"Der Untergang" – Ein Anfang

Ein Film, noch dazu ein deutscher, in dem beinahe die komplette Naziführung inklusive Führer auf der Leinwand so lebendig wird wie nie zuvor, beschäftigt seit einiger Zeit das deutschsprachige Kinopublikum. „Der Untergang“ von Regisseur Oliver Hirschbiegel und Produzent Bernd Eichinger, bisher aufgefallen durch Kassenschlager wie „Die unendliche Geschichte“, zeigt die letzten zehn Tage Hitlers – in der klaustrophobischen Enge des Bunkersystems unter der Reichskanzlei. Berlin ist ausgebombt, von der Roten Armee eingekesselt und von versprengten Einheiten, Alten und Kindern sinnlos verteidigt. Dramatisch und realistisch inszeniert, basierend auf einem kurzen Essay des Historikers Joachim Fest und den Aufzeichnungen von Hitlers Sekretärin Traudl Junge, präsentiert der Film gewissermaßen den Führer ganz privat. Hitler ist im Film kein Dämon, sondern ein kranker, gebeugter, zitternder und maßlos enttäuschter, tief abgestürzter Mensch: ein Hundeliebhaber, der nicht mit ansehen kann, wie sein Schäferhund „Blondie“ auf eigenes Geheiß vergiftet wird; ein mitfühlender Chef, der einer überforderten Traudl Junge beim Einstellungstermin gütig über die Schulter blickt; ein Kuchen verdrückender Melancholiker und netter Familienonkel, ein Goebbels-Kind beim Liederabend im Bunker auf den Knien haltend. Nicht wenige Kommentatoren und Feuilletonisten stell(t)en angesichts dessen die nahe liegenden Fragen: Darf man Mitleid mit dem zitternden Hitler wecken? Darf man den Barbaren, verantwortlich für einen höllischen Weltkrieg mit über fünfzig Millionen Toten und sechs Millionen ermordeten Juden, als Menschen darstellen? Ist Eichingers Film also nichts weniger als ein Tabubruch? Der Anfang einer unzulässigen „Vermenschlichung“ Hitlers durch die Film-Kunst, die einer Geschichtsfälschung, mindestens einer moralisch höchst unanständigen Beschönigung gleichkommt?

Bevor man versucht auf diese Fragen zu antworten, muss man sich genauer ansehen, was Eichingers Film tatsächlich zeigt: Da wäre natürlich zunächst einmal Hitler, das heißt Bruno Ganz. Der schweizer Spitzenmime hat eine seltene Glanzleistung vollbracht. Wer Ganz von der Bühne oder aus Filmen wie „Brot und Tulpen“ kennt, erkennt ihn im Bunker schlicht nicht wieder. Er redet wie Hitler, er bewegt sich wie Hitler, er tobt wie Hitler – er ist Hitler, wie Joachim Fest treffend bemerkt hat, auch wenn es merkwürdig klingt. Ganz trägt mit seiner Darstellung wesentlich dazu bei, Hitler nicht als überirdisches Monster erscheinen zu lassen. Auch nicht als Witzfigur, was die andere, stets missglückte Alternative der Filmgeschichte wäre. (Die einzige Ausnahme bildet in diesem Fall Charlie Chaplins „Der große Diktator“ von 1940.) Ohne auch nur eine Filmminute die Gebrechlichkeit des am Ende völlig abgewrackten Diktators auszublenden, lässt Ganz Hitlers Präsenz lebendig werden, die bis zu dessen Selbstmord am 30. April 1945 das gravitatorische Zentrum des wahnwitzigen Bunkergeschehens gebildet hatte. Es ist daher auch kein Wunder, dass die Spannung des Films abflacht, nachdem Hitler alias Ganz sich das Leben genommen hat. Ähnlich eindrucksvoll, bis in den rheinischen Tonfall hinein authentisch, spielt Ulrich Matthes seinen Goebbels. Er ist übrigens so ziemlich das einzige wirkliche Ungeheuer, das der Film zu bieten hat – und wirkt gerade deshalb auch ein wenig zu schematisch. Man kann ihn, den Teufel unter den Bösen, zu leicht einordnen. Er, der seine perfiden Sätze mit diabolischem Augenrollen untermalt, hat tatsächlich überhaupt nichts Menschliches mehr. Seine Frau Magda, die nach Hitlers Freitod ihren sechs Kindern, einem nach dem anderen, eigenhändig die Blausäureampullen im Kiefer zerdrückt, wird von Corinna Harfouch gespielt. Sie ist, furchtbar kalt und von der nationalsozialistischen Irrwelt fanatisch besessen, ebenso überzeugend wie Hitlers Sekretärin Junge (Alexandra Maria Lara), die naiv und unschuldig daherkommt. In einer Nebenrolle glänzt Ulrich Noethen als perfide-öliger Himmler. Viele Figuren des Films, die Generalität, Hitlers Ordonanzen und selbst die (zu) spät Bekehrten, wirken auf den ersten Blick glaubwürdig dargestellt.
