"Die Gentherapie wird langfristig erfolgreich sein"
sg: Sie haben kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt, dass Informationen über negative Folgen der Gentherapie nicht zurückgehalten werden dürften. Wie beurteilen Sie das Verhalten der Frankfurter Ärzte, sich erst zwei Wochen nach dem Tod eines ihrer Patienten an die Öffentlichkeit zu wenden?
Christopher Baum wurde am 13. April 1962 in Marburg geboren. 1991 schloss er sein Studium der Medizin und Philosophie in Freiburg und Hamburg ab. Anschließend promovierte er in Molekularbiologie an der Hamburger Universität. Seit 1996 führt Christopher Baum eine Forschungsgruppe über retrovirale Vektorenentwicklung am Heinrich-Pette-Institut in Hamburg. Seit 2000 lehrt er Stammzellenbiologie an der Universität in Hannover. Er ist Mitbegründer und Leiter der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie.
CB: Das Vorgehen der Frankfurter Ärzte war korrekt. Man muss wissen, dass sie den Patienten zuletzt nicht selbst behandelt haben. Es ist nicht hilfreich, auf der Basis vorläufiger Angaben die Öffentlichkeit zu informieren. Sie hatten sich auch zwei Jahre lang Zeit gelassen, den Erfolg dieser Gentherapiestudie zu veröffentlichen.
Es handelt sich hier um einen Zeitraum von wenigen Wochen bis erste Befunde des verstorbenen Patienten vorlagen. Niemand kann das Ableben eines Patienten vorhersehen. Es war eine akute Komplikation, die ein Patient mit dieser Grunderkrankung erleiden kann. Der Patient war schwerstkrank, deshalb wurde bei ihm ja auch die Gentherapie durchgeführt.
sg: Waren Sie an der Frankfurter Studie beteiligt?
CB: Wir haben Professor Grez geholfen, die Vektoren, das heißt die Genfähren zu bauen, damit sie genügend Effizienz in der Anwendung hatten. Unser Vektor wurde bei dieser Studie verwendet. Wir haben jedoch keinen Anspruch auf Autorschaft.
sg: Gibt es neue Erkenntnisse über den Tod des Frankfurter Patienten? Wie geht es weiter?
CB: Mir liegen keine direkten Informationen vor. Ich kann nur auf die Informationen aus Frankfurt verweisen. Aber es gibt weiterhin Patienten, für die es keine alternative Behandlung gibt. Die Gentherapie ist für diese Patienten nach wie vor der bevorzugte Heilungsweg. Aber wir Forscher sind natürlich alle aufgerufen, die Sicherheit des Verfahrens weiterhin zu verbessern.
sg: Ihnen ist gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern unlängst ein Durchbruch in der Gentherapieforschung gelungen. Können Sie das Ergebnis kurz und einfach erklären?
CB: Wir verbessern die Genfähren in ihren Sicherheitseigenschaften. Daran arbeiten weltweit viele Wissenschaftler. Wir können mit neuen Messmethoden zeigen, dass die neuen Verfahren eine höhere Sicherheit in der Anwendung versprechen. Insbesondere bei der Einführung in den Körper und der Verankerung der Gene. Bildhaft geredet benutzt die Genfähre einen ‚Motor‘ um das Gen anzutreiben. Wir haben den ‚Motor‘ so umgebaut, dass er weniger Lärm und Schaden in seiner Nachbarschaft verursacht.
sg: Was genau muss an den Genfähren in Zukunft noch verändert werden, um sie sicherer zu machen?
CB: Wir brauchen mehr Daten, die die Langzeitwirkung auf die Zellen zeigen und wie die Zellen sich im Organismus verhalten. Wir müssen alles dafür tun, dass die Eingriffe spezifischer werden und geringere Nebenwirkungen auftreten.
sg: Werden dann bald Todesfälle wie in Frankfurt und die an Leukämie erkrankten französischen Kindern der Vergangenheit angehören?
CB: Wir können hoffen, dass mit diesen neuen Techniken die Gefahr solcher Nebenwirkungen sinkt. Allerdings können wir nicht versprechen, dass sie der Vergangenheit angehören.
sg: Wurde der Frankfurter Patient schon mit der neuen Therapietechnik behandelt?
CB: Nein, er wurde noch mit der herkömmlichen Gentherapie behandelt. Die neuen Sicherheitsoptimierungen werden frühestens im nächsten Jahr für die Kliniken verfügbar sein. Dinge, die man im Labormaßstab entwickelt, müssen noch Langzeittests unterzogen werden. Auch muss die Produktion für den großen Maßstab funktionieren, bevor man in die klinische Anwendung kommt.
sg: Könnte es sein, dass der Patient an den Folgen der ‚alten‘ Therapieform gestorben ist?
CB: Das kann man nicht sagen. Es gibt dafür keinen Hinweis. Alle Untersuchungen dazu laufen. Es sieht mehr nach einem Rückfall in die Grunderkrankung aus. Anscheinend war die Gentherapie nach den zweieinhalb Jahren nicht mehr so wirksam. Die Dauer der Wirkung konnte niemand vorhersehen. Aufgrund der Schwere der Grunderkrankung sind zweieinhalb Jahre schon ein Erfolg.
sg: Sehen Sie in Ihrem Vorstoß Chancen zur Heilung von anderen Krankheiten wie etwa HIV, Krebs und Osteoporose?
CB: Die Grundprinzipien dieser Behandlung sind im Grunde auch auf andere Erkrankungen wie HIV zu übertragen. Aber hier muss man zurückhaltend sein. Wir können im Moment kein wirklich sicheres Mittel anbieten. Es sind alles experimentelle Therapien, die in der Hoffnung entwickelt werden, dass man mit hoher Sicherheit in einigen Jahren neue Behandlungen anbieten kann.
Für Krebs gelten andere Gesetze als für Aids. Das gilt ebenso für Osteoporose. Für jede Krankheit muss man eigene Methoden entwickeln.
sg: Wann werden die ersten Standardbehandlungen durchgeführt?
CB: Die laufen bereits. In China sind ein bis zwei Medikamente auf Gentherapiebasis in der breiten Anwendung. Auch in Europa gibt es ein zugelassenes Medikament für Patienten mit fortgeschrittenem Hirntumorleiden. Eine richtig breite Anwendung wird noch über zehn Jahre dauern.
sg: Sind bei den chinesischen Patienten Nebenwirkungen aufgetreten?
CB: Mir sind keine schweren Komplikationen bekannt. Allerdings ist die Datenlage aus China nicht klar.
sg: Wie sieht die Zukunft der Gentherapieforschung aus?
CB: Es arbeiten weltweit tausende von Forschern an der Verbesserung der Grundlagen. Das Grundprinzip der Gentherapie ist, dass man auf der Kenntniss der genetischen Ursache der Erkrankung auch genetische Therapien anbietet. Dieses Prinzip wird langfristig Erfolg haben. Es ist rational und auch methodisch verbesserbar. Deswegen glaube ich sehr stark an die langfristige Zukunft dieses Feldes.
Wir stehen jetzt in den Anfängen dieser Vorgehensweise. Deshalb müssen wir noch an der Verbesserung dieser Methoden arbeiten und den Eindruck vermeiden, wir hätten jetzt schon ein Heilmittel in der Hand.
Zur Person
Silke Roberts-Schumacher (24) studiert im vierten Semester Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt.