Studium: Medizin. Beruf: Arzt. Endstation: Fließband?

*Was kann man tun, damit eingewanderte Akademiker nicht den Rest ihres Arbeitslebens mit dem Putzlappen in der Hand verbringen? Im Einwanderungsland USA sorgt eine engagierte Unternehmerin für gelungene Arbeitsmarkt-Integration. Eine deutsche Rechtsanwältin nimmt sich dieses Modell jetzt zum Vorbild.

Seit einem Jahr ist Deutschland Einwanderungsland: Das Zuwanderungsgesetz vom Juli 2004 erlaubt hoch qualifizierten Ausländern, sich in Deutschland niederzulassen und eine Arbeit aufzunehmen. Was für Deutschland neu ist, hat in anderen Ländern schon lange Tradition: Im klassischen Einwanderungsland USA sorgt Jane Leu mit ihrer gemeinnützigen Organisation „Upwardly Global“ in Kalifornien dafür, dass vietnamesische Ärzte auch in den USA Patienten kurieren und promovierte Mexikaner die amerikanische Forschung voranbringen. In Deutschland möchte Heike Hoffer mit einer ähnlichen Initiative neuen Einwanderern zukünftig die Integration erleichtern.

Im Juli 2004 wurde nach langer Vorlaufzeit das neue deutsche Zuwanderungsgesetz verkündet. Eine der wichtigsten Neuerungen: Unter dem Punkt Arbeitsmigration wird für Hochqualifizierte die Gewährung eines Daueraufenthalts von Anfang an vorgesehen (sofortige Niederlassungserlaubnis). Auch mit- oder nachziehende Familienangehörige dürfen eine Erwerbstätigkeit ausüben.

Warum arbeiten ein Arzt am Fließband einer Hühnerfarm und eine Buchhalterin als Babysitter? Warum wird eine asiatische Akademikerin in Bewerbungsgesprächen immer wieder abgelehnt? Die US-Amerikanerin Jane Leu ist diesen Fragen in ihrer Diplomarbeit nachgegangen und stellte fest, dass das Fehlen professioneller Netzwerke Immigranten und Flüchtlinge in den USA daran hindert, eine ihrer Qualifikation angemessene Arbeit zu finden.

Nach dem Abschluss ihres Studiums arbeitet Leu in der Betreuung von Immigranten und Flüchtlingen und findet auch in der Praxis gravierende Defizite: „Ich sah all diese bestens ausgebildeten Menschen in Fabriken Hühnchen zerschneiden und mir wurde klar, dass das System zwar gut darin ist, den Leuten irgendeinen ersten Job zu vermitteln, aber dann niemand da ist, um ihnen zu helfen, die nächste, ihrer Qualifikation angemessene Stelle zu finden.“

Jane Leu wollte das ändern. Ausgehend von dieser Idee gründete sie 1999 in Kalifornien die gemeinnützige Organisation „Upwardly Global“ und begann, Immigranten und Flüchtlinge zu beraten. Die Arbeitssuchenden, die sich an Sie wenden, werden geschult, wie und wo sie in den USA am besten nach Jobs suchen können. Sie erhalten Hilfe beim Schreiben von Bewerbungen und bei der Aufbereitung ihres Lebenslaufs. Ein besonders wichtiges Angebot ist das Training für Bewerbungsgespräche. Sie laufen in jeder Kultur anders ab und erfordern jeweils andere Qualitäten. „Wir haben viele Klienten aus Ländern, in denen Bescheidenheit eine wichtige Tugend ist“, sagt Leu. „Wenn solche Leute sich in ihrer gewohnten Art in einem amerikanischen Bewerbungsgespräch präsentieren, werden sie schnell als wenig qualifiziert und nicht ehrgeizig genug eingeschätzt. Wir ermutigen sie, sich so darzustellen, wie es ihrer Qualifikation entspricht.“

"Ausweg Wachstum?"Alicia Soto beispielsweise hat in Mexiko Elektrotechnik und Telekommunikation studiert und über das Design von optischen Netzwerken promoviert. Nachdem sie in die USA eingewandert war, fand sie jedoch nur eine Anstellung als Kassiererin bei einem Obst- und Gemüsehändler. Bis sie mit einer Mentorin von Upwardly Global zusammenarbeitete: „Ich habe eine Menge von einschlägigen, klaren und präzisen Hinweisen bekommen. Die Bemühungen meiner Mentorin haben mir geholfen, besser zu verstehen, wie die amerikanische Arbeitskultur funktioniert. Ich habe ihre Vorschläge ausprobiert und das Ergebnis gibt mir das Gefühl, selbstsicherer zu sein und meine Situation selbst gestalten zu können.“ Heute arbeitet Soto als Post-Doktorandin in einem Forschungslabor der University of California.

Angefangen hat Jane Leu mit der nebenberuflichen Beratung von Immigranten zu Hause an ihrem Küchentisch. Heute ist „Upwardly Global“ eine erfolgreiche gemeinnützige Organisation, die seit ihrer Gründung 1999 über 200 Menschen vermittelt hat und mittlerweile drei Mitarbeiterinnen beschäftigt.

