Kunst
Lana del Rey
Die neue Lana del Rey ist da, endlich muss man sich nicht mehr mit Youtube zufrieden geben. Und jetzt? Das Album ist schön und klingt, als sei es von 1962 -- da haben wir nicht gelebt. Aber dahin haben viele scheinbar eine irritierende Sehnsucht. Entziehen können sich zur Zeit weder die Mädchen, noch die Jungs dieser feschen Dame. Die ist sexy, es ist nicht politisch korrekt das zuzugeben -- Vater und Großvater stimmen einem schließlich zu. Zeigt man ihren Video Games Clip, dann spaltet sich jedes Grüppchen denkender Menschen: Konservativ, naiv & diese Lippen: ein Alptraum. Aber die Gefühle, die man hat, wenn man Lana zuschaut, die kann man/frau sich eben auch nicht so leicht wegrationalisieren. Also entsteht Streit. Es kann also passieren, dass man als Paar den CD-Laden betritt, aber als Single wieder rausgeht. Ob ab der nächsten Woche alle Mädchen aussehen wollen wie Lana? Also eigentlich weniger wie Mädchen, sondern eher wie Frauen? Und was passiert dann mit den Männern, die ja bis an die 50 noch immer -- gemessen an diesem Frauenlook -- aussehen wie Jungs in Schlafanzügen? Schnell zum Herrenausstatter und endlich mal Schuhe mit Ledersohle kaufen! Das erste weiße Hemd? Das ist vielleicht angebracht. Wenn man die Kopfhörer dann rausnimmt und die Bahn verlässt, sollte man sich eine Ausrede für die Freundin überlegen. In den frühen 60ern war es komplizierter. Der Hemdkragen zeigt nämlich nach den musikalischen Lana-Tagträumen Abdrücke vom roten Lippenstift. Wenn die Frauen sich an Lana orientieren sollten -- inklusive der damit verbundenen Werte -- dann bekommen die Männer ein Problem! Und der Lippenstift ist dabei noch das geringste. Statt dessen Imelda May zu hören ist auch keine Lösung. Auch die ist ja eindeutig: eine Frau. Jeder Blick in ein Geschichtsbuch, USA 1962, genügt aber, damit einem unbehaglich wird. Neben Jenna Jameson gehört Lana del Rey also zu den Namen, bei denen man kurz innehalten sollten, bevor man ihn offen ausspricht!
Thomas Manns Tagebuch lesen (Nr. 7)
Thomas Manns Tagebücher lesen (Nr. 6)
Thomas Manns Tagebuch lesen (Nr. 5)
Dienstag den 4.IV.33.
"Nach dem Frühstück Gespräch mit K. über die Zukunft der Kinder, namentlich die von Klaus, auch über unsere unsicheren Aussichten, und dass eigentlich unter den Freunden in der Welt sich hilfreiche, ein Heim bereitstellende Gönner finden müssten. Die wirtschaftlichen Verhältnisse wiesen nach Südfrankreich, Italien. Aber mein Wunsch, nicht von gewohnten Kulturbedingungen abgeschnitten zu sein, nach Zürich oder Winterthur."
Frühstück bei den Manns, bildungsbürgerliche Morgenlage: Zukunftsfragen, Sorgenkinder, Künstlermalaise. À première vue wird hier zu feinem „Thee" und importierter Orangenmarmelade auf hohem Niveau gejammert. Der Dichter präsentiert sich in seinen Aufzeichnungen als larmoyanter Familienkantor. Tief bürgerlich und doch längst vom Durchschnittsleben ausgemustert, erklingt - gewiss auch unter dem Eindruck derneuen Machtverhältnisse - sein Klagelied: Mögen uns die Gönner beistehen!
Wie Recht er damit hatte, und noch heute hat. Denn wofindet sie statt, die „Revolution der gebenden Hand", von denen der (längst auch finanziell) etablierte Schriftsteller Peter Sloterdijk unlängst fabulierte? Wo sind sie, die Mäzene, die bunte Plakate in Cafés und Universitäten aufhängen: „Biete wahlweise Stipendium/Haus am See/Ferienwohnungim Tessin für mittellose Poeten und Denker. Voraussetzungen: keine!"; wo die Vorstandsvorsitzenden und Finanzjongleure, die aus Unmut über zu viel spätrömische Dekadenz im Investmentbanking irrlichternde Renditen in Optionenauf freie Denk- und Arbeitsräume umwandeln? - für Menschen, die kaum mehr benötigen als einen bescheidenen Unterhalt plus Büchergeld und Laptop, um krisenresistentes (Welt-) Kulturerbe zu akkumulieren.
