Der Stolperweg ins Berufsleben
Lustig ist das Studentenleben schon lange nicht mehr. Dabei ist es noch nicht einmal das Damoklesschwert bevorstehender Studiengebühren, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Körber-Workshops zum Thema „Hauptsache Arbeit” in Freckenhorst als bedrohlich empfinden. Die Studierenden plagen sich vielmehr mit Problemen, die beim Übergang vom Studium ins Berufsleben auftreten können. Was sie zum Beispiel beschäftigt, sind finanzielle Abhängigkeiten und die örtliche Gebundenheit an die Familie. Auch das Gefühl, dass Lügen und Schachern das Weiterkommen auf dem Weg nach oben mitbestimmen, sowie die immerwährenden Fragen, was man eigentlich im Leben erreichen will und in welche Risikolagen neue, unerforschte Wege führen könnten, sind aktuell drängende Themen.
Arbeitskraftunternehmer:
Mit der These des „Arbeitskraftunternehmers” bezeichnen die Industriesoziologen G. Günter Voß und Hans J. Pongratz einen Strukturwandel von Arbeitskraft. Ihren Beobachtungen zufolge verschwindet der bisher vorherrschende Typus des lohnabhängigen Arbeitnehmers, der in einem bestimmten Beruf und in vorgegebenen Arbeitsstrukturen beschäftigt ist.
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Dabei können sich die Studierenden eigentlich glücklich schätzen. Denn wie Befragungen des Hochschul-Informations-Systems (HIS) belegen, ist die Arbeitslosenquote bei Akademikern geringer als die bei Ungelernten. Innerhalb der ersten zwölf Monate nach dem Hochschulabschluss, so Julia André von der Körber-Stiftung, fänden die meisten Absolventen laut HIS einen Job. Dennoch gestaltet sich der Einstieg in den Arbeitsmarkt heute schwieriger als vor einigen Jahrzehnten, räumt Andreas Eimer vom mit veranstaltenden Career Service Münster ein: „Früher war ein Diplom bereits der Kredit. Heute gibt es vielerorts nur noch befristete Arbeitsverträge. So wird der Arbeitende zum ‚Arbeitskraftunternehmer‘.”
Dem Engagement und den Ideen einiger der 17 Teilnehmenden nach zu urteilen, wird die heutige Studierendenschaft nicht per se mit dieser Rolle überfordert sein. So stellt beispielsweise eine Soziologiestudentin aus Berlin in einem überzeugenden und selbstbewusst gehaltenen Kurzreferat den „Gender-Aspekt beim Thema Erwerbsarbeit” vor und initiiert damit eine lebhafte und kontroverse Plenumsdiskussion. Eine andere Teilnehmerin präsentiert Ergebnisse ihrer Abschlussarbeit in Sozialpädagogik, in der sie nicht die Erwerbsarbeit, sondern andere Formen des ‚Arbeitens’ in den Mittelpunkt stellt. Auf diese Weise lenkt sie die Aufmerksamkeit der Leser und Zuhörer auf ehrenamtliche Tätigkeiten, nicht bezahlte Arbeit, Nachbarschafts-, Haushaltshilfen und Eigenarbeit und wertet sie in deren Bewusstsein auf.
Ob sich allerdings die Mehrheit der heutigen Studierenden mit der Figur des Arbeitskraftunternehmers anfreunden kann, ist fraglich. Die meist ambivalenten Statements der teilnehmenden Geistes- und Sozialwissenschaftler sind wahrscheinlich charakteristisch. Gefragt nach ihren beruflichen Visionen zeichnen sie sich auf der einen Seite als selbständige Persönlichkeiten. Viele wünschen sich eine Arbeitsstelle, bei der sie in Eigenverantwortung alleine oder mit Kollegen Projektarbeit leisten und sich die Arbeitszeiten selbständig einteilen können. Sie träumen von einer Arbeit, die sie auch ins Ausland führt, die eine Balance zwischen Familie, Freizeit und Arbeit ermöglicht sowie Zeit für gesellschaftliches Engagement lässt. So erblickt sich eine der teilnehmenden Studentinnen als Inhaberin eines Café- und Seminarzentrums, das sie zusammen mit Freunden an der Küste der USA oder Kanadas betreiben will. Auf der anderen Seite und im Gegensatz dazu stehen ihre Selbsteinschätzung und Forderungen an die Hochschule. Mit dem Eintritt in die Universität sieht sie sich nämlich in einem „Wust” untergehen und fühlt sich vom „unstrukturierten Studium in den Geisteswissenschaften” überfordert. Man wisse nicht, an wen man sich wenden solle.
