Credo und Mythos der Leistungsgesellschaft

Buchtipp: Der Mythos der Leistungseliten Leistung führt zum Erfolg! Bildungspolitiker verbreiten gern diese Illusion. Die empirische Forschung widerlegt diese These, was in Deutschland zählt, ist die soziale Herkunft. Eine Rezension.

Die Aufforderung zu einer Kultur der Leistung oder Anstrengung wird derzeit nicht nur von liberalen und konservativen Politikern aufgestellt. Auch im linken Spektrum appelliert man gern im Sinne der sozialen Gerechtigkeit für mehr Motivation und Leistung. Dabei wird die Vorstellung gepflegt, dass individuelle Kraftanstrengung auch zum gewünschten Ergebnis führt. Wer sich in der Schule und der Universität anstrengt, wer den unbedingten Willen zur Leistung hat, der wird im Anschluss an seinen Bildungsweg auch mir der entsprechenden Spitzenposition belohnt.

Auch der Frankfurter Campus Verlag, in dem das Buch des Darmstädter Soziologen Michael Hartmann erschienen ist, unterstützt mit einem Teil seines Verlagsprogramms diese Leistungsideologie. Das Geld wird mit Büchern von Motivationstrainern und Erfolgseinflüsterern verdient. Mithilfe des Verlagsprogramms können die Leser ihre „Stärken entdecken“, mit dem „Prinzip Selbstverantwortung“ zum Erfolg kommen und ihren individuellen Weg zu „Effektivität“ und Leistung gelangen. Mit dem Buch von Michael Hartmann scheint der Verlag nun diesen Teil seines Programms selbst zu destruieren. Hartmann räumt nämlich mit der Ideologie gründlich auf, dass die wirtschaftlichen Eliten sich tatsächlich nach der individuell erbrachten Leistung zusammensetzen. Die Kernthese des Buches: Für wirtschaftliche Spitzenkarrieren ist in Deutschland die soziale Herkunft und nicht die individuelle Leistung entscheidend.

Der Ideologie der Leistungsgesellschaft folgend, müsste das Arbeiterkind dieselben Chancen beim Erhalt eines Spitzenarbeitsplatzes haben wie der Industriellensohn - es sei denn, dass ersteres sich eben nicht genug angestrengt hat. Aber hat die soziale Herkunft der derzeitigen Eliten nicht doch größeren Einfluss auch die Besetzung von Spitzenpositionen, als uns das die sozialwissenschaftliche Forschung glauben machen will? Und: Hat die Bildungsexpansion der 1960er Jahre tatsächlich zu einer Angleichung der Karrierechancen geführt oder hat sie ihr Ziel verfehlt? Auf diese beiden Fragestellungen fokussiert vergleicht Hartmann die soziale Herkunft, die Ausbildungswege und die beruflichen Karrieren verschiedener Promotionsjahrgänge miteinander. Er konzentriert sich dabei auf die Promotionen von Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern und Ingenieuren. Diese Konzentration begründet er mit der Bedeutung des Doktortitels in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft. Innovativ ist die Arbeit schon deshalb, weil es bislang keine theoretische und empirische Arbeit über den Zusammenhang von Elitenzugehörigkeit, sozialer Herkunft und Promotion gibt. Hartmann zeichnet auf Grund seiner empirischen Studien ein sehr differenziertes Bild des deutschen Hochschulsystems. So hat die Bildungsexpansion der 1960er Jahre durchaus eine soziale Öffnung bewirkt. Diese bleibt auch nicht allein auf den normalen Hochschulabschluss begrenzt, sondern im Zeitvergleich ist auch eine generelle soziale Öffnung der Promotion seit Mitte der 1970er Jahre festzustellen. Die erfolgreiche Promotion stellt noch lange keine erfolgreiche Karriere in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft in Aussicht. Nur zirka 13 Prozent aller Promovierten erreichen eine Spitzenposition in den genannten Bereichen und hierbei spielt nun die soziale Herkunft eine zweite, sozial wirksamere Rolle beim Karriereverlauf - und zwar um so mehr, je näher jemand den Schaltstellen der gesellschaftlichen Macht kommen will. Die soziale Herkunft erweist sich nach Hartmanns Befunden als ein resistenter selektiver Mechanismus. Promovierte unterliegen im Verlauf ihrer Karriere einer scharfen sozialen Selektion. Die Bedeutung der sozialen Herkunft steigt mit den Führungspositionen an.

