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Klassiker auf Knopfdruck

Seit es die sogenannten neuen Medien gibt, wird der baldige Tod des Buchs entweder von notorischen Bibliophilen und Philologen laut beklagt oder von digital natives erwartungsfroh besungen. Kein Zweifel: die Verlagslandschaft steht vor erheblichen Veränderungen. Mit seinem jüngsten Frontalangriff hat der Internetriese Amazon nun die Befürchtungen von Büchermachern und Bücherfreunden hierzulande weiter verschärft. Man darf gespannt sein, wie die Branche reagiert.

Wie man sich den Giganten auch als Nischenbewohner auf Distanz hält, lässt sich schon jetzt am Beispiel des Hamburger Traditionshauses Meiner studieren: Zuerst und nach wie vor mit anspruchsvollen und gut lektorierten Neuerscheinungen, etwa dem Grundriss Heidegger, der Neuübersetzung von Adam Smith' Theory of Moral Sentiments oder einem Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, an dem künftig kein Hegel-Leser mehr vorbeikommen wird (und die es meist auch als eBook-Variante gibt). Der Bedarf an entsprechenden Produkten und professionellen Produzenten ist ungebrochen - bei ansprchsvollen Lesern wie Autoren gleichermaßen.

Darüber hinaus bewirtschaftet der Verlag auch sein eigenes "Hausantiquariat" selbst, und das so erfolgreich, dass es innerhalb kurzer Zeit bereits ausverkauft war und nun erst einmal wieder aufgefüllt werden muss. Als drittes Glied der Verwertungskette kann Meiner nun auf ein Angebot verweisen, auf das viele Leser lange gewartet haben dürften und das erhebliches Zukunftspotenzial besitzt: Einst vergriffene Titel lassen sich im Books-on-Demand-Shop nachkaufen. So sind die Schriften Brentanos ebenso wieder erhältlich wie Fichtes wunderliche Studie über sozialistische Planwirtschaft (Der geschloßne Handelsstaat). Zwar zahlt man für die in der Regel gebundenen Sonderanfertigungen im aktuellen Meiner-Grün nicht wenig. Aber das ist auf den gängigen Antiquariatsportalen im Netz, wo man mühsam nach den vergriffenen Titeln suchen muss, kaum anders. Außerdem darf man erwarten, dass der Verlag eventuelle Kostenvorteile durch technologische Innovationen des Herstellungsverfahrens künftig an seine Kunden weiterleitet.

Prinzipiell lässt sich auf diese Weise auch ohne gigantische Lagerkapazitäten das gesamte Verlagsprogramm vorrätig halten, inklusive aller Raritäten und Kuriosa aus der über 100-jährigen Verlagsgeschichte - ein großer Schritt in die richtige Richtung, der Amazons Attacken mit dessen eigenen Waffen pariert und an dem sich hoffentlich bald auch andere Fachverlage orientieren werden.

Blog-Tags: Buchtipp | Philosophie

"Unsere Medien, unsere Täter"

Kein Jahr ist es her, dass der TV-Mehrteiler Unsere Mütter, unsere Väter eine lang andauernde, zum Teil hoch emotionale öffentliche Debatte inklusive juristischem Nachspiel ausgelöst hat. Bis heute ist Ulrich Herberts klugem Verdikt dazu in der taz vom 21. März 2013 im Grunde wenig hinzuzufügen. Das Hamburger Institut für Sozialforschung hat dem Thema - der Mini-Serie wie der Verarbeitung des Nationalsozialismus in anderen Medien - nun jedoch ein ganzes Heft seiner Hauszeitschrift Mittelweg 36 gewidmet.

Tatsächlich bietet die Generalkritik Christoph Classens am TV-Event (Opa und Oma im Krieg) wenig Neues: Dass der Film sich visuell an US-amerikanischen Serienformaten orientiert, war schon andernorts zu lesen. Auch die von Classen herausgestellte, fragwürdige Authentifizierungsstrategie - die geschickte Kombination von fiktionaler Filmhandlung einerseits, Dokumentationen und Talkrunden im Anschluss an die Ausstrahlung andererseits - ist kein Spezifikum des Mehrteilers. Ebenso wenig wie das platte, aber wirkungsvolle tragische Narrativ der ausweglosen Verstrickung vermeintlich völlig unschuldiger, hoffnungsfroher junger Menschen (die wirklich Bösen sind wie immer die fiesen SS-Bestien...) und sein relativistischer Charakter. Das Fazit Classens kann daher kaum überraschen: Unsere Mütter, unsere Väter mache den Krieg zum großen Meta-Subjekt, das seine Protagonisten formt, und sei entgegen anderslautender Ansprüche der Produzenten keine innovative Verarbeitung des Vernichtungskriegs.

