Das Beste aus einem drittel Liter entrahmter Milch
Dipl. Chem. Prof. Dr. rer. nat. Fresenius, staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker, hätte eigentlich unseren „Stein der Weisen“ verdient. Wäre es ein demokratisches Verfahren, hätte er auch schon den Nobelpreis. Unter seiner Qualitätskontrolle nämlich beherrscht Nutella seit 1965 die Frühstückstische von Jungforschern, und zwar auf der ganzen Welt. Vergessen wir einmal den möglichen Zusammenhang zum Misserfolg im Fußball, Nutella ist schließlich „Lieferant der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und des Deutschen Fußball-Bundes“. Also: Was soll man über ein solches Produkt viele Worte verlieren? Nutella ist eine Art Goldstandard, an dem alles andere gemessen wird. Und andere gibt es inzwischen, und zwar ganz schön viele.

Wenn sich zwei Mal pro Jahr die sciencegarden Redaktion trifft, wird gearbeitet und auch zwei Tage am Stück gegessen. Das klassische Arbeitsfrühstück zieht sich meist bis zum Abendessen. Im Juli haben wir zahllose Gläser Nuss Nugat Cremes auf den Tisch gestellt und probiert. Uns interessierte kein „objektiver“ Test, weil es schließlich um den Geschmack geht. Der ist ja bekanntlich verschieden, mit der etwas schlichten Ausnahme, dass natürlich Nutella objektiv am besten schmeckt. Aber Nutella reicht für ein Leben in der funktional differenzierten Gesellschaft nicht mehr aus. Die Pluralität verkompliziert die Welt, es gibt nichts ohne Alternative.
Obwohl Pietro Ferrero aus Piemont in Italien stammt, kann man Nutella doch als westdeutsches Kultprodukt bezeichnen. Die Ferrero Verwaltung hat heute ihren Sitz in Frankfurt. Nach der Wende aber war schnell klar, dass die DDR-Bürger keineswegs unkulinarisch waren. „Nudossi“ oder für die 80er-Retro-Freaks „Naschi“ mit Kokos, gehören heute einfach dazu. Deutschland ist wiedervereinigt. Der kalte Krieg hat die Konkurrenz der Systeme angestachelt, und „drüben“ hatte die Nuss-Nougat-Creme nicht 13 Prozent Nüsse, sondern wie Nudossi gleich mehr als das Doppelte: 36 Prozent Nüsse! Puristen mögen den Akzent auf „Nougat“ legen, nicht auf „Nüsse“, aber die hohe Prozentzahl ist ein Argument. Was dabei herauskommt ist eine sehr leckere Creme, die ungleich nussiger schmeckt. Der amerikanische Markt dürfte darauf reagierten, da die dortigen Jungforscher traditionell von der Erdnussbutter kommen und das hat auch Folgen für geschmackliche Vorlieben. Nudossi ist eine leckere Sache, man kann sich daran gewöhnen, die Konsistenz ist aber etwas zu dünnflüssig. Wer also nachts schlemmen will, der muss auch für Nudossi einen Löffel nehmen, ein Strohhalm hilft nicht.
„Mein – heute leider etwas belastetes – Verhältnis zu Schokolade begann schon außergewöhnlich früh in meinem Leben. Ich war gerade zarte fünf Tage alt, und meine Mutter kam eben mit mir aus dem Krankenhaus, als mir mein Bruder Stefan, sozusagen als Willkommensgruß, einen Schokoladenweihnachtsmann in den Mund stopfte. Stefan war erst zwei Jahre alt und wollte einfach nur nett sein, aber es sieht ganz so aus, als wäre nun der Schuldige gefunden. Er hat mir meine Leidenschaft für Süßes regelrecht in die Wiege gelegt.“
Jan Ullrich in seiner Autobiographie „Ganz oder gar nicht. Meine Geschichte“, Econ Verlag, Berlin 2004.
Das Prinzip Nutella über einen höheren Nussanteil auszustechen, haben andere übernommen. Auch granoVita Hasel-Nougat-Creme oder Hasel-Nougat-Crunchy haben mit 25 bis 26 Prozent mehr Nüsse als Nutella. Sonst ist die Sache aber ähnlich: die Creme ist schokoladiger als Nudossi, aber etwas nussiger als Nutella und von ähnlicher Konsistenz. Wenn man es auf ein Brötchen streicht, denkt man an Nougat, nicht an weiche Butter oder dickflüssigen Kakao. Wer sein Unbehagen gegen Monopole nicht los wird, der kann sich guten Gewissens aus dem Reformhaus die granoVita Creme mitbringen. Das ist wie Puma Turnschuhe, die man kauft, weil Adidas und Nike überall sind.
Die meiner Meinung nach beste Methode Nutella anzugreifen haben die Ökohersteller gewählt. Ein Blick des geschulten Verbrauchers auf das Nutella Glas lässt alle Werbesprüche nämlich schnell vergessen. An Position Nr. 1 der Zutatenliste steht einfacher Industriezucker. Dann folgt „pflanzliches Öl“. Wer also sein Gesundheitsbewusstsein an purer Nascherei erproben möchte, der ist im Bioladen grundsätzlich besser beraten. Cremes wie „Samba“ oder „SchokoClassic“ haben bis zu 45 Prozent Nussanteil und keine Emulgatoren. Oft stammen alle Zutaten aus kontrolliert biologischem Anbau und das heißt, dass die Produkte auch so schmecken, wie sie ursprünglich einmal geschmeckt haben. Wer noch nie in seinem Leben Bioobst gegessen hat, der kann einen regelrechten Schock erleiden: Es gibt Äpfel, die nach Apfel schmecken!
Das hat Folgen, nicht nur für den Geldbeutel. Die Gläser sind nicht nur kleiner, sondern durch die besseren Zutaten auch teurer. „Samba“ verliert daher den Charakter der Alltäglichkeit, es ist eine kleine Delikatesse. Auch belgische Pralinen isst man nicht täglich! Durch den malzigeren Vollrohrzucker und den hohen Nussanteil schmecken diese Cremes völlig anders, haben eine andere Konsistenz und man muss damit auch sparsamer umgehen. Die Anzahl der Brötchen, nach dem einem von Nutella schlecht wird, ist deutlich höher, als die der gehaltvolleren Ökocremes. Es ist anzuraten, dass man sich ein Brötchen mit „Samba“ gönnt. Kurzzeitig kann man angesichts der hohen Qualität auf die Idee kommen, Nutella aus dem persönlichen Warenkorb zu schmeißen. Das Problem: Damit würde man endgültig den Geschmack der Kindheit hinter sich lassen und wer wird schon gern erwachsen? (Es gibt Leute, die vermuten hinter vielen Vorlieben nur biographische Gründe: wir wurden mit Nutella sozialisiert.) Aber ein Leben ohne Nutella ist in etwa so, als würde man den teuersten Rotwein, der nur zur bestandenen Prüfungen geköpft wird, immer trinken wollen. Irgendetwas stimmt nicht mehr, wenn der gewohnte Landwein beim Italiener fehlt. In der differenzierten Warenwelt wird man also oft Nutella und ab und zu nur Besseres auf den Frühstückstisch stellen. „Samba“ ist eine besondere Selbstbelohnung.