Auf der anderen Seite gelingt es Eichinger und seiner Crew meisterhaft, die morbide, angstvoll-beengende Bunkeratmosphäre und das Grauen auf den Straßen Berlins einzufangen. Die hässliche Seite des heutigen St. Petersburg lieferte die Film-Kulisse für den brutalen „Endkampf“ um die Reichshauptstadt, in dem minderjährige Flakhelferinnen sich aus lauter Verzweiflung von ihren eigenen Kameraden erschießen lassen, schwer verwundete Soldaten um den Gnadenschuss betteln und erschöpfte Ärzte in überfüllten Behelfslazaretten Amputation um Amputation vornehmen. Die Kamera geizt nicht mit drastischen Szenen. So mancher Granateneinschlag zielt treffsicher auch in die Magengegend des Publikums. Der Film ist zwar keine Dokumentation, aber er wirkt bestechend realistisch. So könnte es gewesen sein!
Doch je länger der „Untergang“ dauert, je mehr Personen Eichinger auf seinem immensen Personalkarussell durch die Bunkerlandschaft rotieren lässt (jede halbwegs historisch wichtige Figur kommt so zu ihrem Auftritt), desto mehr vermisst man Konturen, Hintergründe und Erklärungen. So unglaublich gut der Film auch darstellt und abbildet, so wenig Tiefenschärfe kann er vermitteln.
Der Nero-Befehl
Als die Truppen der Anti-Hitler-Koalition die Grenzen des Deutschen Reichs weit überschritten hatten und, befahl der Diktator am 19. März 1945 die Zerstörung sämtlicher deutscher Industrie- und Verkehrsanlagen.
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Da wäre zunächst einmal Hitlers Chefarchitekt und Rüstungsminister Albert Speer (Heino Ferch), der ebenso wie Himmlers Adjutant Fegelein (Thomas Kretschmann) viel zu gut wegkommt. Speer wird so porträtiert, wie er sich selbst in seinen Memoiren allzu gerne sah: als treue, in die Irre geführte und letztlich geläuterte Seele, die Hitlers berühmt-berüchtigten „Nerobefehl“ (siehe Kasten), der die Zerstörung sämtlicher Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung anordnete, missachtet und den Deutschen einen Rückfall in die Primitivität erspart hat. Wenigstens eine kurze kritische Anmerkung im Abspann wäre nicht nur in diesem Fall sinnvoll gewesen. Hermann Fegelein, ein schmieriger Karrierist, erscheint bei Eichinger beinahe als Opfer. Auch SS-General und Kampfkommandant Mohnke (André Hennicke), ein zynischer Fanatiker der ersten Stunde, wirkt im „Untergang“ beinahe so sympathisch wie Wehrmachtsgeneral Weidling (Michael Mendel), der kurz nach Hitlers Selbstmord alle Einheiten zur Einstellung der Kampfhandlungen aufforderte. Einer der größten Sympathieträger des Films, SS-Arzt Prof. Schenck (Christian Berkel), der im umkämpften Berlin aufopferungsvoll für die zahllosen Verwundeten sorgt, obwohl er längst hätte fliehen sollen, hatte als Ernährungsinspektor jahrelang an medizinischen Programmen mitgearbeitet, für deren Durchführung man den Tod mehrerer KZ-Häftlinge billigend in Kauf nahm. Im Film, der sich auch auf Schencks verklärende Memoiren beruft, erfährt man darüber überhaupt nichts. Auch nicht über die Gründe, die Hitler antrieben, sein eigenes Volk mit sich in den Abgrund zu reißen. Die Stärke von Eichingers „Untergang“ liegt also – reduziert auf die letzten Tage des „Tausendjährigen Reiches“ – ausschließlich im Bereich des Deskriptiven. Fakten und Originalzitate werden künstlerisch anspruchsvoll und historisch wahrscheinlich zusammengebaut und in Szene gesetzt. Doch wenn im Kinosaal die Lichter wieder angehen, bleibt die Frage nach dem „Warum“, nach dem Weg einzelner Protagonisten in den Nazi-Wahn, nach ihren Motiven und Machenschaften, unbeantwortet.
