Wenn die Diplomarbeit zum Horror wird
Gegen Ende des Studiums dominiert sie den Studienalltag - die Diplomarbeit. Die meisten Studierenden verwenden für sie enorm viel Zeit und Anstrengung, schließlich sehen in ihr viele eine Art Visitenkarte für die spätere Jobsuche. Doch nicht selten geben Diplomanden entnervt auf, obwohl sie viele Monate an Arbeitszeit investiert haben. Was sind die Gründe für diesen radikalen Entschluss?
Ein wichtiger Punkt: Die Betreuung der Diplomarbeit. "Schlechte Betreuung? Eigentlich hatte ich überhaupt keine Betreuung!" spöttelt Christian (27), der seine Diplomarbeit nach einem Jahr Arbeit aufgab. "Mein Prof. hat mir im Grunde überhaupt nicht helfen können, hat nie Zeit gehabt und mich ständig an andere verwiesen. Es ging überhaupt nichts vorwärts."
Die Wahrscheinlichkeit im Schnelldurchgang von einem Professor abgefertigt zu werden ist groß. So mancher ist auch für einen Diplomanden nur während der Sprechzeiten erreichbar. Und wenn vor der Türe des Büros noch fünf weitere Studenten auf dem Boden des Gangs sitzen und auf ihre Audienz warten, bleibt für eine intensive Besprechung ohnehin keine Zeit.
Viele Studierende schwören deshalb auf einen Assistenten als Betreuer der Diplomarbeit. Im Gegensatz zu einem Professor kann der einen nicht so leicht abwimmeln, wenn man mit einem Problem zu ihm kommt. In der Tat ist es so, dass viele Assistenten sich viel Zeit für ihre Schützlinge nehmen und sich oft sogar ein gutes, freundschaftliches Verhältnis zwischen Betreuer und Diplomand entwickelt.
Doch auch in einem solchen Fall ist man vor bösen Überraschungen nicht gefeit. Davon weiß Susanne (25) ein Lied zu singen. Ihre Diplomarbeit in Psychologie warf sie nach über einem Jahr hin. "Mit meiner Betreuerin habe ich mich eigentlich recht gut verstanden. Das Problem war nur, dass sie mich mit einer Methode der Datenerhebung arbeiten ließ, die für einen anderen Anwendungsbereich entwickelt war, und deswegen für meine Aufgabe gar nicht funktionieren konnte. Und das hätte sie wissen müssen!" Wusste sie aber nicht. Pech für die Studentin - über ein Jahr Arbeit für die Katz'.
Die häufigsten Klagen über Betreuer: Zu wenig Zeit, zu wenig Unterstützung und zu wenig Kompetenz. Doch auch andere Gründe erschweren eine effektive Betreuung: Der befristete Vertrag des Betreuers läuft aus und er verlässt die Uni, oder er übernimmt für ein Semester eine Vertretungsprofessur an einer anderen Uni, oder er wird krank oder nimmt Erziehungsurlaub. In solchen Fällen beschränkt sich die Betreuung dann zum Großteil auf E-Mail-Kontakte.
Ein weiterer wichtiger Bereich von Gründen, die Diplomarbeitern zum Scheitern bringen, sind äußere Faktoren und schlechte Arbeitsbedingungen. Eine tückische Falle, in die schon so mancher tappte, ist das meist von einem Professor enthusiastisch angepriesene Angebot, eine ganz tolle Arbeit zu vollenden, die andere begonnen, aber nicht abgeschlossen haben, z.B. einen bereits vorhandenen Datensatz auszuwerten.
In solchen Fällen ist immer Vorsicht angezeigt! Wenn unter großem Aufwand erhobene Daten selbst Monate oder gar Jahre nach ihrer Erhebung immer noch nicht ausgewertet sind, hat das meist auch seinen Grund. Doch der wird dem nichts ahnenden Studierenden erst viel später klar, wenn er sich bereits auf die Arbeit eingelassen hat: Messwerte stellen sich als fehlerhaft heraus, Daten sind unvollständig, die Datengewinnung weist schwere methodische Mängel auf, so dass eine sinnvolle Auswertung kaum möglich ist, oder die Auswertung ist viel komplizierter und arbeitsintensiver als es auf den ersten Blick aussah.
