Wissen kompakt
Schon wieder Einführungen! Zur beinahe täglich wachsenden Masse an Überblicksliteratur für Studierende gehören auch die schmalen, in kräftigem Blau, Orange oder Rot gehaltenen Bändchen der WBG. Die Reihe soll, wie ihre Konkurrenz aus anderen Verlagshäusern (man denke zum Beispiel an die bekannte UTB-Reihe), ein Grundbedürfnis der Wissensgesellschaft stillen: Den Wunsch nach Ein- und Überblick, nach Ordnung im Dickicht des angehäuften Wissens. Ein Wissen, das offensichtlich umso mehr der Systematisierung, der Veranschaulichung und Zusammenfassung bedarf, je stärker es wuchert. Allerdings hält bei weitem nicht jedes Einführungsbuch, was Aufmachung und Konzept versprechen.
Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG)
ist ein wirtschaftlich eigenständiger und unabhängiger Verein mit inzwischen 140.000 Mitgliedern weltweit.
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Die Studienliteratur der WBG jedoch ist eine echte Hilfe für den geordneten Einstieg in wissenschaftliche Themen. Das Spektrum der Einführungsbücher ist breit, mit deutlichem Schwerpunkt in den Bereichen Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft. Die etwa 150 bis 200 Seiten starken Taschenbücher überzeugen durchweg mit einem stringenten Konzept: Jeder der hochformatigen Bände verfügt über eine übersichtliche Gliederung und ausgewählte Literaturangaben. An den Seitenrändern erleichtern Stichworte in regelmäßigem Abstand die grobe Orientierung. Fett markierte Schlüsselbegriffe werden abgehoben vom Haupttext ausführlich erklärt. Stil und Sprache sind angenehm eingängig, das inhaltliche Niveau ist angemessen hoch. Außerdem sind die Texte vorzüglich lektoriert, was angesichts einer grassierenden Schlampigkeit, verursacht durch unverzeihliche Einsparungen in den Lektoraten vieler Verlage, gleichermaßen eine Seltenheit wie eine Wohltat ist. Und noch etwas fällt positiv auf: Unter den Autoren finden sich ausschließlich jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die teilweise noch am Anfang ihrer Karriere stehen und sich dennoch problemlos mit den “Großen” ihrer Zunft messen können – zumindest was ihre Einführungswerke betrifft.
Dominik Geppert, Jahrgang 1970 und zuletzt wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in London, ist einer von ihnen. Sein Buch Die Ära Adenauer aus der inzwischen neunzehn Bände umfassenden WBG-Einführungsreihe Geschichte kompakt konzentriert sich im Wesentlichen auf die Ära des ersten, christdemokratischen Bundeskanzlers der Bonner Bundesrepublik (1949-1963), greift aber, wo es nötig ist, auch über den gesteckten Rahmen hinaus. In vier Kapiteln zur Außen- und Deutschlandpolitik, Wirtschafts- und Innenpolitik, Sozialpolitik sowie zu Gesellschaft und Kultur erläutert Geppert alle wesentlichen Entwicklungslinien und Auseinandersetzungen der Zeit. Jedem Kapitel ist ein halbseitiger Datenüberblick vorangestellt, wichtige Begriffe wie “Marshallplan”, “Lastenausgleichsgesetz” oder “Europäische Wirtschaftsgemeinschaft”, aber auch biographische Hintergrundinformationen, werden in knappen Einschüben erläutert, ohne den Lesefluss zu stören. Die fehlenden Fußnoten (auf die alle Einführungen verzichten) vermisst man bei der Lektüre des gut strukturierten Textes zu keinem Zeitpunkt. Einzige Mankos des Buches sind seine – allerdings äußerst seltenen – Schwächen im Detail. Die nicht nur wissenschaftshistorisch bedeutsame Debatte um die “nivellierte Mittelstandsgesellschaft”, die Ereignisse des 17. Juni 1953 oder der für die politischen Weichenstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit bedeutsame “Hungerwinter” 1947 bleiben merkwürdig unterbelichtet. Bedauerlich ist auch, dass Geppert keine differenzierte Begründung seiner eigenen Vorgehensweise beziehungsweise Methode liefert. Eine kurze Reflexion dazu im Rahmen der Einleitung hätte die an sich hohe Qualität des Buches noch gesteigert. Dennoch: Gepperts Buch macht Lust auf mehr. Es ist auf dem neuesten Stand der Forschung flott geschrieben, nicht zu faktenlastig, aber keineswegs oberflächlich. Die gute Mischung aus Darstellung und Kommentar, aus notwendiger Kürze und stellenweise beeindruckender Ausführlichkeit, verbunden mit einer aktuellen Auswahlbibliographie, sichern dem Buch einen vorderen Platz unter den Top ten der Einführungswerke zum Thema Adenauerzeit. Die kleinen Schönheitsfehler sind zu verschmerzen. Nicht zuletzt der unschlagbare Preis von 9,90 Euro für WBG-Mitglieder (14,90 Euro im Handel) tröstet darüber hinweg.
