Alles, was man braucht, um ein guter Forscher zu werden
Ohne Leistungsdruck und Zwang, und unter Ausschluss der Erwachsenen als „eingeschriebene Studenten“, bekommen sie spannende Themen kindgerecht dargeboten. Das von den Initiatoren herausgegebene Kinderuni-Buch lädt zu einem Besuch in der geschlossenen Gesellschaft der jungen Studierenden ein. Dabei wird der (erwachsene) Leser nicht nur unterhalten und informiert: Auch Ideen für eine bessere Lehre an der „Uni für die Großen“ finden sich zwischen den Zeilen.
Die erste Kinderuni
fand am 4.Juni 2002 in Tübingen statt. Inzwischen gibt es an fast jeder größeren und kleineren Universität in Deutschland, aber beispielsweise auch in Italien und Österreich ähnliche Veranstaltungen.
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Neugier ist für die Jüngsten stets die größte Motivation. Die Hochschullehrer der Kinderuni stellen sich und ihren Hörern und Lesern deshalb vermeintlich einfache Warum-Fragen. Diese sind der Ausgangspunkt für Einblicke in die jeweilige Disziplin und deren Geschichte. Auch wenn die Beantwortung der Frage dabei gelegentlich aus dem Blick gerät, wird dieser demonstrativ in den Kapitelüberschriften wiederholte Fragetyp dennoch nicht zum pseudo-kindgerechten Alibi degradiert. Stattdessen greifen Wissenschaftler und Autoren auf zahlreiche Kniffe zurück, um die Antwort zusammen mit ihrem Publikum herzuleiten.
So leitet beispielsweise die Frage „Warum wachsen Pflanzen?“ ein Thema ein, welches Aspekte von der Zellteilung über die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen an das Klima bis hin zur Fotosynthese betrachtet. Diese Breite bei der Bearbeitung des Themas wird durch einen kindgerechten Tiefgang in Form interessanter Details perfekt ergänzt. Insbesondere die zahlreichen Anknüpfungspunkte an alltägliche Erfahrungen machen die Informationen zudem nicht nur verständlich, sondern förmlich greifbar. Dazu zählen auch die kleinen Experimente, zu denen die Wissenschaftler ihr Publikum immer wieder anregen. Die Beispiele sind so gewählt und beschrieben, dass die Kinder zu Hause tatsächlich ohne große Gefahr nachexperimentieren können. Dem Schicksal spektakulärer, aber im Endeffekt wenig hilfreicher „Bitte nicht nachmachen!“-Demonstrationen aus dem Fernsehen wird so entgangen. Dass alltägliche Erfahrungen den Einstieg in das Thema erleichtern, nutzt auch der Beitrag „Warum können wir hören?“. Er spannt den Bogen von der ironischen Aussage, Kinder hörten das Wort ‚Gummibärchen’ immer besser als das Wort ‚Zubettgehen’ hin zu der Tatsache, dass Schallwellen erst durch den menschlichen Hörmechanismus zu Geräuschen werden.
„Kinderuni 2.Semester“
ist bereits der zweite Band in der Kinderuni-Serie. In acht Kapiteln werden unterschiedliche Themen so dargebotenen, wie sie von den Dozenten konzipiert und im Rahmen der Kinderuni Tübingen vorgetragen wurden.
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Insgesamt erscheinen die naturwissenschaftlichen Themen in diesem Band anschaulicher dargestellt als die Geistes- und Sozialwissenschaften. Das liegt sicherlich in der Eigenart der Sache selbst begründet. Zellen oder DNA, und mögen sie noch so winzig sein, bieten immer noch Anschauungsmaterial, das man unter das Mikroskop des geistigen Auges rücken kann. Ein Vorteil an den Themen aus den Sozialwissenschaften ist demgegenüber, dass sie es den Vortragenden mehr als in den Naturwissenschaften erlauben, den Kindern die für ihr Fach typischen Arbeits- und Denkweise nahe zu bringen. So werden beispielsweise wichtige Begriffe des Fachs erwähnt und aus fachlicher Sicht definiert, um dann aus der Perspektive der Kinder hinterfragt zu werden.
