Immunzellen als Fallensteller

Shigellabakterien (rot)Unsere Erbsubstanz kann mehr, als unsere Eigenschaften kodieren. Forscher haben jetzt herausgefunden: Die DNA fängt Bakterien.

Arturo Zychlinsky blickt von seinen Notizen zu den Zuschauern. In seinem Kopf rotieren die Fragen, die ihn in den letzten Wochen nicht mehr losgelassen haben: „Was, wenn ich was übersehen habe? Was, wenn sie mich auslachen?“. Doch es gibt kein Zurück mehr. Sein Vortrag wurde großmundig angekündigt, die versammelten Zellbiologen warten gespannt.

Zychlinsky richtet sich auf, lächelt und beginnt. Er zeigt Bilder aus dem Elektronenmikroskop, die ein feines Netz von Desoxyribonukleinsäure (DNS) außerhalb von Zellen zeigen. Nicht im Zellkern, wo die Erbsubstanz normalerweise hingehört, sondern draußen. Und er behauptet, dass die Zellen diesen Stoff, der alle unsere Eigenschaften kodiert, absichtlich abgegeben haben, um damit Bakterien zu fangen und zu töten. Vorsichtig blickt er in die Gesichter der Anwesenden. Glauben sie ihm?

In jedem Tropfen Blut
sind weiße Blutkörperchen. Neutrophile Granulozyten sind so häufig, dass man sie mit ziemlicher Sicherheit findet, wenn man einen Tropfen unter das Mikroskop legt.

Kann es sein, dass Zellbiologen Jahrzehnte lang etwas übersehen haben? Dass etwas nicht ernst genommen haben, das eine so wichtige Waffe gegen Bakterien sein soll? Vor ein paar Monaten hat er es selbst nicht glauben wollen. Damals, im Max-Plack-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, zeigte Volker Brinkmann ihm die Fotos. Brinkmann ist der Meister der Mikroskopie im Institut. Zychlinsky hatte ihn gebeten, nach einem Enzym namens Elastase zu suchen, denn er wusste, dass dieses Enzym Bakterien bekämpfen kann und wollte nun sehen, wo der Stoff auf die Mikroorganismen trifft.

Brinkmann hatte eine Gruppe weißer Blutkörperchen präpariert, die Elastase produzieren. Diese neutrophilen Granulozyten stehen an erster Stelle in der Immunabwehr. Wenn Bakterien und andere Erreger uns belagern und unseren Körper als Brutstätte missbrauchen wollen, kommen die Neutrophilen zum Entzündungsherd und fressen die Eindringlinge auf. Als Kontrolle hatte Brinkmann die DNS angefärbt. Eigentlich nur, weil man das halt immer so macht, es dient zur Orientierung.

Und dann das. Auf den Fotos sind kleine Spiegeleier – die Neutrophilen. Zwischen ihnen ein feines fädiges Netz, wie ein etwas verklebtes Spinnennetz. Es musste sowohl aus DNS bestehen, als auch aus Elastase, denn in beiden Färbungen leuchtete es. Das konnte gar nicht sein. Die DNS ausserhalb der Zellen! Brinkmann wiederholte den Versuch wieder und wieder. Manchmal war das Netz da, manchmal nicht. Zweifel. War es nun ein Artefakt?

Wieder endlose Tage am Mikroskop. Die Mikroskopier-Räume liegen im Innersten des Instituts. Ganz ohne Fenster, denn im Dunkel sind die fluoreszierenden Farben im Mikroskop besser zu sehen. Manchmal wird man ganz müde. Oder einem wird schlecht. Wenn man die Präparate lange nach guten Stellen absucht. Dann sitzt man über dem Mikroskop gebeugt da, starrt hinein und bewegt das Präparat. Die leuchtend gefärbten Zellen fliegen vor dem schwarzen Hintergrund vorbei – dann kommt das eigene Gleichgewichtssystem nicht ganz hinterher und einem wird schlecht.

Aber die Mühe lohnt sich. Gute Bilder sind das beste Argument. Das ist es auch, das Brinkmann so an seiner Arbeit liebt, sagt er. Man hat nicht nur indirekte Hinweise, sondern man kann es wirklich sehen. Und Brinkmanns Bilder sind gut. Sie zeigen, dass auch andere Proteine, die Histone in den Netzen enthalten sind. Sie dienen in der Zelle als Stütze für die DNS, ein langes, fadenförmiges Molekül, das auf die Histone aufgewickelt ist.

Weiße Blutkörperchen und Shigella (rot)
Bakterien gehen in die Falle. Die roten Stäbchen sind Shigellen, Bakterien, die schwere Darminfektionen hervorrufen. Das gelbe Netz wurde von weißen Blutkörperchen ausgelegt um die Erreger einzufangen.
Ein elektronenmikroskopisches Bild von Volker Brinkmann
» Abb. vergrößern
 

Andere Bilder zeigen, dass Bakterien in den Netzen kleben bleiben. Man sieht sie da als kleine Stäbchen. Dass sie haften bleiben, liegt an den Histonen, sagt Brinkmann. Denn diese sind stark positiv geladen, während die Bakterien negativ sind. So ziehen sie sich wie die entgegen gesetzten Pole eines Magneten an. Brinkmann zeigt auch, dass die Bakterien in den Netzen sterben.

