Mathematik ist Kunst

Mathematik als Kunst verstehenWozu brauchen wir Mathematik? Muss jede Forschung auf eine praktische Anwendung hinauslaufen? Sind Mathematiker Naturwissenschaftler oder Künstler? Ein Plädoyer für mehr Verständnis!

“Die parametrischen finalen Koalgebren von H(–)+X für einen Endofunktor H erzeugen eine vollständig iterative Monade.”. Sie haben kein Wort verstanden? Sie brauchen sich nicht zu schämen! Vermutlich ist nur eine kleine Gruppe von Mathematikern weltweit in der Lage, in diesem Kauderwelsch sofort den Sinn zu erfassen. Doch für die Mathematiker und Informatiker des Institutes für Theoretische Informatik an der TU Braunschweig gehören Sätze wie dieser zur täglichen Arbeit. Die Wissenschaftler beschäftigen sich mit Kategorientheorie, einem Gebiet der Mathematik.

“Die Kategorientheorie ist ein Werkzeug, das es erlaubt, Gemeinsamkeiten in scheinbar verschiedenen Gebieten der Mathematik zu sehen und auszunutzen,” erläutert Stefan Milius, wissenschaftlicher Assistent am Institut. “Die Kategorientheorie versucht zu zeigen, dass trotz unterschiedlicher “Verpackung” – beispielsweise als Problem der Algebra, der Logik, der Topologie oder auch der Informatik – die zu Grunde liegenden mathematischen Probleme eigentlich dieselben sind. Wenn dies nachweisbar ist, ermöglicht es uns, Lösungen für Probleme aus dem einen Gebiet auf Problemstellungen eines anderen Gebietes zu übertragen. Außerdem kann die Kategorientheorie dazu dienen, Wissen über verschiedene mathematische Strukturen systematisch zu organisieren und das wesentliche daran auf den Punkt zu bringen.”

Was in der Erklärung des jungen Wissenschaftlers in Verbindung mit Mathematik recht abstrakt klingt, ist in der Praxis gut nachvollziehbar. Welcher Autoliebhaber würde sich nicht freuen, wenn er feststellt, dass bei seinen Autos unter ganz verschiedenen Karossen ähnliche Motoren stecken? Würde dies für ihn doch bedeuten, dass er Know-How und Ersatzteile, beides Dinge, die er bereits über Jahre angesammelt hat, für alle Motoren gleichermaßen verwenden und damit Zeit und Geld sparen kann.

Die Kategorientheorie als Teilgebiet der Mathematik ist noch relativ neu. Erst in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann man zu versuchen, eine übergreifende Theorie zu entwickeln, mit der man Probleme auf ihren wirklichen, konzeptionellen Inhalt reduzieren könnte. Die Zahl der Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet forschen, ist auch heute noch gering. Dies ist nicht zuletzt damit zu erklären, dass praktische Anwendungen – und damit Geldgeber – rar sind. Zwar hat die Kategorientheorie fruchtbaren Einfluss auf verschiedene Gebiete der Mathematik und auch auf die (theoretische) Informatik genommen, doch tatsächlich umsetzbar bleibt Weniges.

Kryptographie
Zusammenfassende Bezeichnung für die Methoden zur Verschlüsselung (Chiffrierung) und Entschlüsselung (Dechiffrierung) von Informationen. Die Kryptologie, die Wissenschaft der Kryptographie, ein Teilgebiet der Informatik findet vor allem im Datenschutz und bei der Nachrichtenübertragung Anwendung.

(Meyers Grosses Taschenlexikon in 24 Bänden; 5.Auflage 1995)

Also Forschung nur zum Selbstzweck? Gegen solche Vorwürfe wehrt man sich nicht nur in Braunschweig. “Es ist nicht neu, dass man mathematische Forschung betreibt, ohne bereits konkrete Anwendungen im Hinterkopf zu haben”. Das beste Beispiele dafür ist die Zahlentheorie. Schon seit der Antike beschäftigten sich Wissenschaftler damit, das Geheimnis hinter den natürlichen Zahlen zu ergründen. Ihr Ziel war es, immer neue Zusammenhänge aufzudecken, immer schönere Beweise zu finden.

Noch 1940 sagte der renommierte Mathematiker G.H. Hardy in seinem Buch “A Mathematician´s Apology”, dass Zahlentheorie wohl kaum kriegswichtig sein kann. Kurze Zeit später, Mitte des 20. Jahrhunderts stellte man jedoch fest, dass die Ergebnisse der Forschung durchaus ihre Anwendung haben. Das Verschlüsseln von Kreditkartennummern oder E-Mails heute – die Grundlage dieser und ähnlicher Vorgänge sind kryptografische Verfahren, die auf Ideen der Zahlentheorie basieren.

“Außerdem”, so setzt Stefan Milius hinzu, “welche Kunst hat schon praktische Anwendungen!”. Und tatsächlich, studiert man beispielsweise an manchen amerikanischen Universitäten reine Mathematik, so erhält man als Abschluss keinen M.Sc., also Master of Science, sondern den Titel MA, also Master of Arts. Sind Mathematiker also Künstler? Es lassen sich tatsächlich viele Parallelen finden.

