Socializing hilft beim Lernen
Die Probleme von Massenuniversitäten sind bekannt. Sowohl die Freie Universität Berlin mit 43500 Studenten, als auch die Universität von Melbourne mit 42000 Studenten gehören in diese Kategorie. Doch das soziale Leben auf dem Australischen Campus gestaltet sich anders, als in Berlin.
In Deutschland wäre ich nie auf die Idee gekommen, mit meinem Dozenten ein Bier trinken zu gehen, ja gar mit einer kompletten Seminarbesetzung oder dem gesamten Labor (inklusive Professor) wegzugehen und vielleicht sogar mal eine Nacht lang richtig zu zechen. In Melbourne verbrachte ich endlose Freitagabende mit meinen Kollegen vom Labor. Student, Doktorand, Wissenschaftliche Mitarbeiter, Professoren - alle stehen oder sitzen draußen in einer lauen Nacht dichtgedrängt auf einem überfüllten Bürgersteig vor einer Kneipe in der Melbourner Innenstadt, essen, trinken, scherzen, laden einander ein, bereden die Arbeit, lösen Probleme, erzählen aus dem Privatleben, lästern und lachen.
Australier sind in ihrer Art insgesamt sehr locker, zugänglich und offen. Damit einher geht zwar auch eine gewisse Oberflächlichkeit, für die ja die Amerikaner eher bekannt sind, aber sie ist bei den Australiern nicht so deutlich ausgeprägt. Sie sind sehr aufgeschlossen und immer wieder neugierig auf andere Nationen.
Schon bei meiner ersten Vorlesung war ich erstaunt über die Freundlichkeit, für die die Australier aber ja bekannt sind. Ich bat meine Sitznachbarin nach einem Stift, sogleich entwickelte sich ein Gespräch und innerhalb weniger Minuten war ich in ihre "Study group" aufgenommen. In dieser Gruppe arbeiteten wir nicht nur in Praktika oder in der Bibliothek zusammen, sondern wir trafen uns eben auch immer wieder auf dem Campus und gingen auch zusammen aus.
Durch solche sozialen Kontakte im Studium und in der Freizeit wird das Lernen attraktiver. Innerhalb der Gruppe wird die Arbeit nicht nur leichter, weil man sich gegenseitig weiterhelfen kann, sondern sie macht auch mehr Spaß. Durch den Gruppenzwang wird eine gewisse Kontrolle ausgeübt: Man möchte ungern durch Fehlen oder nicht gemachte Arbeit auffallen, folglich geht man öfter zu Vorlesungen und arbeitet konsequenter.
Sicherlich kann auch hier das Vorhandensein der Gruppe kontraproduktiv sein. Nur zu leicht sagt man sich :"Ach, ich kann mir ja die Unterlagen von den anderen besorgen", aber die Gruppe wird nicht dauerhaft die Faulheit von Einzelnen tolerieren. Außerdem spielt auch das Verhältnis mit den Professoren eine Rolle: Wenn der Professor mich kennt und meine Abwesenheit bemerkt, gehe ich eher hin.
Aus dieser Kombination von Teamarbeit und dem Kontakt mit Dozenten und Kommilitonen in der Freizeit entsteht nicht nur ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit, sondern auch eine besser Basis für das Studium. Im sozialen Gefüge lernt sich's besser.
Zurück nach Berlin. Zurzeit versuche ich eine Vorlesung zu hören, die mir schon seit drei Jahren zu früh anfängt. Freitag morgens um neun ist so gar nicht meine Zeit. Wenn ich mir vorstelle, ich würde den Dozenten besser kennen - ja, er würde mich vielleicht auch kennen und eventuell sogar meine Abwesenheit bemerken - das wäre schon ein erster Grund konsequenter hinzugehen. Wenn ich mir dann noch vorstelle, das ganze würde vielleicht auch noch lustig und locker sein und - man darf ja Träume haben - gar mit einem Brunch enden - vielleicht würde ich auch dann nicht jauchzend aus dem Bett springen, aber ich glaube, ich würde lieber hingehen.
Ein Frage quält mich aber seit meinem Australien-Besuch: Ist das trockene, unpersönliche und wenig sozial ausgerichtete Lernen, wie ich es in meinem Studium in Berlin erlebe, eigentlich Schicksal? Könnte man nicht auch hier, im kühleren Deutschland mit uns meist doch auch kühleren Deutschen jenes australische Feeling des "Sozializing" beim Studium fördern? Gibt es das vielleicht sogar - nur eben ausserhalb meines Blickfelds, etwa an anderen Universitäten? Gerne würde Ich Eure Erfahrungen, Meinungen und Vorschläge dazu erfahren. Per Mail oder in unserem Forum.
Links zum Thema
- Stipendien und Informationen gibt es beim Deutschen Akademischen Austauschdienst
- Informationen für Studenten am Peter MacCallum Cancer Institut
- Australische Botschaft
Zur Person
Sina Bartfeld war im Jahr 2001 an der Universität Melbourne und wurde dabei vom Deutsch- Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert. Dieser Artikel ist ein Teil ihres Berichtes für den DAAD. Jeder Stipendiat muss am Ende seines Auslandsaufenthaltes einen solchen Bericht abliefern. Damit soll vor allem Studenten, die in ein Gastland gehen wollen, die Möglichkeit gegeben werden, Informationen über ein Gastland, über ein Studium im Ausland und über Erfahrungen während eines solchen Austauschjahres zu bekommen.
