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Nouvelles portes à la douleur

Comparez sans préjugés l'état de l'homme civil avec celui de l'homme sauvage et recherchez, si vous le pouvez, combien, outre sa méchanceté, ses besoins et ses misères, le premier a ouvert de nouvelles portes à la douleur à la mort. Si vous considérez les peines d'esprit qui nous consument, les passions violentes qui nous épuisent et nous désolent, les travaux excessifs dont les pauvres sont surchargés, la mollesse encore plus dangereuse à laquelle les riches s'abandonnent, et qui font mourir les uns de leurs besoins et les autres de leurs excès, si vous songez aux monstrueux mélanges des aliments, à leurs pernicieux assaisonnements, aux denrées corrompues, aux drogues falsifiées, aux friponneries de ceux qui les vendent, aux erreurs de ceux qui les administrent, au poison des vaisseaux dans lesquels on les prépare, si vous faites attention aux maladies épidémiques engendrées par le mauvais air parmi des multitudes d'hommes rassemblés, à celles qu'occasionnent la délicatesse de notre manière de vivre, les passages alternatifs de l'intérieur de nos maisons au grand air, l'usage des habillements pris ou quittés avec trop peu de précaution, et tous les soins que notre sensualité excessive a tournés en habitudes nécessaires et dont la négligence ou la privation nous coûte ensuite la vie ou la santé, si vous mettez en ligne de compte les incendies et les tremblements de terre qui, consumant ou renversant des villes entières, en font périr les habitants par milliers, en un mot, si vous réunissez les dangers que toutes ces causes assemblent continuellement sur nos têtes, vous sentirez combien la nature nous fait payer cher le mépris que nous avons fait de ses leçons.

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Compare without partiality the state of the citizen with that of the savage, and trace out, if you can, how many inlets the former has opened to pain and death, besides those of his vices, his wants and his misfortunes. If you reflect on the mental afflictions that prey on us, the violent passions that waste and exhaust us, the excessive labour with which the poor are burdened, the still more dangerous indolence to which the wealthy give themselves up, so that the poor perish of want, and the rich of surfeit; if you reflect but a moment on the heterogeneous mixtures and pernicious seasonings of foods; the corrupt state in which they are frequently eaten; on the adulteration of medicines, the wiles of those who sell them, the mistakes of those who administer them, and the poisonous vessels in which they are prepared; on the epidemics bred by foul air in consequence of great numbers of men being crowded together, or those which are caused by our delicate way of living, by our passing from our houses into the open air and back again, by the putting on or throwing off our clothes with too little care, and by all the precautions which sensuality has converted into necessary habits, and the neglect of which sometimes costs us our life or health; if you take into account the conflagrations and earthquakes, which, devouring or overwhelming whole cities, destroy the inhabitants by thousands; in a word, if you add together all the dangers with which these causes are always threatening us, you will see how dearly nature makes us pay for the contempt with which we have treated her lessons.

 

JEAN-JACQUES ROUSSEAU
(1712-1778)

DISCOURS SUR L'ORIGINE ET LES FONDEMENTS
DE L'INEGALITÉ PARMI LES HOMMES.
(1755)

Notes, 9 

 

Leben im ausgehenden Anthropozän?

Der Paläoklimatologe William Ruddiman vertritt die These, dass die Menschheit bereits durch den Übergang zur Viehzucht und Ackerbau vor ca. acht Jahrtausenden erstmalig in das Klima der Erde eingegriffen hat. Sicherlich ein folgenreicher, aber vorerst noch relativ harmloser Schritt in der Geschichte des Homo sapiens.

Erst seit Beginn der industriellen Revolution sind Eingriffe des Menschen in die Natur immer schwindelerregender und er selbst (bzw. seine sich von der europäischen Halbinsel auf die Erdkugel verbreitete industriell-kapitalistische Variante) dominanter Faktor im Ökosystem geworden. Sein Einfluss in diesem neuen Zeitalter - dem Anthropozän - ist bisweilen katastrophal.

