Religiöse Wende oder katholische Umarmung?

Das Treffen zwischen dem links-liberalen Aufklärungsphilosophen Jürgen Habermas und dem konservativen Kardinal Joseph Ratzinger erscheint vielen als „Aussöhnungsgeschichte“ von Religion und Philosophie. Eine katholische Umarmung allerdings ist nicht angebracht...

Die publizistische Aufregung um eine angeblich religiöse Wende des Philosophen Jürgen Habermas gipfelte jüngst in den Ausführungen von Eckhard Fuhr, Feuilletonchef der Tageszeitung „Die Welt“. In der März-Ausgabe der Theoriezeitschrift der Sozialdemokratie, der „Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte“, äußerte er: „Habermas nähert sich unter Mithilfe Kardinal Ratzingers der Religion“ an und diese Annäherung sei als eine „Aussöhnungsgeschichte“ zu verstehen. Anlass dieser Interpretation war eine Diskussionsveranstaltung in der Münchener Katholischen Akademie, die im Januar 2004 zwischen Jürgen Habermas und dem Leiter der römischen Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, stattfand. Die Ursprünge einer solchen Interpretation von Habermas’ Interesse an der Religion liegen aber schon früher begründet.

Jürgen HabermasJürgen Habermas
(*1929 in Düsseldorf), Soziologe und Philosoph, war von 1983 bis zu seiner Emeritierung 1994 Professor für Philosophie in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt Sozial- und Geschichtsphilosophie. Er hat als prominenter Vertreter der so genannten Frankfurter Schule wesentlich zur Entwicklung der Diskursethik beigetragen und sich in verschiedensten intellektuellen Debatten, zum Beispiel dem Historikerstreit, zu Wort gemeldet.

Spätestens seit seiner Rede anlässlich des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 2001 kann sich Habermas eines positiven Zuspruchs von katholischer Seite erfreuen. Mit seinen Anmerkungen über den Verlust, der die Transformation ehemals religiöser in nunmehr säkulare Rede begleitet, musste Habermas zwangsläufig auf Zustimmung aus dem kirchlichen Milieu rechnen. Bereits diese Rede wurde in christlichen Zeitschriften, der kirchlichen Publizistik und den Feuilletons großer Tageszeitungen als eine Rückbesinnung der Habermasschen Philosophie auf die Theologie verstanden. Doch der mit dessen Werk bewanderte Leser muss sich wundern: Die unterstellte religiöse Wende ist nämlich keine Wende und deshalb weniger Aufsehen erregend als angenommen.

Bereits in dem Ende der 1980er Jahre publizierten Sammelband mit dem unglücklichen programmatischen Titel „Nachmetaphysisches Denken“ finden sich in mehreren Artikeln explizite Stellungnahmen zum Verhältnis von Religion und Philosophie, die frühere Äußerungen einer Revision unterziehen. Habermas gesteht der rhetorischen Kraft der religiösen Rede ein Existenzrecht zu, weil diese „unaufgebbare semantische Gehalte“ enthält, die sich einer philosophischen Aneignung entziehen. Aus diesem Grund gebe es eine „friedliche Koexistenz“ zwischen Theologie und Philosophie. Diese Position wird weder in der Friedenspreisrede, noch in seinem Vortragsmanuskript der Münchner Diskussionsveranstaltung revidiert oder durch spektakuläre Formulierungen ergänzt. Habermas geht von einem Fortbestehen der Religion in der säkularisierten Umgebung aus und sieht darin eine „kognitive Herausforderung“ der Philosophie. Er verlangt von dieser Lernbereitschaft, eine Haltung, die er im Übrigen aber auch von der Religion und Theologie einfordert.

Joseph Kardinal RatzingerJoseph Kardinal Ratzinger
(*1927 in Marktl am Inn), Theologe, war von 1959-1977 Professor für Fundamentaltheologie und für Dogmatik und Dogmengeschichte an verschiedenen deutschen Universitäten und offizieller Konzilstheologe des Zweiten Vatikanums. Seit 1977 leitete er als Erzbischof das Bistum München und Freising. 1981 wurde er von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Katholischen Glaubenskongregation in Rom ernannt und elf Jahre später (1992) zum Kardinalbischof erhoben. Seit 2002 der gewählte Dekan des Kardinalskollegiums, das heißt der ranghöchste Kardinal der römisch-katholischen Kirche und der Organisator der nächsten Papstwahl.

