Super Nanny und Konsorten
sg: Die Wissenschaft weiß heute viel über Erziehungs- und Bildungsprozesse. Warum schreiben dennoch Laien, also vor allem Politikergattinnen, Fernsehjournalistinnen usw. die Bestseller zur Erziehung?
S T-S: Die kennen sich scheinbar genügend aus: Sie haben Kinder und sprechen mit ihnen. Sie meinen, das reiche aus für die Verallgemeinerung. Nein, Journalistinnen z.B. sind nah am Zeitgeist und bekommen daher die aktuelle Erziehungsunsicherheit schnell mit. Über Massenmedien – und das ist immerhin auch ein Markt – werden dann schnelle, sehr einfache Antworten gegeben. Bestseller werden diese Bücher aber erst, wenn sie einen gewissen Nerv treffen, daher sind sie Indikatoren: Eltern suchen heute nach klarer Orientierung, die die Wissenschaft nicht geben kann. Dies schon deshalb, weil sich die Erziehungswissenschaft nicht den Vereinfachungsstrukturen der Massenmedien unterwerfen kann. Für das Fernsehen ist immer ein Unterhaltungsaspekt wichtig, es muss „boulevarlesk“ sein. Die populären, klaren Antworten haben den nötigen Rezeptcharakter. Leser und Fernsehzuschauer glauben manchmal, sie könnten das Eins zu Eins umsetzten. Die journalistischen Ratgeber lassen die nötige Differenzierung allerdings vermissen, nur deshalb sind sie einfach verständlich. Das Erziehungsgeschehen ist bei näherer Betrachtung natürlich sehr komplex. Eine wissenschaftlich fundierte Beratung würde hier den Einzelfall genau anschauen und dann Hilfestellung geben. Erziehung ist ein individueller Prozess, da das die Wissenschaftler sehr genau und schon lange wissen, wird es keine Rezeptbestseller von Erziehungswissenschaftlern geben. Da müsste jede Seite mit „Es kommt darauf an …“ beginnen. Aber es geht auch ganz ohne Expertenrat, weil es etwas wie eine „intuitive Elternschaft“, ein Begriff aus der Säuglingsforschung, gibt. Diese wird durch die allgemeinen Rezepte überdeckt. Und wenn ich den Erfolg der RTL-Sendungen betrachte, dann macht mir das schon etwas Angst.
sg: Ein gutes Stichwort: Erziehungsprobleme sind neuerdings sogar fernsehtauglich und für Unternehmen interessant. Was halten Sie vom Rezeptfernsehen, Tripple P und ähnlichem?

S T-S: Diese massenmedialen Antworten sind nicht nur zu eindeutig, sondern sie suggerieren fataler Weise, dass komplexe Erziehungsprobleme in sieben Tagen lösbar seien. Zudem sind die dort verwendeten Beispiele Sonderfälle: Es geht um verhaltensgestörte Kinder und weniger um Erziehungsprobleme. Bei „Super Nanny“ gibt es dann einfache, verhaltenspsychologische Programme zur Steuerung. Man hat mit diesen Methoden eine hohe und schnelle Wirksamkeit. Die Zuschauer glauben nun wahrscheinlich, dass sie aus der methodischen Trickkiste Rezepte für eigenen, ganz individuelle Probleme entnehmen könnten: ein Irrtum. Man muss die verhaltenspsychologischen Methoden nicht teilen, aber sie gehören ganz sicher nicht in eine solche Öffentlichkeit. Auch diese Form der Störungsbehandlung ist immer individuell. Der polnische Pädagoge Janusz Korczak hat einmal gesagt: „Wie kann ich wissen, wie eine mir fremde Mutter in einer mir fremden Situation ein mir fremdes Kind zu erziehen hat?“ Wer glaubt das zu wissen, der verwendet entweder Ideologien oder ist Fernsehmacher. Der Zeitgeist, also die Unkultur der knappen Zeit und der übertriebenen Schnelligkeit, gibt den schnellen Lösungen noch zusätzlichen Auftrieb. Erziehung braucht aber Zeit. Was mir noch wichtig ist: Die Art, wie ein Fernsehteam eine Familie 24 Stunden überwacht und filmt, entspricht nicht der Menschenwürde. Ich wundere mich auch, dass das juristisch – trotz „Kindeswohl“ – durchgeht. Wahrscheinlich wird da viel Geld gezahlt, aber man muss bedenken, dass die Kinder nicht gefragt werden! Sie sind Opfer des Reality-TV.
sg: Obwohl Erziehung eine schwierige Sache ist, wird dafür keine Qualifikation verlangt. Braucht die Wissensgesellschaft einen Qualifikationsnachweis für Eltern?
S T-S: Die Elternschaft ist ein Amt, für das extrem wenig Weiterbildung angeboten und in Anspruch genommen wird. Angesichts der Relevanz und Schwierigkeit von Erziehung verwundert das. Es sollte schon eine breitere Unterstützungsstruktur für Eltern geben, dafür sollte auch geworben werden. Als Pflichtveranstaltung ist eine Elternqualifikation aber denkbar schlecht. Durch Zwang und extrinsische Motivation lässt sich das Erziehungshandeln nicht verbessern. Entscheidend ist, dass man etwas besser machen möchte. Hilfestellung, Unterstützung und Reflexionsanstöße braucht jeder, der erzieht. In persönlichen Netzwerken wie Familie oder Freundeskreis gibt es oft eine ganz selbstverständliche Kommunikationskultur. Es müssen nicht immer gleich die Experten her. Ein selbstkritischer Austausch über den Erziehungsprozess mit anderen erweitert oft schon das eigene Handlungsspektrum.
sg: Welches Wissen und Können brauchen Eltern, wenn sie ihre Aufgabe zu erziehen gut machen sollen? Wie erwirbt man dieses Wissen?
S T-S: Ich unterscheide vier Bereiche. Es gibt ein Wissen (1) über Erziehung: Man sollte etwas wissen über Erziehungsstile, Entwicklungsphasen und -aufgaben. Dann der Bereich des Könnens (2), also des Alltagshandelns. Man muss wahrnehmen, beobachten und kommunizieren können und zwar die eigenen Bedürfnisse und Gefühle und auch die des Kindes. Dann der Bereich der Selbstreflexion (3): Es ist hilfreich über sich selbst und die eigene (Erziehungs-)Geschichte nachzudenken. Solche Reflexionen und auch das Unterbleiben haben Auswirkungen auf das eigene Erziehungshandeln. Der letzte Bereich, sehr wichtig, ist die Fähigkeit ein Netzwerk aufzubauen (4) und in Anspruch zu nehmen. Erst ein Netzwerk bringt die Möglichkeit auf Überlastung reagieren zu können und es ist nötig, um Entlastung und Ausgleich zu finden. Das sind alles Punkte und Aspekte, die im Zusammenhang mit unserer Forschung hier an der FH Köln stehen. Wir haben zum Beispiel Elternkurse evaluiert und versucht herauszufinden, was dort gelernt wird. Da wurden auch Netzwerkstrategien sichtbar: Die teilnehmen Eltern haben sich getroffen und diskutiert, weil sie die Fallbeispiele in den Fragebögen so interessant fanden. Eltern können sehr gut voneinander und miteinander lernen, Experten sind da nicht immer nötig und schon gar nicht die schnellen Ratgeber. Eltern mit einem guten Netzwerk werden die Probleme erkennen, für die professionelle Beratung notwendig wird.
Zur Person
Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler ist Professorin für Erziehungswissenschaft an der Fachhochschule Köln.
Kontakt: Website von Prof. Sigrid Tschöpe-Scheffler