Und er begrenzt sich längst nicht auf's Klima: Verpestung der Meere, Verwüstung ganzer Landstriche, tausendfache Ausrottung kompletter Spezies folgen im schnellen Takt rücksichtsloser Beutezüge unter der Marschmusik des geheiligten "Wirtschaftswachstums". Doch es herrscht Apokalypsenblindheit.

Obwohl menschenverursachte Katastrophen profitsüchtiger Kurzsichtigkeit in immer kürzer werdenden Abständen, in einer verheerenderen Gewaltigkeit über den Planeten hineinbrechen, halten wir an einer längst widerlegten Illusion fest: Unaufhaltsamer Fortschritt wird die Erde uns Untertan machen.

Diese Hybris kommt der Natur teuer zu stehen: Allein durch die Ölpest von Deepwater Horizon (Erinnern Sie sich? British Petrol wollte vergangenes Jahr auch noch in 1,5 km Meerestiefe Erdöl bohren) sind im Golf von Mexiko 400 Arten akut vom Aussterben bedroht. Doch der Glaube an uns und unsere Teufelstechnologien scheint ungebrochen. Unabhängig davon, wie sehr sich die Hiobsbotschaften auch mehren.

Atomkraft ist eine weitere dieser Teufelstechnologien. Zahlreiche Vorfälle (von Windscale über Three Mile Island und Forsmark, nicht zu vergessen der tatsächlich eingetretene und unermesslich lethale Super-GAU von Tschernobyl), sollten uns längst belehrt haben: Diese Technologie ist weder beherrschbar, noch sind ihre Folgen absehbar. Nicht nur jene, die durch den tödlichen Abfall noch auf Jahrtausende fortbestehen.

Mit Japan wurde am 11. März ein hochindustrialisiertes Land von einem Beben getroffen, welches uns erneut eindringlich vor Augen führt, dass ein Leben gegen die Natur selbstmörderisch ist.

Straßen, Gebäude, Brücken wurden wie Kartenhäuser vom Tsunami weggefegt, Raffinerien wie Streichhölzer in Brand gesteckt. Aber auch zwei Atom-Reaktoren laufen zur Zeit Gefahr, in hohen Mengen radioaktive Strahlung abzugeben. Noch ist nicht geklärt, wie schlimm das Ausmaß dieser jüngsten Atomkatastrope ist, doch schon wird vielerorts abgewiegelt: Alles halb so schlimm. Ein wenig heiße, radioaktive Luft und das war's. Es erinnert an den Mann, der aus dem Fenster springt und - während er fällt - immer wieder sagt: "Bis hierin war's nicht so schlimm."

 

William Ruddiman, Plows, Plagues and Petroleum: How Humans Took Control of Climate, Princeton 2010. 

Lebenszeichen 2011: Kalender der bedrohten Völker

Vom "Westen" bedroht: Arhuacos in der Sierra Nevada, Kolumbien

Der im vergangenen Jahr verstorbene Anthropologe Claude Lévi-Strauss (1908 -2009) sah zuletzt sein Fach im „Verschwinden" begriffen. Das in der europäischen Eroberung und Kolonialisierung wurzelnde Vorhaben, „alle menschlichen Erfahrungen einzusammeln“, sei an ein Ende gekommen, da „keine der menschlichen Erfahrungen, von denen wir wissen können, von der westlichen Kontaminierung frei“ sei.

Tatsächlich scheint es, dass kaum noch ein Winkel des Planeten vor dem großen Vernichtungswerk des Westens, alles Andersartige sich einzuverleiben, verschont bleibt: Kaum ein Landstrich ohne Satellitenfernsehen, kaum noch ein Volk oder Menschengruppe, die unabhängig vom kapitalistischen (Welt-)Markt, für sich wirtschaften können.

Gewaltsame Landvertreibungen oder schleichende Umweltzerstörungen bedrohen genauso wie subtiler wirkende "Softpowers" der kulturellen Hegemonie ganz unterschiedliche Völker, die ihr Kulturgut gegen die "Kontaminierung" zu behaupten versuchen.