Was heißt das nun für die eingangs zitierten Fragen? Zunächst einmal wäre da das Problem des Mitgefühls für Hitler und die Seinen. Der physisch wie psychisch völlig kaputte, gelegentlich charmante, oft tieftraurige, dann plötzlich wieder wutschnaubende und hasserfüllte Film-Despot lässt viele Gefühle zu. Echtes Mitleid, das gesellschaftlich und politisch durchaus gefährlich wäre, dürfte dabei allerdings kaum vorkommen. Denn wer nach der Vorstellung aus Eichingers „Untergang“ geht und nur den „netten Onkel“ Hitler im Kopf hat, muss zwei Stunden lang vor entsetzlichen Bildern und unbestreitbaren Zusammenhängen (zwischen Hitler und den Folgen seiner absurd-perversen Anordnungen im Bunker) die Augen verschlossen haben. So liebevoll Hitler ab und zu auch seinen Hund kraulen und so altväterlich er seiner Sekretärin hin und wieder auch über den Arm streichen mag – er bleibt doch, für jedes Auge sichtbar, der Verantwortliche für all das, was im Bunker und darüber Grauenvolles geschieht. Allzu „menschlich“ kann es also gar nicht werden zwischen Hitler beziehungsweise Ganz und seinem Kinopublikum. Und dennoch ist dies zweifellos die größte Leistung des ansonsten nicht gerade unproblematischen Films: Dass man im Kinosaal auch über den „Menschen“ Hitler stolpert. Und dass dadurch vielleicht die immer wieder aktuelle und notwendige Diskussion erneut entfacht wird, warum es überhaupt so weit kommen konnte: Warum haben sich Millionen von einem charakterlich dürftigen, von absurden Ideologien und Halbwahrheiten infizierten, politisch und militärisch letztlich untalentierten „Spielertypen“ (Fest) sehenden Auges bis zum bitteren Ende in den Untergang treiben lassen? Der Film, nein Bruno Ganz’ überragendes Spiel, gibt dem Unverständlichen einen eindrucksvollen schauspielerischen Ausdruck. Gerade weil sogar der abgewrackte, völlig in sich zusammengefallene Führer noch eine solche Macht auf seine unmittelbare Umgebung ausübte, verlängerte sich der Kampf um Berlin sinnlos – mit täglich mehreren zehntausend Toten. Indem der Film dieses Paradox zeigt, kommt er der Wirklichkeit näher als alte Wochenschauberichte, die den Führer als omnipotenten Übermenschen stilisieren. Er übertrifft damit auch die Fernseh-Machwerke der selbst ernannten „Ein-Mann-Hitler-Industrie“ (Daily Mail-Korrespondent Allan Hall) des ZDF-Chefhistorikers Guido Knopp. Er reduziert den „Mythos Hitler“ auf den boshaft kranken Menschen Hitler, was einer Demaskierung gleichkommt. Man könnte sagen: Wenn, wie Joachim Fest behauptet, der Untergang des im Krieg unterlegenen Deutschland von Hitler letztlich gewollt und also eine bewusste Inszenierung gewesen ist, dann ist Eichingers „Untergang“ so etwas wie ein negativer Propagandafilm. Er zeigt eindrucksvoll das ganze monströse Ausmaß an Wahnwitz und Zerstörungslust. Er zeigt Menschen, die vom Führerkult so verblendet, von ihrer Mission so überzeugt waren, dass sie auch noch einem auf Gartenzwergniveau geschrumpften Führer in den sicheren Tod zu folgen bereit waren. Und diese einfache und doch so unendlich schwer nachvollziehbare Tatsache ist es, die uns immer wieder zu denken geben muss und deren gelungene Visualisierung den Film tatsächlich, trotz manch grober Mängel, zu einem „Meisterwerk“ macht, wie Frank Schirrmacher in der FAZ vom 15. September notiert.
