Studieren in Deutschland – Ausländische Studierende im Gespräch

Das deutsche Bildungssystem ist nicht erst seit Pisa in der Diskussion. Veränderungen werden nicht nur für die Schule, sondern auch für die Universitäten gefordert. Nach dem Zweck der universitären Ausbildung gefragt, prallen die unterschiedlichen Meinungen aufeinander. Ist das Studium eine Ausbildung für den Beruf oder soll es eine Basis für eine Tätigkeit in der Forschung sein? Sind kurze Ausbildungszeiten erstrebenswert oder darf es ruhig etwas länger dauern, vorausgesetzt viel praktische Erfahrung wird gesammelt? Soll an deutschen Universitäten Forschung auf höchster Ebene möglich sein oder sind Professoren eher Manager als Forscher? Je nach Blickwinkel wird viel am deutschen Universitätsbetrieb bemängelt und nicht wenige malen den Teufel, will heißen den Untergang der deutschen Studienkultur, an die Wand. Doch wie viele der Probleme sind hausgemacht? Wie sehen Ausländer das Studium an deutschen Universitäten und warum kommen sie immer noch zahlreich?
Ausländische Studierende in Deutschland
Im Jahr 2003 waren insgesamt 227 026 (163213/63813) ausländische Studierende in Deutschland immatrikuliert. Dazu zählen auch 3316 (1108/2208) Studierende aus Serbien und Montenegro sowie 1394 (850/744) Studierende aus Vietnam. Die Zahlen in den Klammern geben die Anzahl der Bildungsausländer bzw. der Bildungsinländer an.
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Das Interview mit den beiden Studentinnen Olivera und Hang ist der Auftakt zu einer Reihe von Gesprächen mit ausländischen Studierenden. Wir wollen ihre Motivation für den Wechsel von der Heimatuniversität an eine Universität im Ausland hinterfragen. Warum haben sie sich gerade für Deutschland entschieden? Welches Deutschlandbild hatten sie bevor sie ankamen? Was empfinden sie im deutschen Universitätsalltag als positiv, was gefällt ihnen nicht, was ist anders als zu Hause? Wie hat sich ihr Bild von Deutschland verändert?
Ziel der Reihe ist, möglichst viele Studierende aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichen Studienfächern zu Wort kommen zu lassen. Aus der Vielzahl von subjektiven Eindrücken und Erfahrungen kann sich so mosaikartig ein Bild davon ergeben, wie deutsche Universitäten im Ausland wahrgenommen werden. Es wird deutlich werden, wo es Defizite aber auch Vorteile gegenüber ausländischen Universitäten gibt.
Olivera Jovanovic kommt aus Serbien und Montenegro. Sie hat in Belgrad acht Semester Informatik studiert, bevor sie zum viersemestrigen Masterstudium nach Braunschweig gewechselt ist. Sie studiert nun im dritten Semester des Masterstudiums. Thanh Hang Pham hat in ihrem Heimatland Außenhandelswirtschaft studiert. In Deutschland schließt sie nun ein Studium zur Diplom-Informatikerin an. Sie studiert im siebenten Semester.
sg: Warum habt ihr Euch für ein Studium im Ausland entschieden und warum gerade in Deutschland?
O.J.: In Serbien schließt sich an das eigentliche Studium noch ein zweijähriges Masterstudium an. Dieses wollte ich unbedingt im Ausland machen, um neue Eindrücke zu bekommen. Durch zwei Praktika in Süddeutschland kannte ich Deutschland und es gefiel mir. Für Braunschweig habe ich mich entscheiden, weil mich das Programm überzeugt hat.

T.H.P.: Ich habe persönliche Gründe. Mein Vater lebt in Deutschland und fragte, ob ich nicht in Deutschland leben und studieren wollte, um eine andere Kultur kennen zu lernen.
sg: Was macht das Braunschweiger Master-Programm besonders?
O.J.: Hier in Braunschweig habe ich recht viele Vorlesungen und kann mich deshalb mit unterschiedlichen Gebieten der Informatik auseinandersetzen. Die Masterarbeit macht nur ein Viertel meines Studiums aus. Dies gefällt mir gut. Auch kann man fast sicher sein, dass man nach zwei Jahren den Masterabschluss fertig hat. In Serbien zieht sich das Masterstudium häufig viel länger als die eigentlich vorgesehenen vier Semester hin. Dies liegt vor allem daran, dass man als Masterstudent in Serbien bereits einen richtigen Abschluss also beispielsweise Diplom-Mathematikerin hat. Während des Masterstudiums arbeitet man meistens in einer Firma oder an der Uni und kann nur zwischendurch studieren. Das macht es schwer, zu Vorlesungen zu gehen. Im Wesentlichen besteht das Studium deshalb darin, eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben.
sg: Waren auch für Dich, Hang, der Aufbau und die Inhalte des Studiums entscheidend bei der Entscheidung für Braunschweig?
