Hilfe, ein AC!
Ein Tisch steht mitten im Raum – an der rechten Raumseite sitzen eine Reihe von Damen und Herren in feinen Stoffen, ernst, den Bleistift gezückt, Blätter vor sich. Die Tür geht auf – drei junge Männer und eine junge Frau treten ein. Sie schauen unsicher, nehmen Platz und erhalten ein Blatt Papier. Zehn Minuten Zeit haben sie zum Lesen und Vorbereiten der darauf beschriebenen Aufgabe: Sie sollen gemeinsam ein Konzept für eine Unternehmensgründung entwickeln.
Bei allen arbeitet der Kopf angestrengt: Oje, was wollen die jetzt? Wurde ich schon beim Hereinkommen beobachtet? Wie soll ich mich verhalten? Ich muss gut zuhören, ich sollte initiativ sein, sollte meinen Vorschlag verteidigen – oder?
Eine typische Situation in einem Assessment Center (AC). Hochschulabsolventen steht es oft genug bevor, wenn sie sich auf Jobsuche machen. Fällt dieser Begriff, bricht der große Schrecken aus. Um Himmels willen, ein AC! Es kursieren ungezählte Anekdoten und Erlebnisberichte – alle unterschiedlich, weil jedes AC unterschiedlich ist und jeder Mensch anders wahrnimmt. Viele verdienen an dem Schüren der Angst vor dem AC – dem „härtesten Personalauswahlverfahren“, wie ein Ratgeber titelt. Die Zahl solcher Ratgeber und Testknacker, der vorbereitenden Seminare und Trainings ist enorm.
Doch worum geht es bei diesem Verfahren eigentlich? Was macht es aus, wo liegen seine Probleme – und was kann man zur Vorbereitung tun?
Das Assessment Center (von engl.: to assess – beurteilen) ist ein Verfahren mit Geschichte: Bereits in den 30er Jahren wurde es von deutschen Wehrmachtspsychologen zur Auslese des Offiziernachwuchses entwickelt. In den 50er Jahren in den USA wieder aufgegriffen, ist es seit den 80er Jahren ein verbreitetes und in der Personalpraxis akzeptiertes Verfahren. Neben den klassischen Vorstellungsgesprächen müssen die Bewerber etwa einen Persönlichkeitstest beantworten, ein Rollenspiel durchführen oder einen kleinen Vortrag halten. Dieses Baukastenprinzip ist ein Kennzeichen des Assessment Centers: Es kombiniert unterschiedliche einzelne Verfahren und Aufgaben (vgl. Kasten 1).
Zumeist wird es zur Personalauswahl eingesetzt, aber auch als Beurteilungs- und Förderinstrument. Das Verhalten der Teilnehmer – oft zwischen sechs und zwölf Personen – wird dabei von mehreren Personen gleichzeitig in verschiedenen Übungen beobachtet. In aller Regel gehören Vorgesetzte, Psychologen und Mitarbeiter der Personalabteilung zum Beobachterteam.
Deshalb werden ACs in erster Linie von größeren Unternehmen – gerade im Nachwuchsbereich wie bei Traineeprogrammen – durchgeführt, denn die Konzeption und Durchführung eines ACs kostet eine Menge Zeit, Geld und personellen Aufwand. Aber auch in anderen Bereichen, etwa bei Stiftungen oder im öffentlichen Dienst, und in kleineren Unternehmen kommen Elemente des ACs häufig zum Einsatz.
Beurteilt werden sollen bestimmte „Verhaltensdimensionen“, die von den Unternehmen definiert und zusammengestellt werden (vgl. Kasten 2). Hierzu werden beispielsweise Stelleninhaber und Experten danach befragt, was ihrer Meinung nach für ein erfolgreiches Ausfüllen der Stelle wichtig ist. Grundsätzlich steht weniger das fachliche Wissen im Vordergrund, sondern vielmehr die Persönlichkeit, das Kommunikationsverhalten und die Motivation eines Kandidaten.
Das Baukastenprinzip und der spezifische Zuschnitt der Aufgaben gilt als eine Stärke des ACs. Für die Qualität eines ACs ist es daher ausschlaggebend, Situationen aus dem Berufsalltag möglichst realistisch in Übungen umzusetzen. Ein typisches Rollenspiel für Fachkräfte einer Versicherung ist zum Beispiel ein Kundengespräch. So könnte der Bewerber auf einen Kunden treffen, der sich aufregt, weil sein Schaden nicht übernommen wird. Oder: Eine angehende Führungskraft muss im Rollenspiel mit einem Mitarbeiter sprechen, der wegen schlechter Leistung aufgefallen ist, und versuchen, ihn zu motivieren.
Mit standardisierten Aufgaben kommt man hierbei nicht weit, so dass ACs zumeist für den individuellen Fall konzipiert werden, sei es von internen, psychologisch geschulten Mitarbeitern oder durch externe Unternehmen, wie etwa Beratungen. Allerdings arbeiten sehr viele derzeitige ACs fast ausschließlich mit Arbeitsproben und Simulationen.
