Die Spielregeln der Karriere

*Wie wird man Wissenschaftler? Die einfache Antwort: Promovieren, vielleicht habilitieren und dann berufen werden. Der differenzierte Blick auf wissenschaftliche Karrieren räumt mit dieser Illusion auf...

Individuelle Leistung führt zum Erfolg, auch in der Wissenschaft – so die gängige Vorstellung. Sandra Beaufaÿs hat in ihrer Doktorarbeit genauer hingeschaut und lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf die Nebenschauplätze der Karriere. Die Soziologin stellt zum Beispiel fest, dass die Annerkennung durch die etablierten Wissenschaftler viel wichtiger ist, als die individuell erbrachte Leistung zum Beispiel in der Promotion. Die Nebenschauplätze sind nämlich die Hauptschauplätze, wenn es um Karriere geht. Der Titel der Studie „Wie werden Wissenschaftler gemacht?“ deutet schon darauf hin, dass die Soziologin Wissenschaft als etwas versteht, in der es um viel mehr geht als nur um die Produktion wertfreier Erkenntnisse. Die Annahme, dass sich die besten Ideen von selbst durchsetzten, ist dann nicht mehr haltbar. „Wissenschaftler“ entstehen nämlich erst im komplizierten Zusammenspiel vielfältiger und komplizierter Interaktionen. Wer auf Kongressen Vorträge halten darf, welche Arbeiten in etablierten Buchreihen oder Zeitschriften erscheinen, wer Stipendien oder andere Stellen bekommt, darüber entscheidet nicht die individuelle Leistung des Bewerbers, sondern Professoren – und das ist ein Unterschied.

Um mehr über dieses verzwickte Spiel zu erfahren, hat sich die Autorin dorthin begeben, wo Wissenschaft und Wissenschaftler gemacht werden: an die Universität. Über mehrere Wochen beobachtete sie den Alltag von Professoren und deren Mitarbeitern in den beiden Fächern Geschichte und Biochemie, führte Interviews und ließ die Wissenschaftler Protokolle über ihr tägliches Tun anfertigen.

*Hauptergebnis ihrer Spurensuche: Für die jungen NachwuchswissenschaftlerInnen kommt es entscheidend darauf an, ob sie den jeweiligen „Glauben“ ihres Faches annehmen. Gemeint sind damit die gültigen, aber meist unausgesprochenen (Spiel-) Regeln, die den wissenschaftlichen Alltag bestimmen. So lautet etwa eine wichtige „Regel“: Wissenschaft ist kein Beruf wie jeder andere, sondern eine Lebensform, wie ein Professor der Geschichte erläutert: „Und der normale Arbeitnehmer hat einen geregelten Feierabend und ein geregeltes Wochenende [...] Also all diese Vorstellungen muss man an der Garderobe abgeben. Also wer sein Leben so gestalten möchte, der sollte lieber frühzeitig die Universität verlassen.“ (S. 161). Sandra Beaufaÿs hat festgestellt, dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, wie viele Stunden pro Woche die jungen Wissenschaftler ihr Leben in den Dienst der Sache stellen. Viel wichtiger ist, ob sie überzeugend nach außen signalisieren können, dass die Wissenschaft ihr Lebensinhalt ist und ob sie die übrigen Lebensbereiche erfolgreich ausblenden können. Hierfür stehen je nach Fach bestimmte „symbolträchtige Praktiken“ (S. 243) zur Verfügung. Für die Biochemiker ist etwa das Labor von zentraler Bedeutung. Es ist der Ort, an dem die Forschung gemacht wird. Je länger und öfter sich ein junger Wissenschaftler dort aufhält, umso geeigneter für die Wissenschaft wird er von den Professoren wahrgenommen, frei nach dem Motto „wer sich hier aufhält, der will es wirklich wissen“ (S. 243). In der Geschichtswissenschaft wiederum spielt die Anwesenheit in den universitären Räumen keine so große Rolle. Denn die Historiker arbeiten zumeist an ihren Schreibtischen zu Hause. Allerdings sollten sich Nachwuchswissenschaftler dieses Faches zu Zeiten, die sie genau dort verbringen sollten – also eigentlich immer – nie bei ‚unakademischen Tätigkeiten’ in der Öffentlichkeit erwischen lassen, z.B. nachmittags in einem Café. Denn auch daran kann man ablesen, ob jemand als ambitioniert und damit tauglich für die Wissenschaft eingeschätzt wird oder nicht.

An dem Fall der Zeitstruktur kann Beaufaÿs auch zeigen, warum einige NachwuchswissenschaftlerInnen aus dem Spiel rausfliegen: Wenn Wissenschaft ein solches Lebensmodell erfordert, sind alle die benachteiligt, die über keine freie Zeiteinteilung verfügen. Nicht selten sind dies gerade Frauen, die sich den notwendigen symbolträchtigen Handlungen nicht unterwerfen wollen oder können, beispielsweise weil sie Kinder versorgen müssen.

Auch bezogen auf die Leistungszuschreibungen hat Beaufaÿs geschlechtsspezifische Unterschiede gefunden. So sind die von den befragten Wissenschaftlern genannten Leistungsindikatoren wie Ausdauer, Frustrationstoleranz, Begeisterungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft zwar weder typisch männliche noch typisch weibliche Eigenschaften. In den Aussagen der Professoren werden sie jedoch zu „vergeschlechtlichten Persönlichkeitsprofilen” (S. 248), die dazu führen, dass Nachwuchswissenschaftler als leistungsfähiger betrachtet werden als Nachwuchswissenschaftlerinnen.

Noch an vielen weiteren Beispielen macht die Autorin plausibel, wie das Spiel der Wissenschaft funktioniert, wer dabei gewinnt oder verliert. Damit ist das Buch lesenswert für alle, die sich für eine Karriere an der Hochschule interessieren oder sich schon auf dem Spielfeld befinden...

Frauenanteile in verschiedenen Stadien der akademischen Laufbahn (2002)

  • Studienanfängerinnen: 50,6 %
  • Absolventinnen: 47,0 %
  • Promotionen: 36,4 %
  • Habilitationen: 21,6 %
  • Hauptberufliches wissenschaftliches und künstlerisches Personal:
    27,7 %
  • Professorinnen: 11,9 %
  • C4-Professorinnen: 8,0 %
  • Bevölkerung insgesamt:
    51,1 %

(Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland)

Beitrag von Birte Egloff

Links zum Thema

  • Eine Einrichtung, die individuelle Beratung auf dem
    Weg in die Wissenschaft bietet
  • Hier findet man unter der Rubrik „Wissenschaftlicher Nachwuchs”
    jede Menge Informationen rund um das Thema Hochschullaufbahn
  • Statistisches Bundesamt Deutschland. Hier findet man alle
    möglichen Zahlen, unter anderem zum Thema Hochschule

Zur Person

Dr. Birte Egloff, geb. 1969, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt.

Kontakt: , Wissenschaftliche Referentin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt/Main

Literatur

  • Sandra Beaufaÿs (2003): Wie werden Wissenschaftler gemacht? Beobachtungen zur wechselseitigen Konstitution von Geschlecht und Wissenschaft. Bielefeld, transcript verlag.

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Themen: Arbeitswelt | Karriere
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