Umwelt

Weltzustand Fukushima

In seinen "Thesen zum Atomzeitalter" von 1959 zieht der Philosoph, Literat und Essayist Günther Anders (1902-92) einen ungeheuren Vergleich: Die Drohung mit der Atombombe sei totalitär, sie verwandele die ganze Erde "in ein ausfluchtloses Konzentrationslager" - weil sich der atomare Fallout im Ernstfall nicht an Ländergrenzen halte und die Vernichtungskapazität der weltweit existierenden Bombenarsenale jede Zweck-Mittel-Relation sprenge. In der kettenreaktiven Logik von Erstschlag und Zweitschlag bedeutet das nichts anderes als: "Jeder kann jeden Treffen, jeder von jedem getroffen werden."

In diesem Sinn markierte der 6. August 1945 - der Tag des Abwurfs der ersten Atombombe - für Anders eine Epochenzäsur: "Hiroshima als Weltzustand". Seit diesem Tag sei die Menschheit in der Lage, sich selbst auszurotten; eine irreversible 'Fähigkeit', die in totaler Ohnmacht mündet.

Wie Recht der oft als enervierender Schwarzmaler attackierte Anders mit seiner frühen Warnung vor der Atomtechnik hatte - in die er ausdrücklich auch die 'friedliche Nutzung der Kernenergie' einbezog -, demonstrierte einer tatsächlich ohnmächtigen Weltgemeinschaft einmal mehr die Reaktorhavarie von Fukushima. Wieder ist eine jener "nuklearen Zeitbomben mit unfestgelegtem Explosionstermin" (Anders) in die Luft geflogen. Und wieder ist die Weltgemeinschaft, bis auf eine Ausnahme, rasch zur atomaren Tagesordnung zurückgekehrt. Günther Anders hätte in diesem Fall gewiss "Apokalypseblindheit" diagnostiziert.

Doch nicht nur als Vordenker der Anti-Atom-Bewegung, auch als kritischer Theoretiker der Moderne, als Medienphilosoph avant la lettre , Dichter und Tagebuchschreiber ist Günther Anders bis heute immer noch ein lesens- und bedenkenswerter Autor. Wer ihn näher kennen lernen will, kann neben seinen Schriften aus dem Beck-Verlag nun auch wieder auf ein aus aktuellem Anlass bei Diogenes neu aufgelegtes Lesebuch zurückgreifen, darin ausgewählte atom- und fernsehkritische Texte, zahlreiche philosophische Fabeln und Aphorismen, Auszüge aus Tagebüchern sowie Günther Anders' Briefwechsel mit dem als 'Hiroshima-Pilot' in die Geschichte eingegangenen Claude Eatherly , abgerundet von einem Interview aus dem Jahr 1979.

Günther Anders: Die Zerstörung unserer Zukunft. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Bernhard Lassahn. Zürich 2011, 352 S., 10,90 Euro.

Leben im ausgehenden Anthropozän?

Der Paläoklimatologe William Ruddiman vertritt die These, dass die Menschheit bereits durch den Übergang zur Viehzucht und Ackerbau vor ca. acht Jahrtausenden erstmalig in das Klima der Erde eingegriffen hat. Sicherlich ein folgenreicher, aber vorerst noch relativ harmloser Schritt in der Geschichte des Homo sapiens.

Erst seit Beginn der industriellen Revolution sind Eingriffe des Menschen in die Natur immer schwindelerregender und er selbst (bzw. seine sich von der europäischen Halbinsel auf die Erdkugel verbreitete industriell-kapitalistische Variante) dominanter Faktor im Ökosystem geworden. Sein Einfluss in diesem neuen Zeitalter - dem Anthropozän - ist bisweilen katastrophal.

Und er begrenzt sich längst nicht auf's Klima: Verpestung der Meere, Verwüstung ganzer Landstriche, tausendfache Ausrottung kompletter Spezies folgen im schnellen Takt rücksichtsloser Beutezüge unter der Marschmusik des geheiligten "Wirtschaftswachstums". Doch es herrscht Apokalypsenblindheit .

Obwohl menschenverursachte Katastrophen profitsüchtiger Kurzsichtigkeit in immer kürzer werdenden Abständen, in einer verheerenderen Gewaltigkeit über den Planeten hineinbrechen, halten wir an einer längst widerlegten Illusion fest: Unaufhaltsamer Fortschritt wird die Erde uns Untertan machen.

