Tourist zum einmaligen Gebrauch

Franziska Probst St. Petersburg ist die russische Touristenmetropole schlechthin. Franziska Probst (Foto links), Studentin der Tourismuswirtschaft, hat ihr Praktikum bei einem großen Reiseveranstalter dort absolviert. Bis Touristen gerngesehene Gäste sind, muss allerdings noch einiges getan werden. Ein Interview.

Abwechslung ist das Ziel jeder touristischen Reise – dass ein Studium der Tourismuswirtschaft genauso abwechslungsreich ist, kann man von Franziska Probst erfahren. Sie studiert dieses Fach an der Hochschule Harz in Wernigerode. Nachdem Franziska im Praktikum acht Monate in Singapur als Reiseleiterin gearbeitet hatte, durchläuft sie nun ein einjähriges Auslandsstudium in St. Petersburg.

Zum Gesprächstermin treffen wir uns in dem Petersburger Szene-Café Black&White, das sich durch seine kühl-futuristische Raumgestaltung in den beiden Farben seines Namens auszeichnet.

Tourismuswirtschaft
ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Diplomstudiengang, der an der Hochschule Harz in Wernigerode folgende Struktur hat: Während im Grundstudium Basiswissen aus den Bereichen VWL, BWL und Informatik vermittelt wird, erfolgt im Hauptstudium die Vertiefung in ein tourismuswirtschaftliches Teilgebiet, wie zum Beispiel Kultur- und Veranstaltungsmanagement. Sowohl im Grund- als auch im Hauptstudium ist jeweils ein 16-wöchiges Praktikum Pflicht. Zudem muss jeder Student während der gesamten Studiendauer neben Englisch noch eine zweite, frei wählbare Fremdsprache erlernen. Mögliche Arbeitsbereiche eines Diplomkaufmanns Tourismuswirtschaft sind das Hotelwesen, Eventmanagement oder logistische Planungsarbeiten auf Großflughäfen.

sg: Was hat Dich dazu bewogen, Dein Auslandsjahr in St. Petersburg zu verbringen, obwohl Russland normalerweise nicht als touristisches Reiseland verstanden wird?

FP: Tatsächlich haben meine Beweggründe einen persönlichen Hintergrund. Nachdem ich 1997 ein Monat lang in Moskau zu Gast war, war mein Interesse an Russland geweckt, und ich wollte dieses Land unbedingt besser kennen lernen. Glücklicherweise hatte ich in der Schule bereits Russischunterricht und setzte diesen während meines Studiums fort. Im Sommer 2002 bekam ich vom Vertreter Sachsen-Anhalts in der Russischen Föderation ein zweimonatiges Praktikum bei einem Reisebüro in Voronezh vermittelt.

sg: Wieso ein Praktikum ausgerechnet in Voronezh, und nicht in den großen Metropolen Moskau oder St. Petersburg?

FP: Die Staatliche Pädagogische Universität Voronezh ist Partneruni der Hochschule Harz, was für mich den Vorteil hatte, dass ich mit weniger Bürokratie bei der Visumserteilung und der Registration vor Ort kämpfen musste. Außerdem konnte ich vormittags Sprachkurse an der Uni besuchen, was mir sehr bei meinem Praktikum geholfen hat. Das Reisebüro, in dem ich arbeitete, wurde von zwei sehr jungen Chefs geführt und beeindruckte mich in punkto Kundenservice sehr. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass diese Erfahrungen noch nicht ausreichen und so entschloss ich mich zu einem Auslandsjahr in St. Petersburg.

Voronezh
ist eine Gebietshauptstadt 800 km südöstlich von Moskau. Mit ca. 1 Million Einwohnern stellt die Stadt ein Mittelzentrum dar. In Voronezh finden sind neben der Staatlichen Pädagogischen Universität noch eine Agrarische Universität und weitere.

sg: Mit welchen Zielen bist Du nach St. Petersburg gekommen?