Ein wenig ratlos hinterlässt den Leser auch der Beitrag Ulrike Weckels, die Reaktionen von Tätern und deutscher Bevölkerung auf alliierte atrocity-Filme wie z.B. Death Mills untersucht hat. Ihre These: Die Deutschen hätten nicht nur auf den jeweiligen Film reagiert, sondern auch auf die "(unterstellte) Beschämungsabsicht der Alliierten". Zwar habe sich kaum jemand als nicht beschämbar erwiesen - offen positive Reaktionen wären im besetzten Deutschland auch kaum vermittelbar gewesen -, es lasse sich jedoch nur im seltensten Fall feststellen,"[w]ie sehr und wessen genau sich die beschämbare breite Mehrheit schämte"...

Wesentlich aufschlussreicher ist hingegen der Versuch der beiden Nachwuchsforscher Janosch Steuwer und Hanne Leßau, auf Sebastian Haffners Frage "Wer ist ein Nazi? Woran erkennt man ihn?" eine historisierende Antwort zu geben. Anhand von exemplarischen Tagebuchaufzeichnungen verfolgen sie, wie sich definitorische Selbstaussagen von Zeitgenossen, die dem neuen Regime zunächst ablehnend oder kritisch gegenüberstanden, schleichend an die neuen (politischen) Lebensbedingungen anpassten. Die Frage, wer ein Nazi ist und wer nicht, wird nach der Machtergreifung Hitlers zur Aufgabe biographischer Selbstbestimmung aller "Volksgenossen". Vor 1933 galt als Nazi, wer sich zur Partei bekannte und damit politisch hinreichend von anderen Parteigängern unterscheidbar war. Danach gab das Regime allein den Rahmen vor, innerhalb dessen man Farbe zu bekennen hatte - ein Rahmen, der auch deshalb so stabil war, wie Steuwer und Leßau betonen, weil er in gewissen Grenzen individuelle Aneignungen und Abweichungen tolerierte und es auf eben diese Weise erlaubte, die eigene Biographie mit dem System kompatibel zu machen.

In der Literaturbeilage sucht Norman Ächtler nach der Thematisierung von Kriegsverbrechen und Judenverfolgung in deutschen Nachkriegsromanen. Sein Fazit: Die Rolle der Wehrmacht werde geschönt, der unbescholtene Landser dem niederträchtigen SS-Mann gegenübergestellt - die Vernichtungsdimension des Krieges aber durchaus nicht verschwiegen.

Das Highlight der Ausgabe ist Jens Wietschorkes kulturwissenschaftliche Analyse eines NS-konformen Reiseführers: Baedekers Generalgouvernement. 1943, auf dem Höhepunkt des Neuordnungs- und Vernichtungsfeldzugs der Nazis erschienen, ist das Buch weniger Fremdenführer denn performatives Propagandainstrument. Es führt der Leserschaft das besetzte Territorium als 'deutsche Landschaft' vor und erweist sich so als  kulturwissenschaftliche Fundgrube für die Untersuchung einer NS-Schlüsseldisziplin: der angewandten - sprich gewaltsamen - Raumplanung. In deren Geist präsentiert der Reiseführer mit bildungsbürgerlich-humanistischem Duktus eine "durchweg deutsch dominierte kulturelle Topografie". Indem Baedekers Generalgouvernement den Raum selektiere, stereotypisiere und vereinfache, so Wietschorke, mache er ihn ganz im Sinne der Homogenisierungs- und Sozialgärtnerphantasien der NS-Raumingenieure lesbar - und wiederhole damit die militärische Landnahme symbolisch noch einmal. Doch trotz dieser Veralltäglichungsstrategie der deutschen Besatzungsherrschaft offenbart er gerade durch das, was er auslässt, bzw. in einer "groteske[n] Reihe ungeheuerlicher Unterschlagungen" regelrecht auslöscht, die historischen Verhältnisse des Jahres 1943 mit ihrem "Ineinander von Geopolitik, Massenmord und medialem Diskurs" wie in einem Brennglas.

Baedekers Generalgouvernement ist mehr als nur ein Reiseführer: Während er im Plauderton die Normalität und Kontinuität der deutschen Besatzung herstellt, tritt er zugleich als "geschichts- und geostrategisches Papier" auf, als "autoritative[s] Tableau gouvernementalen Raumwissens". Aus dem Reisebrevier ist ein Kompendium für Kolonisatoren geworden - "eine glatte Umkehrung des Prinzips der Reise als Horizonterweiterung."

Du sollst schreiben!

Wer vor nicht allzu langer Zeit während des Studiums noch regelmäßig in akademischen Buchstabenwüsten verdurstete und auf der Suche nach kundiger Anleitung bei eigenen, ersten Schreibversuchen meist ins Leere lief, der sieht sich heute erfreulicherweise einer wachsenden Zahl wohlformulierter Monographien einerseits, einer stattlichen Phalanx an gedruckten Ratgebern und Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben andererseits gegenüber.

Letztere versprechen "keine Angst vor dem leeren Blatt" (Otto Kruse) und begleiten den Schreibnovizen durch alle Unwägbarkeiten "von der Idee zum Text" (Helga Esselborn-Krumbiegel). Alttestamentarisch knapp mutet das soeben erschienene Vademecum des Hannoveraner Philosophieprofessors Dietmar Hübner an: Seine Zehn Gebote für das philosophische Schreiben, nur 80 Seiten kurz, gehören - das gleich vorweg - zum Besten (und nebenbei auch Unterhaltsamsten), was der Markt derzeit zu bieten hat; nicht nur für Philosophen!

