Die Büchse der Pandora – Wissenschaftsjournalisten als Brücke zur Öffentlichkeit
Wissenschaft ist ohne Kommunikation unvorstellbar. Wie sonst kann scheinbar gesichertes Wissen in Frage gestellt, können gewohnte Denkweisen aufgebrochen und ungewohnte Lösungsvorschläge entwickelt werden?
In einer Zeit hoher Veränderungsdynamik, in der ‚das Wissen‘ bzw. ‚Information (oder auch: Datenmüll) schier explodiert, gilt dies umso mehr. Dabei ist es schon eine Herausforderung für Forscher mit unterschiedlichen Spezialgebieten, eine gemeinsame Sprache zu finden, geschweige denn an den jeweiligen Fachdiskursen teilzunehmen. Der wissenschaftlich interessierte Laie sieht sich erst recht vielfältigen Barrieren gegenüber, die demotivieren und Angst auslösen können. Wirkliche Teilhabe ist letztlich nur einem kleinen Spezialistenkreis vorbehalten. Das ist das Manko unserer arbeitsteiligen Welt – die großen Entwürfe verlieren sich in unendlichen Puzzleteilen.

Viele Menschen stehen der Wissenschaft und auch den Wissenschaftlern skeptisch gegenüber. Was soll man glauben, wenn Fachleute eine Meinung zum Besten geben und – kaum geschehen – erscheint ein Pulk Gegenexperten, die sagen, das sei alles nicht erwiesen?
Wissenschaftliche Prognosen gelten als suspekt, man glaubt ihnen kaum mehr als dem Wetterbericht oder Horoskop. „Nicht alles, was die Forschung tut, ist mehr willkommen, und nicht alles, was die Forschung will, wird mehr akzeptiert. Auf einmal, so scheint es, ist aus dem Wunderkabinett der Wissenschaft die Büchse der Pandora geworden“, so formuliert es der Philosoph Jürgen Mittelstraß. Machbarkeitsoptimismus und Technikgläubigkeit sind den Menschen fremd geworden.
Doch Forschung braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Für die Wissenschaft wird es immer mehr zur Anforderung, die Ängste und Zweifel der Menschen ernst zu nehmen und mit ihnen „auf gleicher Augenhöhe“ (Edelgard Bulmahn) zu sprechen.
Das ist eine schwierige Aufgabe angesichts der grundlegenden Asymmetrie der Kommunikation zwischen Experten und Laien. Auch heute noch basieren weite Teile der Wissenschaftskommunikation auf einfachen Sender-Empfänger-Modellen: Ein Experte sendet sein codiertes Wissen an einem Empfänger, der versucht, die Signale zu deuten.
Das kann aus vielerlei Gründen nicht funktionieren. Weder wird bedacht, dass sich das Verhältnis Sender-Empfänger auch umkehren ließe noch lässt sich in den multimedialen, global vernetzten Kommunikationen unserer Zeit von bilateralen Prozessen ausgehen. Gar nicht zu sprechen davon, dass es so etwas wie ‚die Öffentlichkeit‘ nicht mehr gibt. Sie zerfällt in vielfältige Adressatengruppen, die auf je spezifische Weise angesprochen werden müssen.
Doch wie sehr sollen, wie sehr können die Wissenschaftler selbst den Spagat zwischen Elfenbeinturm und Öffentlichkeit bewältigen? Laufen sie nicht Gefahr, zu „Feuilletonprofessoren“ zu werden? Stets beliebt bei den Medien, die sich allzu bequem immer die gleichen Experten ins Studio oder Blatt holen, aber nicht mehr für voll genommen und als Narzissten abgestempelt bei den Kolleginnen und Kollegen?
Hier braucht es „hilfreiche Geister“ – Vermittler – wie Wissenschaftsjournalisten, die die notwendigen Brücken bauen.
Wie können diese Brückenbauer helfen, das Vertrauen einer breiten Öffentlichkeit in die Werthaltigkeit des Wissens zurück zu gewinnen?
Zuerst einmal: Auch Wissenschaftsjournalisten sind ‚nur‘ Menschen. Sie sind eitel, viele sind selbst einmal wissenschaftlich tätig gewesen und vergessen allzu leicht, dass sie nun Dienstleister sind – nicht an der Wissenschaft, sondern am Leser.
Sowohl Wissenschaftler als auch Journalisten sind berufsbedingt in Gefahr, Antworten auf Fragen zu geben, die keiner gestellt hat. Selbstgefälligkeit ist die schnöde Kehrseite von Gefallen.
Die meisten Menschen warten nämlich gar nicht darauf, dass ihnen ein Journalist die Welt erklärt. Oder sie haben Angst vor den vermeintlich Klügeren, Angst, nicht mitreden zu können, sich zu blamieren. Oft genug wurden sie von Menschen mit Denkermiene mit Geringschätzung gestraft. Es gibt sie sicher, die ‚interessierte Öffentlichkeit‘. Nur, will man sie begeistern, so sollte man sich im Klaren sein: Wir sitzen alle in einem Boot. Auch ‚die Intellektuellen‘ verstehen letztlich nur wenig, sind – wie alle – mit lebenslangem Lernen beschäftigt. Professor oder Doktor zu sein, ist keine Dauerlegitimation für Deutungs- oder Wissenshoheit.
