Ein Zeitfenster für die Kindheit
Stress:
Ist ein Reaktionsmuster auf erhöhte Beanspruchung. Die ausgelösten Körperreaktionen umfassen eine im Zwischenhirn ausgelöste Überfunktion der Nebennieren und die Schrumpfung des Thymus und der Lymphknoten. Wird die physiologische Reaktionsbreite des Körpers überschritten, kommt es zum krankmachenden Distress.
Kopfschmerzen und Migräne, Schlafstörungen, Übergewicht – Beschwerden, die man eigentlich bei Managern erwartet. In den letzten Jahren klagen jedoch vermehrt Schulkinder, sogar Grundschulkinder, über solche Probleme. Sowohl bei Managern, als auch bei den Kindern kann die gleiche Ursache für die Probleme verantwortlich gemacht werden – Stress. Betroffene Eltern und besorgte Lehrer stellen fest, dass die Zahl von Kindern mit körperlichen Beschwerden – beispielsweise Bauch- und Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Einschlafproblemen – stetig zunimmt. Die genannten Symptome sind typisch als Reaktion auf ein Übermaß an Stress. Was aber ist dafür verantwortlich, dass die Zahl gestresster Kinder zunimmt? Mit einer Vielzahl von Studien versuchen Wissenschaftler den Ursachen für diesen auffälligen Wandel im vergangenen Jahrzehnt auf die Spur zu kommen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass nicht nur ein Faktor für die Gesundheitsbeschwerden verantwortlich gemacht werden kann. Erst durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Einflüssen kommt es zu negativen physischen und psychischen Folgen für die Kinder.
Die beiden Pädagogik-Studentinnen Alexandra Godthardt und Svenja Zellmer haben sich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt. Als Ergebnis einer Literaturrecherche wurden von ihnen drei Faktoren identifiziert, die nach Meinung der Forscher krank machen: Stress durch zuviel Medienkonsum, Stress durch eine verplante Freizeit und Stress durch Leistungsdruck aus der Gesellschaft.
Wohl jeder fühlte sich nach einem langen Fernsehabend schon einmal ausgelaugt und geschafft. Die Anzahl der Medien und die Zeitdauer der Mediennutzung durch die Kinder haben unbestreitbar Auswirkungen auf deren Verhalten und Gesundheit. Vor allem Fernsehen, Computer- und Videospiele stehen unter der kritischen Beobachtung der Forscherinnen. Je mehr Kinder konsumieren, desto eher klagen sie über Probleme. Der Grund liegt in der hohen Anzahl an zusätzlich zum Alltagsgeschehen zu verarbeitenden, vor allem visuellen Reize. Dies überfordert Kinder noch mehr als Erwachsene. „Medien, die eigentlich zur Entspannung dienen sollen, haben damit den gegenteiligen Effekt“ führen die beiden Studentinnen aus.
Die Befragung:
Es fanden zwei Befragungen statt. Die erste Befragung wurde in den dritten und vierten Klassen einer Grundschule, sowie in den fünften und sechsten Klassen eines Gymnasiums durchgeführt. Insgesamt nahmen daran 160 Schüler teil. Ziel war es, zunächst grundsätzliche Aussagen zum Freizeitverhalten der Kinder zu erhalten. Die Aussagen von 103 Schüler im Alter zwischen 10 und 13 Jahren einer Realschule wurde im Rahmen der zweiten Befragung ausgewertet. Dabei wurden sowohl Informationen zu Art und Ausmaß von körperlichen Problemen gesammelt, wie auch Aussagen zur Freizeitgestaltung der Kinder. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass keine objektive Beurteilung des Stresslevels der Kinder möglich war, sondern lediglich eine subjektive Meinung erfragt wurde.
Neben diesem recht offensichtlichen Zusammenhang vermuten Forscher, dass auch durch den zum Teil hohen Anteil an verplanter Freizeit die Kinder gestresst werden. Dabei spielt die Anzahl an festen wöchentlichen Terminen für beispielsweise Sport, Musik oder Nachhilfe eine Rolle. Besonders negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben solche Termine, die von den Kindern nicht selbst gewählt, sondern durch andere festgesetzt werden.