Hübner schreibt nicht aus der Perspektive des Dienstleisters, sondern der des engagierten Dozenten, der sein Fachgebiet liebt und den die handwerkliche bzw. literarische Qualität der Haus- und Qualifikationsarbeiten seiner Studenten nicht selten befremdet. Dabei doziert er keineswegs von oben herab. Es gelingt ihm vielmehr auf engstem Raum konsequent und präzise und in lebendiger, direkter Sprache zu vermitteln, was eine gute, und das heißt immer auch: gut lesbare akademische Arbeit ausmacht - und dass an der Universität (jedenfalls in den Geisteswissenschaften) nur besteht, wer jenseits von "Facebook-Deutsch und Chatroom-Höhlenmalerei" die Grundregeln des Schreibens beherrscht. Diese sind dann rasch und ohne Umschweife aufgestellt: Interesse an der Sache, klare Struktur und Gedankenführung, Mut zum Selberdenken, Fairness im Urteil, guter Stil und Regelkenntnis, ausreichend breite Quellenbasis sowie schließlich formale Korrektheit.

Dass Hübner seine zehn Gebote selbst beherzigt, macht jede Seite des Büchleins eindrucksvoll deutlich. Auch Nichtphilosophen - und selbst erfahrene Scribenten - werden es mit Gewinn lesen, weil es nicht nur auf typische Anfängerfehler eingeht, sondern zugleich eindringlich daran erinnert, was gute Wissenschaft überhaupt auszeichnet (z.B. nicht die schwächsten, sondern stets die stärksten Argumente eines akademischen Gegenübers zu attackieren). Die Empfehlung des Autors, neben der Schreibpraxis immer wieder auf herausragende Texte - vornehmlich Weltliteratur - zurückzugreifen, um den eigenen Ausdruck zu schärfen, lässt sich auf ihn selbst anwenden: Unbedingt lesen!

Dietmar Hübner (2012): Zehn Gebote für das philosophische Schreiben. Göttingen, 80 S., 6,99 Euro.

Philosophisches auf Hochglanzpapier

Als ich es vor Jahren an einem Zeitungskiosk in der südfranzösischen Provinz zufällig erblickte, war ich von der Idee sofort begeistert: Ein monatlich erscheinendes Hochglanzmagazin ausschließlich über: Philosophie – popularisierte, aber dennoch anspruchsvolle, unbequeme Philosophie, nicht bloß die üblichen Verschnitte, wie sie hierzulande in schmalen Kolumnen, Rubriken und Talkshows von neunmalklugen Phrasendreschern unters Volk gebracht werden. Schade, dass das nicht auch bei uns geht, dachte ich damals, die Franzosen um ihre traditionsreiche und gleichermaßen breitenwirksame Liaison von Weisheitsliebe und Öffentlichkeit beneidend.

Doch, es geht! Seit diesem November nämlich liegt die erste Nummer des deutschen "Philosophie Magazin" in den Auslagen der Zeitungsgeschäfte, mit einer stattlichen Erstauflage von 100.000 Stück und einem, jedenfalls für die verprenzlauerbergten Regionen Deutschlands, hinreichend provokanten Titel: "Warum haben wir Kinder? Auf der Suche nach guten Gründen?" Das klingt zunächst nun doch ein wenig nach Maybrit Illner, ist es aber nicht. Sicher, die Optik wirkt zeitgemäß trendig; ohne die üblichen Sprechblasen, Blitzlichter und Presseschaufetzen geht es auch auf den ersten Seiten des "Philosophie Magazin" nicht. Dafür wird die interessierte Leserin gleich zum Einstieg umstandslos mit ein paar Absätzen Malthus, Jean Baudrillard, Thomas Kuhn und Georg Simmel bekannt gemacht. Die Themenauswahl ist breit, mit leichter französischer Schlagseite, denn die Redaktion bezieht einen guten Teil ihrer Inhalte vom "Mutterblatt". Neben Interviews (Julian Assange diskutiert via Skype mit dem Moralphilosophen Peter Singer; Axel Honneth spricht über Anerkennungsdefizite und Finanzkapitalismus), Reportagen, Buchkritiken und philosophischen Splittern, beispielsweise über Judith Butlers Kritik des Lacanschen Phallogozentrismus oder die Innenperspektive von Fledermäusen, und dem umfangreichen, nachdenklich stimmenden Dossier über Segen und (vor allem) Fluch des Kinderkriegens bietet die Erstausgabe auch ein umfangreiches Klassikerporträt zu Aristoteles. Aus diesem Anlass wird gleich noch das Prinzip Warenprobe in die Philosophie eingeführt: Beigelegt ist ein Sonderdruck über Freundschaft aus der Nikomachischen Ethik mit pointiertem Vorwort von Pierre Aubenque (aber leider ohne die leserfreundlichen Kursivierungen der zugrunde liegenden Meiner-Ausgabe). Das Abstraktionsniveau vieler Beiträge ist – für ein publizistisches Breitenprodukt – durchaus hoch, der Stil trotzdem erfrischend.