Zychlinsky findet es selbst immer noch ein bisschen unglaublich. Aber eher im Sinne von unglaublich schön. Es macht so viel Sinn! Die Neutrophilen fressen nicht nur ihre Feinde, sondern können sie auch fangen. Dafür stellen sie Fallen: Netze aus langen Fadenmolekülen (der DNS) mit Magneten (den Histonen) und Giften (der Elastase). „Das ist doch noch besser als Spiderman.“

Aber, bei aller Begeisterung, wie kann eine Zelle ihre DNS einfach abgeben? Sie ist doch wichtig, lebenswichtig. Keine Zelle kann ohne ihre Erbsubstanz überleben. Auf unserer DNS steht schließlich nicht nur geschrieben, wie groß wir werden, oder welche Augenfarbe wir haben, sondern auf ihr sind auch die Baupläne für all die Enzyme, die jede Zelle immer wieder braucht und immer wieder neu produziert.

Ja, antwortet Zychlinsky. Und nein. Bei den Neutrophilen handelt es sich um ganz spezielle Zellen. Sie sind ein Heer von Kamikazekämpfern, die beim Angriff auf ihre Feinde selbst sterben. Einmal „aktiviert“, leben sie nur noch etwa zwei Stunden lang. Und ein paar Stunden vor dem Tod ist auch die DNS nicht mehr so wichtig.

Wenn aber die Zellen sowieso sterben, dann könnte es ja auch sein, dass die DNS gar nicht aktiv ausgeschleust wird, sondern dass sie passiv beim Tod der Zellen nach außen gelangt. Dass die Netze ein zufälliges Nebenprodukt des Zerfalls sind? Ja, hier haben Zychlinsky und Brinkmann noch keine Bilder. „Wir glauben zwar, dass die Zellen ihre DNS aktiv ausschleusen und es gibt mehrere Hinweise darauf, aber wir haben sie noch nicht genau dabei filmen können“. Das liegt daran, dass die DNS erst einmal angefärbt werden muss, bevor sie sichtbar ist. Jeder Farbstoff aber interagiert mit dem Molekül. Und anscheinend verändern die Substanzen die DNS so, dass sie zu steif wird und nicht mehr ausgespuckt werden kann.

Dieser Punkt ist noch eines der großen Fragezeichen. Ansonsten hat die Überzeugungskraft der Bilder auch bei Zychlinskys Vortrag vor einigen Monaten gewirkt. Am Ende standen Zuhörer auf, verwirrte, begeisterte Gesichter. Sie erzählten, dass sie die Netze auch gesehen hatten. Aber sie hatten sie für Schmutz gehalten und die Präparate weggeworfen.

Heute sitzt Zychlinsky zufrieden in seinem Büro. Riesige Fensterfront. Ein Ficus. Ein alter Holztisch. Auf dem Tisch liegt die aktuelle Ausgabe des Fachmagazins „Science“, eines der wichtigsten Fachmagazine überhaupt. Die Titelstory sind die Netze, die Zychlinsky und Brinkmann „NETs“ (für „Neutrophil Extracellular Traps“) getauft haben. Auf dem Cover ein Netz, in dem Bakterien hängen. Zychlinsky lächelt. Er hat sie überzeugt.

DNS: Die Desoxyribonukleinsäure (auch DNA, das A steht für engl. Acid = Säure). In diesem Molekül sind unsere Erbanlagen gespeichert. Jede Zelle trägt DNS.

Neutrophile Granulozyten: Immunzellen. Sie machen etwa 50 Prozent der weißen Blutkörperchen aus. Sie fressen Fremdkörper auf und sind Teil der angeborenen Immunabwehr.

Elastase: Ein Enzym. Es wurde so benannt, weil es das Protein „Elastin“ spaltet. Dies ist ein wichtiger Bestandteil des Bindegewebes. Elastase von Neutrophilen verdaut zusätzlich Proteine von Bakterien.

Histone: positiv geladenen Proteine. Die negativ geladene DNA ist um die Histone gewickelt. Beide liegen im Zellkern.

Ausführliches Glossar mit weiterführenden Links

Immunzellen als Fallensteller –
Glossar mit weiterführenden Links

DNS

Desoxyribonukleinsäure, in deutscher Abkürzung DNS, in englischer DNA (A für Acid = Säure). In der DNS sind unsere Erbanlage in Form eine Abfolge von Basen gespeichert. Es gibt vier Basen: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Die Kombination dieser Buchstaben ergeben die Worte, die unser Leben schreiben.

