Streit im Meer oder Meerasseln als Klimaindikator

Meerasseln im LaborMit dem Klimawandel kommen neue Tierarten zu uns. Wenn diese den gleichen Lebensraum beanspruchen, wie alteingesessene Spezies, gibt es Streitigkeiten...

Unser Klima verändert sich. Gerade erst ist wieder ein riesiges Stück von der polaren Eismasse abgebrochen. Doch durch solche schmelzenden Wasserreservoire steigt nicht nur der Meeresspiegel, sondern es verändert sich auch die Zusammensetzung unserer Ozeane und Gewässer - und durch die neuen Lebensbedingungen kommen neue Arten zu uns.

Die Einwanderer
Meerassel
Die "metallische" Meerassel "idotea metallica" ist im Mittelmeer und den gemäßigten Teilen des Atlantischen und des Stillen Ozeans verbreitet. 1994 wurden aber erstmals einige wenige Exemplare an treibenden Algen vor Deutschlands einziger Hochsee- und Felseninsel Helgoland gefunden.

Dieses weltweite Phänomen können wir direkt vor unserer Tür auf der Insel Helgoland beobachten: Hier stellten Wissenschaftler der Biologischen Anstalt Helgoland fest, dass die mittlere Wassertemperatur seit den sechziger Jahren in der südlichen Nordsee um etwa ein Grad Celsius gestiegen ist.

Seitdem fühlen sich hier auch Arten wohl, die eigentlich nicht in die Nordsee gehören. So sind inzwischen Wärme liebende Tiere wie der Borstenwurm "Pseudomystides limbata" oder die Seeanemone "Metridia lucens" zu finden, die bisher auf den atlantischen Bereich bis zum Eingang des Ärmelkanals beschränkt waren. Ja sogar Fuchshaie, die normalerweise eher im Atlantik zu finden sind, sollen schon in der Nordsee gefangen worden sein. Allen gemein ist, dass sie höhere Wintertemperaturen bevorzugen, als in der Deutschen Bucht bis jetzt vorherrschten. An der biologischen Anstalt Helgoland beobachten die Wissenschaftler einige dieser Eindringlinge genauer. Einer dieser Forscher war auch der Student Emanuel Hensel, inzwischen Doktorand an der FU Berlin.

Die Laborpopulation
Im Mai 1995 wurde ein trächtiges Weibchen der metallischen Meerassel gefangen und ins Labor gebracht. Aus ihren Nachkommen wurde eine Labor-Population herangezogen. Die Arbeitsgruppe Franke an der Biologischen Anstalt Helgoland arbeitet mit diesen Tieren.

Im Labor

In solchen Behältern leben die Tiere in den Kellern der BAH

Besonders ein kleiner Neuling hat es den Biologen angetan: Die Meerassel, ein entfernter Verwandter der Kellerassel, die wir sonst unter Steinen im Garten und im dem Keller finden. Nun gab es auch schon vorher Meerasseln in der Nordsee, allerdings sind traditionell nur sieben der weltweit bekannten Arten hier ansässig. Und genau das macht die Sache so spannend für die Forscher. Sie beobachten, ob und wie der Einwanderer den einheimischen Arten Konkurrenz macht.

Die "neue" Art ist im Fall dieser gepanzerten Tierchen die "metallische Meerassel" (Idotea metallica), die auch wegen des zweiten Teiles des lateinischen Namens manchmal scherzhaft die "Rock-Assel" genannt wird. Unter den "alten" Arten war besonders die baltische Meerassel (Idotea baltica) interessant.

Die beiden sind sich sehr ähnlich: sie sind etwa drei Zentimeter groß und gleichen ihrem Aussehen nach den uns bekannten Kellerasseln. Sie fressen sowohl Algen und Plankton, als auch ihre Artgenossen, können schwimmen, aber halten sich meist an treibenden Gegenständen wie beispielsweise Algen oder Holz fest. Die Algen besitzen den Vorteil, dass sie sowohl Lebensraum, als auch Nahrung bieten.

Geschichte der BAH
Die Biologische Anstalt Helgoland (BAH) wurde 1892 als königliche Biologische Anstalt Helgoland gegründet. Der erste Direktor, Friedrich Heincke (1892-1921), sah seine Hauptaufgabe in der Erforschung der Flora und Fauna des Helgoländer Meeresgebiets mit Berücksichtigung der Nutztiere. 1945 wurden die Einrichtungen der BAH im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1959 wurde auf Helgoland eine neue Meeresstation eingeweiht. 1976 wurde das Experimentell-ökologische Labor eingeweiht. 1998 wurde die BAH mit ihren rund 60 Mitarbeitern in die Alfred-Wegener Stiftung für Polar- und Meeresforschung eingegliedert.