FP: Das erste halbe Jahr wollte ich studieren, und im zweiten Halbjahr ein Praktikum machen. Als Hochschule habe ich mir die St. Petersburger Staatlichen Universität für Ökonomie und Finanzen (FinEK) ausgesucht. Eigentlich war ich davon ausgegangen, mich dort mit rein wirtschaftlichen Fragen zu befassen. Wie sich dann aber herausstellte, wird an der FinEK die Spezialisierung „Hotel- und Tourismusmanagement” angeboten, und ich nutzte die Chance, die russische Sichtweise auf dieses Gebiet kennen zu lernen.

sg: Unterscheiden sich die Inhalte der Veranstaltungen, die an Deiner deutschen und russischen Uni über Wirtschaft und Tourismus gehalten werden?

FP: Ich kann viele Parallelen ziehen zu dem, was ich bereits in Deutschland gehört habe. An der FinEK sind dieselben Themen aktuell, wie an meiner Heimatuni. Man macht sich Gedanken vor allem über effektives Marketing und darüber, wie man den Kunden am besten an das Unternehmen binden kann. Doch an der Uni ist alles Theorie – in der russischen Praxis sieht es anders aus.

(In diesem Augenblick nähert sich die Kellnerin mit gleichgültigem Gesichtsausdruck und liefert die bestellten Getränke wortlos an unserem Tisch ab.)

FP: Service ist in Russland nach wie vor ein Fremdwort. Während meines Aufenthalts in Singapur habe ich festgestellt, dass der Dienst am Kunden dort nicht als Pflicht aufgefasst wird, sondern als etwas Schönes, das man freudig tut. Die Servicementalität in Deutschland hat im Vergleich zu Singapur noch einiges aufzuholen; im Vergleich zu Russland ist sie aber um Klassen besser. Dort wird der Kunde häufig als störendes Element gesehen, nach dem Motto „Achtung, Kunde droht mit Auftrag!“

sg: Besonders den ausländischen Touristen stößt eine solche Art von Service sicher sauer auf.

St. Petersburger Staatliche Universität für Ökonomie und Finanzen (FinEK)
Der Vorgänger der FinEK, das Leningrader Finanz- und Wirtschaftsinstitut wurde 1930 gegründet. Unter der heutigen Bezeichnung firmiert die Universität seit 1991. Unter dem Dach der FinEK vereinigen sich 11 Fakultäten und 40 Lehrstühle, an denen 189 Professoren unterrichten. Derzeit studieren an der FinEK etwa 13 000 Studenten. Im offiziellen Ranking des Russischen Bildungsministeriums belegt die FinEK Platz eins unter allen staatlichen ökonomischen Hochschulen der Russischen Föderation.

FP: Während meines Aufenthaltes in St. Petersburg konnte ich erfahren, dass mangelnde Kundenorientierung häufig die Hauptquelle für schlechte Serviceleistungen sind. Der Tourist wird oft als einmaliger Kunde gesehen. Viele Berufstätige in der Tourismusbranche denken nicht daran, dass ein Tourist denselben Ort gern noch einmal besucht, wenn er dort freundlich aufgenommen wird und es viele verschiedene Möglichkeiten zum Zeitvertreib gibt. In St. Petersburg mit seinem reichen kulturellen Erbe, den vielen Theatern und nicht zuletzt den Weißen Nächten sind diese Möglichkeiten zweifellos gegeben. Leider wird dieses Potential selten erkannt und im Gegenteil oftmals versucht, dem Touristen beim ersten Besuch so viel Geld wie möglich aus der Tasche zu ziehen.

sg: Das ist aber sicher nicht der einzige Punkt, der Touristen ärgern dürfte. Ich denke nur daran, dass die gesamte Petersburger Metro einzig in Russisch beschildert ist...