Für beides, Kunst und Mathematik, müssen Verstand und Intuition, wie in kaum einer anderen Disziplin ineinander greifen, um zu Ergebnissen zu kommen. Ein hohes Maß an Kreativität und Abstraktionsvermögen ist dabei nötig. Wer in diesem Schaffensprozess nur den unmittelbaren Nutzen im Sinn hat, der wird es nicht weit bringen, da Nützlichkeit die Kreativität einschränkt. Sowohl die Kunst als auch die Mathematik (sofern sie über das Lösen alltäglicher Probleme hinaus ging) haben stets erst ab einer höheren Entwicklungsstufe der Gesellschaft Aufmerksamkeit und Unterstützung erfahren. Sind sie vielleicht sogar Indikatoren dafür, wie weit eine Gesellschaft entwickelt ist? Nicht zuletzt geht es sowohl Künstlern als auch Mathematikern um Schönheit – Schönheit der Darstellung, Schönheit der Idee, Schönheit der Struktur.

So wie der Schaffensprozess eines Kunstwerkes häufig wesentlich weniger spannend ist als das eigentliche Ergebnis, so ist auch der Arbeitsprozess eines Kategorientheoretikers wenig eindrucksvoll. Als vermutlich einer von wenigen Wissenschaftlern hat Stefan Milius für seine Arbeit keinen Computer nötig. Wesentlich wichtiger sind Papier und Bleistift, um Ideen schnell festhalten und skizzieren zu können. Außerdem heißt es für ihn: lesen, lesen, lesen. “Einen Beitrag durchzuarbeiten und alle Beweise darin nachzuvollziehen – das kann durchaus mehrere Tage dauern.”

Wie kommt man überhaupt als Informatiker dazu sich mit Kategorientheorie und Mathematik zu beschäftigen – bei allen interessanten Aspekten doch ein eher trockener Stoff? “Die Einfachheit und Klarheit, mit der man Probleme aus der Informatik auf das Wesentliche reduzieren konnte, hat mich sehr gereizt.” erzählt Stefan Milius. Wie es nach Ablauf seiner Zeit an der Uni Braunschweig weitergehen soll, weiß er noch nicht. Arbeitsplätze in reiner Mathematik sind selten und Arbeitgeber in der ganzen Welt verteilt. Trotz diesen eher schlechten Perspektiven ist er überzeugt: “Für mich war es sicher eine richtige Entscheidung, theoretisch zu arbeiten. Auch wenn ich später praktisch orientierter und als Informatiker arbeiten sollte, so habe ich hier viel gelernt. Probleme analysieren, logisch richtig argumentieren, klare und eindeutige Darstellungsweisen – das sind nur einige Bedingungen für erfolgreiche mathematische Forschung, die auch in jedem anderen Arbeitsbereich wichtig sind.”

Übrigens, der Satz am Anfang dieses Beitrages besagt grob übersetzt das folgende. In der theoretischen Informatik möchte man beispielsweise eine bestimmte Gruppe von Systemen modellieren, die alle im Wesentlichen ähnlich sind. So haben sie als Beispiel alle eine zentrale Verarbeitungseinheit, akzeptieren gewisse Eingaben und liefern bestimmte Ausgaben. Die Gemeinsamkeiten so einer Gruppe von Systemen können durch einen Funktor beschrieben werden. Will man nun das Verhalten aller modellierten Systeme untersuchen, kann man dies tun, indem man die finale Koalgebra des Funktors betrachtet. Vereinfacht kann man sagen, dass es sich bei der finalen Koalgebra um eine generische Beschreibung des Verhaltens aller betrachteten Systeme handelt. Diese Beschreibungen ermöglicht es auch rekursives, das heißt in gewisser Weise selbstbezügliches Verhalten und sogar unendliche Prozesse und Daten mathematisch präzise zu erfassen. Diese Eigenschaft, bzw. diese Struktur von finalen Koalgebren wird als vollständig iterative Monade bezeichnet. Tja, die mathematische exakte Beschreibung hat doch mehr Kürze, Schönheit und Klarheit – zumindest für den Eingeweihten!

Beitrag von Christine Stark

Links zum Thema

  • Mathematische Puzzle

Zur Person

Stefan Milius; Jahrgang 1975

  • 1995-2000: Studium der Informatik zum Diplominformatiker in Braunschweig
  • 1999/2000: Studium zum Master of Arts (MA) in Mathematik in Toronto
  • seit 2000 Mitarbeiter am Institut für Theoretische Informatik der TU Braunschweig

Kategorien

Themen: Mathematik
backprinttop

Newsfeeds

Online-Recherche

Suchmaschinen, Infos, Datenbanken » mehr

Rezensionen

Buchrezensionen der sg-Redaktion » mehr

Wettbewerbe

Forschungswettbewerbe in der Übersicht » mehr

Podcasts

Übersicht wissenschaftlicher Podcast-Angebote » mehr

Newsletter

anmelden
abmelden
?
Mitmachen

/e-politik.de/

Aktuelle Beiträge:

Raumfahrer.net

Aktuelle Beiträge:

Eureka! Science News

Aktuelle News:

Anzeigen