Neues Studienzentrum der RWTH Aachen heizt mit Erdwärme – die Geothermie wird erwachsen
Es ist Winter, es ist kalt, es nieselt. Mit Bauhelm auf dem Kopf stapfen wir durch Matsch und Schlick, um ein Loch zu besichtigen. Nicht irgendein Loch, sondern ein Loch, das heizt. Sehen können wir allerdings nicht viel davon, denn es ist unter einem riesigen Bohrgestänge versteckt. Den Zugang blockiert zudem ein lärmendes Dieselaggregat, das den Bohrer antreibt und so dafür sorgt, dass das Loch immer tiefer wird. An diesem ungemütlichen Platz fällt es schwer, sich vorzustellen, dass aus der Tiefe einmal wohlige Wärme kommen soll: Über dem Loch entsteht das neue Studienfunktionale Zentrum der RWTH Aachen, das ab 2007 alle Dienstleistungen für die Studenten unter einem Dach vereinen soll. Das 2500 Meter tiefe Loch darunter wird dafür sorgen, dass es im Winter unter diesem Dach schön warm ist und im Sommer angenehm kühl – mit Hilfe der Geothermie.
SuperC – neues Studienzentrum an der RWTH
Aachen Im neuen funktionalen Zentrum fasst die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen alle Dienstleistungen für Studierende auf etwa 7.000 Quadratmetern zusammen: Studiensekretariat, Zentrale Studienberatung, Sekretariat für Studentische Angelegenheiten, Zentrales Prüfungsamt, Akademisches Auslandsamt und Career-Service. Das „SuperC“ hat seinen Namen vom Gebäudeentwurf, der im Profil an ein überdimensionales „C“ erinnert.
Die Geothermie oder Erdwärme nutzt die Tatsache, dass in tieferen Erdschichten eine höhere Temperatur herrscht – unter dem Aachener Neubau sind es in 2500 Meter Tiefe über 85 Grad Celsius. In das Loch mit einem Durchmesser von 20 bis 60 Zentimeter wird ein Schlauchsystem gelegt. Darin fließt kaltes Wasser nach unten, erwärmt sich dort bis auf 70 Grad Celsius und fließt durch ein isoliertes Rohr wieder nach oben. Dort angekommen, wird es im Winter im Gebäude direkt im Heizsystem genutzt – in Heizkörpern oder zur Erzeugung von Warmwasser über Wärmetauscher. Im Prinzip funktioniert diese Technik bereits heute auf der Baustelle: Beim Bohren wird eine Lösung in das Bohrloch gepumpt, die einerseits das Loch selbst stabilisiert und andererseits den Bohrer kühlt. Wenn die Lösung wieder an die Oberfläche kommt, ist sie so warm, dass aus den Auffangbecken Dampfschwaden aufsteigen. Die Kühlung im Sommer ist etwas komplizierter. Hier verwendet man eine Kältemaschine, die mit Wärmeenergie angetrieben wird. Diese Kältemaschine kühlt über raffinierte Verdunstungs- und Kondensationsprozesse Wasser bis auf fünf Grad Celsius ab und speist es in die Klimaanlage ein.
Ganz neu ist die Technik der Erdwärmenutzung nicht mehr: Schon seit mehr als zwanzig Jahren gibt es sie in Deutschland. Mittlerweile aber ist die Geothermie so ausgereift, dass sie für den alltäglichen Betrieb eingesetzt werden kann. „Man kann sagen, dass die Geothermie erwachsen geworden ist”, meint Christoph Herzog, Ingenieur und Projektleiter für das Geothermie-Projekt in Aachen. Die im Bohrloch eingesetzten Materialien für die Wärmesonden sind lange erprobt und auch bei neuen Materialien sind Ausfälle nicht wahrscheinlich. Um trotzdem alles möglichst genau zu testen, werden beim Aachener Projekt über Jahre hinweg alle Werte gemessen werden, die für die Geothermie-Forschung interessant sind.