FP: In der Tat muss die Infrastruktur in St. Petersburg um einiges verbessert werden, um das Prädikat „touristenfreundlich“ zu bekommen. In der ganzen Stadt gibt es keine Touristeninformationstafeln oder Lagepläne. Momentan hängen nur auf dem Nevskij Prospekt einige wenige Straßenschilder, die in Russisch und Englisch beschriftet sind. Eine zweisprachige Beschriftung wäre aber im gesamten Stadtzentrum notwendig, und in der Metro selbstverständlich auch. Diesem Mangel wäre mit relativ wenig Geld abzuhelfen, andere Ärgernisse basieren aber auf wirtschaftlichen Problemen.

sg: Spielst Du damit auf die Ausländerpreise in vielen Museen an?

FP: Genau. In vielen Museen müssen ausländische Touristen Eintrittsgelder bezahlen, die ein vielfaches des Preises für GUS-Bürger betragen. Einerseits ist das verständlich, denn zum Beispiel die Ermitage oder das Russische Museum haben riesige und äußerst wertvolle Bestände von Weltbedeutung, deren Unterhalt sehr teuer ist. Vom Staat kommt nur eine minimale finanzielle Unterstützung, und so müssen sich die Museen neue Geldquellen erschließen. Die Eintrittsgelder stellen die wichtigsten Einnahmen dar, und mit Preisen auf westeuropäischem Niveau lassen sie sich bedeutend vergrößern. Der Durchschnittsrusse kann sich einen westlichen Eintrittspreis nicht leisten, soll aber trotzdem die Möglichkeit haben, die Kulturgüter seines eigenen Landes zu sehen. Deshalb existieren die erhöhten Eintrittspreise für Ausländer.

sg: Das klingt alles sehr logisch und nachvollziehbar, dennoch ärgern sich viele Touristen über diese Regelung.

Die Fachhochschule Harz
in Wernigerode ist eine Hochschule für angewandte Wissenschaften, die sich als praxisorientiertes Kompetenzzentrum darstellt. Besonderer Wert wird auf eine interdisziplinäre und internationale Ausrichtung des Studiums gelegt.

FP: Vorübergehend, das heißt bis in Russland ein deutlicher wirtschaftlicher Aufschwung spürbar ist, halte ich diese Regelung für gerechtfertigt. Äußerst kritisch sehe ich bei dieser Regelung aber momentan das Preis-Leistungsverhältnis. Der ausländische Besucher zahlt erheblich mehr, bekommt aber viel weniger Leistung: In den meisten Museen und Kirchen sind alle Schautafeln nur in Russisch beschriftet und die Führungen, die im Eintrittspreis inbegriffen sind, werden oft nur auf Russisch gehalten. Das muss sich ändern, schließlich kommen nach Petersburg fast nur sehr kulturinteressierte Besucher. Wenn alle Erklärungen in den wichtigsten Fremdsprachen lesbar sind und auch mehr Führungen in diesen Sprachen angeboten werden, halte ich höhere Eintrittspreise für Ausländer gerechtfertigt. Wenn man in Deutschland eine Museumsführung zum Beispiel in Spanisch bestellt, muss man ja auch einen Aufpreis zahlen. Ein anderes Problem der Ausländerpreise ist, dass zwischen den ausländischen Besuchern nicht differenziert wird. Zweifellos können sich westeuropäische oder amerikanische Touristen westliche Preise leisten, denn zu Hause müssten sie genau so viel bezahlen. Ein chinesischer Besucher muss aber den gleichen Preis entrichten, wie ein amerikanischer, obwohl sein finanzieller Hintergrund bestimmt nicht viel besser ist als der eines russischen Besuchers. Mangelnde Infos und die Ausländerpreise sind aber eher die Probleme von Individualreisenden.

sg: Mit welchen Problemen sehen sich Pauschaltouristen konfrontiert?

FP: Bei Pauschalreisenden ist in der Regel ein Betreuungs- und Ausflugspaket bereits im Reisepreis inbegriffen. Sie können sich Informationen beim Reiseleiter holen und werden in Gruppen geführt, weshalb sie auf Informationszentren nicht so sehr angewiesen sind, wie Individualreisende. Dafür ist das Angebot an Pauschaltouren oftmals sehr einseitig.

sg: Ist die Nachfrage an Russlandreisen größer als das Angebot?