Für sie setzt sich hierzulande die Gesellschaft für bedrohte Völker ein, indem sie diesen ein Sprachrohr ist, Menschenrechtsverletzungen an kulturellen Minderheiten anklagt und ihnen Hilfestellung gibt.

Auch dieses Jahr gibt die Gesellschaft einen Kalender heraus, der die Öffentlichkeit informieren will und jeden Monat ein anderes Volk in seinem Behauptungskampf dokumentiert: 13 DinA3-Bögen stellen in Porträts und Momentaufnahmen so unterschiedliche Völker wie Inuits, Kayapó oder Saharauis vor, deren Schicksale uns kaum bekannt sind. 

Auf den Kalenderblatt-Rückseiten finden sich auführliche Informationen zu den Problemen, Erfolgen oder Rückschlägen im Ringen der Völker um ein selbstbestimmtes Leben. Ergänzt werden diese Berichte -  etwa über den Irokesenbund, Irakisch-Kurdistan, die Republik Tuva in Sibirien oder das Autonomiemodell Südtirol – durch Informationen über die jeweilige Menschenrechtslage. 

Wer im kommenden Jahr 2011 seinen kulturellen Horizont weiten und dies noch mit einem guten Zweck verbinden möchte, kann den Kalender auf der Homepage der Gesellschaft bestellen. 

 

Pilgerorte der Wissensgesellschaft

Gibt es eigentlich Pilgerorte der Moderne? Diese Frage stellten sich bekannte Schriftsteller, Forscher und Journalisten. Auf der Suche nach einer Antwort führen sie in dem Buch "Mekkas der Moderne" quer durch den Kosmos der globalisierten Wissensgesellschaft. sciencegarden lädt Sie mit der Veröffentlichung einiger ausgewählter Kapitel auf die Reise ein - und zur Reflexion, was eigentlich Ihr ganz persönliches Pilgerziel wäre. Etwa das Aspen Center for Physics in Colorado oder die United Nations University in Tokio?

Unpolitische Formen der Nivellierung

Es gibt auch unpolitische Formen der Nivellierung, und diese haben heute überall gesiegt. Der Kollektivismus regiert auch in den freien Ländern mit alles niederwälzender Wucht: die Geringschätzung des Menschenlebens, das Getöse der Propagandamaschinen, der absurde Leerlauf der Banalität, die gespenstische Unwirklichkeit einer Lautsprecherkultur, die von Rekorden und Reklame beherrscht wird, von der "grenzenlosen Schwindelei"- mit Gotthelfs Worten-, "die Millionen umwirbelt wie der Wind den Strassenstaub." Überall Gewimmel von Massen, aber keine Menschen. Überall die kollektive Verdummung, die sich als Fortschritt vorkommt, die geistigen Epidemien, denen auch die Gebildeten zum Opfer fallen. Europa wird amerikanisiert. Es ist von sich selbst abgefallen und trägt die Folgen. Es bewundert Errungenschaften, die ganz so aussehen, wie wenn die weisse Rasse dazu verurteilt waere, eigenhändig ihren Untergang herbeizuführen.

Aus: Walter Muschg, Die Zerstörung der Deutschen Literatur (1956).

Sklavenhalterei an deutschen Universitäten

Helmut Pape, Bamberger Privatdozent, beklagt in der heutigen Zeit das Schicksal seiner Leidensgenossen. Die deutschen Universitäten hielten sich laut Pape "Tausende hoch qualifizierter Wissenschaftler, die als Privatdozenten oder außerplanmäßige Professoren ein kümmerliches Dasein fristen." In der oft falschen Hoffnung auf den Lehrstuhl ließen sich diese gnadenlos ausbeuten.

Pape macht auf die verschärfte Situation der "Uni-Sklaven" aufmerksam, die sich durch das politische Streichkonzert des vergangenen Jahrzehnts ergeben habe, dem die Stellen des Mittelbaus zum Opfer gefallen seien: Also die wenigen bezahlten Uni-Stellen jenseits des Lehrstuhles. Ein ungeheurer Skandal, wie auch ein Leser findet: "Wir haben in Deutschland Studiengänge, die ohne unbezahlte Zuarbeit gar nicht angeboten werden könnten, Massenfächer, die kollabieren würden, würde auch nur ein Drittel der Privatdozenten auf einmal abspringen." 