Wer Magazinformate nicht mit akademischen Abhandlungen verwechselt, Wissenschaftsjournalismus nicht mit Wissenschaft, und den hierzulande weit verbreiteten, oft dünkelhaften Vorbehalt gegen mediale Vermittlungsversuche anspruchsvoller Inhalte hintanstellt, erhält für wenig mehr als fünf Euro eine Massendrucksache, die auch den Fachmann unterhält - Weiterdenken ausdrücklich erlaubt. Auch wenn an der ein oder anderen Ecke noch geprobt wird (der obligatorische Schlusscartoon kommt sehr behäbig daher, manches Textstück ist dann doch etwas zu zeitgeistig-knapp geraten), kann man auf die Folgenummern gespannt sein und dem jungen Druckwerk nur eines wünschen: eine in jeder Hinsicht gelingende Traditionsbildung!

Intellektuelles Wurzelgeflecht in Handbuchform

Gilles Deleuze und Félix Guattari gehören zu den herausragenden französischen Intellektuellen des vergangenen Jahrhunderts. Gemeinsam haben sie den aus der Botanik stammenden Terminus ,Rhizom' in die Philosophie eingeführt, als metaphorischen Gegenentwurf zum klassischen ,Baum' des Wissens. Während die Baumstruktur hierarchisch und dichotomisch ist, jedem Element einen eindeutigen Platz in einem festen Gefüge zuweist und ohne Querverbindungen, Sprünge und Uneindeutigkeiten auskommt, ist das Rhizom eine vielfältig in sich und mit anderen Rhizomen verflochtene, wild wuchernde Struktur von Verästelungen und Knollen.

So ähnlich, wie eine Art Sprossachsensystem, kann man sich die französische Philosophie des 20. Jahrhunderts vorstellen, mit ihren Verflechtungen in Richtung Phänomenologie und Psychoanalyse, den erhabenen Knotenpunkten – der Kaderschmiede École Normale Supérieure oder dem Collège de France –, ihren genialischen Sprösslingen à la Sartre und Foucault und intellektuellen Schattengewächsen wie Marc Richir, Étienne Balibar, Sarah Kofman oder Mikel Dufrenne, die über die Grenzen Frankreichs hinaus nicht mehr Vielen bekannt sind.

In ihrem Autorenhandbuch zur französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts haben die beiden Hagener Philosophen Thomas Bedorf und Kurt Röttgers dieses ausgreifende Geflecht nun in eine gleichermaßen benutzer- wie gegenstandsfreundliche Form gebracht. Denn obwohl die Herausgeber ein Theoriefeld mit deutlich identifizierbaren Konturen – Strukturalismus, Dekonstruktion, Diskurstheorie... – ausmachen, wollen sie in erster Linie die "die Vielfalt des französischen Denkens in seiner Breite abbilden", ohne dabei allzu scharfe historische und geographische Grenzen zu ziehen: Neben Nachkriegsautoren finden sich Denker des späten 19. Jahrhunderts; Belgier, Schweizer und vornehmlich auf Englisch publizierende Autoren stehen gleichberechtigt neben Franzosen. Man kann das (alphabetisch gegliederte) Handbuch daher getrost rhizomatisch lesen, von einem Verzweigungspunkt zum anderen. Die insgesamt 98 Artikel namhafter Expertinnen und Experten sind von unterschiedlicher Länge, aber ausnehmend hoher Qualität. Sie geben einen kurzen biographischen Abriss ihres Protagonisten, eine knappe Darstellung der zentralen theoretischen Innovationen nebst Ausblick auf Einflüsse und Umfeld sowie ausgewählte Lektürehinweise. Ein ausführliches Literaturverzeichnis, Begriffs- und Personenregister beschließen den kompakten Band, der den Blick auf "ein theoretisch fruchtbares Jahrhundert" weitet und dazu einlädt, sich tiefer in das französischen Denkgeflecht des 20. Jahrhunderts hineinzugraben.

Thomas Bedorf/Kurt Röttgers (Hg.) 2009: Die französische Philosophie im 20. Jahrhundert. Ein Autorenhandbuch. Darmstadt, 400 S., 79,90 Euro (Preis für Mitglieder der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft: 49,90 Euro).