Wer zusätzlich noch einen Blick in Die Bundesrepublik Deutschland von Bernd Stöver, Jahrgang 1961 und Dozent an der Universität Potsdam, wirft, ist für Prüfungen gut gewappnet. Stövers Buch gehört zur WBG-Reihe Kontroversen um die Geschichte, die einen straffen Überblick zu den zentralen Forschungsfragen ausgewählter Themen bietet. Stöver diskutiert insgesamt sechs zentrale (wissenschaftliche) Auseinandersetzungen um die bundesrepublikanische Geschichte, darunter Restauration versus Neubeginn, die NS-Debatte, Voraussetzungen und Folgen der “Achtundsechziger-Bewegung” und die Deutschland- beziehungsweise Wiedervereinigungspolitik. Umfang und Tiefe der Darstellung sind beeindruckend. Selbst in anderen Überblickswerken häufig vernachlässigte (kurios-abstruse) Details wie der so genannte “Kaufmann-Plan”, der kurz nach dem Krieg die Sterilisation der männlichen Bevölkerung Deutschlands empfahl, werden bei Stöver erwähnt und kommentiert (vgl. S. 31). Obwohl er im Gegensatz zu Geppert die ganze bundesrepublikanische Geschichte abdecken will und dabei aktuelle Themen wie die Diskussionen um Zwangsarbeiterentschädigungen oder die umstrittene Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung aufgreift, liegt Stövers Schwerpunkt ebenfalls in den fünfziger und sechziger Jahren. Nicht nur das ausführliche Fazit (S. 123-130), sondern der gesamte Text, weist immer wieder auf offene Forschungsfragen und damit auf mögliche Dissertations- und Habilitationsprojekte hin. Stövers Buch eignet sich vorzüglich als Ergänzung zu Geppert, insbesondere aber für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder solche, die es noch werden wollen. In diesem Fall sollte man sich Stövers Buch für 12,90 Euro (16,50 Euro im Handel) auf keinen Fall entgehen lassen!
Einen exzellenten Eindruck hinterlässt das Buch des Dresdener TU-Dozenten Reiner Marcowitz, das die letzten Jahre der Weimarer Republik behandelt (Weimarer Republik 1929-1933). Mit seinem Werk, das ebenfalls in der Reihe Geschichte kompakt erschienen ist, hat der Autor eindeutig einen Glanzpunkt unter den WBG-Einführungen gesetzt. Marcowitz’ Überblick zeichnet sich neben dem im Vergleich zu Gepperts Adenauer-Buch deutlich aufgefrischten Erscheinungsbild (zu den gewohnten Erläuterungen gesellen sich nun auch farblich vom Haupttext abgesetzte Quellentexte) vor allem durch seinen Faktenreichtum und eine lebendige Art der Darstellung aus. Im Mittelpunkt des Buches steht die “unselige Verkettung struktureller und personaler Elemente in der Endphase der Weimarer Republik” (S. 3). Der Weg von der Weltwirtschaftskrise (nach Marcowitz der “Katalysator” für den Untergang der ersten deutschen Demokratie) zur “Machtergreifung” Hitlers wird vom Autor strukturgeschichtlich nachgezeichnet, ohne dabei jedoch den Einfluss persönlicher Intrigen Einzelner zu vernachlässigen. Marcowitz beginnt deshalb folgerichtig mit dem New Yorker Börsencrash vom 24. Oktober 1929, besser bekannt unter dem Namen “Schwarzer Freitag” (wer genau nachrechnet, stellt fest, dass der Crash bereits an einem Donnerstag begann) und endet beim letzten so genannten “Präsidialkabinett” des General von Schleicher (1882-1934). Dieser hatte mit seinem riskanten Konzept der “Querfront” aus Gewerkschaften, Wehrverbänden und Standesorganisationen bis zuletzt vergeblich versucht, Adolf Hitler auf breiter gesellschaftlicher Basis von der politischen Macht fernzuhalten – was bekanntlich misslang. Unter anderem deshalb, weil neben der wackligen “Querfront” im Januar 1933 auch die Unterstützung Schleichers durch den debilen Reichspräsidenten von Hindenburg (1847-1934) massiv bröckelte.