Der Film ist durchaus auch ein Tabubruch. Aber ein gewollter und ein sinnvoller noch dazu. Eichingers Film will nicht erziehen und kann beinahe nichts beantworten. Aber er vermag Kraft seiner Bilder zu provozieren und zum nach- und weiterdenken anzuregen. Wenn „Der Untergang“ sein Publikum in Sachen Hitler also ein wenig ratloser und verstörter entließe als zuvor, wäre das nur zu begrüßen. Umso mehr muss man aber auch hoffen, dass möglichst viele, die sich den Film zugemutet haben dann auch zum Buch greifen. Denn nur auf diesem Weg lässt sich mehr erfahren über die handelnden Personen im Bunker und das Geschehen in den (Kriegs)Jahren davor. Wer über das Deskriptive und die dadurch ausgelöste Beunruhigung hinaus der Antwort auf die Warum-Frage näher kommen möchte, sollte sich daher – neben Joachim Fests Filmvorlage – vor allem zwei Bücher nicht entgehen lassen: Erstens das beeindruckende, in Fachkreisen hoch gelobte „Hitlers Wien“ von Brigitte Hamann, das die „Lehrjahre eines Diktators“ (so der Untertitel) beschreibt. Hamanns quellenreicher Wälzer, unlängst im Rahmen der Jubiläums-Edition des Piper-Verlags neu aufgelegt, bringt Licht ins Dunkel der prägenden Jugendjahre des sozialen Außenseiters Hitler. Als Bewohner des (unlängst geschlossenen) Wiener Männerwohnheims in der Meldemannstraße verbringt der gescheiterte Gelegenheitsmaler seine Zeit im Dunstkreis absurder Theorien über die Gefahr des Fleischverzehrs und die jüdische Weltverschwörung. Hamann und Fest ergänzen Bruno Ganz’ Hitler um die im Film ausgeblendeten Hintergründe und Motivationen. Daneben sei auf Raul Hilbergs Standardwerk „Die Vernichtung der europäischen Juden“ verwiesen. Denn der Holocaust wird bei Eichinger bis auf einen kurzen Satz Hitlers nicht thematisiert, obwohl er von Hitler so wenig zu trennen ist wie seine „menschlichen“ Seiten.
Hilberg gelingt es in seiner dickleibigen und stellenweise schwer verdaulichen, aber packenden Darstellung, den Holocaust mit der systemischen Struktur des Nazi-Staates in Verbindung zu bringen. Er macht deutlich, wie ein historisch einmaliges, monströses Verbrechen auf der Basis von scheinbar moralisch neutralen, nach den Kriterien von Rationalität und Effizienz organisierten staatlichen und bürokratischen Strukturen entstehen kann, abgesehen von allen individuell zu verantwortenden Gräueltaten. Damit liefert er – ähnlich wie Hamann im Falle der Person Hitlers – einen Schlüssel für das Verständnis des nationalsozialistischen Terrorsystems. Wer es übrigens mit Hitlers letzten Tagen ganz genau nehmen möchte, sollte einen Blick in Anton Joachimsthalers Studie „Hitlers Ende. Legenden und Dokumente“ riskieren. Letztere ist allerdings mehr etwas für Perfektionisten, die sich daran stoßen, dass der tote Film-Hitler (mit seiner Frau Eva Braun) in einer Mulde verbrannt wird, wohingegen der echte offenbar ebenerdig verschmorte.
Fazit: Eichingers Film ist eine große Erzählung, erklärt aber letztlich viel zu wenig. Er macht, wie Hitler-Experte Ian Kershaw anmerkt, das „Phänomen“ Hitler nicht verständlicher. Er erzählt nichts von der Motivation seiner Protagonisten. Er beschreibt exzellent, detailverliebt, aber er beantwortet keine Fragen. Er macht aus Hitler allerdings auch nicht mehr das vom Himmel gefallene Monster, das er lange Zeit gewesen war – aus Unverständnis, Bequemlichkeit oder Feigheit vor der Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit. Das rettet den Film letztlich davor, bloß eine reich bebilderte, mit enormem Staraufgebot inszenierte Aneinanderreihung historischer Anekdoten zu sein. Denn je weniger man in puncto Hitler Gelegenheit bekommt, das Unverständliche im Dämonischen aufzulösen, das rationalem Verstehenwollen unzugänglich bleibt, desto besser. Die wirkliche Auseinandersetzung allerdings beginnt erst danach. Der Film ist also nur ein Anfang. Nicht viel mehr, aber auch nicht weniger. Der nächste Schritt ist, wie so oft, der Gang in die Buchhandlungen!
Zur Person
Christian Dries hat Philosophie, Soziologie, Geschichte und Psychologie in Freiburg und Wien studiert. Er ist Redakteur dieses Magazins und schreibt derzeit an einem Lehrbuch zur soziologischen Modernisierungstheorie.
Literaturliste
- Joachim Fest/Bernd Eichinger (2004): Der Untergang. Das Filmbuch. Reinbek bei Hamburg
- Brigitte Hamann (2004): Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. München
- Raul Hilberg (1997): Die Vernichtung der europäischen Juden, durchgesehene und erweiterte Ausgabe, 3 Bände. Frankfurt.
- Anton Joachimsthaler (1999): Hitlers Ende. Legenden und Dokumente. München
- Traudl Junge (2002): Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben. München
- „Der Untergang“ (Deutschland 2004); Regie: Oliver Hirschbiegel; Drehbuch/Produktion: Bernd Eichinger; Darsteller: Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Ulrich Matthes, Corinna Harfouch, Juliane Köhler u.a.