Genau wegen dieser Ähnlichkeiten sind die beiden Arten für die Forscher interessant. Denn eben weil die "neue" metallische Meerassel ähnliche Lebensbedingungen wie die "alte" baltische Meerassel bevorzugt, ist hier ein enormer Konkurrenzdruck vorhanden - es bricht gewissenmaßen Streit aus.

Dass beide Arten nebeneinander koexistieren können, ist sehr unwahrscheinlich, denn sie nutzen ähnliche Ressourcen. Es ist ein Prinzip der Natur, dass zwei verschiedene Arten nicht in einer "ökologischen Nische" leben können. Dabei meint die ökologische Nische sowohl den Lebensraum (von den Wissenschaftlern "Habitat" genannt), als auch die Temperatur, die Nahrung und viele andere Faktoren.

Im Labor versuchten die Biologen nun, herauszufinden, wer der beiden Konkurrenten voraussichtlich siegen wird. Emanuel Hensel unternahm im Rahmen seiner Diplomarbeit verschiedene Versuche mit den Tieren. Er beobachtete Rein- und Mischpopulationen der beiden Meerasselarten im Aquarium, untersuchte ihr Fressverhalten und ließ sie in einer zwei Meter hohen Plexiglasröhre schwimmen, um zu sehen, wer welche Wassertiefe bevorzugt.

"Solche Habitat-Versuche geben Aufschluss über die Aufenthaltspräferenzen der Tiere", erklärt Hensel. Wo leben die Tiere, wenn sie die freie Wahl haben? Und werden sie von den Konkurrenten verdrängt? Von solchen Laborversuchen kann der Forscher dann Rückschlüsse auf die tatsächliche Lebenssituation im Meer ziehen.

"Im Labor hat sich gezeigt, dass die neu eingewanderte metallische Meerassel sich nicht gegen die alteingesessene Art durchsetzen kann", erklärt der junge Biologe. Das liegt an dem Abwehrverhalten. Denn unter den Asseln herrscht Kannibalismus: Wenn die Tiere sich häuten, werden sie mitunter von den Artgenossen, aber auch von den Tieren der anderen Spezies gefressen. Nun zeigte sich, dass die Tiere der eingewanderten metallischen Meerassel sich offenbar nicht so gut verteidigen können, wie die alteingesessenen baltischen Meerasseln. Daher wird ihr Bestand stärker dezimiert und auf Dauer werden sie verdrängt.

Wenn der Immigrant also bleiben will, muss er sich wohl einen neuen Lebensraum suchen - der würde dann wohl in küstenfernen und konkurrenzärmeren Bereichen liegen. Es sei denn, die Temperaturen steigen und die Lebensräume verändern sich weiter.

Forschung an der BAH

Forscher auf dem Meer

Die Forscher der Biologischen Anstalt Helgoland untersuchen die Meeresbewohner

Die 60 Kilometer vom Festland entfernte Hochseeinsel ist nicht nur ein beliebtes Ausflugsziel, sondern auch in biologischer Hinsicht eine Oase. Das Felswatt und die über 35 Quadratkilometer große unterseeische Felslandschaft rund um Helgoland beherbergen die reichste Meeresfauna und -flora der deutschen Küste. In der südlichen Nordsee, wo sich sonst nur Weichböden finden, ist dieser Lebensraum einzigartig. Schwerpunkt der Meeresuntersuchungen sind die Lebenszyklen von Algen und Meerestieren im flachen Schelfmeer, ihre Anpassung an den extremen, felsigen Lebensraum, Wechselwirkungen zwischen den Arten und Wanderungen der Organismen zwischen offener See und Küste. Die Zucht und Hälterung von Hummern, Krebsen, Meereswürmern oder Meereasseln ermöglicht Laborversuche und dient unter anderem dazu, den Bestand aufzustocken. Die Wissenschaftler arbeiten eng mit anderen deutschen und internationalen Kollegen zusammen, um physiologische und ökologische Prozesse in den Schelfmeeren weltweit zu vergleichen und zu bewerten.

Beitrag von Sina Bartfeld | Fotos: Emanuel Hensel

Links zum Thema

  • Die Biologische Anstalt Helgoland im Internet

Literatur

  • Kegel, Bernhard: Die Ameise als Tramp. Von biologischen Invasionen. Amman Verlag, Zürich: 1999

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Themen: Biologie | Klimawandel
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