Dagegen sind die Rekrutierungsmuster nach Hartmanns Ergebnissen in der Politik wesentlich offener. Für eine politische Karriere kann eine soziale Herkunft aus einem Arbeiter- oder Angestelltenhaushalt durchaus förderlich sein. Auch in bei den Berufskarrieren in der Justiz ist ein deutlicher Unterschied zur Wirtschaft festzustellen: Hier gibt es keine signifikante Bevorzugung einer sozialen Herkunft, wohl aber dominiert die Form der Berufsvererbung. Allein der Wissenschaftsbereich stellt für die „Normalbevölkerung“ denjenigen dar, in denen die Karrierechancen trotz der sozialen Herkunft am besten sind. Allerdings macht Hartmann bezüglich der wissenschaftlichen Karriere auch ein Desinteresse der „besseren Kreise“ aus.

Die ungleichen Karriereverläufe in den untersuchten gesellschaftlichen Bereichen erklärt Hartmann mit der hohen Selektivität der sozialen Herkunft und den unterschiedlichen sozialen Milieus ausgebildeten Persönlichkeitsmerkmalen. Für wirtschaftliche Spitzenpositionen muss man einen Habitus besitzen, dessen notwendige soziale Voraussetzung - nämlich die soziale Herkunft - nicht transparent gemacht wird. Die besondere Sozialisation bestimmter sozialer Milieus kann im späteren Lebensverlauf von Personen anderer Milieus nicht mehr angeeignet werden. Die Wirkung des klassenspezifischen Habitus ist für Hartmann ein nicht zu unterschätzender Indikator beim Verlauf von wirtschaftlichen Spitzenkarrieren.

Es geht Hartmann ganz offensichtlich um eine Destruktion der Ideologie der Leistungsgesellschaft. Der Selbstanspruch der wirtschaftlichen Eliten zeigt, so könnte man es deuten, einen geradezu religiösen Charakter auf. So spricht Hartmann auch vom „Credo“, also dem Glaubensbekenntnis, der Topmanager. Mit der Studie, so könnte man weiter schlussfolgern, will er dieses Credo gewissermaßen einer Säkularisierung unterwerfen. In aufklärerischer Absicht - so die Stoßrichtung seiner Untersuchung - soll der Mythos entlarvt werden. Interessant ist dabei vor allem die Reaktivierung des verloren geglaubten Klassenbegriffs. In diesem Kontext ist es dann auch nur plausibel, dass Hartmann bezüglich des Mythos der „Leistungsgerechtigkeit“ mit seiner Untersuchung wie folgt enden kann: „Da von wirklicher Leistungsgerechtigkeit unter den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen keine Rede sein kann, geht es den Verfechtern dieses Prinzips im Kern um nichts anderes als eine Legitimierung der großen sozialen Unterschiede und einem grundlegenden Umbau des Bildungssystems zu ihren Gunsten.“

Beitrag von Axel Bohmeyer

Zur Person

Axel Bohmeyer
Diplom-Theologe / Diplom-Pädagoge
Geb. 1975, studierte Philosophie, Theologie und Erziehungswissenschaften in Frankfurt am Main und Wien. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nell-Breuning-Institut der Theologisch-philosophischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt/Main. Arbeitsschwerpunkte: »New Economy«, Wandel und Zukunft der Arbeit, Wissensgesellschaft.

Literatur

  • Michael Hartman (2002): Der Mythos der Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York.

Kategorien

Themen: Arbeitswelt | Soziologie
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