Ein Qualitätssprung mag es ja gewiss sein - Bachelor hier, Master da. Nur die Frage ist, ob dieser Sprung nach oben oder nach unten geht. Sie wissen nicht, was ich meine? Dann kommen Sie doch mal in meine neue Vorlesung “Agrarökologie”. Da sitzen Studenten aus fünf verschiedenen Studienrichtungen gleichzeitig im Publikum - eine bunte Mischung aus Erstsemestern und Leuten, die schon kurz vor dem Diplom, pardón, Masterabschluss stehen.
Und nun stellen Sie sich mal vor, Sie wollen diesem breiten Spektrum an Leuten gleichzeitig gerecht werden. Nun, man versucht es natürlich - so gut es eben geht. Aber man kann eben fast keine Vorkenntnisse mehr voraussetzen - ganz anders als zu Zeiten des Diploms. Da musste jeder Studierende im Grundstudium Mathe, Physik, Chemie und Biologievorlesungen hören, und man konnte die Leute irgendwie verschiedenen Studienrichtungen zuordnen. Aber jetzt? Für die einen ist alles, was ich erzähle, Schnee von gestern; wiederum andere kommen zu mir und monieren, das alles wären ihnen zu viele Fachbegriffe.
Natürlich, es gibt keinen Weg mehr zurück - und international anerkennbare Abschlüsse brauchen wir allemal. Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen ist es zumindest schwierig, ein für alle akzeptables Niveau in eine Lehrveranstaltung zu bringen. Also: Niveau hoch, auf die Gefahr hin, dass keiner mehr etwas versteht? Dann wären wir zurück bei dem Mangel, den wir eigentlich beseitigen wollten. Oder: Am besten, wir setzen an den Unis einfach Gymnasiallehrer ein. Die haben das wenigstens gelernt.
Mit Verlaub,
das hat nur mittelbar mit der Frage der Studienabschlüsse zu tun. Wo waren Sie denn, als Ihre Fakultät/Ihr Institut die Studiengänge gestaltet hat? Da muss doch sowas auffallen - spätestens bei einer vernünftigen Akkreditierung.
Kommentar von Thomas Schneider — 14. November 2007 @ 14:56
Ich bin froh, noch ein Diplom zu haben, obwohl mich das in Zukunft immer mehr zu einer Außenseiterin machen wird.
Grundlagen haben mich im Studium eher genervt. Das sollte man durch Fachhochschulreife / Abitur abgehakt haben oder sich selbst erarbeiten, dann wenn man es braucht.
Für mich war vieles im Grund- und Hauptstudium viel zu allgemein gehalten und zu wenig fachbezogen, obwohl sich unsere Hochschule in diesem Punkt wirklich Mühe gab.
Es ist natürlich sehr gut, wenn Abschlüsse auch im Ausland anerkannt werden, besonders in Hinblick auf Akademiker-Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Aber was ich immer vermisst habe und was durch die Einführung des Bachelor und Master-Abschlusses vielleicht noch weniger gegeben ist, das ist die Möglichkeit zur Spezialisierung im Studium.
Kommentar von dipl. oec. troph. Michaela Günther — 14. November 2007 @ 17:19
Ok, ich kann jetzt nur für Biologie sprechen, aber ich sage aus vollster Überzeugung: Zum Glück gehöre ich noch zum letzten Dipl.Jahrgang!
Das Problem ist nämlich, daß ein Bachelor nur für Leute toll ist, welche schon eine Berufsausbildung gemacht haben und eine nette Zusatzqualifikation haben möchten. ABER für diejenigen, welche nach dem Abitur direkt den Bachelor machen und keinen Master draufsetzen (da die Plätze für den Master zum Beispiel begrenzt ist) bedeutet der alleinige Bachelor doch der berufliche Ruin.
Ich meine, für welche Jobs soll man die Leute denn einstellen? Denn die deutsche Wirtschaft ist noch nicht für die puren UniBachelor bereit, die nicht die gleiche Laborerfahrung wie Biotechnologische Assistenten und nicht die Fachkenntnisse wie Diplomer bzw. Master haben.
Selbst das Diplom bzw. der Master allein reicht nicht unbedingt, um einen Job zu bekommen. So sieht’s leider aus. Im Moment heißt es in der Industrie oft: Mach deinen Doktor, finde einen Job.
Ist zwar schön, daß sie so jetzt international Jobs finden können (ich wußte nicht, daß das deutsche Diplom da ein Hindernis sein sollte), aber wie sieht es denn hier aus?
Kommentar von rotfell — 14. November 2007 @ 20:03
Im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften halte ich das Bachelor vom Grundsatz her für einen Segen. Es gibt vielen die Chance einen Studienabschluss zu erreichen, denen in den klassischen MA-Studiengängen sonst irgendwann “die Luft ausgehen” würde.
