THESIS – Promovieren mit Überblick
„THESIS war mein emotionaler Garant dafür, das Unsagbare, die Dissertation, zu schaffen“, schreibt die promovierte Kunsthistorikerin Karin Rase (41) retrospektiv über ihre seit 1998 bestehende Mitgliedschaft im bundesweit wohl bekanntesten Doktorandennetzwerk. Was Karin Rase bereits hinter sich und damit zugleich vor ihrem Namen stehen hat – das begehrte Kürzel „Dr.“ –, steht vielen noch bevor: In Deutschland werden jährlich etwa 25.000 Doktortitel vergeben. Zwischen 1991 und 2001 hat die Zahl der abgeschlossenen Promotionen um beachtliche 30% zugenommen; der Frauenanteil stieg im selben Zeitraum von 28% auf 35%.
THESIS
interdisziplinäres Netzwerk für Promovierende und Promovierte e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich den Belangen von Promovierenden und Promovierten widmet. THESIS besteht seit 1992 als bundesweit aktives Netzwerk.
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Während die Dissertation in manchen Fächern quasi als konsequente Fortsetzung des Studiums betrachtet wird – etwa in Medizin oder Chemie –, sieht es in den Geistes- und Sozialwissenschaften anders aus: In diesen Fächern promoviert nur etwa jeder zehnte Absolvent. Die von vielen Doktoranden teils liebevoll, teils aber auch durchaus mit gemischten Gefühlen als „Diss.“ bezeichnete Arbeit kann sich über etliche Jahre ziehen. In so gut wie allen Fächern liegt die durchschnittliche Promotionsdauer deutlich über drei Jahren, häufig benötigen die Nachwuchswissenschaftler aber auch fünf oder sechs Jahre. In der Tendenz gilt: Mediziner, Mathematiker und Naturwissenschaftler promovieren schneller als Geistes- und Sozialwissenschaftler. Das Ziel, sich den Doktorhut vor Vollendung des 30. Lebensjahres aufsetzen lassen zu können, erreichen hierzulande nicht viele: Das durchschnittliche Promotionsalter ist in den neunziger Jahren kontinuierlich gestiegen, und zwar von 32,1 Jahren im Jahr 1993 auf 33 Jahre im Jahr 2000.
Die Promotion stellt einen speziellen Lebensabschnitt mit einem besonderen Lebensgefühl dar. Nicht immer handelt es sich dabei um eine Phase fröhlichen Dissertierens. Zu den entscheidenden und manchmal auch belastenden Fragen zählt zum Beispiel die Finanzierung des Lebensunterhalts. Hier reicht das Spektrum von der Eigenfinanzierung über ein Stipendium bis zu halben oder gar vollen wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen. Darüber hinaus belasten die vielfach ungeklärten beruflichen Zukunftsperspektiven, die gelegentlich als unzureichend empfundene Betreuung der Arbeit durch Doktorvater oder -mutter sowie die Sinnhaftigkeit der Arbeit an sich. In der Selbstwahrnehmung mischen sich bei vielen Doktoranden post-studentisches Dasein und Berufstätigkeit. Hinzukommt berufsälltäglicher Kummer – wenn etwa Fußnoten sich nicht so setzen lassen, wie der fleißige Kopfarbeiter es sich wünscht ...
Was steckt nun hinter den lobenden Worten, die die eingangs zitierte Karin Rase für THESIS findet? Mit welchem Angebot wartet das Doktorandennetzwerk auf? Immerhin muss die eigentliche Arbeit eigenständig erbracht, muss der Marathonläuferqualitäten abverlangende Lebensabschnitt selbst durchlebt werden!
Für die extern in Mathematik promovierende 27-jährige Corinna Niebel stellt der Austausch mit anderen Thesianern eine Kompensationsmöglichkeit zu den „nur sehr spärlichen Kontakten zum Doktorvater“ dar. Auf diese Weise klärt sie allgemeine Fragen zur Promotion. Als großen Vorteil betrachtet sie es, „dass bei THESIS nicht nur Promovierende, sondern auch fertige Doktoren dabei sind.“ Im Idealfall greift das Prinzip des Gebens & Nehmens: Wer etwas weiß, gibt dieses Wissen auf Anfrage weiter, und wer etwas wissen möchte, fragt nach. Trotz des naturgemäßen Wissens- und Erfahrungsplus’ der Fertigen, gilt dies für die bei THESIS organisierten Promovierenden und Promovierten grundsätzlich gleichermaßen.
Online-Befragung
Im Sommer 2004 führte THESIS, fachlich beraten durch zahlreiche Experten und finanziell unterstützt durch die Claussen-Simon-Stiftung, eine umfangreiche Online-Befragung zur Situation Promovierender in Deutschland unter knapp 10.000 Doktoranden durch.
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„Ich möchte Wissenschaftler kennenlernen und mich mit ihnen austauschen“, begründet Roland Winkler (32), Maschinenbauer und externer Doktorand an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, seine Mitgliedschaft bei THESIS. Er habe festgestellt, „dass gerade Fachfremde das eigene Thema aus einem wesentlich anderen Blickwinkel und ohne die eigenen bereits gewachsenen Scheuklappen betrachten“, und dadurch, so argumentiert er weiter, bekomme er neue Ideen. Dieses „über den eigenen Tellerrand schauen“, wie es die ursprünglich aus Shanghai stammende 27-jährige Diandian Dai, die in Wirtschaftsinformatik am Fraunhofer Institut in Stuttgart ihre Doktorarbeit schreibt, bezeichnet, ist an den regelmäßig stattfindenden THESIS-Stammtischen möglich. Diese finden sich an vielen Hochschulen. Dort können Dissertationsthemen vorgestellt und Vorträge geübt werden, es wird über effiziente Arbeitsmethodiken diskutiert und sich informell ausgetauscht.
