"Das eigentliche Studium war verwirrend."

Christian HuntWürzburg ist eine alte, traditionsreiche Unistadt. Leider ist das Studium dort sehr chaotisch, findet zumindest der Amerikaner Christian Hunt. In Oxford hingegen seien die meisten Profs recht oft betrunken. Lesen Sie ein weiteres Interview aus unserer Reihe „Studieren in Deutschland“.

sciencegarden: Wie war Dein Weg nach Deutschland?

Christian Hunt: Mein Weg nach Deutschland war ganz persönlich: Ich habe schon früh Musik gemacht, mit drei angefangen Geige zu spielen. Es war bei uns zu Hause klar, dass deutsche Musik gespielt wurde, deutsche Komponisten. In der Highschool hatte ich eine ganz gute Freundin, wir haben zusammen Hermann Hesse und auch Immanuell Kant, Friedrich Nietzsche, Novalis gelesen – auf Englisch natürlich – und darüber diskutiert. Das hat uns sehr interessiert. Aber an meiner Highschool gab es keine Möglichkeit Deutsch zu lernen, ich wollte aber unbedingt Deutsch lernen …

sg: Aus kulturellen Gründen?

CH: Ja, ja, auf jeden Fall. An der Uni gab es die Möglichkeit Deutsch zu lernen und auch zu studieren. Wie üblich habe ich im Rahmen des Studiums das dritte Jahr im Ausland verbracht, in Deutschland. Ich habe ein Jahr in Würzburg verbracht. Ich wollte von meiner Heimat auch weg, ich wollte ins Ausland damals. In Würzburg habe ich dann Literaturwissenschaft, Soziologie, Religion, Philosophie studiert, einfach alles belegt. Zuerst war ich aber einen Monat auf dem Land, in Ost-Westfalen. Ein ganz kleines Dorf, ich habe mitgeholfen ein Fachwerkhaus zu renovieren, sehr deutsch also. Das College hat das als Vorbereitung organisiert, ich habe in einer Familie gewohnt.

sg: Wie war Dein Eindruck von der Uni, von Würzburg?

Gegründet wurde die Rhodes Stiftung Anfang des 20. Jahrhunderts von Cecil Rhodes, englischer Politiker und Unternehmer, der durch seinen umstrittenen Einfluss im kolonialen Südafrika und dem von ihm gegründeten Rhodesia (heute Zimbabwe) bekannt ist. Jedes Jahr kommen 90 Rhodesstipdendiaten aus aller Welt (The British Commenwealth, USA und Deutschland) für einen ein- bis dreijährige Studienaufenthalt nach Oxford. Die Stipendien, die in allen englischsprachigen Ländern als höchst angesehen gelten, sind mit mindestens £9.600 jährlich, zuzüglich aller Gebühren, dotiert.

CH: Wir sind zu 15 Leuten in ein Wohnheim gezogen, eigentlich ein Ausländerghetto. Da wohnten nur Ausländer und Ostdeutsche, wenn ich das so sagen darf. Akademisch war es für mich etwas verwirrend. Erst haben wir einen Sprachkurs gemacht. Das eigentliche Studium war aber verwirrend. Wir haben nie gewusst, ob etwas stattfindet oder wo es stattfindet. Man musste erst hingehen und kleine Zettelchen lesen, die aushingen usw. Für uns war das alles sehr ungewöhnlich.

sg: Also Du hast ins Vorlesungsverzeichnis geschaut und überlegt, was du machen sollst?

CH: Genau. Dann bin ich hingegangen und es fand nicht statt. Ich wollte ein Nietzsche-Seminar besuchen, da hing ein Zettelchen, es fände nicht statt. Dann musste ich umplanen. Vor dem nächsten Seminar hing ein Zettelchen: Findet hier nicht statt, sondern woanders … Das war alles doch recht kompliziert, man hat immer vieles verpasst.

sg: Also schlecht organisiert?

CH: Kurz gefasst: Ja.

sg: Wie waren Deine Studienerfahrungen in North-Carolina? Ist das vergleichbar?

CH: Nein, ich war auf einem kleinen College mit nur 1600 Studenten. Das kann man nicht vergleichen. Aber es ist besser organisiert, die Seminare fanden statt, man wusste auch wo und sonst konnte man im Internet nachschauen. Das ist etwas praktischer als Zettelchen.

sg: Hattest Du in Würzburg Kontakt zu Professoren?

