Verlorene Forschungsideen

Die Wissenschaft wird nicht nur durch das geprägt was sie tut, sondern auch durch das, was sie nicht tut." So umreißt der Philosoph Gernot Böhme seine Auffassung von forscherischem Handeln. Bei einem Gespräch im Schloss der Universität Darmstadt berichtet er von abgelehnten Forschungsanträgen, der Angst um den guten Ruf und verlorenen Forschungsideen.

Wie andere Wissenschaftler hatte sich der gelernte Physiker des öfteren um finanzielle Unterstützung für seine Forschungsideen beworben, aber nicht alle seine Anträge waren erfolgreich.

"Wissenschaftler reden selten über Ablehnungen. Allenfalls murmeln sie unter Freunden Vermutungen über die Gründe. Die meisten denken wohl, dass es ihrem Ruf schadet, wenn sie öffentlich über ihre erfolglosen Anträge sprechen", vermutet Böhme. Trotzdem sollte man sich nicht damit abfinden, dass so viele Forschungsideen sang- und klanglos verschwinden: "Unsere Gesellschaft braucht ein Bewusstsein davon, was die Wissenschaft nicht erforscht", meint Böhme. Er schlägt vor, alle abgelehnten Forschungsanträge zu veröffentlichen

Tausende von Forschungsanfragen werden jedes Jahr in Deutschland abgelehnt. Die DeutscheForschungsgemeinschaft (DFG) schmetterte 1999 die Rekordzahl von 4479 Anträgen ab: Man könne nicht alle berücksichtigen - oder so ähnlich lautet die Standardbegründung, um Diskussionen zu vermeiden.

Nicht forschungswürdig
Im Jahr 1999 befand die Deutsche Forschungs- gemeinschaft (DFG) 33%
aller Anträge für nicht förderungswürdig.Abgelehnte Forschungsanträge durch die DFG

Ein Beispiel: Beatrix Tappeser, Risikoforscherin am Öko-Institut Freiburg, wollte 1996 untersuchen, welchen Einfluss gentechnisch veränderte Tomaten auf Insekten haben. Sie reichte mit dem Institut für Umwelt-Analytik in Pforzheim eine entsprechende Projektskizze beim Bundesministerium für Bildung und Forschung ein. Im Gegensatz zu den damals üblichen Studien, sollte nicht nur untersucht werden, ob das Gift des eingebauten Gens Schädlinge von den Tomaten fernhält, sondern auch, ob das Gift nützlichen Insekten wie Hummeln schadet.

Das Ministerium lehnte den Antrag ab, mit dem Hinweis, die Gen-Tomate werde in Deutschland nicht intensiv angebaut, derartige Experimente seien unnötig. "Hätten wir damals mit der Arbeit anfangen können, dann wüssten wir jetzt mehr über die Ökologie gentechnisch veränderter Pflanzen, die ja zur Zeit viel diskutiert wird", klagt die Wissenschaftlerin.

Würden abgelehnte Forschungsanträge veröffentlicht, gäbe es zwangsläufig mehr Diskussion darüber, wo die Schwerpunkte der Forschung liegen sollten, meint Böhme. "Dann müssten die Vergabe-Institutionen öffentlich dazu stehen, dass sie bestimmte Projekte nicht ermöglicht haben. Nicht alle abgelehnten Anträge sind schlechte Anträge".

Viele Projekte scheitern, weil sie nicht den Schwerpunkten der Förderinstitutionen entsprechen. Böhme hat es selbst erlebt: Er wollte vor Jahren untersuchen, wie sich die Funktion von Hebammen und Ärzten bei der Geburtshilfe in der Geschichte verändert hat. Das Projekt sei außerordentlich gut vorbereitet gewesen, sagt er, wurde aber sowohl von der Volkswagen-Stiftung als auch von der Thyssen-Stiftung abgelehnt, erinnert sich Böhme. Er schrieb dennoch einen Aufsatz über die Verwissenschaftlichung der Geburtshilfe, der von dann auch von vielen internationalen Fachzeitschriften gedruckt wurde.

Hier ist Franziska Wollnik, Senatorin an der Universität Stuttgart, mit Böhme einer Meinung: "Es wäre eine große Hilfe zu erfahren, dass ein Forschungsvorhaben im Prinzip interessant und förderungswürdig ist, aber eben nicht den Prioritäten der Förderinstitution entspricht." In den USA werden die Autoren von besonders vielversprechenden, aber abgelehnten Forschungsvorhaben ermutigt, ihren Antrag zu überarbeiten und noch einmal einzureichen. Allerdings bekommen dort fast zwei Drittel aller Anfragen einen negativen Bescheid.

Forschungsanträge können aber auch aus trivialen Gründen scheitern, erklärt Wolfgang Jaeschke vom Zentrum für Umweltforschung der Universität Frankfurt: "Die Prozedur ist so kompliziert, dass manchmal ein guter Antrag abgelehnt wird, nur weil man die Anweisungen in den Bewerbungsunterlagen nicht richtig befolgt hat."

Vor allem bei der Europäischen Union geraten viele Wissenschaftler in Formular-Stress. In einer Umfrage gaben 45 Prozent der Befragten an, dass sie die Bewerbung zu kompliziert finden. 35 Prozent hatten Probleme, den Anweisungen zu folgen.

Böhme sieht in der Veröffentlichung abgelehnter Anträge einen weiteren Vorteil: Der Autor hätte so noch eine Chance andere Sponsoren zu finden. Dann bliebe die Idee Bestandteil der Wissenschaft. Statt im Papierkorb zu landen, könnten andere die Idee aufgreifen, weiterentwickeln und doch noch umsetzen.

Auch der Eindruck, den die Öffentlichkeit von der Wissenschaft hat, könnte sich durch die Veröffentlichung abgelehnter Anträge ändern. Denn die Geschichte der Wissenschaft wird meist als Sieger-Geschichte geschrieben, als Folge von Entwicklungen, die eingetreten sind, und so als ob die Entwicklungen zwangsläufig eintreten mussten. Was möglich gewesen wäre und was ins Abseits gedrängt wurde, wird nicht erwähnt, und oft vergessen.

Dennoch halten die großen deutschen Förderinstitutionen nichts von Böhmes Vorschlag: "Jeder Antragsteller kann seine abgelehnten Anträge selbst veröffentlichen, wenn er es will", teilt die DFG trocken mit. Auch Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagen Stiftung - Ablehnungsquote 61 Prozent - möchte erfolglose Anträge lieber nicht veröffentlichen: "Das könnte für manche Wissenschaftler äußerst peinlich sein".

Vielleicht bietet ja das Internet Asyl für abgelehnte Anträge. Das könnte sich auch Böhme vorstellen: "Wenn alle Wissenschaftler die gleiche Internet-Seite verwenden, um ihre erfolglosen Anträge zu veröffentlichen, wäre das eine gute Sache. Vielleicht ergreift ja jemand die Initiative".

Abgelehnt 1999
Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG bewerben sich jährlich Tausende Forschungsgruppen mit Forschungsanträgen um Geldmittel. Die größter Gruppe sind dabei die Biologen und Mediziner. Erfolgreich unter ihnen waren nur etwa 2800, fast 1900 gingen leer aus.

Prozentzahlen der abgelehnten Forschungsanträge

1999 Insgesamt abgelehnt: 4479 von 13440 Anträgen (33%)

Beitrag von Adam Bostanci

Zur Person

Der Autor hat in Cambridge in England Wissenschaftsgeschichte und Chemie studiert. Er beschäftigt sich vor allem mit Fragen der Forschungspolitik und mit der Kultur der wissenschaftlichen Praxis.

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