Ein anderer allerdings sieht in der misslichen Situation der Privatdozenten das Spiegelbild der gesamten Gesellschaft überhaupt: "Das ganze Land wird über prekäre Arbeitsverhältnisse zurechtgeschrumpft, um es -- wie es heisst -- global wettbewerbsfähig zu machen." Und in diesem Sinne lassen sich Papes Fragen "Warum die Unis nicht mit Klagen, Verfassungsbeschwerden und Demonstrationen überzogen werden? Warum Privatdozenten nicht die Hörsäle anzünden?" vielleicht damit beantworten, dass die Entsolidarisierung durch den Marktfundamentalismus freilich vor den Toren der Universität nicht halt macht. 

Naturwissenschaft als Klartext

Die Klaus Tschira Stiftung sucht Nachwuchswissenschaftler, die exzellent forschen und anschaulich schreiben. Der Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft KlarText! wird vergeben in den Fächern Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik, Neurowissenschaften und Physik.

Wenn Sie in einem dieser Fächer im Jahr 2009 promoviert wurden und ihre Forschungsergebnisse in einem populärwissenschaftlichen Artikel beschreiben möchten – dann bewerben Sie sich um den Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft 2010.
Mit seiner Stiftung fördert Dr. h. c. Klaus Tschira seit 1996 Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik. 

Die besten Artikel werden mit je 5.000 Euro ausgezeichnet und in einer Sonderbeilage der Zeitschrift bild der wissenschaft veröffentlicht.
Der Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft wird jährlich ausgeschrieben. Bewerben können sich jeweils Nachwuchswissenschaftler, die im Jahr zuvor promoviert wurden.
Einsendeschluss für den nächsten Wettbewerb ist der 28. Februar 2010.
Hier finden Sie weitere Teilnahmebedingungen. 

Absurder Nobelpreis

Der renommierte amerikanische Historiker und Politologe Howard Zinn empfand die Verleihung des Friedensnobelpreises an den US-Präsidenten als schockierend. Bevor er sich entsann, dass Obama nur ein weiterer Preisträger unter vielen ist, der Frieden verpricht, während er Kriege führt. Angesichts dessen sollte sich das Preis-Komitee am besten in den Ruhestand begeben:

I was dismayed when I heard Obama was given the Nobel Peace Prize. A shock, really, to think that a president carrying on two wars would be given a peace prize. Until I recalled that Woodrow Wilson, Theodore Roosevelt, and Henry Kissinger had all received Nobel Peace prizes. The Nobel Committee is famous for its superficial estimates, won over by rhetoric and by empty gestures, and ignoring blatant violations of world peace.

Yes, Wilson gets credit for the League of Nations -- that ineffectual body which did nothing to prevent war. But he had bombarded the Mexican coast, sent troops to occupy Haiti and the Dominican Republic and brought the U.S. into the slaughterhouse of Europe in the first World War -- surely among stupid and deadly wars at the top of the list.

Sure, Theodore Roosevelt brokered a peace between Japan and Russia. But he was a lover of war, who participated in the U.S. conquest of Cuba, pretending to liberate it from Spain while fastening U.S. chains on that tiny island. And as president he presided over the bloody war to subjugate the Filipinos, even congratulating a U.S. general who had just massacred 600 helpless villagers in the Phillipines.

The Committee did not give the Nobel prize to Mark Twain, who denounced Roosevelt and criticized the war, nor to William James, leader of the anti-imperialist league.
Oh yes the Committee saw fit to give a peace prize to Henry Kissinger, because he signed the final peace agreement ending the war in Vietnam, of which he had been of the architects. Kissinger, who obsequiously went along with Nixon's expansion of the war, with the bombing of peasant villages in Vietnam, Laos, and Cambodia. Kissinger, who matches the definition of a war criminal very accurately, is given a peace prize!