Universitäten in Vietnam
Informationen über das Bildungssystem in Vietnam sind zum Teil widersprüchlich. Zu unterscheiden sind Volluniversitäten und technische Universitäten sowie Hochschulen unterschiedlicher Ausrichtung. Die Zahl der Einrichtungen wird unterschiedlich angegeben. Insgesamt gibt es circa. 150 verschiedene Einrichtungen für eine höhere Ausbildung. Das Studium teilt sich in eine ein bis zweijährige, allgemeine Hochschulausbildung, in der unterschiedliche Grundlagenfächer zu besuchen sind, sowie in eine vier- bis sechsjährige fachliche Spezialisierung. Insgesamt studieren in Vietnam circa eine Million Menschen an den Universitäten und Fachhochschulen.
T.H.P.: Ich wusste, dass ich in Braunschweig bleiben wollte und hatte eigentlich den Plan, wieder etwas mit Wirtschaft zu studieren. Aber alle meine Bekannten haben so viele über Computer gesprochen, das hat mich auch interessiert. Darum habe ich mit dem Informatik-Studium begonnen.
sg: Wie habt Ihr Euch auf den Alltag und das Studium in Deutschland vorbereitet? Wurdet ihr von den deutschen Universitäten unterstützt?
T.H.P.: Besondere Unterstützung von der Universität hatte ich nicht. Ich habe mich auch nicht besonders vorher informiert. Ich kannte Deutschland aus den Erzählungen meines Vaters. Nachdem ich hier angekommen war, habe ich erstmal einen Sprachkurs belegt.
O.J.: Ich habe bereits zu Hause deutsch gelernt! Außerdem konnte ich natürlich viele Informationen im Internet finden. Trotzdem wurde ich von der vielen Organisation hier in Deutschland überrascht: Studienpläne, Prüfungsordnungen, Diplom oder Master ... Geholfen hat mir dabei Professor Wätjen, der Ansprechpartner für Masterstudenten an der TU Braunschweig ist. Zu ihm konnte man auch unangemeldet kommen und er hat mir oft weitergeholfen. Und natürlich konnte ich mich stets an meinen Mentor, Professor Ehrich wenden.
sg: Ist es üblich, dass Masterstudenten einen Mentor haben? Wie hat er Dich unterstützt?
O.J.: Er ist schon seit zwei Semestern mein Mentor. Wenn ich eine Frage habe, gehe ich zu ihm. Das ist ziemlich oft! Unsere Zusammenarbeit hat gleich gut begonnen. Bei unserem ersten Gespräch hat er mich gefragt, wie ich das Leben in Braunschweig finde und ob er irgendwas für mich tun kannte. Ihm war nicht nur wichtig wie mein Studium läuft, sondern auch, dass ich mich als ausländische Studentin hier wohl fühle. Das was sehr nett von ihm und hat mir gleich ein gutes Gefühl gegen.
sg: Olivera hat bereits den Unterschied zwischen der Ausrichtung des Masterstudiums hier und in Serbien genannt. Welche Unterschiede zu einem Studium in Eurem Heimatland seht ihr noch?

O.J.: Die Prüfungen sind hier viel einfacher! Wenn man während des Semesters mitarbeitet und die Hausaufgaben macht, sind die Prüfungen kein Problem. In Deutschland kommt es darauf an, so habe ich den Eindruck, zu zeigen, dass man einen Überblick über das Thema hat. Das kannte ich so nicht. In Serbien mussten wir alles sehr detailliert und vertieft wissen. Alle Beweise, alle Randbedingungen, alle Besonderheiten!
T.H.P.: Ich muss hier viel mehr arbeiten. Es reicht nicht, nur in die Vorlesungen zu gehen. Ich hole mir auch Bücher aus der Bibliothek, um einiges besser zu verstehen. Aber das Studium macht auch mehr Spaß, vieles ist moderner und man kann mehr wählen.
O.J.: Dem stimme ich zu. Bei uns ist alles viel theoretischer und nicht so anschaulich. Auch hier ist es manchmal schwer, aber es macht fast immer Spaß, zu studieren.
sg: Und darüber hinaus?