» vergrößern
Darüber hinaus muss das Projekt „nur“ mit den üblichen Bedingungen am Bau kämpfen: Auf der Baustelle mitten in der Innenstadt ist kaum Platz für schweres Gerät, die Zeit ist knapp bemessen und Anwohner müssen vor Lärm und Abgasen geschützt werden. Aufgrund des Zeitdrucks muss an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr gebohrt werden, das ganze aber so leise, dass die Lärmbelästigung für die Anwohner im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen bleibt. Von der Wirksamkeit der Schallschutzmaßnahmen kann man sich auf der Baustelle selbst überzeugen. Zu den Wohngebieten hin ist der Bohrturm von drei Seiten hinter Containern versteckt, man hört nur ein tiefes Grummeln. An der Rückseite allerdings lässt die Lautstärke erahnen, dass es kein leichtes Unterfangen ist, sich im Aachener Untergrund mit etwa zwei Metern pro Stunde vorzubeissen. Entsprechend vibriert auch der Boden. Doch seit dem 22. November 2004 ist damit Schluss: Der Bohrer hat die zweieinhalb Kilometer geschafft. Damit ist ein wichtiger Bauabschnitt abgeschlossen.
Für das neue Studienzentrum in Aachen wird die „tiefe Geothermie“ eingesetzt. Mit jedem Kilometer, den man ins Erdinnere vordringt, steigt die Temperatur im Untergrund um 35 bis 40 Grad Celsius. Daneben existiert auch die „flache Geothermie“, bei der nur etwas 70 bis 80 Meter tief gebohrt wird. Alternativ wird auf einer größeren Fläche eine Art „umgekehrte Fußbodenheizung“ in den Untergrund gelegt, die Wärme aus dem Untergrund aufnimmt und ins Heizsystem abgibt. Der Effekt ist nicht so groß wie bei der tiefen Geothermie, wegen des geringeren Aufwandes macht die oberflächennahe Geothermie aber auch für das Einfamilienhaus Sinn.

„Die tiefe Geothermie dagegen eignet sich eher für die kommerzielle und industrielle Nutzung“, so Herzog. Hier ist es unter finanziellen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll, mit der Erdwärme Strom zu erzeugen: Die staatliche Förderung für erneuerbare Energien macht Erdwärmekraftwerke für Investoren attraktiv. Wenn es dagegen direkt um die Nutzung der Wärme selbst geht, steht eher die Unabhängigkeit von Öl und Gas im Vordergrund. Trotzdem darf die Wirtschaftlichkeit auch hier nicht vernachlässigt werden. Herzog stellt klar: „Für ein Gebäude allein lohnt sich die tiefe Geothermie nicht.“ Berechnungen der Projektgruppe für einen Investor haben ergeben, dass sich die tiefe Erdwärmegewinnung zum Beispiel für einen neuen Industrie- und Gewerbepark in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren rechnen kann. Auch für ein Neubaugebiet mit 50 bis 70 Häusern könnte sich die Erdwärme lohnen. Wichtig ist dabei, dass die Entscheidung für die Geothermie früh fällt und die Haustechnik der Gebäude entsprechend ausgelegt werden kann. Wie bei allen Systemen kann es aber auch bei der Geothermie vorkommen, dass repariert oder gewartet werden muss – das System also ausfällt und nicht zur Verfügung steht. „Wir werden sowohl für die Kühlung als auch die Heizung ein Backup-System im Haus fahren“, versichert Herzog – falls das Loch seinen Dienst versagen sollte. So wird es auch im Fall der Fälle nicht zu heiß oder zu kalt.
Links zum Thema
- Informationen zum Neubau des Studienfunktionalen Zentrums der RWTH Aachen
- Geothermische Vereinigung
Zur Person
Katrin Winkelmann hat an der TU Darmstadt Bauingenieurwesen studiert und an der RWTH Aachen im Maschinenbau promoviert.