CH: Tja, man wird da eher ignoriert. Das College von dem ich kam, das war so aufgebaut, dass man immer persönlichen Kontakt hat. In Würzburg war es ganz unpersönlich. Es gab aber eine Ausnahme, ein Professor hat einmal mit mir Mittag gegessen. Das war ein Kurs über Architektur in Würzburg, über Baudenkmäler. Das war aber wohl Zufall. Also bei den anderen war es wichtiger, dass man hinterher läuft und diese notwendigen Stempel bekommt. Also Ausländer benötigt man hier viele Stempel und das ist nicht einfach. Ich habe viel warten müssen vor Sprechstunden und Ämtern, weniger studiert. Die Leute waren auch sehr zögerlich, überall werden Probleme gesehen oder erfunden. Es war nicht so schlimm, ich habe in dem Jahr Deutsch lernen wollen, es ging nicht ums Studium. Das war ja auch sehr kompliziert.

sg: Also kein leichter Einstieg?

CH: Ich habe überall mehr gelernt als an der Uni. Durch Museen, Städtereisen usw. Also was die Arbeit betrifft war es natürlich ein Witz. Auf meinem College in den USA erwartet man, dass man ganz viel arbeitet und lernt. Es ist eine andere Mentalität, vielleicht ein bisschen krankhaft, aber man lernt sehr viel. Es wird erwartet, dass die 24 Stunden am Tag arbeiten und lernen. Dann muss man in Sozialprojekten mitarbeiten, benachteiligte Jugendliche betreuen zum Beispiel. Man ist völlig eingespannt. Als wir in Deutschland waren, war es ein Witz: Wir hatten nichts zu tun. Von der Uni in Würzburg wurde nichts erwartet. In Amerika ist es eine Lebensform, hier eine freiwillige Nebentätigkeit. Die Freiheit ist gut, wenn man will. Ich wollte unbedingt „Der Zauberberg“ lesen, dazu habe ich auch ein Seminar besucht. Da aber dort die Studenten das Buch zwar lesen sollten, aber nicht mussten, habe ich sehr wenig gelernt. Ich habe hauptsächlich außerhalb der Uni gelernt, was ich wollte. Kunstmuseen, Biergärten.

sg: Wie ging es nach Würzburg weiter?

CH: Ich bin zurück in die Staaten gefahren, hatte aber ganz engen Kontakt zu meiner Familie in Westfalen. Ich habe sie auch besucht. Im letzten Jahr in North-Carolina habe ich mich, eigentlich aus Scherz, um ein Stipendium nach Oxford (England) beworben. Aber nach vier Tagen „Job-Interview“, musste ich auch nach Washington, bin durchgekommen und hatte dieses Stipendium. Es gibt da eher Verhaltenstests, weniger Wissenstests, sie beobachten einen bei einem Empfang, fragen einen aus usw.

sg: Und dann bist Du auf den Pfaden von Henry James nach England?

CH: Ja, ich bin nicht Henry James, aber man ist neugierig auf Europa. Ich bin sehr dankbar für das Stipendium. Die Freiheit in Deutschland hat mir sehr gefallen, das war sehr persönlich, aber es war auch eine Befreiung. Es kommt aber darauf an, wo man her kommt. Für einen New Yorker ist Deutschland sicher nicht befreiend, für einen Südstaatler aus der konservativen Provinz ist es aber sehr befreiend. Sogar in Bayern! Die USA sind nicht eine homogene Kultur. Für mich war Deutschland viel moderner und freier.

sg: Wie waren Deine Erfahrungen in Oxford? Du hast dort deutsche und englische Literaturwissenschaft studiert.

CH: Ja, ich war sehr kritisch. Oxford steht für eine elitäre Kultur, nicht gerade meine Welt. Ich komme aus den Südstaaten. Aus der oxforder Perspektive gibt es da nur Farmer, trotz Nobelpreisträgern wie William Faulkner. Aber meine Vorurteile haben meine Wahrnehmung auch negativ beeinflusst, ich war nicht sehr offen. Oxford ist zuerst einmal eine unglaublich schöne, sehr alte Stadt. Das macht es schwierig, etwas zu lernen. Man ist abgelenkt.

sg: Wodurch?

CH: Na ja, vor allem, weil man dort um 12 Uhr mittags schon das erste Pint trinken muss. Die Lehrkräfte und Studierenden trinken, jeden Tag. Überall, wo man hingeht, bekommt man einen Sherry oder Portwein in die Hand gedrückt. Man kann das nicht immer ablehnen, aber man ist auch nicht mehr ganz klar im Kopf danach. Das ist dort aber der Lebensstil. Man darf es nicht sagen, aber viele geniale Professoren dort sind Alkoholiker. Aber sie leben in diesem Gelehrtenkosmos, es ist ja ein geschlossener Campus. Diese Welt dort scheint vor 200 Jahren zugefroren.

sg: Wie waren Deine konkreten Studienerfahrungen im Vergleich zu Deutschland und USA?