Die Petersburger Metro
besteht aus vier Linien mit insgesamt 58 Haltestellen. Momentan befinden sich zwei Haltestellen auf den alten Linien und eine neue Linie in Planung. Täglich werden in der Petersburger Metro mehr als 3,5 Millionen Passagiere unter der Erde befördert.

FP: Auf jeden Fall in der Sommer- und Hochsaison von Mai bis September. Es sind noch lange nicht genügend Kapazitäten vorhanden, um die riesige Nachfrage in dieser Zeit zu decken. Zudem ist die Auswahl an Angebotspaketen häufig sehr begrenzt. Eine meiner Aufgaben während meines Praktikums war es, Pauschaltouren zusammenzustellen und zu kalkulieren. Dabei stellte ich fest, dass viele Anbieter mit ungefähr demselben Produkt aufwarten: Für jede Pauschaltour in Petersburg ist die Ermitage, das Bernsteinzimmer, ein Besuch im Mariinskij-Theater, die Peter-Pauls-Festung, und vielleicht noch eine Newa-Rundfahrt obligatorisch. Dabei könnte man noch ganz andere Sachen anbieten, zum Beispiel Stadterkundungen auf den Spuren der großen Schriftsteller Dostojewskij, Puschkin und Gogol, oder Naturausflüge außerhalb der Stadt. Der Pauschaltourist muss aber in der Regel mit „Touren von der Stange” vorlieb nehmen, weil die großen Reiseveranstalter kaum andere Angebote in ihr Programm aufnehmen.

sg: Die St. Petersburger Tourismuszentrale hat auch einige Mittelklassehotels unter Vertrag. Welchen Eindruck hast Du während Deines Praktikums von diesen Hotels bekommen?

FP: In allen Hotels werden Sanierungsarbeiten durchgeführt. Danach entsprechen die Zimmer westeuropäischen Mittelklassestandards. Der Service ist auch gut, besonders da das jüngere Personal während der Ausbildung bereits auf Dienstleistung geschult wurde.

sg: Russland ist also nicht die totale Dienstleistungswüste?

FP: Russland befindet sich in einer Übergangsphase. Die alten Kader, die immer noch an vielen Schalthebeln sitzen, stammen noch aus der Sowjetzeit, in der Service ein Fremdwort war. Jetzt rücken aber junge Leute nach, die eine andere Vorstellung von Dienstleistung haben. Sie sind noch nicht überall präsent, aber setzen sich langsam durch. In der Empfangszentrale für Touristen, in der ich während des Praktikums arbeitete, hatte ich ausschließlich junge, aufgeschlossene und sehr freundliche Kolleginnen. Manche Dinge sind noch verbesserungswürdig; eine Rückentwicklung wird es aber auf keinen Fall geben. Ich denke da nur an mein erstes Praktikum in dem Voronezher Reisebüro. Dort gab es sogar einen Fragebogen, in dem die Kunden die angebotenen Dienstleistungen bewerten können. Das ist für mich ein Signal, dass es vorwärts geht.

(Wortlos knallt uns die Kellnerin die Rechnung auf den Tisch.)

FP (lacht): Bei solchem Service gebe ich aber kein Trinkgeld!

Beitrag von Sandra Birzer

Links zum Thema

  • Homepage Hochschule Harz in Wernigerode
  • Studiengang Tourismuswirtschaft an der Hochschule Harz
  • Homepage der St. Petersburger Staatl. Universität für Ökonomie und Finanzen (FinEK)
  • Bilderbogen aus St. Petersburg
  • offizielle Homepage der Stadt St. Petersburg
  • Homepage der Staatl. Pädagogischen Universität Voronezh
  • offizielle Homepage der Stadt Voronezh
  • Botschaft der Russischen Föderation in der BRD

Literaturliste

  • Russland. Informationen zur politischen Bildung Bd. 281. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2003.

Kategorien

Themen: Osteuropa
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