Junge Ideen für Probleme des Alters

*Technische Hilfsmittel wie Rollstühle unterfordern schwache, aber noch funktionsfähige Muskeln. Studenten der FH-München schaffen mit einer Erfindung Abhilfe, ihr Rezept lautet: MAO.

Wir werden immer älter. Darauf ist unser Körper jedoch nicht eingestellt. Mit den Jahren nehmen die Beschwerden zu, der Körper ist zunehmend nicht mehr in der Lage, die Aufgaben des Alltags zu bewältigen. Oft muss sich der betroffene Mensch damit abfinden, dass technische Hilfsmittel unumgänglich sind. Eines der häufigsten Beispiele dafür ist der Rollstuhl, der immer dann eingesetzt wird, wenn die Muskulatur der Beine nicht mehr ausreichend arbeitet. Doch wird mit der erstmaligen Benutzung eines Hilfsmittels ein Teufelskreis in Gang gesetzt. Die zu schwache und überforderte Muskulatur wird plötzlich gar nicht mehr gefordert. Dies hat den Effekt, dass sie immer weiter an Kraft verliert. Die Aussicht auf ein Leben ohne technische Unterstützung rückt so in weite Ferne.

Wie genau funktioniert der hydraulische Kreislauf?
Außer den technischen Muskeln und der Pumpe besteht der hydraulische Kreislauf aus zwei Ventilen, einer sogenannten Vordruckkammer sowie einem Flüssigkeitsreservoir. In der Ausgangsstellung ist der technische Muskel relaxiert. In dieser Phase transportiert die Pumpe Flüssigkeit aus dem Reservoir in die Vordruckkammer. Diese füllt sich, ein Druck baut sich auf. Kommt der Befehl zum Kontrahieren der Muskeln, so wird die Flüssigkeit unter hohem Druck in den technischen Muskel gedrückt. Der Abstand der Gewebebahnen des Muskels vergrößert sich, der Muskel kontrahiert. Insgesamt werden nur ungefähr 250 Milliliter Flüssigkeit benötigt, um die notwendigen Muskelkontraktionen zu ermöglichen.

Hier setzt die Idee von Chi-Nghia Ho, Anna Romaszkiewicz und Sebastian Schostek an. Die drei Studierenden der Fachhochschule München suchten nach einem Weg, den Teufelskreis zu unterbrechen. Statt die schwachen Muskeln gänzlich überflüssig zu machen, suchten Sie nach einer Hilfe, welche die Muskulatur vielmehr unterstützt. Ihre Entwicklung nannten sie MAO. Der Name steht für Myoide Auto-Orthese und ist vereinfacht gesagt eine hochtechnisierte Stützstrumpfhose, die Bewegungsabläufe aktiv unterstützt. „Der Name ist Programm“, erläutert Chi-Nghia Ho „Myoid heißt muskelähnlich. Auto kommt von automatisch, denn unsere Hilfe arbeitet ohne dass der Benutzer sie steuern muss. Orthese nennt man eine orthopädische Unterstützung für die Wirbelsäule, aber auch der Beine.“

Will der Mensch sich fortbewegen - aufstehen, gehen, rennen - so erfordert das ein kompliziertes Zusammenspiel der Muskeln im Bein. Wenn die Muskeln zu schwach sind, kann die notwendige Kraft zum Strecken und Kontrahieren nicht mehr aufgebracht werden. Das Bein kann nicht mehr weit genug angehoben werden, sich nicht mehr stark genug in Knie und Hüfte beugen. Hier soll zukünftig MAO den Träger unterstützen. Zusätzlich zu der eigenen Kraft wird von außen eine zusätzlich Kraft aufgebracht. Dies versetzt die betroffenen Körperteile in die Lage, die notwendigen Bewegungsabläufe wieder auszuführen. Die Idee klingt so einfach, dass man sich fragt, warum es nicht längst derartige Systeme auf dem Markt gibt. Anna Romaszkiewicz führt aus: „Es ist richtig, dass es schon vielfach Versuche gab, derartige Hilfsmittel zu entwickeln. Aber diese waren kaum alltagstauglich. Zu schwer, zu kompliziert zu handhaben - es war im Endeffekt für die Hilfsbedürftigen einfacher, sich in einen Rollstuhl zu setzen. Wir denken, aus diesen Problemen gelernt zu haben - unsere Orthese ist leicht, angenehm zu tragen und außerdem auch noch unauffällig.“

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Die beiden Teile der textilen Mechanik (grün) mit den technischen Muskeln (rot). Ziehen sich die technischen Muskeln zusammen, streckt sich das Bein.

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MAO besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten: den technischen Muskeln, der textilen Mechanik und einer hydraulischen Pumpe. Aufgabe der textilen Mechanik ist es, Kraft auf den Körper zu übertragen und damit die Bewegung zu ermöglichen. Da es sich jedoch im Prinzip um Stoffbahnen ohne weitere Technik handelt, muss die Ansteuerung der textilen Mechanik von außen erfolgen. Dies geschieht durch sogenannte technische Muskeln, die von den drei Studierenden speziell entwickelt wurden. Ähnlich wie die echten Muskeln können die technischen Muskeln durch Kontrahieren oder Relaxieren eine Längenänderung erreichen. Das Prinzip ist denkbar einfach. Der technische Muskel besteht aus zwei übereinander liegenden Gewebebahnen, die durch parallel liegende, zugfeste Fäden miteinander verbunden sind. Die Fäden sind abwechselnd an der oberen und unteren Gewebeschicht befestigt. Der Raum zwischen den Gewebeschichten ist mit einer Flüssigkeit gefüllt. Füllt man nun viel Wasser in den Hohlraum, so vergrößert sich der Abstand zwischen den Bahnen - der technische Muskel kontrahiert; bei wenig Wasser liegen die Bahnen sehr dicht aufeinander - der technische Muskel ist relaxiert.