Karin (25, Psychologie) sollte für ihre Arbeit Videobänder auswerten und die Kommunikation der gefilmten Personen nach einem bestimmten Kategoriensystem erfassen. "Obwohl wir zu dritt waren, war es brutal viel Arbeit. Das hätte ich am Anfang nicht gedacht. Wir saßen wochenlang mehrere Stunden pro Tag am Video und haben kodiert." Erschwerend kam hinzu, dass die Tonqualität so schlecht war, dass man oft kaum etwas vom Gesagten verstand. Auch Karin war auf die Werbung ihres Professors hereingefallen, der eine leichte Diplomarbeit versprach - schließlich seien die Daten ja schon alle erhoben. Sie brach ihre Arbeit zwar nicht ab, aber dafür zog diese sich zweieinhalb Jahre hin.
Die Liste der Faktoren, die dem Diplomanden das Leben schwer machen, ist lang: Bei Naturwissenschaftlern fehlende, veraltete oder defekte technische Geräte. Bei Sozialwissenschaftlern häufig Probleme, freiwillige Teilnehmer für ihre Untersuchungen zu gewinnen. Bei Geisteswissenschaftlern wichtige Literatur, an die man nur schwer herankommt. Und fast alle haben mit Raummangel und geringen finanziellen Mitteln und Zeitdruck zu kämpfen.
Ein Spezialfall sind Diplomarbeiten in Kooperation mit der Industrie: Hier ist zwar meist genügend Geld in Form von Drittmitteln vorhanden, doch dafür gibt es andere Probleme: Diplomanden sind für die Industrie eine billige Arbeitskraft und werden oft auch so behandelt. Das wirkt sich aus in zeitintensiven Sonderwünschen, veränderten Zielvorgaben während der Arbeit, nicht eingehaltenen Zusagen und dem Zwang, zugunsten wirtschaftlicher Verwendbarkeit Zugeständnisse zu Lasten der Wissenschaftlichkeit zu machen.
Der wohl "ehrenhafteste" Grund, eine Diplomarbeit abzubrechen, sind inhaltliche Zweifel. So manchem kommen mit fortschreitender Arbeit Bedenken an Sinnhaftigkeit, Angemessenheit und Wissenschaftlichkeit der angewandten Methoden oder zugrundeliegenden Theorien. "Manche stellen auch einfach zu hohe Ansprüche an sich selbst und nehmen sich zu viel vor", meint Privatdozent Dr. Pfeiffer, ein bei Studierenden beliebter Betreuer. "Und dass es auch einige gibt, die eine Diplomarbeit nach mehreren Monaten Arbeit wegen wissenschaftlicher Skrupel hinschmeißen, spricht ja eigentlich auch für unsere Studenten." - nur, wem hilft das?"Dass ich meine Diplomarbeit wegen wissenschaftlicher Bedenken abgebrochen habe, hat mein Prof. nicht nachvollziehen können", sagt Jens (27, Soziologie), "er wollte daraus sogar einen Artikel machen." Mit dem Namen des Professors als Erstautor - versteht sich.
Zur Person
Martin Gründl studiert Psycholgie an der Universität Regensburg.
Literatur
- Becker, Howard S.: Die Kunst des professionellen Schreibens. Ein Leitfaden für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Frankfurt a. Main/New York: 1994
- Buchardt, Michael: Leichter studieren. Wegweiser für effektives wissenschaftliches Arbeiten. Berlin: 1995
- Eco, Umberto: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. 6. Aufl., Heidelberg: 1993
- Engel, Stefan (Hg.): Die Diplomarbeit. Stuttgart: 2000
- Kruse, Otto: Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium. 5. Aufl., Frankfurt. a. Main/New York: 1997