Wie kommt die Studienarbeit aufs Papier?
Die Worte wollen nicht aufs Papier, obwohl man doch so viel gelesen hat! Von Struktur keine Spur – weder im Kopf noch auf dem Bildschirm. Was genau wird eigentlich verlangt? Im besten Fall gibt es am Ende doch „irgendwie” eine abgabereife Version und – puh, das ist ja noch mal gutgegangen – eine passable Note. Bis das Spiel von vorne beginnt und die nächste Arbeit geschrieben werden will. Wiederholt sich das leidvolle Spiel endlos?
Schreiben ist inzwischen eine Schlüsselkompetenz der Berufswelt. Die Wissenschaft ist ohne geschriebene Texte nicht denkbar und auch im Studium wird es mit dem Diplom oder Magister nichts, wenn nicht vorher wissenschaftliche Texte angefertigt wurden. Oft muss in einer Hausarbeit ein Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Argumente müssen fachlich fundiert und logisch-folgerichtig aufgebaut und Sachverhalte auf fachspezifisch vereinbarte Weise dargestellt werden. Während in der englischsprachigen Welt schon lange Schreibkurse zum Studium gehören, wurde in Deutschland lange Zeit etwas verlangt, was nie vermittelt wurde. Aber mittlerweile hat man erkannt, dass die Schreibkompetenz keinem in den Schoß fällt. Entsprechende Beratungs- und Trainingsangebote sind überfällig.
Doch was genau verbirgt sich hinter dem wissenschaftlichen Schreiben? Vorweg: Die Vielfalt der dabei zu bewältigenden Aufgaben bringt nicht nur Anfänger oft an ihre Grenzen, sondern auch Fortgeschrittene. Wer schreibt, muss mehrere kognitive und sprachliche Leistungen gleichzeitig realisieren. Die Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind, beginnen beim fachlichen Denken und setzen sich beim Anspruch fort, komplexe Sachverhalte in konventionell vereinbarter Weise zu Papier zu bringen. Wie genau aus Wissen, Gelesenem und neuen Gedanken ein wissenschaftlicher Text wird, untersucht die Schreibprozessforschung. Das dort entwickelte Modell des Schreibprozesses sieht folgendermaßen aus: Die Inspirationsphase ist der Einstieg, in dem zunächst das Thema gefunden werden muss. In der Inkubationsphase wird anschließend das Schreibprojekt geplant, der Adressat mit seinen Interessen geklärt, das Thema erforscht und passendes Material erschlossen. In der Phase der Explikation wird eine Gliederung erstellt und die Rohfassung des Textes geschrieben, die anschließend in der Verifikationsphase überarbeitet und kontrolliert wird. Dieser Prozess läuft allerdings nicht linear ab, sondern ist ein zyklischer, sich ständig korrigierender Prozess: denken, schreiben, forschen, lesen, überdenken, überarbeiten, neu schreiben usw. lösen einander ab.
Hier wird deutlich, dass das wissenschaftliche Schreiben zugleich eine Form wissenschaftlichen Arbeitens ist und damit in den Wissenschaften zum professionellen Handwerkszeug gehört. Vereinfacht könnte man behaupten: die Wissenschaft besteht aus Lesen und Schreiben – über was auch immer. Am Anfang des Schreibprozesses stehen Wissen und Nichtwissen des Autors und die Suche gleicht einem Kampf um neues Wissen, das die Lösung der Forschungsfrage ermöglicht. Beim Versuch, Inhalte strukturiert zusammenzufügen und miteinander zu verbinden, wird schnell deutlich, wie reif eine Problemlösung ist und wo gedankliche Brüche ein erneutes Nachdenken, Nachlesen, Umstrukturieren und Formulieren notwendig machen. Wissenschaftliches Schreiben eignet sich daher sowohl zum Lösen fachlicher Fragen wie auch als Prüfstein für Lösungen. Es geht bei wissenschaftlichen Arbeiten nicht immer um das „Herunterschreiben” von fertig vorgedachten Ergebnissen – viele Autoren entwickeln durch das Schreiben neue Ideen und Zusammenhänge. Weshalb auch selten die erste Fassung zur Abgabe taugt. Vielmehr stellt das Überarbeiten des Textes einen wichtigen und oft (auch zeitlich) unterschätzten Schritt im wissenschaftlichen Schreibprozess dar.
Für Studierende ist es daher wichtig, als ersten Schritt ein Problembewusstsein über die Schwierigkeiten wissenschaftlichen Schreibens zu entwickeln. Es ist nicht die „eigene Unfähigkeit”, die den Schreibprozess oft zur Qual macht, sondern fehlende Übung und Anleitung. Die Logik ist einfach: Wer viel übt und viel schreibt, der kann es besser. An vielen Universitäten existieren bereits Angebote, die bei Schreibproblemen Abhilfe schaffen, in der Form von Kursen, Workshops, Sprechstunden oder Einzelcoachings. Auch die Literatur zum Thema ist vielfältig und wartet mit hilfreichen Tipps und Tricks auf. Mit diesem Handwerkszeug gerüstet besteht für Studierende auch die Möglichkeit, eigene Schreibgruppen zu bilden und sich gegenseitig über die schwierigsten Klippen des Schreibprozesses hinwegzuhelfen.
Trotz aller Hilfen und Übung: Ganz problemlos wird das wissenschaftliche Schreiben nie sein. Es ist nicht nur, aber ein wenig auch „eine Kunst“. Aber eine professionelle Schreibhaltung mit den entsprechenden Kompetenzen macht es Studierenden möglich, die auftretenden Probleme auch professionell zu lösen. Vor alle ist das Schreiben daher ein erlernbares Handwerk.
Link zum Thema
- Das Schreiblabor der Universität Bielefeld mit Tipps und Links
- Das Schreibzentrum der Universität Bochum mit Tipps zum Wissenschaftlichen Schreiben und Angeboten auch für Externe
- Schreibwerkstatt der Universität Duisburg-Essen mit Workshopangeboten und einem „Spr@chtelefon“ für Hilfe bei Formulierungsproblemen
- Tipps für den Umgang mit Schreibproblemen, aus dem "Handbuch Studieren", Campus Verlag 1997, herausgegeben von Otto Kruse
- Anleitung „15 Schritte zur ersten wissenschaftlichen Hausarbeit“, Auszug aus: Otto Kruse: Keine Angst vor dem leeren Blatt, Campus Verlag 1999 (Word-Dokument)
Literatur
- Davis, M. (2004): Scientific Papers and Presentations, Academic Press, San Diego [u.a.].
- Eco, U. (2003): Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt. Müller, Heidelberg.
- Esselborn-Krumbiegel, H. (2004): Von der Idee zum Text: Eine Anleitung zum wissenschaftlichen Schreiben. Schöningh, Paderborn [u.a.].
- Kruse, O. (1999): Keine Angst vor dem leeren Blatt. Campus Verlag, Frankfurt/Main.