Diese Hybris kommt der Natur teuer zu stehen: Allein durch die Ölpest von Deepwater Horizon (Erinnern Sie sich? British Petrol wollte vergangenes Jahr auch noch in 1,5 km Meerestiefe Erdöl bohren) sind im Golf von Mexiko 400 Arten akut vom Aussterben bedroht. Doch der Glaube an uns und unsere Teufelstechnologien scheint ungebrochen. Unabhängig davon, wie sehr sich die Hiobsbotschaften auch mehren.

Atomkraft ist eine weitere dieser Teufelstechnologien. Zahlreiche Vorfälle (von Windscale über Three Mile Island und Forsmark, nicht zu vergessen der tatsächlich eingetretene und unermesslich lethale Super-GAU von Tschernobyl ), sollten uns längst belehrt haben: Diese Technologie ist weder beherrschbar, noch sind ihre Folgen absehbar. Nicht nur jene, die durch den tödlichen Abfall noch auf Jahrtausende fortbestehen.

Mit Japan wurde am 11. März ein hochindustrialisiertes Land von einem Beben getroffen, welches uns erneut eindringlich vor Augen führt, dass ein Leben gegen die Natur selbstmörderisch ist.

Straßen, Gebäude, Brücken wurden wie Kartenhäuser vom Tsunami weggefegt, Raffinerien wie Streichhölzer in Brand gesteckt. Aber auch zwei Atom-Reaktoren laufen zur Zeit Gefahr, in hohen Mengen radioaktive Strahlung abzugeben. Noch ist nicht geklärt, wie schlimm das Ausmaß dieser jüngsten Atomkatastrope ist, doch schon wird vielerorts abgewiegelt: Alles halb so schlimm. Ein wenig heiße, radioaktive Luft und das war's. Es erinnert an den Mann, der aus dem Fenster springt und - während er fällt - immer wieder sagt: "Bis hierin war's nicht so schlimm."

William Ruddiman, Plows, Plagues and Petroleum: How Humans Took Control of Climate, Princeton 2010.

Lebenszeichen 2011: Kalender der bedrohten Völker

Vom "Westen" bedroht: Arhuacos in der Sierra Nevada, Kolumbien

Der im vergangenen Jahr verstorbene Anthropologe Claude Lévi-Strauss (1908 -2009) sah zuletzt sein Fach im „Verschwinden" begriffen. Das in der europäischen Eroberung und Kolonialisierung wurzelnde Vorhaben, „alle menschlichen Erfahrungen einzusammeln“, sei an ein Ende gekommen, da „keine der menschlichen Erfahrungen, von denen wir wissen können, von der westlichen Kontaminierung frei“ sei.

Tatsächlich scheint es, dass kaum noch ein Winkel des Planeten vor dem großen Vernichtungswerk des Westens, alles Andersartige sich einzuverleiben, verschont bleibt: Kaum ein Landstrich ohne Satellitenfernsehen, kaum noch ein Volk oder Menschengruppe, die unabhängig vom kapitalistischen (Welt-)Markt, für sich wirtschaften können.

Gewaltsame Landvertreibungen oder schleichende Umweltzerstörungen bedrohen genauso wie subtiler wirkende "Softpowers" der kulturellen Hegemonie ganz unterschiedliche Völker, die ihr Kulturgut gegen die "Kontaminierung" zu behaupten versuchen.

Für sie setzt sich hierzulande die Gesellschaft für bedrohte Völker ein, indem sie diesen ein Sprachrohr ist, Menschenrechtsverletzungen an kulturellen Minderheiten anklagt und ihnen Hilfestellung gibt.

Auch dieses Jahr gibt die Gesellschaft einen Kalender heraus, der die Öffentlichkeit informieren will und jeden Monat ein anderes Volk in seinem Behauptungskampf dokumentiert: 13 DinA3-Bögen stellen in Porträts und Momentaufnahmen so unterschiedliche Völker wie Inuits, Kayapó oder Saharauis vor, deren Schicksale uns kaum bekannt sind.

Auf den Kalenderblatt-Rückseiten finden sich auführliche Informationen zu den Problemen, Erfolgen oder Rückschlägen im Ringen der Völker um ein selbstbestimmtes Leben. Ergänzt werden diese Berichte -  etwa über den Irokesenbund, Irakisch-Kurdistan, die Republik Tuva in Sibirien oder das Autonomiemodell Südtirol – durch Informationen über die jeweilige Menschenrechtslage.

Wer im kommenden Jahr 2011 seinen kulturellen Horizont weiten und dies noch mit einem guten Zweck verbinden möchte, kann den Kalender auf der Homepage der Gesellschaft bestellen .

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