Dass aber nicht alle Ökocremes schmecken, trotz besserer Zutaten, beweisen Alnatura Schoko-Nuss und SchokoGeNuss, beides scheint uns irgendwie misslungen. Sina Bartfeld, immerhin Biologin, fand eine sogar „total ranzig“ und bekam von der anderen geradezu einen Haselnuss-Schock. Von 13 auf 45 Prozent Nussanteil umzusteigen kann schnell überfordern. Nicht jeder begeisterte Biertrinker bestellt sich im Winter einen Strohrum. Auch ist ein hoher Preis nicht zugleich eine Garantie, dass der subjektive Geschmack damit befriedigt wird. Im kritischen Magazin „Ökotest“ finden sich nicht selten Produkte von Billigdiscountern auf oberen Testplätzen.
Um nicht eine Rikscha mit einem Rolls Royce zu vergleichen mussten wir eine Gruppe ganz ausschließen: Es gibt Edel-Nuss-Nougat-Cremes, deren Produktgestaltung schon ein Genuss ist. Unser langjähriger Berater Volker Lange, Chef des Magazins morgenwelt.de, hat sich daher auch eingemischt. Er verfügt nicht nur über längere Erfahrung im Journalismus als wir sciencegärtner, sondern auch im Umgang mit Nugatcremes. Über das Gewöhnliche ist er lange hinausgewachsen. Für ihn sind Slitti und Pralus unschlagbar. Auf unseren Anfrage meinte er: "Dagegen sind Nutella und Co eine grob-fahrlässige Körperverletzung!". Das zu probieren, überlassen wir unseren Lesern, über Preise müssen wir allerdings schweigen...
Links zum Thema
- Slitti und Pralus Cremes
- Nutella
- Nudossi
- Samba
- „Ökotest“ testet Nuss-Nougat-Cremes
Zur Person
Frank Berzbach bekam als Kind von seiner Mutter ein Nutella Glas vorgesetzt, in das billigere Nuss-Nugat-Creme abgefüllt wurde. Der Überlistungsversuch scheiterte, er und seine Schwester erkannten, durch den allmorgendlichen Geschmackstest geschult, den Schwindel sofort. Seither ist er Chefredakteur dieses Magazins. Vorher hat er aber noch eine Ausbildung, Zivildienst, zwei Studiengänge und eine Promotion absolviert. Frank Berzbach arbeitet an der Uni Tübingen und der FH Köln.
Süßes Lesen:

- Maricel E. Presilla: Schokolade. Heyne Verlag 2001.
- Ulla Fölsing u.a.: Schokolade. Ein unwiderstehlicher Genuß. Ars Edition 1996.
- John Ashton / Suzy Ashton: Schokolade ist gesund! Scherz Verlag 2003.
- Das große Nutella Kochbuch. Unipart Verlag 2002.
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