Frühstück 2010: Immer noch Zukunftssorgen. Was soll nur aus den Kindern werden? Statt Südfrankreich Drittmittelakquise mit Teebeutel. Mäzene, bitte melden!
Christian Dries (Philosoph)
Thomas Manns Tagebuch lesen (Nr. 4)
Sonntag den 17.XII.33
"Nach dem Thee korrespondiert."
Thomas Mann: Tagebücher 1933-1934. S. Fischer, Frankfurt/Main 1977, S. 270
Nur vier Wörter bringen eine doppelte historische Distanz zu Bewusstsein. Die erste erzählt von einer vergangenen Tischkultur, die zweite gibt Einblick in die Mediengeschichte. Tee oder Kaffee, das hieß im bürgerlichen Zusammenhang nicht nebenbei ein Heißgetränk zu schlürfen oder gar mit einem Pappbecher "to go" über den Bahnsteig zu eilen. Tee ist im Westen einerseits ein Getränk, andererseits ein kulturhistorisch bedeutender gesellschaftlicher Anlass. Für ihn wurde der Tisch gedeckt, es kamen vielleicht Gäste und die Uhrzeit stand fest. Eine Stunde wurde auf Medien verzichtet, kein Telefon störte, kein Radio dudelte nebenher. Die älteren Kinder und die Gattin, vielleicht die (Schwieger)Eltern oder geladene Gäste am Nachmittag -- eine Stunde Gespräche und passendes Gebäck. Erst der Tee, dann etwas anderes; eine Zeit vor der Erfindung des Multitasking. Erst nachdem vom Tisch aufgestanden wurde, widmete man sich etwas anderem –– der Korrespondenz. Auch die ist heute digitalisiert und somit unschädlich gemacht: Früher kamen mit der Schneckenpost wichtige Briefe, sie landeten in einer schönen, ledernen Mappe. Sie wurden archiviert. Gestärkt vom Tee am Schreibtisch sitzen, Briefe (wieder) lesen, die Antworten entwerfen und ungestört verfassen. Während man schrieb, trafen nicht neue E-Mails ein, die die eben verfasste Antwort überflüssig machen. Weder Spam noch Rundmails belästigten die Leser. So entstanden bedeutende Werke neben den Romanen. Fontane, Kafka, Rilke; Heinrich, Thomas und Klaus Mann: sie wären auch dann bedeutend, wenn nur ihre Briefe gerettet worden wären.
Thomas Manns Tagebuch lesen (Nr. 3)
Basel, Dienstag den 2.V.33.
"Gestern Diner im Hotel, mit Bermanns und Annette, die mein sehr angegriffenes Aussehen feststellte. Man hielt sich nachher in einem großen, zurückgelegenen Salon auf, Annette spielte auf dem schlechten Piano eine schöne, vertraute Melodie von Chopin, und wir tranken Lindenblütenthee mit einer Citronenscheibe. Während des Essens war ich sehr erschöpft gewesen, wurde aber nachher stärker ..."
Thomas Mann: Tagebücher 1933-1934. S. Fischer, Frankfurt/Main 1977, S. 68
Mann trinkt nur Tee, nie Kaffee. Das lässt der Magen nicht zu, aber Tee passt auch besser -- die durchgängige altmodische Schreibweise mit "h" steigert noch diese Kultiviertheit. In den russischen Romanen, die er so liebt, wird ständig Tee gereicht; selbst noch in den schäbigen Hinterzimmern in Dostojewskys Romanen. Aber das Anette Kolb, die Halbfranzösin, gerade Lindenblütentee reicht, das kann doch kein Zufall sein. Findet sich da ein Proust-Fanclub zusammen?: "Und dann war mit einem Male die Erinnerung da. Der Geschmack war der jener Madeleine, die mir am Sonntag morgen in Combray (weil ich in diesem Tage nach dem Hochamt nicht aus dem Hause ging) sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine Tante Léonie anbot, nachdem sie sie in ihren schwarzen oder Lindenblütentee getaucht hatte." Auch die Erinnerung des Grüppchens in Basel findet zurück in eine untergegangene Vergangenheit. Bei Proust wird sie erinnert, in Deutschland ungute Wiederkehr. Das deutsche Exilgrüppchen ist gezwungen "von deutschen Dingen" zu sprechen. Mann, der noch den ersten Weltkrieg befeuert hatte, findet das Gegenwärtige "eine neue Form der alten deutschen Kultur-Quatscherei"; einmal mehr zeigt sich der Wandel seiner (politischen) Einstellung. Gewünscht hätte man ihnen eine Beschwörung vergangenen Salon-Lebens in Manns Münchener Villa, die sicher proustsche Züge annehmen könnte.