CH: Ich habe das Gefühl in Oxford gehabt, dass dort ganz viele kluge Menschen sind, die schreiben ganz tolle Bücher, sie sind extrem gelehrt, unheimlich gut belesen, sehr talentiert – aber eben keine Lehrer. Das fand ich schade, es gab dort ein Kampf der Gelehrten, aber sie konnten nicht unterrichten, nicht vermitteln. Es war weniger eine Gemeinschaft, wie in den USA. In Oxford arbeiten große Wissenschaftler, die pädagogisch oft völlig inkompetent sind. Da bleiben nur deren Bücher. Und es gibt schöne Bibliotheken dort. Man bekommt als Student auch schnell Minderwertigkeitskomplexe. Oder man hat das Gefühl, dass man ein Gott ist, weil man nahe mit diesen gelehrten Göttern, den Professoren, zusammen lebt. Beides ist ziemlich seltsam. Dann gibt es das Phänomen, das Engländer und Ausländer dort in verschiedenen Welten leben. Es ist sehr international, aber die englische Community schottet sich ab. Auch sehr eigenartig. Amerikaner sind sehr unbeliebt in Oxford und Cambridge, sie werden als Akademiker gar nicht ernst genommen, das sind sehr alte Vorurteile. Die Kleidungs- und Verhaltensvorschriften sind altertümlich und zum Teil witzig.

sg: Wie war die Betreuung dort?

CH: (Lacht!) Sehr unterschiedlich, aber eigentlich schlecht. Einer der bekannten Professoren, ich möchte den Namen nicht nennen, hatte viel Zeit für mich. Aber er war eigentlich immer betrunken. Das war hinderlich. Man musste mit ihm die Zeit in der Kneipe verbringen, er hat bezahlt, was ja auch witzig ist. Ist das schon Pädagogik?

sg: Na ja, eine spezielle Art vielleicht. Aber nur, weil es Götter sind. In Deutschland bekommt man auch nur schwer Kontakt zu Professoren, aber immerhin sind sie meist nüchtern.

CH: Es ist in Oxford genau so schwer wie in Deutschland, nur das Betreuungsverhältnis ist ganz anders. Ich hatte Seminare mit drei Studierenden, sogar Einzelunterricht bei Professoren. Das findet in deren Büros statt, oft alte Privatbibliotheken, natürlich gibt es Portwein. Das habe ich in Deutschland nicht erlebt, obwohl Würzburg eine alte Stadt ist. Die Betreuung in Oxford, die ich erlebt habe, bestand zwar aus amüsanten Äußerungen über meine Arbeiten. Aber das war eher selber Dichtung und keine Hilfe. Manche Kommentare der Professoren waren auch beängstigend.

sg: Warum?

CH: Ja, als ich mein erstes Kapitel der Abschlussarbeit abgegeben habe, da war der einzige Kommentar des beratenden Professors: „Christian, you see, reading your writing is like ejaculating over a pair of old boots.“

sg: Das wars?

CH: Ja, beängstigend, oder? Was sollte ich damit anfangen?

sg: Ach, Deutschland ist gar nicht so schlecht!

CH: Nein, gar nicht! Und hier sind Amerikaner beliebter als in Oxford, das macht vieles einfacher…

Das Interview führte Frank Berzbach

Links zum Thema

  • Das Davidson College (USA) über Christian Hunt
  • Die Universität Oxford
  • Infos zum Rhodes-Stipendium

Zur Person

Christian Hunt wurde 1978 in Charlotte in North-Carolina geboren. Er hat zuerst dort, dann in Würzburg und Oxford (England) deutsche und englische Literaturwissenschaft und Philosophie studiert. Er lebt heute in Bonn, wo er an der Universität und in der Weiterbildung unterrichtet.

Kategorien

Themen: Studieren in Deutschland
backprinttop

Newsfeeds

Online-Recherche

Suchmaschinen, Infos, Datenbanken » mehr

Rezensionen

Buchrezensionen der sg-Redaktion » mehr

Wettbewerbe

Forschungswettbewerbe in der Übersicht » mehr

Podcasts

Übersicht wissenschaftlicher Podcast-Angebote » mehr

Mitmachen

/e-politik.de/

Aktuelle Beiträge:

Raumfahrer.net

Aktuelle Beiträge:

Anzeige