Akademische Karriere

"Die Beschäftigung mit geistigen Dingen ist mittlerweile selber 'praktisch', zu einem Geschäft mit strenger Arbeitsteilung, mit Branchen und numerus clausus geworden. Der materiell Unabhängige, der sie aus Widerwillen gegen die Schmach des Geldverdienens wählt, wird nicht geneigt sein, das anzuerkennen. Dafür wird er bestraft. Er ist kein 'professional', rangiert in der Hierarchie der Konkurrenten als Dilettant, gleichgültig wie viel er sachlich versteht, und muß, wenn er Karriere machen will, den stursten Fachmann an entschlossener Borniertheit womöglich noch übertrumpfen. Die Suspension der Arbeitsteilung, zu der es ihn treibt, und die in einigen Grenzen seine ökonomische Lage zu verwirklichen ihn befähigt, gilt als besonders anrüchig: sie verrät die Abneigung, den von der Gesellschaft anbefohlenen Betrieb zu sanktionieren, und die auftrumpfende Kompetenz lässt solche Idisynkrasien nicht zu. Die Departementalisierung des Geistes ist ein Mittel, diesen dort abzuschaffen, wo er nicht ex officio, im Auftrag betrieben wird. [...] So ist für die Ordnung gesorgt: die einen müssen mitmachen, weil sie sonst nicht leben könnten, und die sonst leben könnten, werden draußen gehalten, weil sie nicht mitmachen wollen."

Theodor W. Adorno: Minima Moralia (Für Marcel Proust), S. 21f.

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Geistige Selbstdisziplin

"Da keine Kategorie, ja selbst die Bildung nicht mehr dem Intellektuellen vorgegeben ist und tausend Anforderungen der Betriebsamkeit die Konzentration gefährden, wird die Anstrengung, etwas zu produzieren, was einigermaßen stichhält, so groß, daß kaum einer ihrer mehr fähig bleibt. Weiter setzt der Druck der Konformität, der auf jedem Produzierenden lastet, dessen Forderung an sich selbst herab. Das Zentrum der geistigen Selbstdisziplin als solcher ist in Zersetzung begriffen."

Theodor W. Adorno: Minima Moralia (Wenn die Bösen Buben locken), S. 30.

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Im Steinbruch der Begriffe

Erst kürzlich hat der Hamburger Meiner-Verlag seine Enzyklopädie Philosophie eindrucksvoll generalüberholt. Nun zieht auch der Freiburger Alber-Verlag, wie Meiner seit Jahrzehnten Synonym für exquisite Fachliteratur, nach. Lange schon hatte man die Neubearbeitung des Handbuchs philosophischer Grundbegriffe von Hermann Krings (†), Hans-Michael Baumgartner (†) und Christoph Wild aus den 1970er Jahren angekündigt. Nun ist der Nachfolger jener schlanken grüngrauen Taschenbuchbände aus dem Kösel-Verlag, die bis heute zahllose Studierstuben schmücken, endlich erschienen: blau, dickleibig, dreibändig, mit behutsam aktualisiertem Konzept und gehaltvollen Beiträgen.

Erneut versammeln die Herausgeber – Petra Kolmer aus Bonn und Armin Wildfeuer von der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen – Grundbegriffe, die "anerkanntermaßen zum Grundvokabular der (aktuellen) philosophischen Terminologie gehören". Wieder geht es nicht um letztgültige Definitionen. Schon die Editoren des alten Handbuchs wussten, dass Begriffe, obgleich diskursiv vermittelt, immer auch "von verschiedenen philosophischen Temperamenten" geprägt werden. Das Neue Handbuch offeriert in der Tradition seines Vorläufers daher kein klassisches Lexikonwissen, sondern "will selbst Philosophie bieten", freilich ohne dabei nahtlos an die "rationalistische Orientierung" des alten Handbuchs anzuknüpfen.

Für die Neu-Herausgeber hängt jedes Philosophieren von lebensweltlichen Voraussetzungen ab (denen auch das alte philosophische Staunen, thaumazein, entspringt), von grundlegenden Intuitionen, Leitüberzeugungen und Gedankenmotiven, kurz: vom so genannten Vorverständnis. Auf Grundlage dieser Prämisse – der Einsicht, dass philosophische Reflexion nicht ausschließlich im Medium reiner diskursiver Vernunft zirkuliert – will das Neue Handbuch "Sprachausdrücke" kritisch klären, das heißt im Wittgensteinschen Sinn bestimmen, wie sie gebraucht werden oder gebraucht werden sollten. Neben die "notwendigen Momente" des Begriffs, nach denen das Vorläuferunternehmen primär suchte, treten in der Neuausgabe dessen "Sinnbilder". So sind die 215 neu verfassten Einträge stärker sprachphilosophisch und hermeneutisch ausgerichtet. Man kann, obwohl die Herausgeber sich dem Kantischen Projekt einer Kritik der reinen Vernunft verpflichtet fühlen, auch von einem postnietzscheanischen, vom linguistic turn wie vom Existenzialismus gleichermaßen imprägnierten Nachschlagewerk sprechen – der Verzicht auf "Eindeutigkeitsintentionen" ist Programm und die integrierten Temperamente, Perspektiven und Methoden sind so zahlreich wie die Artikel selbst.

