Einmal Business und zurück

SeminarraumWer nur die Schul- und Hochschulwelt gesehen hat, der ist von der Arbeitswelt oft schockiert. Aber wie wirkt die Universität auf einen jungen Geschäftsführer? Unser Autor ist jetzt wieder Student…

Niklas langweilt. Gerade habe ich mich das zweite Mal dabei erwischt, wie ich dazu ansetzen wollte, ihm das Wort abzuschneiden. Vor ein paar Wochen hätte ich mir einen so schlechten Vortrag nicht anhören müssen. Zumindest nicht von einem meiner Mitarbeiter. Niklas Folien sind eine Katastrophe. Vollkommen überfrachtet mit Text in 14pt Schriftgröße. Sein Vortrag ist redundant: Er liest einfach vor, was auf den Folien steht. 97 Folien für geplante 40 Minuten. Dass es 70 werden und ihm keiner mehr zuhört, scheint ihn weder zu wundern, noch Anlass für eine Verhaltensänderung zu sein.

Nach der Kaffeepause ergreift Anne das Wort. Anne hat zwar weder dem Referat von Niklas zugehört, noch die vorgesehenen Texte im Seminarordner gelesen, findet es aber ungerecht, dass man Reiche nicht stärker besteuert. Hätte sie sich vorbereitet oder zugehört, wüsste sie, dass Reiche in der Sprache der Ökonomen „mobile Faktoren“ heißen und vieles dafür spricht, dass sie nur sehr begrenzt besteuerbar sind, weil sie eine „Exitoption“ haben: Sie können der Hochbesteuerung in einem Land einfach durch Wegzug ausweichen. Für Anne sind das dann „Steuerflüchtlinge“. Ich kann mir gerade noch den Vorschlag verkneifen, gegen die Steuerflüchtigen doch einfach wieder eine Mauer zu bauen. Mich stört weniger die Position der Kommilitonin, sondern das Diskussionsniveau: Ich sitze in einem ökonomischen Seminar des Hauptstudiums, nicht in einer politischen Talkshow – oder?

SeminartafelAber dafür ist Anne „wahrhaftig“. Kein gespielt-kontrolliertes Gesicht einer professionellen Geschäftsfrau bei einer Verhandlung. Kein Taktieren, nur die lebendige Empörung einer 21igjährigen. Und: Meine Rückkehr ins Studium war freiwillig. Vor gut vier Jahren hatte ich nach dem Gewinn des Deutschen Studienpreises meine Weichen eigentlich in eine ganz andere Richtung gestellt: Mit hochfliegenden Forschungsplänen, Promotionsstipendium und Visa in der Tasche war ich schon fast auf dem Weg zu einem Auslandsaufenthalt in Asien, als ich mich doch noch zur stürmischen Mitgründung eines Start-ups hinreißen ließ. Nach vier Jahren in der Geschäftsführung war das Unternehmen aus dem Gröbsten raus und mich ließ mein Studium immer noch nicht endgültig los. Neben dem Bedürfnis ein begonnenes Studium abschließen zu wollen ist auch die Sehnsucht nach dem „großen Ganzen“ der wissenschaftlichen Perspektive ein Grund für die Rückkehr.

Nun sitze ich also wieder als Student am heimischen Schreibtisch. Zu schreiben ist meine erste und letzte Hausarbeit nach meiner Unterbrechung. Es ist die Generalprobe vor der Diplomarbeit. Keine Kollegen, die reinkommen und etwas von einem wollen. Keine Sekretärin, die wissen will, ob sie ein Gespräch durchstellen soll. Keine Mitarbeiter, die einen für Meetings oder Kundentermine verplanen. Kein regelmäßiges, gemeinsames Essengehen mittags. Der Blick aus meinem Fenster auf die Winterlandschaft zeigt nicht einmal einen Vogel, der mich ablenken könnte. Dafür die verlockende Möglichkeit, einfach einmal „richtig“ auszuschlafen oder einfach den Fernseher einzuschalten.

Mittlerweile sitze ich wieder gerne an meinem Schreibtisch und arbeite. Er hat mich gezwungen, zu meinem eigenen Rhythmus zurückzufinden und ihm zu folgen. Die Zerstückelung von Arbeitsstrecken in der modernen Büroarbeit entspricht sicher unseren Gewohnheiten in der reizüberfluteten Gegenwart. Aber es ist etwas ganz anderes, eine Hypothese in Ruhe zu Ende zu denken und zu Papier zu bringen. Und sich anschließend noch einen halben Tag durch einen amerikanischen Journalartikel zu quälen – vielleicht findet sich da noch ein nicht bedachter Hinweis? Das Gründlichkeit und Exaktheit eine höhere Priorität haben als schnelle Entscheidungen, dass ist ein faszinierender Luxus der Hochschulwelt. Man muss sich daran gewöhnen.

Um kurz vor zwei Uhr klingelt schließlich doch das Telefon und Maren ist am Apparat. Sie fragt, ob wir uns nicht auf einen Kaffee im „Panini“ treffen wollen. Oder Annette, die jemanden zum spazieren gehen sucht. Nach etwas gegenseitigem Wehklagen über die noch unerledigte Arbeit auf unseren Schreibtischen kann ich dann doch meist nicht widerstehen – schließlich bin ich wieder Student!

Beitrag von Helmut Wagner

Zur Person

Helmut Wagner ist Träger des Deutschen Studienpreises. Im Anschluss erlebte er in der Geschäftsführung eines von ihm mit gegründeten Start-ups vier Jahre Auf und Ab der New Economy. Inzwischen hat sich das Geschäft stabilisiert, das Unternehmen beschäftigt 20 Mitarbeiter und unser Autor ist in den Beirat gewechselt, um sein Studium zu beenden.

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Themen: Arbeitswelt | Hochschule | Karriere
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