Wie gut ein AC ist, hängt außerdem davon ab, wie sorgfältig die Beobachter arbeiten. Die Leistungen der Teilnehmer werden von den Beobachtern in der Regel anhand vorgegebener Skalen eingeschätzt. Die Einzelurteile werden dann entweder rechnerisch zusammengefasst oder diskutiert und im Konsens festgelegt. Die Gesamtnote ist oftmals Grundlage eines Feedback-Gesprächs mit dem Teilnehmer.
Doch wie objektiv, wie präzise sind menschliche Beobachter? Tatsache ist: Selbst wenn das Unternehmen das AC nach allen Regeln der Kunst entwickelt hat, unterlaufen den Beobachtern im Verlauf des Verfahrens immer wieder zahlreiche sogenannte Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler (s. Kasten 3). Diese „Fehler“ sind allzumenschliche psychologische Vorgänge, die man auch durch Schulungen nicht vollständig in den Griff bekommen kann.
So kommt es immer wieder vor, dass die Beobachter nicht ausreichend unterscheiden, wenn sie einen Teilnehmer auf verschiedenen Dimensionen innerhalb einer Aufgabe einstufen sollen – sie denken in viel zu globalen Kategorien. Beschreibung und Bewertung lassen sich demzufolge nur schwer trennen.
Davon abgesehen ist unklar, wie sehr Unternehmen überhaupt authentisches Verhalten zu sehen bekommen. Denn auf die für den Praktiker relevante Frage, was im AC eigentlich gemessen wird, gibt die Forschung erst allmählich Antworten. Klar ist: Jeder Teilnehmer stellt Vermutungen darüber an, was die Beobachter wohl erwarten, und versucht, das eigene Verhalten entsprechend zu steuern.
Neuere Studien sprechen dafür, dass das AC tatsächlich Teilnehmende bevorzugt, die in der Lage sind, die Anforderungen und Erwartungen zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Das AC liefert also eine doppelte Information: einerseits über berufliche Fähigkeiten, andererseits – und dies ist bisher eigentlich gar nicht Ziel des Verfahrens – geben die Ergebnisse Auskunft über die Kompetenz des Bewerbers, sich selbst optimal darzustellen. Ob und in welcher Form diese Fähigkeit allerdings im Berufsleben bedeutsam ist, wird zurzeit noch kontrovers diskutiert.
Ein Assessment Center ist mit Sicherheit eine Stresssituation für jeden Bewerber, es ist völlig normal, aufgeregt zu sein, wenn man unter Beobachtung steht. Doch Panikmache hilft nicht viel und niemand kann sich auf alle denkbaren Situationen vorbereiten. Was vorbereitende Trainings leisten, ist weniger, für jede nur denkbare Situation gewappnet zu sein. Sie helfen einfach, sich gewisse Routinen für eine solche Stresssituation zu verschaffen. Außerdem haben auch die Arbeitgeber Angst und stehen mit ihrem Unternehmen auf dem Prüfstand. Ein AC ist auch eine Chance für den Bewerber, auf wichtige Fragen Antworten zu finden, beispielsweise, wie das Unternehmen mit den Teilnehmern umgeht: Wird man wie ein Mitarbeiter behandelt oder nur wie eine Nummer?
Und da in den Köpfen aller Bewerber immer auch der Film läuft, was das Unternehmen nun gerade sehen und hören möchte, ist eine absolut zentrale Frage: Kann ich denn in dieser Position mit dem, was das Unternehmen wünscht, nachher selbst leben? Entspricht die Tätigkeit meinen Vorstellungen? Entscheidend sind letztlich aber doch die Personen und deren Authentizität – und zwar auf beiden Seiten: Bewerber und Unternehmen.
Links zum Thema
- Auf den Seiten des Arbeitskreises Assessment Center finden sich vielfältige Informationen und Literatur zum Thema AC
- Diese Site richtet sich an Bewerber, die sich einem AC stellen müssen (Assessment-Center-Berichte)
- Jede Menge Infos & Tipps
Zur Person
Claudia Gerhardt hat Psychologie und Germanistik an der Universität Trier und der University of Stirling, Schottland, studiert. Nach dem Diplom arbeitete sie als Redakteurin der Fachzeitschrift „Wirtschaftspsychologie aktuell“ sowie als freie Trainerin. 2005 beendete sie ihre von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft unterstützte Promotion an der Universität Trier. Seither ist sie im Referat der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der VolkswagenStiftung tätig.
Literatur
- Hermann-Josef Fisseni/Georg P. Fennekels (1995): Das Assessment-Center. Eine Einführung für Praktiker. Göttingen.
- Uwe Peter Kanning (1999): Die Psychologie der Personalbeurteilung. Göttingen.
- Ain Kompa Ain (2004): Assessment Center. Bestandsaufnahme und Kritik. 7. verb. Auflage. München.