Die Friedenspreisrede und das als Bekehrungsversuch gedeutete Gespräch in der Münchner Akademie fügen der früheren Habermasschen Position also inhaltlich nichts Neues hinzu. Doch durch die prominente mediale Plattform, die Habermas seinen Ausführungen zum Verhältnis von religiöser Sprache und Theologie in der letzten Zeit gegeben hat, haben diese für die theologische Forschung, wenn auch nicht intendierte so aber dennoch unangenehme Nebenwirkungen. Im Gegensatz zu Martin Walsers in der Pauluskirche ein Jahr zuvor gehaltenen „Sonntagsrede“ will sich Habermas anscheinend schon im Vorfeld nicht mit schwachen Argumenten um die Wucht der Aufmerksamkeit herausreden, die diese Rede im kirchlich-religiösen Raum erfahren musste. Sie mag die gesellschaftliche Öffentlichkeit nicht polarisieren, aber sie lässt das christlich-kirchliche Milieu aufmerken. So setzt auch das Treffen in München zwar keine neuen inhaltlichen Marken, ist aber dennoch ein (kirchliches) Politikum. Das Zusammentreffen mit dem obersten Glaubenshüter hat eine gewisse Signalwirkung. Ratzinger bescheinigt dem Habermasschen Denken im gewissen Sinne die theologische Unbedenklichkeit. Diese Unbedenklichkeit hat aber zwei Seiten: Einerseits wird ein Teil der theologischen Forschung, die sich durch die Fundamentaltheologie Ende der 1970 Jahre initiiert und dann wieder durch die christliche Sozialethik Anfang der 1990er Jahre fortgesetzt mit der Diskursethik beschäftigt hat, gewissermaßen geadelt. Die Wissenschaftler dieser beiden Fächer versprachen sich durch die Rezeption der Habermasschen Gedanken Anregungspotenzial für eine theoretische Fundierung der eigenen Fächer. Diese Auseinandersetzung, die in einer theoretischen Abkehr vom neuscholastisch fundierten Naturrecht ihren Ausgang nahm, ist durch das Treffen zwischen Ratzinger und Habermas offiziell anerkannt worden. Damit kann sie in Zukunft innertheologisch sicherlich besser gegen die Polemiken verteidigt werden, die in Habermas nur einen weiteren Vertreter der als fälschlich materialistisch und religionsfeindlich verschrienen Frankfurter Schule sehen und eine Rezeption aus diesem Grund ablehnen.

Doch eine solche positive Interpretation der Wirkung der feuilletonistischen Debatte um das Verhältnis von Habermas zur Religion wird durch den Versuch der theologischen Vereinnahmung getrübt. Deshalb sollte es der Theologie, die sich schon vor der aktuellen Diskussion mit Habermas beschäftigt hat, nun darum gehen, diesen gegen seine neuen Freunde zu verteidigen. Diejenigen, die nun den Versuch der Katholisierung des erklärt religiös Unmusikalischen vorantreiben, fördern auf der theologischen Seite einen selbstgefälligen Gestus: seht wir haben immer schon gewusst, dass die Philosophie nicht ohne die Theologie auszukommen vermag. Doch durch eine solche Haltung geht die anregende Provokation der Habermasschen Gedanken für die Theologie verloren. Die Verdienste der theoretischen Modernisierung, die das Ringen der Theologie mit der Diskursethik mit sich gebracht hat, werden verschüttet werden. Gegen eine allzu starke Vereinnahmung des Habermasschen Denkens durch die Theologie sollten sich deshalb diejenigen Theologen wehren, die sich weiterhin ernsthaft mit der Diskursethik beschäftigen wollen. Neben der Anregung, die eine solche Beschäftigung bietet, gibt es nämlich auch genügend theoretische Leerstellen und Probleme, an denen sich die Theologie zusammen mit der Philosophie abarbeiten kann.

Die Kongregation für die Glaubenslehre
oder Glaubenskongregation wurde ursprünglich „Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis“ genannt. Papst Paul III. hat sie 1542 zum Schutz der Kirche vor Irrlehren gegründet. Bis zur Aufklärung war das Gremium für die Hexenverbrennungen, für die Zensur und das Verbot kirchenkritischer Bücher verantwortlich.

Die Diskursethik
beruht auf der Idee, dass aufgrund von Verfahrensregeln rational über strittige moralische Fragen ein Konsens herbeigeführt werden kann. In einem praktischen Diskurses, an dem alle Betroffenen teilnehmen können müssen, wird das beste Argument ermittelt. Die Diskursethik stellt somit selbst keine bestimmten moralischen Aussagen zur Verfügung, sondern nur ein formales Verfahren.

Beitrag von Axel Bohmeyer

Links zum Thema

  • Das Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik

Zur Person

Axel Bohmeyer hat an der jesuitischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main Philosophie und Theologie und an der dortigen Johann Wolfgang Goethe Universität Erziehungswissenschaft studiert. Er promoviert über eine Modernisierung der theoretischen Grundlagen der Christlichen Sozialethik. Er ist Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und das Magazin NEON hält ihn für einen der „100 wichtigsten jungen Deutschen“, er ist regelmäßiger Autor von sciencegarden.de.

Literaturliste

  • Jürgen Habermas (2001): Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
  • Jürgen Habermas (1988): Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
  • Ratzinger, Joseph (1968): Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis. München: Kösel-Verlag.

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Themen: Religion
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