People should not be given a peace prize on the basis of promises they have made (as with Obama, an eloquent maker of promises) but on the basis of actual accomplishments towards ending war, and Obama has continued deadly, inhuman military action in Iraq, Afghanistan, and Pakistan.

The Nobel Peace Committee should retire, and turn over its huge funds to some international peace organization which is not awed by stardom and rhetoric, and which has some understanding of history.

 

Ein neues Deutschland?

Zu Beginn dieses Jahres bat das Feuilleton der FAZ den Schriftsteller Jörg Albrecht, in Anklang an Stefan Zweigs Umbruchserfahrungen ("Die Welt von gestern") die Brüche in seiner eigenen Lebenswelt zu schildern. Leider ist nicht nur die Vermessenheit, den Erinnerungen eines schicksals- und leidgeprüften Exilanten des Zweiten Weltkrieges diejenigen eines in den BRD-Wohlstandsspeck der achtziger Jahre geborenen Jungautors gegenüberzustellen, der Redaktion anzulasten.

In seinem verhedderten Patchwork-Text "The world of morgen" beweist Albrecht vor allem, dass man im Jahr 2009, anders als in seinem Geburtsjahr 1981, weder Deutsch noch Englisch schreiben muss, um von der FAZ gedruckt zu werden. Ansonsten beschränken sich die Umbruchserfahrungen Albechts in erster Linie auf banale Beschleunigungserlebnisse vor der Videospielkonsole. Ob sich diese stark eingeschränkte Wahrnehmung daraus erklärt, dass Albrecht die meiste Zeit seines Lebens im Internet, vor dem Fernseher oder im "Strukturwandel" steckengebliebenem Ruhrgebiet verbracht hat, wissen wir nicht. Dass der Buchautor die dramatischen Zeitenwandel, die sich während seiner Lebensspanne inmitten Europas ereigneten, auf das Web 2.0 und die Erfindung der Digitalkamera reduziert, ist zweifelsohne mehr als ärgerlich. Als Altersgenosse schämt man sich ein wenig für derlei Nabelschau. Wäre doch so viel darüber zu sagen gewesen, wie sich das Deutschland, in das wir geboren wurden, in unseren Jugend- und Studienjahren einschneidend und atemberaubend rasch veränderte. (Auch für West-Deutsche.)

So bleibt es einem alten Hasen überlassen, von außen einen Blick auf "New Germany" zu werfen. Der Historiker Perry Anderson ergreift in der aktuellen Ausgabe der "New Left Review" die Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme der tiefgehenden Veränderungen von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur in Deutschland. In einem umfassenden Essay, dessen Ausführungen vom neoliberalen Schockprogramm der Schröderjahre, über den Bevölkerungsexodus in Ostdeutschland und die neuen Kriege bis hin zu gegenwärtigen Tendenzen im politischen Denken reichen, zeichnet Anderson ein Portrait der deutschen Gesellschaft, das befreit vom alltäglichen Nachrichten-Klein-Klein die gewaltigen Veränderungen aufzeigt, die uns aus der Nahperspektive so leicht zu entgehen drohen.

Der Beinahe-GAU von Harrisburg

Niels Boeing erinnert in der heutigen WOZ an den Beinahe-GAU eines Atomkraftwerks nahe des US-amerikanischen Harrisburg vor 30 Jahren. Nur viel Glück, nicht technische Zuverlässigkeit habe einen ähnlich schlimmen Unfall wie den von 1986 in Tschernobyl verhindert. Wer heute die Renaissance der Atomkraft predigt, dem sollte vor allem Folgendes zu denken geben: "Die Reaktoren der dritten Genera­tion, die derzeit in Finnland und Frank­reich gebaut werden, sind zwar so konstruiert, dass mehr Ersatzsysteme einspringen können, wenn wie in Harrisburg Teile der Anlage ausfallen. Aber selbst der Erbauer dieser neuen AKW, der Energiekonzern EDF, musste in einem Schreiben an die französische Reaktorsicherheitskommission einräu­men, dass die Sicherheitskonzepte «nicht alle Eventualitäten einschliessen können»."