Professoren und Autoren gelingt es durchweg gut, ihre Kenntnisse in interessanter, kindgerechter Weise zu vermitteln und dabei den Leser ein Hauch von echter Uni-Atmosphäre spüren zu lassen. Wenn es denn doch einmal ein wenig zu langatmig geworden ist, so scheut sich in diesem Projekt niemand, durch eine bewusst eingeflochtene, saloppe Bemerkung den jungen und älteren Lesern eine Verschnaufpause zu verschaffen, nach dem Motto: „Kinder, die den folgenden schwierigen Gedanken verstehen wollen, holen sich am besten erstmal einen Schokoriegel.“ Nach solchem sympathischen Zwischenspiel geht es dann weiter auf der gar nicht naiven Reise durch die Disziplin. Dass auch ernste Themen wie Kinderarbeit zur Sprache kommen, oder von Kontroversen der Wissenschaftler berichtet wird, unterstreicht, dass es bei der Kinderuni nicht allein um seichte Unterhaltung geht. Dies macht die Lektüre auch für nicht fachlich gebildete Erwachsene interessant. Für alle anderen ist sie zumindest noch vergnüglich.
All diese Qualitäten hindern den Band jedoch nicht daran, zwei typischen Fehlern populärwissenschaftlicher Kinderbücher zu erliegen: Der erste, weniger schwerwiegende, sind unzulässigen Vereinfachungen. So wird beispielsweise im Kapitel über die Pflanzen behauptet, dass diese viel anpassungsfähiger seien als Menschen, da sie in allen Gebieten der Erde problemlos zurechtkämen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es sich beim Menschen um eine einzige Spezies handelt, die aber mit sämtlichen Pflanzenarten verglichen wird. Der zweite Kritikpunkt ist eine gelegentlich moralisierende Tendenz. Dies lässt den Eindruck entstehen, dass, da ein Kind die langfristigen Folgen einer Handlung nicht einschätzen kann, dieses doch einfach auf die Erwachsenen hören sollte. Natürlich erwartet niemand von einer rechtswissenschaftlichen Vorlesung einen Aufruf zum Aufstand. Doch gerade weil häufig die Perspektive der Kinder eingenommen wird, sollte beispielsweise die Gelegenheit genutzt werden, darauf hinzuweisen, welche Möglichkeiten beispielsweise Kinder haben, sich bei wirklichen Problemen zu wehren. Ansonsten gerät diese spezielle Erzählhaltung zum rhetorischen Alibi, die zwar Standpunkte aufgreift, aber nur, um etwaige Einwände endgültig zu widerlegen. Wünschenswert wäre es darüber hinaus, wenn die reiche Wissensquelle, die der vorliegende Band ohne Zweifel darstellt, durch den Hinweis auf weitere, beispielsweise im Internet, ergänzt würde. Denn hat man erst einmal das Interesse der Kinder geweckt, sollte man ihnen so den ersten Schritt erleichtern, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen.
Ideal ist es sicher, wenn die Kinder tatsächlich die allerorts angebotenen Kinderunis besuchen und so die Informationen aus erster Hand erhalten. Wer das nicht kann, wer mehr lesen und lernen möchte, wer einfach Spaß an klug aufbereitetem Wissen hat, dem ist die Lektüre wärmstens zu empfehlen. Dennoch sollten gerade die jungen Leser, also die Hauptzielgruppe des Buches, nicht sich selbst überlassen bleiben. Gerade bei den Infokästen braucht ein Kind sicher gelegentlich jemanden, der es auf den entscheidenden Zusammenhang hinweist oder es ermutigt, sich den Zusammenhang aus weiteren Hinweisen zu erschließen. Abschließend bleibt festzustellen, dass sowohl das Buch als auch das ganze Projekt in die richtige Richtung weisen: Neugier wecken. Alltagsnah lehren. Wissensdurst verstärken. Lust auf mehr machen. Eine Botschaft, die sich nicht auf das jüngere Publikum beschränken sollte, denn was für Kinder gut ist, kann ja für Studierende nicht schlecht sein, oder?
Links zum Thema
- Deutschlandweite Homepage der Kinderuni
- Kinderuni-Seite der Körberstiftung
Zur Person
Christiane Zehrer studiert Internationales Informationsmanagement, Politik und BWL in Hildesheim, ist aber meist im Ausland. Zur Zeit studiert sie in Paris.