Auch für Rolf Freitag (36), Physik-Promovend an der Uni Ulm, steht der Erfahrungsaustausch und die „Hilfe, die man als Doktorand weniger hat“, im Mittelpunkt seiner THESIS-Mitgliedschaft. Zuweilen muss das knapp 600 Mitglieder umfassende Netzwerk Kompensationsarbeit für unzureichende Doktorandenbetreuungen leisten. Insbesondere für Stipendiaten stellen soziale Vereinsamungstendenzen eine latente Gefahr dar; extern Promovierenden machen mitunter wissenschaftliche Isolationstendenzen zu schaffen, und sie „schmoren im eigenen Saft“, wie es Marion Reich (42), die berufsbegleitend in Erziehungswissenschaften an der Uni Jena promoviert, zum Ausdruck bringt. „Es gibt wohl keine einsamere Zeit im Leben als die der Diss., doch allein die Erkenntnis, dass es anderen Doktoranden geht wie mir, tut gut“, schreibt Corina Schukraft (34), promovierende Politikwissenschaftlerin an der Uni Würzburg, über eine der Hauptschwierigkeiten dieser Lebensphase.
Martin Haubitz (34), bereits promovierter Bauingenieur, benennt das beinah sozialpädagogische Gegenmittel, das THESIS bietet, um Vereinsamung und Isolation vorzubeugen: „Kontakt zu Leidensgenossinnen und Leidensgenossen“ sowie „Hilfe zur Selbsthilfe“. Diese Hilfe zur Selbsthilfe kann, wie Uwe Hüpping (29), extern promovierender Germanist an der Uni Bochum, schreibt, etwa über von THESIS angebotene „Seminare oder Projekte rund um das Thema Promotion/Wissenschaft“ erfolgen. Aber auch die stark frequentierte, thesis-interne Mailingliste, die Stephanie Köser (30), ebenfalls im Fach Germanistik, jedoch an der Uni Potsdam promovierend, lobt, bietet eine Kommunikationsplattform, auf die sich Thesianer bei allen Fragen rund um das Thema Doktorarbeit verlassen können. Die 30-jährige Landschaftsarchitektin Eva Lemsch, die an der Uni Dresden in Kooperation mit der FH Erfurt promoviert, bat beispielsweise um Informationen zu Promotionsmöglichkeiten für FH-Absolventen und erhielt „ausgesprochen kompetente Ratschläge“. Ein enormer Pool an Know-how und Erfahrung! Zwei weitere Quellen des Wissens und Austauschs sind: die THESE, eine vierteljährlich erscheinende Mitgliederzeitschrift, sowie der einmal jährlich herausgegebene, gut 200 Seiten dicke THESAURAUS, der alle Mitglieder steckbriefhaft vorstellt.
Hendrik Fürstenau (31), Wirtschaftsinformatik-Doktorand an der Uni Hohenheim, baut auf „die Kreativität und die Macht der Gruppe“. Nach dem Motto: Zusammen sind wir stark – stärker jedenfalls als jeder allein für sich. Dieses Gruppenpotential wird nicht zuletzt im Rahmen der Jahrestreffen, die jeden Winter auf Burg Bodenstein im thüringischen Eichsfeld stattfinden, deutlich: ein reichhaltiges Workshopangebot für Thesianer von Thesianern, informeller Austausch, Zuspruch – alles, was das Doktorandenherz begehrt... Erfolgreiches Dissertieren!
Links zum Thema
- Homepage des Doktorandennetzwerks THESIS e.V.
- Homepage des europäischen Dachverbandes EuroDoc
- Verzeichnis von Stiftungen verschiedener Art
- Empfehlungen zur Doktorandenausbildung (119-seitiges, informatives PDF-Dokument des Wissenschaftsrates)
Zur Person
Nadine M. Schöneck ist Doktorandin an der FernUniversität in Hagen und seit Sommer 2003 THESIS-Mitglied. Sie ist THESIS-Regionalleiterin NRW und koordiniert darüber hinaus die THESIS-Gruppe Bochum.
Kontakt Bundesgeschäftsstelle:
THESIS e.V.
(c/o MBE)
Theaterstr. 1
D-34121 Kassel
http://www.thesis.de
Literatur
- Jürgen Enders/Lutz Bornemann (2001): Karriere mit Doktortitel? Ausbildung, Berufsverbleib und Berufserfolg von Promovierten. Frankfurt am Main/New York: Campus.
- Stefan Engel/Andreas Preißner (Hrsg.) (1998): Promotionsratgeber. München/Wien: Oldenbourg (3., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage).
- Randi Gunzenhäuser/Erika Haas (2000): Promovieren mit Plan. Ihr individueller Weg – von der Themensuche zum Doktortitel. Wien/Frankfurt: Ueberreuter.
- Helga Knigge-Illner (2002): Der Weg um Doktortitel. Strategien für die erfolgreiche Promotion. Frankfurt/New York: Campus.
- Barbara Messing/Klaus-Peter Huber (2002): Die Doktorarbeit: Vom Start zum Ziel. Leit(d)faden für Promotionswillige. Berlin u.a.: Springer (2., überarbeitete und erweiterte Auflage).
- Thomas Meuser (Hrsg.) (2002): Promo-Viren. Zur Behandlung promotionaler Infekte und chronischer Doktoritis. Wiesbaden: Gabler (unveränderter Nachdruck von 1994).
- Ingo von Münch (2003): Promotion. Tübingen: Mohr Siebeck (2., durchgesehene Auflage).