Nach Ansicht einiger Studierender kommt das „Selbstmarketing” in den Lehrplänen der Universitäten zu kurz. „Niemand sagt uns, wie wir uns als Soziologen erfolgreich verkaufen können”, beschwert sich eine andere Studentin. „Warum”, so ein weiterer Teilnehmer ungläubig, „gibt es keine Tutorien, die den Ausstieg aus dem Studium begleiten?” – immerhin veranstalte jede Universität doch auch Seminare für Erstsemester. Berufsvorbereitende Seminare, die unter anderem in Rhetorik, Präsentations- und Bewerbungstechniken schulen sollen, sind aber nur ein Teil dessen, was die Hochschule der Studierendenschaft bieten soll. Was für das „Selbstmarketing” insbesondere fehle, sei ein „Coach” – so die von mehreren Seiten laut gewordene Klage und Forderung. Dieser Berater solle „auch nach dem ersten und zweiten Semester weiter nachfragen: ‚Wie weit bist du? Mach mal hier ein Praktikum oder dort. Pass auf, dass deine Seminare mit deinem Berufswunsch übereinstimmen. In welche Richtung geht der denn jetzt?‘” Was also gewünscht wird, ist das Mädchen für alles, das den Weg in das Berufsleben, in die Selbständigkeit und in die Selbstverantwortung kontrollierend mitgestalten soll. Denn obwohl die Studierenden stetig über ihre persönliche Studiensituation und ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt sinnieren, fällt es vielen schwer, sich selbständig über Beschäftigungsmöglichkeiten zu informieren und Praktika zu organisieren. Ebenso fremd ist es ihnen folglich auch, sich in verschiedenen Berufsfeldern auszuprobieren und an der Universität Gelerntes in berufliche Arbeitssituationen zu transferieren.
Die Angst, sich nicht „verkaufen” zu können, scheint bei Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften eng mit einem fehlenden „Selbstwertgefühl” verknüpft zu sein. „Die BWL-Studenten” – natürlich auch Sozialwissenschaftler! –, berichtet ein Teilnehmer, „die bekommen gesagt: ‚Du, du, du und du – ihr seid wer! Ihr werdet die Häuptlinge sein!” „Und wir?”, beschwert sich eine Soziologiestudentin. „Warum sagt uns keiner der Dozenten mal: ‚Ihr seid was wert!‘?” Dieses „Selbstwertgefühl” einzupflanzen und zu aktivieren, obliege dabei nicht allein dem Coach, sondern zum großen Teil den Dozenten, die nach Ansicht von einigen der Teilnehmenden dafür auch andere Lehrveranstaltungen ihres Faches streichen könnten.
Der Wunsch nach „praktischen Erprobungsfeldern” stößt auch bei Andreas Eimer auf Zustimmung. Nur: „Die Angebote, die ihr einfordert, gibt es teilweise schon. Und da besitzt ihr als Studenten eine gewisse Holschuld.” Was beispielsweise geleistet werde, seien Planspiele oder das Herstellen von Kontakten zu Beschäftigten in Personalabteilungen. „Praxisnähe ist wichtig”, betont Eimer, fügt jedoch einschränkend hinzu: „Die Uni ist keine Berufsschule.” Dass die persönlichen Coaches zudem Geld kosten, über das die staatlichen Hochschulen hierzulande nicht verfügen, scheinen einige Studierende nicht zu bedenken. „Für diesen Service”, so Rae-Ann Bories-Easley, die beim Career Service tätig ist und bereits in den USA Studierende in ihrer Berufsfindung begleitet hat, „zahlen die amerikanischen Studenten 30.000 US-$ Studiengebühren pro Jahr.”
Mag sein, dass einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgrund der Workshop-Diskussionen zum Umdenken bewegt werden. „Denkt einmal darüber nach, was euch dazu gebracht hat, euer Fach zu studieren!”, versucht Eimer am Ende des Arbeitstreffens die Gruppe zu motivieren. „Gestaltet die Hochschule mit und knüpft eure Aktivitäten an ihre Angebote an!” Ohne diesen Einsatz könnte es ansonsten wahrlich so sein, dass nicht nur die Studentenzeit, sondern auch das Leben danach nicht lustig wird.
Links zum Thema
- Homepage des Career Service Münster, der durch Workshops und Beratungen Studierenden u. a. beim Einstieg ins Berufsleben hilft.
- Auf www.his.de stellt sich die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) vor. Verfügbar sind hier u. a. Publikationshinweise zum Themenbereich „Universiät und Arbeitsmarkt“ sowie Verweise auf Befragungen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen durch die HIS.
Literatur
Zum Thema „Selbstmarketing” und „Berufsplanung”:
- Sylvia Hermes-Kissling: Abschluß und wie weiter? Der Ratgeber für Frauen zur Berufsplanung. Berlin 2001.
- Jürgen Hesse, Hans Ch. Schrader: Die optimale Bewerbungsstrategie. Bewerbungsunterlagen, Vorstellungsgespräch, Selbstmarketing. Mit Audio-CD. Frankfurt am Main 2002.
- Kai Jörg Hinz, Franck Karrenberg Schäffer: Handbuch Berufsplanung. Mit Formularen, Checklisten und Musterbriefen auf Diskette. Stuttgart 1997.
- Peter Jüde: Berufsplanung für Geistes- und Sozialwissenschaftler. Oder die Kunst eine Karriere zu planen. Köln 1999.
- Christian Püttjer, Uwe Schnierda: Zeigen Sie, was Sie können. Mehr Erfolg durch geschicktes Selbstmarketing. Frankfurt am Main, New York 2003.
Drei von zahlreichen Publikationen, die von Voß und Pongratz zum Thema „Arbeitskraftunternehmer” verfasst worden sind:
- G. Günter Voß, Hans J. Pongratz: „Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitkraft?”, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 50 (1998), Heft 1, S. 131-158.
- Hans J. Pongratz, G. Günter Voß: Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen. Berlin 2003.
- Typisch Arbeitskraftunternehmer? Befunde der empirischen Arbeitsforschung, hg. Hans J. Pongratz, G. Günter Voß. Berlin 2004.