Gleichzeitig nimmt der Erfolg populärwissenschaftlicher Magazine wie etwa PM oder ZEIT Wissen und des Wissenschaftsfernsehens zu. Doch sollten wir uns davon nicht täuschen lassen. Sie werden von denen genutzt und gekauft, die sich ohnehin für Wissenschaft interessieren.
Doch was ist mit den Personen, die gar nicht auf die Idee kämen, eine Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft zu erwerben?
Im Bestseller ,Der Schwarm‘ von Frank Schätzing gibt es eine Szene, die es auf den Punkt bringt. Ein Taxifahrer fährt einen Wissenschaftler in ein Institut und denkt darüber nach, was die da eigentlich machen. „Wissen Sie, was das Problem ist?“ sagte der Taxifahrer zu seinem Fahrgast. „Dass uns so was keiner erklärt.“ „Aber es steht doch aktuell in allen Zeitungen, was die da tun“, wundert sich der Wissenschaftler. „Nein, mein Herr“, sagt der Taxifahrer. „Es steht in den Zeitungen, die Sie lesen. In meinen steht es nicht.“
Will man mehr Menschen erreichen, muss man auch Medien nutzen, die die Mehrheit wahrnimmt – seien es entsprechende Zeitungen, Internet oder auch Literatur. In gleicher Weise, wie Forschung die reale Welt in Mathematik, in Formeln und Theorien übersetzt, um gesicherte Erkenntnis zu erlangen, muss sie ihre Erkenntnisse zurückübersetzen ins unmittelbar Erfahrbare, in Bilder, in Metaphern. Es geht um das Bemühen, wo möglich – und es ist öfter möglich als gedacht – an Erfahrungen der Leser anzudocken, konkrete Beispiele und eine anschauliche Sprache zu verwenden und durchaus auch als wissenschaftlich Handelnder sichtbar zu werden – was genau wird getan?
Dafür kann es wichtig sein, konkret oder im übertragenen Sinne ‚Geschichten zu erzählen‘, den Stoff entsprechend zu verpacken, um das zu erreichen, was die Tagesschau oder auch Science nicht schaffen: Menschen zu berühren.
Wenn es jemals eine Zeit gegeben hat, in der alle Wissenschaftler alles verstanden haben, was ihre Kollegen hervorgebracht haben, dann gehört diese Zeit längst der Vergangenheit an. Vermutlich konnten dies sogar die so genannten Universalgelehrten der Vergangenheit, Aristoteles, Kopernikus, Galilei, da Vinci, nicht. Aber sie schufen zumindest große Entwürfe und Panoramen ihrer Zeit und der Zukunft, von denen sich die Vermittelnden inspirieren lassen können.
Der Wissenschaftsjournalist hat den Vorteil, einen Schritt vom Spezialistenwissen wegtreten und einen Blick auf „das große Ganze“ werfen zu können. Details faszinieren nicht. Die Herausforderung ist dabei, die vielen Sub-Öffentlichkeiten jeweils spezifisch anzusprechen.
Zugegeben, es ist vermutlich nahezu unmöglich, einem BILD-Leser Aristoteles zu erklären. Aber das muss auch nicht das Ziel sein. Nicht jeder muss, nicht jeder will alles verstehen und wissen. Es geht aber um das Ausschöpfen eines Spielraums. Wenn es um die ‚interessierte Öffentlichkeit‘ geht, sollte man davon absehen, die Leute durch kleinste Detailinformation in den Wahnsinn zu treiben.
Zweifelsfrei ist und bleibt der neuralgische Punkt bei alledem: Was ist ein – verzichtbares – Detail? Wann wird aus seriöser Forschung plötzlich eine verfälschende, emotional aufgebauschte Story? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Aber es ist es wert, darüber nachzudenken. Und es wird mutige und sensible Medienschaffende, auch Schriftsteller und Künstler, brauchen, die ihre Mitmenschen für die großen Fragen ihrer Zeit begeistern, für die Strukturen künftiger Gesellschaften und die Funktionsweise der Welt um uns herum. Die Fragen nach den Details stellen sich dann von alleine ein.
Zur Person
Claudia Gerhardt (Jahrgang 1973) hat Psychologie und Germanistik an der Universität Trier und der University of Stirling, Schottland, studiert. Nach dem Diplom arbeitete sie als Redakteurin der Fachzeitschrift „Wirtschaftspsychologie aktuell“ sowie als freie Trainerin. 2005 beendete sie ihre von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft unterstützte Promotion an der Universität Trier am Lehrstuhl für Angewandte und Pädagogische Psychologie. Seither ist sie im Referat der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der VolkswagenStiftung tätig.
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Themen: Journalismus