O.J.: Ich glaube, deutsche Studenten sind fleißiger. Sie arbeiten viel mehr im Semester mit. Zu Hause studieren wir fast nie im Semester und lernen dafür in den Ferien umso mehr. Hier werden auch mehr Fragen in den Vorlesungen gestellt. Das kannte ich so nicht.
T.H.P.: Den Eindruck habe ich auch, dass die Studierenden hier mit mehr Motivation arbeiten und viel lernen.
Bildungsausländer
sind Studierende, die ihre Hochschulzugangs-
berechtigung an einer ausländischen Schule erworben haben. Bildungsinländer sind hingegen Studierende, die ebenso wie deutsche Studierende ihre Hochschulzugangs-
berechtigung von einer deutschen Schule erhalten haben.
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sg: Wie habt ihr das Verhältnis zu den Professoren und Mitarbeitern empfunden?
O.J.: Meistens gehe ich mit Fragen zu den Mitarbeitern. Da habe ich immer ausreichend Ansprechpartner gefunden. Aber auch, wenn ich mit einer Frage einen Professor angesprochen habe, wurde mir weitergeholfen.
T.H.P.: In Vietnam hätte ich nie einen Professor etwas gefragt! Hier ist das Verhältnis untereinander viel freundlicher.
sg: Und das Verhältnis zwischen den Studierenden?
O.J.: In Serbien haben wir durch das ganze Studium hindurch feste Stundenpläne. In allen Veranstaltungen eines Jahrgangs saßen die gleichen Studierenden zusammen. Da konnte man gut Freundschaften schließen. Hier ist das schwierig, da in jeder Veranstaltung andere Studenten sitzen. Vermutlich kennen sich viele auch schon aus dem Grundstudium und haben deshalb wenig Interesse, weitere Mitstudenten kennen zu lernen. Ich habe Kontakte zu anderen Studierenden vor allem durch den Sport gefunden.
T.H.P.: Ja, es ist sehr schwierig in Kontakt mit anderen Studierenden zu kommen.
sg: In den deutschen Medien wird oft geklagt, dass das Studium hier nicht gut auf die Arbeit vorbereitet. Wie siehst Du das im Verhältnis zu den Studieninhalten in Serbien?
O.J.: Das Studium hier ist wesentlich praktischer orientiert als zu Hause. In Belgrad musste ich vor allem Theorie lernen, Beweise und ähnliches. Hier sind die Lehrinhalte moderner, aber auch oberflächlicher. Ich habe mit meiner Ausbildung während meiner Praktika gute Erfahrungen gemacht. Aber auch was ich jetzt lerne, kann ich sicher gut umsetzen. Der Ansatz, der dem Studium hier und dort zu Grunde liegt, ist sehr verschieden.
sg: Häufig fordern Politiker englischsprachige Vorlesungen, um deutsche Unis interessanter für ausländische Studierende zu machen. War es für Dich ein Problem, dass alle Veranstaltungen nur in Deutsch angeboten werden?
T.H.P.: Es geht. Gerade in der Informatik sind ja viele Begriffe, aber auch Bücher in Englisch. Es ist ok, wenn in Deutschland die Vorlesungen in Deutsch gehalten werden.
O.J.: Ich finde, die Sprache gehört zum Auslandsaufenthalt dazu. Und außerhalb der Uni muss man sowieso Deutsch sprechen!
sg: Zum Abschluss interessiert mich, ob das Studium hier dem entspricht, wie ihr es Euch vorgestellt habt. Habt ihr Verbesserungsvorschläge?
T.H.P.: Ich finde das Studium ziemlich anstrengend und dadurch bleibt leider zu wenig Zeit, um beispielsweise Fachzeitschriften zu lesen. Dadurch lernt man wenig über aktuelle Entwicklungen beispielsweise bei Computern. Das ist schade. Trotzdem macht mir das Studium viel Spaß.
O.J.: Im Großen und Ganzen entspricht es meinen Vorstellungen. Ich kannte ja Deutschland auch schon durch die Praktika und hatte mich vorher viel informiert.
Vielen Dank für das Gespräch und Euch noch viel Erfolg im Studium.
Links zum Thema
- Informationen des DAAD zum Studium in Serbien und Montenegro
- Informationen des DAAD zum Studium in Vietnam
- Webseite des DAAD
- Zahlen zu ausländischen Studierenden in Deutschland
Zur Person
Birgit Milius ist Redakteurin bei sciencegarden.