Nicht zu unterschätzen ist als dritter Faktor das allgemeine gesellschaftliche Klima, vor allem in Form überzogener Leistungserwartungen. Durch Rundfunk und Fernsehen, Eltern, Verwandte, Lehrer und Freunde werden an die Kinder Erwartungen herangetragen, denen sie unter Umständen nicht genügen können. Die durch den Erwartungsdruck erzeugte Angst zu Versagen behindert eine gesunde Entwicklung der Heranwachsenden.
Wie ausgeprägt die aus der Literatur ermittelten Stressfaktoren sind, wollten die beiden Studentinnen durch Befragung von Schulkindern ermittelt. In zwei Umfragen wurden nicht nur die Lebensumstände, sondern auch die subjektive Meinung der Kinder zu ihrem eigenen Stresslevel ermittelt. Die Ergebnisse sind deutlich. So kann beispielsweise gezeigt werden, dass mit zunehmendem Medienkonsum die Anzahl an Schülern, die über Schmerzen klagt, stark ansteigt. Auch das Auftreten von Augenschmerzen wird deutlich häufiger als Problem genannt, wenn gleichzeitig ein hoher Medienkonsum angegeben wurde. Dass viele Probleme auch durch Kinder und Eltern selbst erkannt werden könnten, zeigt die Tatsache, dass Schüler mit vielen festen Termine auch deutlich häufiger angeben, unter starkem zeitlichen Druck zu stehen. Ebenfalls interessant ist der Zusammenhang zwischen Schlafdauer und dem subjektiven Eindruck von Eile. Kinder, die weniger als 7 Stunden in der Nacht schlafen, geben weitaus häufiger an, in Eile zu sein, als Kinder, die durchschnittlich fast zwei Stunden länger schlafen.
Das Fazit der Studie? Auch wenn die Ergebnisse aufgrund der geringen Stichprobenmenge nicht repräsentativ sind, so wird dennoch eindrucksvoll deutlich, welche Abhängigkeiten es zwischen den drei Stressfaktoren und den Lebensumständen der Kinder gibt. „Kinder reagieren individuell auf Ansprüche, die aus der Umwelt an sie herangetragen werden. Irgendwann ist jedoch die Grenze, bis zu der Kinder damit gesund umgehen können, erreicht.“
Und das Fazit für Eltern und Kinder? Medienkonsum verbieten ist sicher kein Weg. Zu empfehlen ist, dass Eltern überwachen, wie ihre Kinder mit Medien umgehen und das Gesehene gemeinsam besprechen. „Dies ist sicher eine Möglichkeit, um Kinder vor Überforderung und Überreizung zu schützen“ meinen die Autorinnen. Auch gegen einen allzu vollen Terminplan bei Kindern wenden sich die Studentinnen. „Die Freizeit der Kinder sollte primär auch freie Zeit bleiben, die selbstbestimmt, spontan und dem kindlichen Verlangen angemessen verbracht wird“ stellen sie fest. Termine sollten stets mit den Kindern gemeinsam festgelegt werden, wobei die Interessen der Kinder den Vorrang haben sollten. Der Wunsch vieler Eltern „Aus meinem Kind soll etwas werden“ ist verständlich. Werden jedoch Kinder entgegen der eigenen Interessen zu Veranstaltungen oder Hobbys gedrängt, so kann dies zusätzlichen Stress bedeuten. Eine zur Leistung inspirierende Erziehung sollte nicht mit „Züchtung“ verwechselt werden.
Der „Stress-Check“:
Eltern, die das Stresslevel ihrer Kinder abschätzen wollen, können dazu auf einen von den beiden Studentinnen entwickelten Fragebogen zurückgreifen. Bei einer detaillierten Auswertung der Umfrageergebnisse konnten sie weitere Risikofaktoren identifizieren, die auf Stress bei Kindern hindeuten. Sie erstellten eine Checkliste, anhand derer Eltern gemeinsam mit ihren Kindern feststellen können, in wie weit Kinder stressgefährdet sind.
Links zum Thema
- Die Studie im Volltext (PDF, 530 KB)
- Die Stress-Checkliste (PDF, 530 KB)
Zur Person
Svenja Zellmer (22) studiert Diplom-Pädagogik an der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf. Alexandra Godthardt (22) studiert Diplom-Pädagogik an der Universität Duisburg. Mit ihrer Studie haben sie den Deutschen Studienpreis gewonnen.