Anschaulich beschreibt Marcowitz auch die psychosozialen Folgen der Krisenzeit, diskutiert im Zusammenhang damit ausführlich die theoretischen Flügelkämpfe diverser ökonomischer Schulen (von Schumpeter bis Keynes) und stellt präzise Aufbau und Charakter der aufstrebenden NSDAP und ihres Führungspersonals dar. Sein Fazit überrascht nicht: Das Ende Weimars war, so Marcowitz, keinesfalls vorherbestimmt. Erst das Zusammenwirken vielfältiger, komplexer ökonomischer, politischer und individueller Ereignisse und “Krisenlagen” konnte die von Geburt an durch Reparationszahlungen und innenpolitische Radikalisierung geschwächte Republik zu Fall bringen (vgl. 136 f.). Besonders großen Raum nimmt bei Marcowitz übrigens die nur zwei Jahre währende “Ära” von Reichskanzler Heinrich Brüning (1885-1970) ein, der vor allem wegen seiner heftig umstrittenen prozyklischen Wirtschaftspolitik, heute würden wir sagen: wegen seines radikalen Sparkurses, in Erinnerung blieb. Anstatt die lahmende Wirtschaft seinerzeit mit staatlichen Finanzspritzen anzukurbeln, wie es beispielsweise John Maynard Keynes (1883-1946) empfahl, drosselte Brüning die Staatsausgaben zusätzlich. Bezeichnenderweise zerbrach Brünings lange Zeit vom machtvollen Reichspräsidenten gestützte Minderheitsregierung an der Frage der Neugestaltung der finanziell überforderten Arbeitslosenversicherung. Wer möchte, kann “Weimar” also durchaus als negatives Lehrstück lesen. So sollte man es besser nicht machen oder eher: So weit sollte es gar nicht erst kommen! Immerhin steht auch die “Berliner Republik” unter Kanzler Schröder mit ihren Reformbemühungen derzeit vor kritischen Bewährungsproben. Wer heute demagogischen Scharfmachern von rechts und links nicht auf den Leim gehen will, sollte deshalb gerade die Geschichte von “Weimar” kennen. Marcowitz’ Buch sorgt dafür, dass man in diesem Fall den Überblick behält!
