Studieren in Australien: Quallenqualen

*Wer am anderen Ende der Welt studiert, muss sich auf einige Gefahren gefasst machen. Carl-Leo von Hohenthal ist froh, dass sein zweiter Monat an der University in New South Wales in Sydney nicht sein letzter war.

Nach zwei Monaten in Australien wundere ich mich über viele Dinge nicht mehr. Zum Beispiel darüber, dass im Supermarkt die billigsten Sachen auf Augenhöhe stehen und die teuersten ganz unten. Oder darüber, dass an der Universität in jedem Seminar ellenlange Vorträge gegen Plagiarismus gehalten werden. Ein Überbleibsel der Vergangenheit, als Australien noch ein Volk von Sträflingen gewesen war? Das Gros der Gefangenen wurde wegen Diebstahls in die Kolonie geschickt, und anscheinend ist der geistige Diebstahl an den Universitäten immer noch weit verbreitet.

Physalia Physalis
Unheimliche Begegnung der schmerzhaften Art: Die portugiesische Galeere

Im Gegensatz zu Deutschland ist es hier aber die absolute Ausnahme, einen Sprachkurs an der Universität zu belegen. Dafür ist es völlig normal, Seminare in einem Fach zu besuchen, die mit dem eigenen Studienfach rein gar nichts zu tun haben. Ist man zwei Wochen nach Semesterbeginn immer noch eingeschrieben, muss man auch alle Seminarleistungen erbringen, und kann nicht einfach als „Gasthörer“ fungieren, sonst drohen finanzielle und akademische Strafen.

Diese Form von fachlichem Fremdgehen bekomme ich in meinen Studienfächern ganz besonders zu spüren, denn aus reinem Interesse besuchen sicher wenige Studenten eine Vorlesung in analytischer Geometrie oder Flugzeugbau. Geschichte, Politik oder auch Kunst sind hingegen sehr beliebt als Besuchsfächer.
Da ich mir von den vier Seminaren, die ich hier pro Semester belegen muss, nur zwei anrechnen lassen kann, bin ich dem Trend gefolgt und habe ein Seminar in dem Fach belegt, dass von meinem eigentlichen Studienfach wahrscheinlich am weitesten entfernt ist: Meeresbiologie! Wenn man schon nah am Strand wohnt, ist es doch ganz angenehm zu wissen, wer oder was da noch alles mit einem im Meer schwimmt.

Denn Australien ist, wie ich schon vorher wusste, nicht nur reich an landschaftlichen Reizen, sondern auch an giftigen und giftigsten Wassertierchen. Dank meines Meeresbiologieseminars wusste ich auch sofort, was am vergangenen Samstag den Schmerz in meinen Füßen ausgelöst hatte, als ich ins Meer ging: Eine Qualle mit dem schönen Namen „Portugiesische Galeere“.

Portugiesische Galeere
Der in Australien unter dem weit weniger prosaischen Namen „Bluebottle“ bekannte Meeresbewohner gehört zu den sogenannten Staatsquallen. Sie ist im Pazifik, aber auch in anderen Meeresgebieten relativ weit verbreitet. An die bis zu 30 Zentimeter messende, an ein Schiff erinnernde Gasblase schließen sich etwa 15 Meter lange Tentakeln an, deren Nesselzellen ein Giftgemisch aus verschiedenen Eiweißen enthalten, die beim Hautkontakt zu einer muskulären Überreaktion führen.

Da sie zu den giftigsten Tieren in Australien zählen und dummerweise weit verbreitet sind, hatte ich bei – ich geb’s ja zu – Wikipedia nachgesehen. Auf der deutschen Seite wurde das Tier als „tödlich“ beschrieben, und auch andere deutsche Fundstellen im Internet stützten die These vom Horrortier: „Atemstillstand und Herzversagen sind die Folgen des Giftes“ oder „Selbst Opfer, die die Begegnung mit einer physalia physalis überlebt haben [sic], erinnern sich voller Grauen: Die Berührung habe sich angefühlt, als ob sich ein glühendes Stück Metall in ihre Haut gebohrt habe.“
Die englische Ausgabe der Wikipedia ist da schon deutlich vorsichtiger: „The sting from the tentacles is potentially dangerous to humans; these stings have been responsible for several deaths, but usually only cause intense pain.“
Nun, der Unterschied zwischen „schmerzhaft“ und „tödlich“ ist doch kein allzu geringer, und ich war mir unsicher, an welche Version sich jetzt die Qualle halten würde.

Seit letztem Samstag bin ich schlauer. Nachdem ich zurück an den Strand gesprungen war, plagten mich noch leise Zweifel bezüglich des Restrisikos, dass sich die Qualle doch ausnahmsweise einmal an den deutschen Angaben orientieren könnte. So ging ich, wenigstens in Rettungsschwimmerrufreichweite, zu meinen Sachen am Strand zurück und war gespannt, ob ich nicht vielleicht doch tot umfallen würde.

Zum Glück hielt sich die Qualle dann doch an die englische Version. Nach dem Auswaschen der Wunde brannte es noch ziemlich und noch immer ziert eine Schramme meinen rechten Fuß. Doch zum Exitus müssen noch einige Faktoren hinzukommen: Allergische Reaktionen (die habe ich schon einmal nicht, gut zu wissen), Muskelverkrampfung, Herzinfarkt oder ähnliches.
Und so lange die Australier ihre kleinen Kinder im Meer baden lassen, bin ich auch bereit, das Risiko auf mich zu nehmen. Allerdings, vielleicht sind es eher unschöne Gründe, warum Australien Jahr für Jahr so viele Einwanderer braucht.

Beitrag von Carl-Leo von Hohenthal.

Links zum Thema

  • Bitte nicht schummeln: Nur eine der Warnseiten der Universität
  • Deutsche Wikipedia: Portugiesische Galeere
  • Englische Wikipedia: Portuguese man o’war
  • Gruselgeschichten über die Quallengefahr

Zur Person

Carl-Leo von Hohenthal studiert(e) Geschichte und Politik in Berlin und Freiburg sowie seit Februar 2006 in Sydney. Er wagt sich noch immer ins offene Meer, nimmt den Strand dabei jedoch deutlich kritischer unter die Lupe als zuvor.

Literatur

  • Vicki Hastrich (1996): Venomous and poisonous marine animals: a medical and biological handbook. Sydney.
  • Alyn C. Duxbury (1984): An introduction to the world’s oceans. Reading..

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Themen: Australien | Studieren im Ausland
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