Natürlich kann der Nutzer nicht jedes Mal selbst die Muskeln mit Flüssigkeit füllen - dies wäre auch zeitlich gar nicht machbar. In ihren Überlegungen gehen die Studierenden beispielsweise davon aus, dass der Mensch jede Sekunde einen Schritt macht. Die technischen Muskeln in jedem Bein müssen deshalb in der Lage sein, alle zwei Sekunden zu kontrahieren. Damit dies reibungslos funktioniert, ist der Muskel in einen hydraulischen Kreislauf eingebunden. Eine kleine, handliche Pumpe sorgt dafür, dass stets eine ausreichende Flüssigkeitsmenge unter Druck vorgehalten wird. Soll der Muskel kontrahieren, wird die Flüssigkeit ohne weitere Verzögerung in den technischen Muskel eingespritzt.

Ausgelöst werden die beschriebenen Vorgänge ganz automatisch durch die echten Muskeln. Dazu kann ein Prinzip verwendet werden, welches bereits seit langem in der Medizin angewendet wird. Kleine Metallplättchen auf der Haut registrieren, wenn die Nerven auf den Muskeln anfangen zu zittern. Werden diese elektrischen Signale stärker, so bedeutet dies, dass die echten Muskeln kontrahieren - der Befehl kann an die technischen Muskeln weitergegeben werden.

Bisher handelt es sich bei MAO nur um eine Idee. Die engagierten Studierenden haben aber bereits ein eigenes Unternehmen zur Weiterentwicklung der Orthese gegründet. Sowohl für die textile Mechanik als auch den technischen Muskel haben sie Patente angemeldet. „Natürlich muss noch viel Forschungsaufwand investiert werden, bevor MAO tatsächlich einsatzfähig ist. Vor allem die Struktur und der Aufbau der technischen Muskeln muss noch viel besser erforscht werden. Auch bei der Optimierung der Steuerung von MAO, also der Einstellung des hydraulischen Kreislaufs, gibt es noch viel zu tun.“ meint Sebastian Schosteck zu der weiteren Entwicklungsarbeit befragt.

Gehen, Aufstehen, Treppensteigen - wird der Körper immer gleich unterstützt?
Die persönliche Erfahrung lehrt, dass es einfacher ist von einem hohen Stuhl aufzustehen, als von einer tiefen Couch. Die Steuerung der Orthese muss erkennen, welche Bewegung gerade abläuft, um wohldosierte Unterstützung zu bieten. Dass erste Problem, die Identifikation des Bewegungsablaufes, kann durch Kombination zweier getrennter Informationen erfolgen. Durch Winkelsensoren kann festgestellt werden, in welcher Position sich beispielsweise das Knie gerade befindet. Dieses Wissen kann mit der Stärke der Nervensignale in Verbindung gebracht werden. Die Studierenden gehen davon aus, dass aus den beiden Größen sicher auf die notwendige Bewegung geschlossen werden kann. In Abhängigkeit der Bewegung ist die aufzubringende Kraft zu dosieren. Dies kann durch einfache Anwendung des Newtonschen Prinzips erreicht werden: Kraft ist das Produkt aus Masse und Beschleunigung. Wird eine höhere Kraft benötigt, so wird entweder mehr oder aber die gleiche Menge Wasser bei höherem Druck in den technischen Muskel beschleunigt.

* Beispiel für das Wirken der technischen Muskeln. Durch das Verkürzen der Muskeln (rot) wird, wenn der Fuß nicht bewegt wird, das Knie nach hinten gedrückt und gleichzeitig die Hüfte nach vorn gezogen.

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* Der hydraulische Kreislauf.

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* Das Prinzip des technischen Muskels. Aufgepumpt mit Flüssigkeit verkürzt er sich. Wird die Flüssigkeit entfernt, wird er wieder länger.

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Warum brauche ich eine Vordruckkammer im hydraulischen Kreislauf?
Eine einfachere Konstruktion ohne Vordruckkammer wäre grundsätzlich ebenfalls möglich. Dies würde jedoch eine größere - und damit deutlich schwerere - Pumpe notwendig machen. Auch wirkt sich der Aufbau des hydraulischen Kreislaufs mit einer Vordruckkammer bei der Kraftsteuerung positiv aus. Durch geschickte Konstruktion der Kammer verhalten sich Druck und Flüssigkeitsmenge nicht proportional zueinander. So kann eine Verdoppelung der Flüssigkeitsmenge eine Vervielfachung des inneren Drucks hervorrufen. Dies erleichtert die Steuerung der aufzubringenden Kraft.

Beitrag von Birgit Milius

Links zum Thema

  • Die Webseite des von den Studierenden gegründeten Unternehmens

Zur Person

Sebastian Schostek und Anna Romaszkiewicz sind beide 23 Jahre alt und studieren im 6.Semester Physikalische Technik an der FH-München. Ho Chi Nghia (28), 9. Semester, studiert Medizintechnik an der FH-München. Er wird sein Studium mit diesem Semester abschließen. Die Arbeit zur Myoiden Auto-Orthese MAO wurde mit dem Deutschen Studienpreis 2003 ausgezeichnet.

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Themen: Ingenieurswissenschaft | Medizin
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