Tatsächlich finden sich darunter 'klassisch' aufgebaute Texte im nüchternen, bisweilen ermüdenden Lexikonstil ebenso wie glänzende Abhandlungen namhafter Autorinnen und Autoren. Der Konzentration auf Grundbegriffe und den weiteren programmatischen Umständen ist manche Auslassung geschuldet. Aber das ist, zumal für ein Handbuch, kein Nachteil. Will man beispielsweise etwas über Urteilskraft erfahren (für die Herausgeber zu Recht kein Grundbegriff), muss man in unterschiedlichen Artikeln – zum Beispiel zu 'Aufklärung' und 'Urteil' von Rainer Enskat bzw. Christian Helmut Wenzel – suchen. Mit anderen Worten: Man sollte selbst bereits philosophische Intuition und mehr oder weniger Vorwissen mitbringen, um im Steinbruch der philosophischen Grundbegriffe erfolgreich zu navigieren. Unter dieser Voraussetzung wird das inspirierende und außerdem unschlagbar preiswerte Neue Handbuch philosophischer Grundbegriffe seinem Vorgänger rasch den angestammten Regalplatz streitig machen.

Petra Kolmer/Armin G. Wildfeuer (2011): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe. 3 Bände. Freiburg, 2728 S., 120 Euro.

Doppelte Einladung in die Soziologie

Hochschulabsolventen haben, so heißt es, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das mag für Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieurinnen richtig sein. Für Soziologen sieht die Prognose schon anders aus. Wer sich also für die Wissenschaft von der Gesellschaft entscheidet, muss gute Gründe haben – oder überhaupt erst welche ausfindig machen.
Glücklicherweise herrscht an gedruckten Appetizern respektive einführenden Darstellungen für Studierwillige und Unentschlossene kein Mangel. Zu den herausragenden und insbesondere für Erstsemester empfehlenswerten Orientierungshilfen zählt ein handlicher Band aus dem Campus-Verlag. Der Untertitel ist Programm: Die beiden Herausgeber, Uwe Schimank und Nadine Schöneck, wollen Gesellschaft begreifbar machen, indem sie eine „Einladung zur Soziologie“ aussprechen. Genau genommen sind es dreizehn Einladungen, eingängig formuliert von namhaften deutschsprachigen Soziologinnen und Soziologen, darunter Michael Hartmann, Nicole Burzan, Armin Nassehi und Hartmut Rosa.

Die Autorinnen und Autoren des Bandes geben nicht nur einen kurzen Abriss ihrer jeweiligen Forschungsthemen – von den Dämonen der Beschleunigungsgesellschaft über Gleichheitsfiktionen in Paarbeziehungen bis zur Schlüsselrolle der Sozialpolitik und zum Doping im Spitzensport –, sie erzählen auch, mitunter sehr persönlich, was sie zur Soziologie gebracht hat, was sie an „ihrem“ Fach fasziniert.
Das ist im besten Sinne einladend – und gleichermaßen produktiv verwirrend. Denn nicht immer gehen Studienmotivation und wissenschaftliche Praxis Hand in Hand. Dass die Soziologie davon lebt, Verunsicherungswissenschaft zu sein, lieb gewonnene Gewissheiten und Alltagsüberzeugungen von einer Beobachterperspektive zweiter Ordnung aus in Frage zu stellen, macht der Band auf unterhaltsame Weise deutlich. Er vermittelt so einen ersten Eindruck von der besonderen Qualität soziologischen Denkens. Und er macht Lust auf mehr, allen Arbeitsmarktprognosen zum Trotz.

Wer die Forscherinnen und Forscher hinter den Texten näher kennen lernen will, hat nach der Lektüre des Sammelbands zwei Optionen: Er oder sie kann entweder gleich Soziologie studieren oder erst einmal das Medium wechseln: Im Internet finden sich ausführliche Viedeointerviews mit allen Protagonisten - eine zweite Einladung, der man ebenso gerne Folge leistet wie der ersten.

Uwe Schimank/Nadine M. Schöneck (Hrsg.) 2008: Gesellschaft begreifen. Einladung zur Soziologie. Frankfurt/M., 195 S., 18,90 Euro (auch als E-Book für 15,99 Euro erhältlich).

Weltzustand Fukushima

In seinen "Thesen zum Atomzeitalter" von 1959 zieht der Philosoph, Literat und Essayist Günther Anders (1902-92) einen ungeheuren Vergleich: Die Drohung mit der Atombombe sei totalitär, sie verwandele die ganze Erde "in ein ausfluchtloses Konzentrationslager" - weil sich der atomare Fallout im Ernstfall nicht an Ländergrenzen halte und die Vernichtungskapazität der weltweit existierenden Bombenarsenale jede Zweck-Mittel-Relation sprenge. In der kettenreaktiven Logik von Erstschlag und Zweitschlag bedeutet das nichts anderes als: "Jeder kann jeden Treffen, jeder von jedem getroffen werden."

In diesem Sinn markierte der 6. August 1945 - der Tag des Abwurfs der ersten Atombombe - für Anders eine Epochenzäsur: "Hiroshima als Weltzustand". Seit diesem Tag sei die Menschheit in der Lage, sich selbst auszurotten; eine irreversible 'Fähigkeit', die in totaler Ohnmacht mündet.

