersetzt, sondern vor allem zusieht, kulturellen Missverständnissen durch mehr als bloß stilistische Anpassungen vorzubeugen. Auch Artjom stößt allerdings an seine Grenzen, als Bleuel von ihm fordert, noch einmal für ihn bei einer Hotline anzurufen: „Compatibility Report, das scheint es in diesem Programm gar nicht zu geben.“ Wie weit er damit über den Bildschirm des 90er-Jahre PCs hinaus deutet, ist dem Protagonisten offenbar nicht bewusst. Bleuel erscheint bis zu diesem Punkt der Story als Figur vor einer farbenfrohen Kulisse, mit der er aber nie wirklich in Kontakt tritt. Dieser Teil des Films endet dann auch mit einer Abschiedsfeier, die er übermütig zur Abrechnung mit den von ihm entdeckten Missständen in Sibirien nutzt. Würde der Film nun enden, er wäre eine misslungene, klischeereiterische Komödie mit tragischem Helden.
Doch immer wieder, nur in kurzen Episoden zuerst, tritt die Person Bleuel zum Vorschein, hypnotisiert von der Schamanismus-CD im Discman, fasziniert von einer Libelle, die in seinem Hotelzimmer zwischen den Scheiben der Doppelverglasung gefangen ist. Die Libelle ist bei den Schamanen ein heiliges Tier. Aus diesem dünnen Erzählfaden erwächst der zweite Teil des Films. Was bisher störend und harmlos, weil von Bleuel aus wie hinter Plexiglas, geschah, ist nun bedrohlich nah. Bleuel besteht darauf, der schamanischen Sängerin Saljana, die er auf einem Rummelplatz gehört hat, in deren noch weiter östlich liegende Heimat zu folgen.
Gemeinsam mit Artjom – und gegen dessen Rat – macht sich Bleuel in diesen Landstrich auf. Von ihrem Fahrer ausgesetzt, kämpfen sie zuerst darum, auf der wenig befahrenen Straße von jemandem mitgenommen werden und dann gegen Mücken. Als sie das Heimatdorf Saljanas erreichen, werden sie zwar freundlich empfangen, doch alle – von der alten Schamanin bis zu Artjom – trauen Bleuel nicht zu, in Sibirien seinen Mann zu stehen. Diese Zweifel teilt auch der Zuschauer, der in Bleuels Verhalten noch immer die Unbeholfenheit erkennt, die es ihm bereits bei den Textilleuten schwer gemacht hat. Jetzt allerdings ist sie ihm nicht mehr nicht bewusst oder egal, sondern peinlich, wie er Saljana gesteht. Der Film und sein Hauptcharakter nehmen also eine überraschende Entwicklung. Es gibt eine Odyssee, Konflikte und ganz am Schluss ein Happy End, dessen Erzählstränge alle ein bisschen zu gut zu einander passen.
Eine Klamaukkomödien-Roadmovie-Romanze also, in der die zu dick aufgetragenen Klischees ebenso wirken wie der Kontrast zwischen russischer Lebensfreude und deutscher Über-Aufgeräumtheit. Sehenswert ist aber vor allem, wie menschliche Konflikte, innere und äußere, ohne affektierte Distanz und ohne zu viel Psychologisierens über die Leinwand gehen.