Thomas Manns Tagebuch lesen (Nr. 2)
Dienstag den 4. IV. 33
"Der Schlaf hat ohne Nachhilfe keine rechte Ausdauer, ich erwache früh bei großer Müdigkeit am Abend."
Thomas Mann: Tagebücher 1933-1934. S. Fischer, Frankfurt/Main 1977, S. 36
Warum können die Dichter nicht schlafen? In Vladimir Nabokovs Autobiographie finden wir den legendären Satz "Im Einschlafen bin ich mein ganzes Leben lang schlecht gewesen." In Franz Kafkas Tagebuch den Eintrag: "Schlaflose Nacht. Schon die dritte in einer Reihe. Ich schlafe gut ein, nach einer Stunde aber wache ich auf, als hätte ich den Kopf in ein falsches Loch gelegt." (2.10.1911). Thomas Mann liefert in seinen Tagebüchern freudig Auskunft über alle gängigen Schlafmittel, die er nutzt wie Lutschbonbons. "Brom. Müde, niedergeschlagen." (9.3.1933), allerlei Namen pharmazeutischer Präparate tauchen immer wieder auf. Die Nacht ist keine Erholung, sie ist ein Gegner, sie wird zum Kampf. Aber womit? Herta Müller dachte als Kind, die Nacht sei aus Tinte gemacht -- eine Fantasie, die doch einem Dichter, zumindest zu Manns Zeiten, keine Alpträume bereiten sollte. Wenn sie aber alle nicht schlafen konnten, was taten sie? Thomas und Katia Mann hatten getrennte Schlafzimmer, wie auch Friedrich Schiller (das wäre Manns Vorbild Goethe nicht passiert!). Sex kam also nicht in Frage, der gefährdet wohl auch die Sublimierung. Einen Dichter, zumindest einen klassischen, können wir (Deutschen) uns nicht zugleich als sexuellen Helden vorstellen. Daran ändert auch Schnitzler nichts! Dichter haben in der romantischen Fantasie weder Familie noch erfülltes Sexualleben oder nur ein durch Syphilis gefährdetes Sexualleben (man denke an Franz Schubert). Sie schlafen nicht und sie haben keinen Sex und gelesen haben sie schon tagsüber. Es fehlt also eine Literaturgeschichte der Schlaflosigkeit -- ob die eines Tages ein Graduiertenkolleg liefern wird?
Thomas Manns Tagebuch lesen (Nr. 1)
Donnerstag, den 16.III.1933
"Obgleich ich leidlich geschlafen, waren heute vom Erwachen an meine Nerven in schlechtem, beängstigenden Zustande. Die Trennung von den Meinen flößt mir Furcht ein, obgleich ich mich dessen schäme. Verzweiflung an meiner Lebensfähigkeit nach der Zerstörung der ohnedies knappen Angepaßtheitssituation."
Thomas Mann: Tagebücher 1933-1934. S.Fischer, Frankfurt/Main 1977, S. 6
Der Dichter vermisst seine Villa in München, seinen streng geregelten Arbeitsalltag: Morgens am Roman schreiben, nachmittags Briefe und "profunde" Lektüre, abends Musik hören und leichtere Lektüre. Freunde und die Kinder raten dringend ab, nach Deutschland einzureisen. Keiner weiß, wie unberechenbar die neue politische Polizei ist und ob nicht schon der "Schutzhaftbefehl" ausgestellt ist, auf dessen Grundlage man den Nobelpreisträger nach Dachau gebracht hätte. Auf der Vortragsreise wird er von der Machtergreifung überrascht und er ahnt noch nicht, dass er vor 1945 gar nicht mehr zurückkehren wird können. Die innere Unabhängigkeit, auch von der Familie, gerät in dieser existenziellen Situation in Gefahr. Obwohl Dichter die Freiheit brauchen, ist sie doch wohl mehr eine gepflegte Illusion. Das erkennt Thomas Mann, für den Geistesmenschen Grund genug, sich zu schämen. Selbst in der heimischen Villa, in der Mann ein großbildungsbürgerliches Leben lebt, fühlt er sich nicht aufgehoben. Intellektuelle sind, ganz gleich wie groß die Anerkennung ist, die sie bekommen, einsam. Auch unter Menschen fühlen sie sich meist allein. Sie sind unglücklich, sie widmen ihr Leben der Lektüre und dem Schreiben, beides Tätigkeiten mit dissozialen Zügen. Das Gefühl, entführt worden zu sein, bestimmt Mann auch vor 1933; aber es steigert sich zu Angst und Nervosität, wenn zum existenziellen Gefühl des Entführtseins noch die reelle Vertreibung tritt.