Wie Recht der oft als enervierender Schwarzmaler attackierte Anders mit seiner frühen Warnung vor der Atomtechnik hatte - in die er ausdrücklich auch die 'friedliche Nutzung der Kernenergie' einbezog -, demonstrierte einer tatsächlich ohnmächtigen Weltgemeinschaft einmal mehr die Reaktorhavarie von Fukushima. Wieder ist eine jener "nuklearen Zeitbomben mit unfestgelegtem Explosionstermin" (Anders) in die Luft geflogen. Und wieder ist die Weltgemeinschaft, bis auf eine Ausnahme, rasch zur atomaren Tagesordnung zurückgekehrt. Günther Anders hätte in diesem Fall gewiss "Apokalypseblindheit" diagnostiziert.

Doch nicht nur als Vordenker der Anti-Atom-Bewegung, auch als kritischer Theoretiker der Moderne, als Medienphilosoph avant la lettre, Dichter und Tagebuchschreiber ist Günther Anders bis heute immer noch ein lesens- und bedenkenswerter Autor. Wer ihn näher kennen lernen will, kann neben seinen Schriften aus dem Beck-Verlag nun auch wieder auf ein aus aktuellem Anlass bei Diogenes neu aufgelegtes Lesebuch zurückgreifen, darin ausgewählte atom- und fernsehkritische Texte, zahlreiche philosophische Fabeln und Aphorismen, Auszüge aus Tagebüchern sowie Günther Anders' Briefwechsel mit dem als 'Hiroshima-Pilot' in die Geschichte eingegangenen Claude Eatherly, abgerundet von einem Interview aus dem Jahr 1979.

Günther Anders: Die Zerstörung unserer Zukunft. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Bernhard Lassahn. Zürich 2011, 352 S., 10,90 Euro.

Plaudern mit Plutarch

Um die Griechen steht es schlecht. Krise allüberall. Auch das antike Erbe ist in keinem guten Zustand. Obwohl kaum ein deutscher Satz ohne altgriechische Immigranten auskommt – „Ist doch logisch!“, „Wie lange hat die Apotheke geöffnet?“, „Technik macht’s möglich“, „Coole Grafik“, „Unsere Politiker sind doch alle Idioten...“ etc. pp.* –, beherrschen immer weniger Menschen die Sprache der Illias und der Odyssee. Der Zugang zu jener schier unerschöpflichen Quelle, aus welcher unsere Kultur bis dato schöpft, scheint heutigen Generationen zunehmend verschlossen. Kein Wunder, möchte man einwenden, steht das Altgriechische doch in dem schlechten Ruf, selbst Lernbeflissenen besonders hohe Hürden zu setzen. Davon abgesehen hat es für die polyglotte Generation Facebook wenig Nutzwert. Smalltalk-tauglich ist die Zunge Homers und Aristoteles’ jedenfalls nicht.

Christophe Rico dürfte das ein wenig anders sehen. Zusammen mit Emmanuel Vicart, Paul Morales und Daniel Martinez hat der Gräzist und Grammatikdozent ein Lehrbuch für Altgriechisch-Kurse und Selbstlerner entwickelt, das die sogenannte Koiné, das „allgemeine Griechisch“ (3./2. Jahrhunderts vor Chr. bis 3./5. Jahrhundert nach Chr.), so vermittelt, als handelte es sich um eine moderne – lebende – Fremdsprache.

Auf knapp 170 Seiten begegnen dem Eleven in Ricos Lehrwerk mit dem programmatischen Titel Polis zehn unterschiedliche Charaktere, in der Regel selbst Schüler oder Lernende, die statt seitenlanger Deklinationstabellen mehr oder weniger realistische Sprechsituationen mit alltagstypischem Vokabular offerieren. Die beigefügte Audio-CD ermöglicht zu Beginn einer jeden der insgesamt zwölf Lektionen das aus dem Fremdsprachunterricht bekannte „Einhören“. Erst danach erfolgt die (stille) Textarbeit. Grammatik-Übersicht, Übersetzungsteil und ein Lexikon mit Beispielsätzen runden den Band ab.

Wer ihn durcharbeitet, gewinnt ein elementares Verständnis des Altgriechischen und ist, so verspricht der Autor, nach zwei Jahren kontinuierlicher Übung in der Lage, einfache erzählende Texte auch ohne Lexikon zu lesen. Komplexere grammatische Phänomene wie Konjunktiv, Plusquamperfekt und Partizipien sind weiteren, geplanten Folgebänden vorbehalten. Fazit: Scheut man die Mühen der Ebene nicht (und ist man gewillt, den üppigen Preis von 42 Euro zu bezahlen), bieten Rico und Co. einen gleichermaßen intelligenten wie unterhaltsamen Einstieg in den Sprachkosmos der alten Griechen.

Christophe Rico (2011): Polis. Altgriechisch lernen wie eine lebende Sprache. Aus dem Französischen übertragen von Helmut Schareika. Hamburg, 301 S., 42,00 Euro.