Doch nicht nur die Immigranten brauchen Beratung. Auch Unternehmen haben viele offene Fragen: Wie bewertet man Lebensläufe mit ausländischer Ausbildung und Berufserfahrung? Wie läuft ein kulturell kompetentes Bewerbungsgespräch ab? Was muss beim Management von interkulturellen Teams beachtet werden? In Seminaren für Arbeitgeber gehen die Trainer von Upwardly Global ausführlich auf diese Themen ein. Verschiedene Studien bestätigen außerdem die wirtschaftlichen Vorteile der Integration von Immigranten: Die Universität von Illinois hat untersucht, dass interkulturelle Teams in Bezug auf höhere Innovationen und bessere Entscheidungsfindung erfolgreicher sind als homogen zusammengesetzte Gruppen. Unternehmen erzielen sogar einen um zehn Prozent höheren Aktienkurs, wenn sie seit längerem einen interkulturellen Personalstamm aufbauen und erhalten, berichtet das Wall Street Journal. In den USA hat diese Praxis unter dem Stichwort ‚Diversity‘ in vielen Personalabteilungen Einzug gehalten und auch deutsche Unternehmen erkennen zunehmend, dass für den Erfolg auf dem globalen Markt auch eine international zusammengesetzte Arbeitnehmerschaft wichtig ist. Die Ford Werke AG in Köln zum Beispiel beschäftigt einen ‚Diversity Manager‘ und das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung fördert ein ‚Competence Center Diversity‘.

Trotz dieser Vorteile stoßen Leu und ihre Kolleginnen immer wieder auf Vorbehalte: Die Fremdheit anderer Kulturen und die Angst, ob und wie sich Ausländer in die Unternehmenskultur integrieren werden, erschweren die Vermittlung von Immigranten. „Es kommt vor, dass Personalabteilungen Bewerbungsschreiben zurückschicken, nur weil der Name auf dem Lebenslauf exotisch klingt. Damit verschwenden die Unternehmen Humankapital“, meint Leu. Auch dem Vorwurf, ihre Klienten würden Einheimischen Jobs wegnehmen, begegnet Jane Leu entschieden: „Unsere Arbeit besteht ja nicht darin, ins Ausland zu gehen und Arbeitskräfte zu rekrutieren. Wir beraten diejenigen, die bereits hier sind. Wir arbeiten mit Menschen aus Entwicklungsländern und Kriegsgebieten, die ihr Land nicht zum Spaß verlassen haben. Diesen ‚neuen Amerikanern‘ helfen wir, sich zu integrieren.“ Integration ist das Zauberwort, wenn es um Zuwanderung geht – auch in Deutschland.

*Die deutsche Rechtsanwältin Heike Hoffer hat ebenfalls festgestellt, dass es einen großen Beratungsbedarf bei hoch qualifizierten Einwanderern und Flüchtlingen gibt, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Während ihres Master-Studiums in den USA lernt sie Jane Leu kennen und freut sich zu sehen, dass eine solche Initiative erfolgreich funktionieren kann. Hoffer ist mittlerweile aus den USA zurückgekehrt und möchte das erfolgreiche Konzept in ihrer Freizeit in die Tat umsetzen und eine gemeinnützige Organisation wie Upwardly Global auch in Deutschland aufbauen.

Denn obwohl die derzeitige Lage am Arbeitsmarkt den Eindruck entstehen lässt, dass Deutschland alles andere als weitere Arbeitskräfte braucht, sieht die langfristige Entwicklung anders aus: Das Institut der deutschen Wirtschaft prognostiziert, dass ohne weitere Maßnahmen die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland bis zum Jahr 2050 um knapp 30 Prozent abnehmen wird. Gleichzeitig wird nach Aussage des Statistischen Bundesamts der Anteil der über Sechzigjährigen stark wachsen. Europa ist in Gefahr, zu einem „Ort für alte Leute mit alten Ideen“ zu werden, warnt Heather Grabbe, Forschungsdirektorin vom Centre for European Reform in Großbritannien. Zuwanderung kann die Alterung zwar nicht verhindern, aber verlangsamen. Auch in den USA wird vom Bureau of Labour Statistics für das Jahr 2010 ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften von über zehn Millionen prognostiziert. Ohne Einwanderung wäre die Situation in den USA noch drastischer. Eine Studie von Watson Wyatt Worldwide für das Weltwirtschaftsforum stellt fest, dass es in den entwickelten Ländern kaum ausreichend robuste Einwanderungsraten gibt, um für eine weiterhin leicht wachsende Bevölkerung zu sorgen. Mit der Verkündung des Zuwanderungsgesetzes im Juli 2004 ist jetzt auch in Deutschland erstmals ein Rechtsrahmen vorgegeben, der eine bedingte Zuwanderung ermöglicht. Bundesinnenminister Otto Schily nennt das eine „historische Zäsur“. Und für die Immigranten ist Heike Hoffers Initiative eine echte Chance.

Beitrag von Katrin Winkelmann

Links zum Thema

  • Homepage der gemeinnützigen Organisation von Jane Leu zur Vermittlung von Einwanderern und Flüchtlingen in den USA
  • Informationen des Bundesinnenministeriums über Neuregelungen und Hintergründe der Zuwanderung

Zur Person

Katrin Winkelmann hat an der TU Darmstadt Bauingenieurwesen studiert und an der RWTH Aachen im Maschinenbau promoviert.

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Themen: Hochschule | Medizin
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