Über die Lehrsitutation an deutschen Unis

Im Online-Magazin TELEPOLIS geht heute Thomas Stegemann der Frage nach, wie es mit der Lehrsituation an den deutschen Universitäten nach dem Bologna-Prozess bestellt ist. Er stellt dabei fest, dass die Lehrdeputate zwar endlich erhöht würden, dies aber neue Risiken berge. Die Einheit von Forschung und Lehre könnte dabei schließlich ganz auf der Strecke bleiben.

Wer sich's leisten kann

Wen das Gerede von der "Neuen Bürgerlichkeit" ebenso befremdet wie den Berliner Soziologen Hans-Peter Müller, wird sich über dessen Ausführungen in der Januar-Ausgabe des Merkur freuen. Dort fragt Müller, warum die Rede von einer (neuen) Bürgerlichkeit grassiert, wo doch "die gegenwärtige gesellschaftliche Verfassung weit entfernt von einer bürgerlichen Gesellschaft klassischen Zuschnitts ist und Vorstellungen vom Bürgertum eine Sozialformation umreißen, die lange schon der Vergangenheit angehört." Dass Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinanderklaffen, legt der Soziologe in seinem Essay ebenso dar, wie er den Nieder- und Untergang des Bürgertums historisch umreißt. Müller stellt fest, dass "vor dem Hintergrund der Gesundung von Unternehmen und Staat auf dem Rücken der Bürger [...] den Betroffenen die Rede von »neuer Bürgerlichkeit« als angesonnenes Wert-, Stil- und Habitussyndrom wie purer Zynismus vorkommen" muss. Und weiter: "Sie ist ein Synonym für zu geringe Löhne und Einkommen, zu geringe private Kaufkraft und nur schwache private Vorsorgefähigkeit, höhere Kosten für Lebenshaltung, höhere Abgaben und Steuern und trotz veritabler Wirtschaftskonjunktur und einem Rekordsteueraufkommen für den Staat kein Hoffnungsschimmer am Horizont. Das Resultat ist Verunsicherung, massive Statusangst bis weit in die Mittelschicht und geringe Zuversicht."
Müllers Wort tun gut in Zeiten, in denen diese Mittelschicht auch in Europa ökonomisch und sozial zerstört wird. Seinem Fazit schließt man sich gerne an: Viele Bürger würden gern dem neuen Narrativ der Bürgerlichkeit folgen, allein es fehlen ihnen die Mittel dazu."

Europa ohne Bürger

Am 10. und 11. Februar wird sich hierzulande das Bundesverfassungsgericht mit dem sogenannten Reformvertrag von Lissabon auseinandersetzen, der einen europäischen Quasistaat begründen wird, mit einer Verfassung, "wie man sie vielleicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts notfalls gerade noch für eine kurze Übergangszeit in Kauf genommen hätte" (Burkhard Hirsch). Nach dem skandalösen Ausbleiben einer seriösen Debatte - sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Parlamenten - bleibt die Judikative die letzte Bastion, die uns vor einer solchen Verfassung vielleicht noch retten kann.

Während die Eliten in Politik, Wirtschaft und Bürokratie den Integrationsprozess Europas auf zunehmend chauvinistische Weise als Erfolgsgeschichte propagieren, kann der Bürger nicht einmal mehr über sein wesentlichstes politisches Gut bestimmen: seine verfassungsrechtlich verbürgte Souveränität. Der Soziologe Max Haller (Universität Graz) hat untersucht, wie diese Kluft entstanden ist und welche Interessen die Eliten mit der Integration verfolgen. In seinem neuesten Buch "European Integration as an Elite Process - The Failure of a Dream?" entwickelt Haller auch Vorschläge, wie die EU demokratischer gestaltet werden könnte. Dies und mehr wird der Soziologe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung mit den Politologen Prof. Michael Zürn und Dr. Miriam Hartlapp diskutieren.