*Einen informativen Überblick bietet das Buch von Friedrich Wolff und Otto Wittstock: Latein und Griechisch im deutschen Wortschatz.

Causa Guttenberg: Schattenwürfe auf das deutsche Wissenschaftssystem

Dirk Matten, in Düsseldorf promovierter Betriebswirtschaftswissenschaftler und Inhaber des Hewlett-Packard-Lehrstuhls für Corporate Social
Responsibility an der Schulich School of Business der York University in
Toronto, Kanada, hat einen distanzierten Ausblick auf die Causa Guttenberg. Eine solche Optik kann, wie man weiß, der Erkenntnis förderlich sein.

Und so weist Matten in einem lesenswerten Kommentar für Spiegel Online zu Recht darauf hin, dass bei aller Hähme, die ob seines akademischen Vergehens nun auf Herrn zu Guttenberg einprasselt, kaum jemand über die Beihilfe spricht, die das deutsche Wissenschaftssystem in der ganzen Angelegenheit geleistet hat.

Vielleicht sollte man das Exempel Guttenberg nicht nur zum Anstoß nehmen, über Wahrheit und Lüge in der Politik, das Promotionsansinnen von Politikerinnen (wie z.B. Kristina Schröder) und Wirtschaftsführern oder anti-intellektuelle Ressentiments der Bevölkerung zu debattieren. Es wird höchste Zeit, dass auch die Wissenschaft in sich geht: Doktorarbeiten, die von ihren Betreuern benotet, aber vielleicht nicht einmal gelesen werden, Graduiertenschulen, die im eigenen Saft schmoren, Gefälligkeitsgutachten für eigene Schützlinge etc. pp. desavouieren einen in Deutschland erworbenen Doktorgrad wohl nicht weniger als ein ministerielles Plagiat.

Causa Guttenberg - offener Brief an Angela Merkel

Während der Druck auf Bundesselbstverteidigungsminister zu Guttenberg beinahe stündlich wächst, und inzwischen auch hochrangige Wissenschaftsvertreter einen Betrüger nennen, was ein Betrüger ist, sammeln Deutschlands DoktorandInnen im Internet Unterschriften unter einen offenen Brief an Dr. Angela Merkel.

Darin wird der Kanzlerin in vorzüglichen Worten erläutert, was der Fall ist, warum Herr zu Guttenberg alle ehrlich Promovierenden und in der Wissenschaft Lehrenden verhöhnt und warum das ein Ende haben muss. Dem ist nichts hinzuzufügen außer der eigenen Unterschrift!

PS: Auch Promovierte und Habilitierte sind freundlich eingeladen, ihren Servus unter das Dokument zu setzen.

Goodbye academia!

Ein junger, erfolgreicher (Natur-)Wissenschaftler sagt der Wissenschaft schallend Adieu, holt sich sein Leben zurück - und trifft damit offenbar einen Nerv. In seinen Reflexionen angesichts der überwältigenden Reaktionen kommt er zu dem Schluss: "There is really something wrong with the ways of academic work out there". Dem ist nichts hinzuzufügen, außer einem Imperativ: Lesen!

Bildungs(bananen)republik Deutschland

Nun hat sich auch die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, zur Plagiatscausa Guttenberg geäußert. Sie habe keinen Wissenschaftlichen Mitarbeiter ins Kabinett berufen, sondern einen Verteidigungsminister. Das ist so richtig wie ehrenrührig. Wer es für kargen Lohn und ohne geregelte Berufsaussichten (nebenbei bemerkt: auch ohne ein Familienvermögen von rund 600 Mio. Euro im Rücken) mit der Wahrheit genau nimmt, darf sich von der promovierten Physikerin aus dem Berliner Regierungsviertel düpiert fühlen.

Jetzt wissen wir also, wie ernst es der Kanzlerin mit der "Bildungsrepublik Deutschland" ist, die sie vor wenigen Jahren vollmundig ausrief. Ihre Verachtung für das höchste Gut der Wissenschaft - deren handwerkliche Redlichkeit und den Anspruch unbedingter Glaubwürdigkeit - zeigt, dass es ihr nicht so sehr um Deutschlands Zukunft, sondern vor allem um die ihres eigenen Kabinetts bange ist.

Jede seriöse Hochschule ist bestens beraten, Plagiatsversuche bei Abschluss- und insbesondere bei Doktorarbeiten strengstens zu ahnden. Nichts weniger als ihr Renommee steht auf dem Spiel. Auch wenn große Teile der deutschen Bevölkerung in Guttenbergs Fehlverhalten eine lässliche Sünde sehen wollen: Wer in der Wissenschaft abkupfert, gefährdet nicht nur seinen akademischen Abschluss, er untergräbt die Grundfesten der Wissenschaft und ruiniert ihr Ansehen. Einer wettbewerbsbewussten Kanzlerin darf das nicht gleichgültig sein! Und all jenen, die durch ihr Statement herabgesetzt worden sind, auch nicht.

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