Die praktische Umsetzung scheint mir jedoch teilweise noch unausgereift. Zumindest in meinem Bekanntenkreis sehe ich einige Bachelor-Studenten, die von Prüfung zu Prüfung hetzen und keine Chance zur kognitiven Verarbeitung des Stoffes bekommen. Da kommt alles nur im Kurzzeitgedächtnis an. Masse statt Klasse. Was immer sich die Herrschaften in den zuständigen Gremien davon versprechen mögen…
Kommentar von Bert Brückmann — 14. November 2007 @ 22:18
Mit Verlaub Herr Schneider,
wie wurden denn die Bachlor-Studiengänge gestrickt? Da wurde die Vorlesungen genommen, die es sowieso schon gab und wehe, man hat versucht einen Professor NICHT im Bachlor zu berücksichtigen (und sei sein Fach noch so spezialisiert). Da wurde mit harten Bandagen gekämpft. Es ging also nicht darum, was ist das Beste für die Studierenden, sondern darum wie bringe ich meine Scherflein ins trockene. Sicherlich nicht immer, aber oft.
Und zur Praxistauglichkeit (im Ingenieurbereich): Kleine Unternehmen werden zu knabbern haben; die großen freuen sich: Man bekommt billige Bachelor und firmenspezifisch ausbilden tut man selbst (wie auch heute schon beim Diplom-Absolventen auch)…
Kommentar von Christel — 15. November 2007 @ 09:24
Gerade das englischsprachige Ausland wird sich nicht freuen über die Konkurrenz, und die MA/BA Abschlüsse eben nicht einfach anerkennen. Die geringen Wahlmöglichkeiten, das Verhindern von der Zusammenarbeit von Dozenten, diese Schulstruktur (die auch “Schüler”/”Lehrer” erzeugt), finde ich absurd.
Privatakademien sind die Zukunft, die können damit werben “staatlich-unabhängige Hochschule” zu sein. Warum man etwas wie den deutschen “Diplom Ingenieur” aufgibt — was hätte ein höheres Imange in der Welt? — ist mir völlig schleierhaft. Auch ich bin froh, ein (bzw. zwei) Diplome zu haben. Da schließe ich mich den andere Kommentatoren an!
Kommentar von Frank Berzbach — 15. November 2007 @ 12:21
Segen? Ich halte in den Sozial- und Geisteswissenschaften den Bachelor nicht für einen Segen. Die us-amerikanische Studienstruktur ist damit völlig inkompatibel (und auch für anderes gedacht). Die Studenten konnten früher zu viel wählen und kamen nicht in die Seminare. Jetzt sind die Seminare nicht kleiner, dafür darf nicht mehr gewählt werden. Fächerkombinationen sind unmöglich, aber wer nur EIN Fach studiert, der kann sofort Werbetexter werden. Früher gab es durchaus inhaltsinteressierte Studenten, jetzt beantworte ich nur noch zwei Fragen: Wieviele Creditpoints? Welchen Stoff sollen wir auswendig für die Klausur lernen? Das ist nicht nur schade, es minimiert die Motivation zu lehren. Im Bacholorstudiengang zu unterrichten macht einen oft zum “Lehrer”, nur: Dozenten sind keine. Warum die Umstellung auf den BA überhaupt praxisnäher sein soll, es sind ja die gleichen Dozenten, verstehe ich gar nicht. Eher im Gegenteil: Für Praxisnähe hätten andere Reformen, andere Strukturen etabliert werden müssen. (Maximal Fachhochschulen, aber nicht Unis können praxisnah sein.) Im BA kann man aber weder rechts noch links schauen, an Kooperationen mit Firmen etc. ist nicht zu denken. Die Struktur lässt keinen Platz, außer für braven Unterricht: 2 x 45 Minuten. Mittags fehlt nur der Gong.
Kommentar von Frank Berzbach — 15. November 2007 @ 12:30
Genau so sehe ich es auch; als Nachwuchswissenschaftler und -lehrender bin ich erst kurz im “Geschäft” mit den neuen Bachelorstudiengängen, aber bisher sind meine Erfahrungen eher ernüchternd. Zumindest in meinem Fachbereich muss ich tatsächlich Erstsemester und Fünftsemestler in der gleichen (!) Vorlesung bedienen. Dass das nur eingeschränkt funktionieren kann, ist klar. Glücklicherweise aber habe ich überhaupt die Möglichkeit, etwas mitzugestalten - und das ist immerhin schonmal ein Anfang. Wohin die Reise allerdings deutschlandweit gehen wird, steht in den Sternen. Das System einfach von Amerika zu kopieren, war jedenfalls ein Rückschritt; Fazit: Die Leute sind mit Vorlesungen, Pflicht”modulen” und Prüfungen überlastet, aber das Gesamtniveau ist mit dem “guten alten” Diplomstudium nicht im Ansatz vergleichbar.
(P.S.: Siehe auch Frank Berzbachs Beitrag zum Bachelorsystem unter dem Titel “In die Schule gehen” unter http://sciencegarden.de/blog/?p=7)
Kommentar von Christoph Scherber — 16. November 2007 @ 13:11