((Mit diesem Beitrag beginnt eine Reihe im sg-Blog, in der Fundstücke aus Manns Tagebüchern freigeistig und gelegenheitsphilosophisch interpretiert und kommentiert werden. Es sind nur 5000 Seiten; ich werde Gastautoren hinzuziehen. Das Projekt könnte eine längere Laufzeit haben, vielleicht sieben Tage, oder, wer weiß, vielleicht werden es sieben Jahre werden?))
Schnelle Kunst
17 Meisterschüler, 3 Ausstellungen, 2 Wochen. Kein Zweifel, wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Das Projekt hub:kunst.diskurs hat den Zeitgeist zum Programm erhoben und präsentiert ab Donnerstag, den 27.11.09 in Hannover eine Blitzausstellung herausragender Absolventen der HBK Braunschweig. Dokumentiert und kommentiert wird alles in einem eigenen Blog: http://www.kunst-diskurs.de/
Der Mond
Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt, wie der Mensch sich den Mond vorstellt und vorstellte -- und welche künstlerischen und optischen Wege er dabei die letzten 500 Jahre beschritt. Etwa 150 Exponate zeigen Technisches und Kunstgeschichtliches, vom ersten Blick durch ein Teleskop bis zur Erfindung der Fotografie und der Mondlandung.
Warmwasserprozession
In der Fastenzeit verzichten viele (anonyme) Christen auf harte Drogen, Getränke mit zu hohem Alkoholgehalt, auf rohes Fleisch oder die Zigarette danach. Der Künstler Nicolas Kerksieck nimmt die Sache hingegen ernster und geschult an Joseph Beuys: er tut wirklich etwas. Zehn Tage lang wird er 800 Liter Bodenseewasser zu Fuß auf den Dorfberg tragen, erhitzen, reinigen und wieder zum See zurück schleppen. Bergwanderer wissen, dass der Abstieg den Schmerz bringt. Schon nach kurzer Zeit wird Kerksieck im Schweiße seines Angesichts zu existieren beginnen. Im buddhistischen Kulturkreis würde man die Aktion eine Gehmeditation nennen. Das Wasser wird bei der Aktion verwandelt, es wird zur religiösen Reliquie. Die Kunstszene wird sich ärgern können, das sakralisierte Nass wird zwar im Wert steigen, aber nicht im Geldwert. Die Kunst von Nicolas Kerksieck passt generell nicht über das Luxussofa. Wie die Aktion den Künstler verwandeln wird, das wird sciencegarden ihn nachher fragen.
Eröffnung der Warmwasserprozession: Sonntag, 22. März 2009, 11:30 Uhr. Nähere Infos unter: www.warmwasserprozession.de oder über die Galerie Vayhinger.
Kunst aus 1000 Jahren

Kunst im europäischen Raum ist das Leitthema des Projekts "Michelangelo". Beteiligt sind sechs europäischen Länder (Italien, Bulgarien, England, Portugal, Polen und Deutschland). Ziel ist die Entwicklung und der Aufbau eines Internet-Portals für europäische Kunst. Die wichtigsten nationalen Kunstwerke der beteiligten Staaten aus den zurückliegenden zehn Jahrhunderten werden ausgewählt, Darstellung und Informationen werden pädagogisch nutzbar aufbereitet. Auf deutscher Seite ist an diesem Projekt das Zentrum für empirische pädagogische Forschung (zepf) der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau beteiligt. Interessierte können das Anwachsen des Datenbestandes "mitverfolgen" und das Portal unter der Adresse: http://michelangelo.pixel-online.org/ besuchen. Dort finden Kunsterzieher und künstlerisch interessierte Laien ausgewählte europäische Meisterweke aus den verschiedenen Epochen und Jahrhunderten sowie bewertete Quellenangaben zu Online-Ressourcen, die in der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern an kunsthistorischen Inhalten genutzt werden können.
Soziale Plastik
An Joseph Beuys kann man sich bis heute reiben; und das spricht für ihn. Vollends kommerzialisieren lässt sich der Mann mit Hut bis heute nicht, er wurde nie der deutsche Andy Warhol. Als Tapetendruck sind die Beuys-Werke ungeeignet. Wer also mehr von der Kunst erwartet als Dekoration, für den hört die Inspiration, die von Joseph Beuys ausgeht, nicht auf: Sein "erweiterter Kunstbegriff", seine gesellschaftliche Verantwortung, sein Interesse an realer Politik und einer anthroposophischen Weltsicht, sein Formgefühl und die eigene, alle etablierten Grenzen sprengende Kunstphilosophie, dies alles provoziert bis heute. In der Reihe "Kunststücke" erinnert ein Feature des Deutschlandradio Kultur an den weltweit bekanntesten deutschen Künstler: 21. Juni, ab 18:05 Uhr.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/feature/781558/