Eine Bestnote hat auch die Einführung in die Politische Philosophie verdient, die Christoph Horn, Jahrgang 1964 und Professor für Antike und Praktische Philosophie an der Universität Bonn, vor einem Jahr vorgelegt hat. Die übliche Ausstattung der Reihe mit Literaturangaben und Register ist bei Horn um eine Liste mit wichtigen Zeitschriften und Links ergänzt. Außerdem findet sich zu Beginn jedes der insgesamt acht Kapitel eine kurze Inhaltsangabe, die verrät, was den Leser erwartet. Am Ende stehen eine präzise Zusammenfassung, ein paar ausgewählte Lektürehinweise zur Vertiefung sowie – besonders lobenswert – ein Katalog mit Fragen und Übungen zum wiederholen und weiterdenken. Und das kann man, wie es sich für Philosophen gehört, mit Horn ebenso gut über Grundsatzfragen und -begriffe wie über die Frage nach dem Kontext, in den normativ-politisches Denken notwendig eingebunden ist. Ausgangspunkt des Buches ist der Staatsbegriff. Horn diskutiert, inwiefern die Existenz von Staaten philosophisch begründet werden kann und welche anthropologischen Voraussetzungen diesen Begründungsmodellen zugrunde liegen. Ist der Staat allein dem “guten Leben” seiner Bürger verpflichtet (wie etwa bei Aristoteles) oder angesichts divergierender Individualinteressen schlicht notwendig (wie in der Natur- und Vertragsrechtstheorie)? Zu den Grundsatzfragen der Politischen Philosophie gehören auch die “legitimen Staatsaufgaben” (Kompetenzumfang, Machtbereiche und Machtkontrolle) sowie die normativen Leitideen staatlichen Handelns (Menschenrechte, Gerechtigkeit, Anerkennung etc.). Daneben schildert Horn demokratietheoretische Überlegungen (ist die Demokratie tatsächlich die beste aller Staatsformen?) sowie Probleme staatlicher Ordnung und Interaktion im Weltmaßstab (Krieg, Armut). Das Buch hat damit einen hohen Anwendungswert. Im Kapitel über Eigentumsordnung und Wirtschaftsform stellt Horn beispielsweise die tagespolitisch aktuellen Überlegungen zum “Bürgergeld”, einer staatlich garantierten materiellen Grundsicherung für alle, auf philosophischen Boden (vgl. S. 138 f.). Wer hingegen wissen möchte, woran man eine “gute” Demokratie erkennt, kann sich bei Horn vom Wissenschaftstheoretiker Karl R. Popper (1902-1994) Rat und Argumente holen. Dieser meinte, die Politische Philosophie dürfe niemals danach fragen, wer im Staate herrschen solle, sondern vielmehr, wie (leicht) man eine bereits etablierte Regierung beseitigen könne (vgl. S. 75). Überhaupt findet man in jedem Kapitel der mit 14,90 Euro (19,90 Euro im Handel) im Vergleich zur gebotenen Qualität günstigen Einführung jede Menge Anregungen zum weiterdenken – und zum einmischen. Trotzdem ist Horns Buch ein Musterbeispiel sachlicher, deskriptiv-analytischer Überblicksliteratur. Knapp, bisweilen dicht referiert der Autor alle wesentlichen Konzepte, Strömungen und Ideen. Dass ein derartiges Vorgehen auf Kosten inhaltlicher Tiefe geht, kann man in diesem Fall entschuldigen, weil die Einführung alle zentralen Themen berücksichtigt. Man merkt dem Text zwar durchaus an, dass er aus einer Vorlesung entstanden ist, dem Nutzen tut das aber keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil! Denn bei Horn stehen – so wie es in der Charakterisierung der Herausgeber der Einführungsreihe Philosophie zu lesen ist – nicht etwa “Namen und Begriffe [.] im Vordergrund, sondern Argumente.” Horns Bewertung bleibt insgesamt ausgewogen, was niemanden daran hindert, sein Buch kritisch mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Wer Horns theoretischen Werkzeugkasten zu benutzen weiß, ist für so manche aktuelle Debatte bestens gerüstet. Mit seiner Hilfe kann man auch als Einsteiger auf die Frage, inwiefern politisches Handeln vor der Macht der Institutionen und Konzerne zunehmend ins Hintertreffen gerät oder welche Güter besser nicht in private Hände geraten sollten, kompetente Diskussionsbeiträge liefern. Und eben dies zeichnet gute Einführungsliteratur aus: Dass es ihr gelingt, bei ihren Lesern nicht nur eine (neue) Wissensplattform auszubilden, sondern eine möglichst breite Schneise ins Wissensdickicht zu schlagen, auf der man sich sicher und vor allem selbständig fortbewegen kann.
Links zum Thema
- Link zur Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (WBG)
Zur Person
Christian Dries ist Redakteur dieses Magazins. Er hat immer wieder während des Studiums und für seine Abschlussprüfungen mit den Lehrbüchern der WBG erfolgreich gelernt. Derzeit schreibt er selbst an einem Lehrbuch zur soziologischen Modernisierungstheorie.
Literaturliste
- Dominik Geppert (2002): Die Ära Adenauer. Darmstadt
- Christoph Horn (2003): Einführung in die Politische Philosophie. Darmstadt
- Reiner Marcowitz (2004): Weimarer Republik 1929-1933. Darmstadt
- Bernd Stöver (2002): Die Bundesrepublik Deutschland. Darmstadt