Links zu DNS:

  • Eine bunte Seite mit vielen Animationen vom Cold Spring Harbor Laboratory (englisch)
  • Das Kapitel über DNS im Biologie-Lehrbuch von Peter von Sengbusch auf den Webseiten der der Uni-Hamburg
  • Ein Überblick in klarer Sprache und mit Bildern aus dem Lehrbuch von Rolf Knippers auf dieser privaten Homepage
  • Special vom „Stern“ über DNS, ihre Entdecker, das Molekül, seine Bedeutung

 
Elastase

Ein Enzym. Es wurde so benannt, weil es das Protein „Elastin“ spaltet. Dies ist ein wichtiger Bestandteil des Bindegewebes. Elastase verdaut aber auch andere Proteine. Es gibt viele verschiedene Varianten von dem Enzym und alle haben ihre besonderen Zielproteine. Eine Form wird auch in Neutrophilen Granulozyten produziert, diese spaltet auch Proteine, die für Bakterien wichtig sind. Forscher nennen diese Proteine „Virulenzfaktoren“. Werden diese gespalten, sind die Bakterien nicht mehr so gefährlich. Eine andere Elastase wird in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Sie spaltet vor allem Elastin.

Links zu Elastase:

  • Ganz wissenschaftlich: Arturo Zychlinsky identifiziert Elastase als ein Protein, das in der Bakterienabwehr wichtig ist. Sein Fachartikel in „Nature“
    (um den ganzen Text zu lesen, braucht man einen kostenpflichtigen Zugang von Nature)
  • Die „Welt“ berichtete über diese Entdeckung von Zychlinsky

 
Mikroskopie

Vergrößerungsgläser gibt es schon sehr lange, das erste Mikroskop ist jedoch erst recht spät, im 17. Jahrhundert, durch das Hintereinanderschalten zweier Linsen erfunden worden. Seitdem ist es das wichtigste Instrument der Biologen. Heute ist die Technik so weit, dass man selbst winzig kleine Viren abbilden kann. Zwei besonders wichtige Techniken sind die Konfokale Mikroskopie und die Elektronenmikroskopie. Erstere arbeitet mit einem Laser, der die Probe Scheibchen für Scheibchen durchleuchtet und so ein punktgenaues dreidimensionales Abbild geben kann. Letztere arbeitet mit Elektronen, die von der Probe abprallen und so ein sehr plastisches Bild erzeugen. Für ein konfokales Bild muss man eine Probe erst färben, damit der Laserstrahl den Farbstoff anregen kann und dieser dann Licht abgibt, das man sehen kann. Für ein elektronenmikroskopisches Bild muss man auf die Probe erst vorsichtig einen Stoff wie Gold aufdampfen, von dem dann die Elektronen abprallen.

Links zu Mikroskopie:

  • Eine bunte Seite mit vielen Animationen, Turorials und Bildern der Florida State University (englisch). Beeindruckend ist die Gallerie mit unzähligen Bildern, die mit den verschiedensten Techniken aufgenommen sind.
  • Faszinierend: tolle Bilder aus dem Elektronenmikroskop, in die man selbst hineinzoomen kann. Virtuelle Mikroskopie! Ebenfalls von der Florida State Uni.
  • Mikroskopie im online Lehrbuch von Peter von Sengbusch
  • Eine recht fachliche aber ausführliche Erklärung des konfokalen Prinzips von einer der großen Herstellerfirmen
  • Eine private Seite für den Hobby-Mikroskopierer mit Diskussionsforen
  • Geschichte der Mikroskopie

 
Neutrophile Granulozyten

Neutrophile Granulozyten machen etwa 50 Prozent der weißen Blutkörperchen aus. Sie fressen Fremdkörper auf und sind somit Teil der angeborenen Immunabwehr. Um die aufgenommenen Partikel angreifen zu können, produzieren sie dauernd Stoffe wie Enzyme, die sie in kleinen Bläschen im Zellkörper speichern. Daher sehen die Zellen im Mikroskop immer aus, als hätten sie leicht unregelmäßige Konsistenz, sie sind „granulär“, daher der Name. Den Zusatz „Neutrophil“ („neutral liebend“) tragen sie wegen ihrem Verhalten gegenüber bestimmten Farbstoffen. Es gibt nämlich auch die Basophilen Granulozyten (diese haben selbst saure Bestandteile, lassen sich daher mit Basischen Färbungen gut sichtbar machen und heissen daher „basisch liebend“) und die eosinophilen (bei denen ist es genau umgekehrt: sie sind selbst basisch, lassen sich mit sauren Färbungen anzeigen).

Links zu Neutrophilen Granulozyten und Immunsystem:

  • Die Uniklinik Aachen hat eine breite Übersicht über das Immunsystem zusammengestellt
  • Von der Uni Lübeck eine ausführliche Erklärung aller Blutbestandteile und der Blutbildung
  • Ein Bild von gefärbten Granulozyten und weiterführende medizinischen Begriffserklärungen im Lexikon von der Firma Roche
  • Wenn das Immunsystem einen Fehler macht: Allergien und Asthma. Die Sendung „Quarks und Co“ und der Deutsche Allergie und Asthma Bund bieten Informationen:
    www.quarks.de/allergien
    www.daab.de
Beitrag von Sina Bartfeld

Weiterführende Texte

Zur Person

Sina Bartfeld ist Biologin und Redakteurin bei sciencegarden.

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Themen: Biologie | Medizin
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