"Europa ohne Bürger. Die EU-Integration als Projekt der Eliten", Max Haller (Universität Graz) im Gespräch mit Michael Zürn und Miriam Hartlapp (beide WZB), Wissenschaftszentrum Berlin, 27.01.2009, 17 bis 19 Uhr.  Anmeldung erbeten bis zum 22. Januar 2009. Marie Unger: , Fax: 030-25491-680. Weitere Informationen: http://www.wzb.eu

Buddenbrooks als Dallmayr Prodomo

Die großbürgerliche Welt von Thomas Manns "Buddenbrooks" ist uns heute so fremd wie ein vor Jahrzehnten dahingeschiedener Anverwandter. Dagegen sind auch die hilflosen Reanimationsversuche der Leiche, wie sie seit einigen Jahren unter dem Stichwort "Neue Bürgerlichkeit" betrieben werden, machtlos: Den ganzen Lebensumständen und damit auch den Sorgen, dem Empfinden dieser Zeit sind wir heute weit entrückt.

Die Frage, ob es sich also bei den "Buddenbrooks" um einen verstaubten Schinken handelt, den man besser in Großmutters Regal lässt, ginge dennoch fehl: Denn immerhin bringt er uns dem Verständnis dieser verlorenen Welt näher. Sehr viel mehr aber auch nicht, auch wenn das zu behaupten nach der hundertjährigen Kanonisierung des Romans ein Sakrileg ist.

Durchaus hätte man aber dem Stoff mehr abgewinnen können als seine neueste Verfilmung, die heute in die Kinos kommt. Die "Buddenbrooks" hätten weitaus Besseres verdient, als vom Regisseur Heinrich Breloer auf das Schamloseste in weichgezeichneten Schnulzen-Szenen, die auch für Dallmayr Prodomo hätten werben können, verwurstet zu werden.
Zahlreiche Romangestalten fehlen gänzlich, die Verbliebenen verkommen im Film zu menschlichen Abziehbildern, im schlimmsten Fall zu lächerlichen Karrikaturen. Überhaupt stampft Breloer die feine Ironie Manns mit dem Presslufthammer platten Humors ein oder gibt sich gleich völlig humorlos. Ebenso werden die zentralen Dialoge des Romans oft auf Plattitüden eingedampft, einige blödsinnige Änderungen geben dem Romanstoff den Rest.

Der mit 16 Millionen Euro teuerste deutsche Film ist an aufwendigen Kostümen und Kulissen reich staffiert, geht aber an inhaltlicher Leere zugrunde. Ungewollt hat Breloer damit der "Neuen Bürgerlichkeit" ein passendes Denkmal gesetzt: Nach außen hin schillernd, nach innen hohl.

Pendeln auf Kosten der Umwelt

In der Zeitschrift für Umweltrecht kommentiert der Leiter des Department Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ in Leipzig, Wolfgang Köck, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pendlerpauschale:

"Wer das Karlsruher Urteil durch die Brille seiner Umweltauswirkungen sieht, kommt nicht umhin, festzustellen, dass der 9. Dezember 2008 kein guter Tag für den Umweltschutz gewesen ist. [...] Denn wer erst vom 21. Kilometer an Fahrtaufwendungen wie Werbungskosten ansetzen darf [...], muss sich überlegen, ob es sich weiterhin lohnt, in die sog. "Speckgürtel" der Städte zu ziehen und damit die Zersiedelung voranzutreiben. Wie Heuschrecken haben sich die Neusiedlungen am Stadtrand immer weiter in die Landschaft gefressen. Für viele Städte bedeuten diese "Speckgürtel", dass die innerstädtische Infrastruktur der umweltbezogenen Daseinsvorsorge zunehmend nicht mehr ausgelastet wird, dass teure Infrastrukturen nach außen gebaut werden müssen, dass Verkehre ansteigen, dass die Häuser an den Einfallstraßen in die Städte wegen zunehmender Umweltbelastungen gemieden werden und dass eine Politik der kompakten Stadt, die sich um Revitalisierung ihrer Brachen bemüht, auf der Stelle tritt, weil diese Flächen nicht zuletzt auch wegen der Subventionierung der Fahrtwege ökonomisch nicht mit dem Außenbereich konkurrieren können."

Der ganze Kommentar ist auch hier zu lesen. 

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