Wege aus der Dunkelheit

*Bei der Krankheit Retinitis Pigmentosa sterben Zellen in der Netzhaut ab. Die Folge: allmähliches Erblinden. Man kann es verlangsamen, aber nicht stoppen. Frau Eichinger und ihr Bio-Leistungskurs widmen der Vielzahl der Therapieansätze eine ganze Unterrichtsstunde.

Gerade schreibt Benjamin eine SMS an seine Freundin, als plötzlich die Tür aufgeht und Frau Eichinger erscheint. „Guten Morgen! Ihr Wochenende war hoffentlich erholsam, so dass sie nun konzentriert sind“, begrüßt sie ihren Leistungskurs und macht sich auf den Weg zur Tafel. Paul trinkt noch schnell seinen Kaffee leer, als Frau Eichinger schon um die Wiederholung der letzten Stunde bittet.

Stadien der RP
Stadien des Tunnelblicks
(erfordert JAVA)
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Es geht um Retinitis Pigmentosa (RP) eine erbliche Augenkrankheit, die in den meisten Fällen zu völliger Erblindung führt (» s. Info „Retinitis Pigmentosa“). Die typischste Form der Erkrankung verursacht den so genannten Tunnelblick. Ebenfalls verbreitet sind die inverse, sowie die ring- und fleckenförmige Variante (» s. Grafik). Ursache des Sehverlustes im Verlauf der Krankheit ist das Absterben von Photorezeptoren in der Netzhaut (» s. Info).

Der Kurs trägt zusammen: Schuld ist ein genetischer Defekt, also eine Veränderung der Erbsubstanz. Bei der Bildung von Proteinen werden deshalb falsche Informationen weitergegeben, was zu Fehlern im Stoffwechsel führt. Biochemische Reaktionen (» s. Info), die permanent in jeder Körperzelle ablaufen, werden unterbrochen und es kommt zur Anhäufung verschiedener Stoffwechselprodukte in der Netzhaut. „Wunderbar“, lobt Frau Eichinger, „hierdurch erklärt sich also unter anderem, warum bei RP die Photorezeptoren im Auge absterben“.

Sie läuft zum Overhead-Projektor und knipst ihn an. „Therapieansätze zur Behandlung von RP“ steht auf der ersten Folie. „Wie?“, fragt Klara. „Ich dachte, das Retina-Implantat wäre die einzige Möglichkeit, gegen die Krankheit anzukommen?!“. Das aber ist nur die halbe Wahrheit: Der Mikrochip hilft nur dann, wenn RP bereits zur Erblindung geführt hat. Er wird den Patienten unter die Netzhaut implantiert und ermöglicht zumindest eine grobe Orientierung im Raum. „Besser wäre es natürlich, den Patienten so zu helfen, dass sie ihr Augenlicht gar nicht erst verlieren“, antwortet die Lehrerin.

Enzym
intaktes und fehlerhaftes Enzym (erfordert JAVA)
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Klingt einfacher, als es ist! Das Sehen ist die Folge sehr komplexer Vorgänge:
Vom Lichteinfall ins Auge bis hin zur eigentlichen Verarbeitung im Gehirn spielt sich eine komplizierte Abfolge von Reaktionen ab (» s. Animation, erfordert JAVA). Hier sind vor allem Stoffe wie Enzyme, Struktur- und Regulationsproteine beteiligt. Von diesen Eiweißstoffen gibt es im Auge des Menschen unzählige, von denen bisher aber erst einige Dutzend bekannt sind. Bei Patienten mit RP sind manche dieser Eiweiße fehlerhaft aufgebaut.

„Damit Sie das richtig verstehen: Wir sprechen bisher von Fehlern, die als Folge eines mutierten Gens in der Erbinformation eines Menschen auftreten“, betont Biolehrerin Eichinger. Insgesamt können mehr als 150 verschiedene Gene für solche Fehler verantwortlich sein. Für die typischsten Formen der RP sind mittlerweile etwa 30 verursachende Gene bekannt. Victor meldet sich zu Wort: „Also wäre es doch das Beste, das mutierte Gen einfach gegen ein intaktes einzutauschen?“

Genchip
Schema eines Genchips
© NKK 2006

Wäre es auch. Das Schwierige daran ist aber, ein einzelnes krankes Gen unter vielen Gesunden zu finden. Helfen könnte hier ein so genannter Genchip. Das winzig kleine Plättchen speichert die Information der mutierten Gene und vergleicht sie mit denen der kranken Zelle. Ziel muss also sein, mehr als 30 RP-spezifische Gene auf einem Chip zu speichern, um damit dem Auslöser von RP auf die Spur zu kommen. Bei Krankheiten wie Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung und Schuppenflechte, einer chronisch-entzündlichen Hautkrankheit, ist das Forschern aus Kanada bereits gelungen.

virale Transfektion
Animation einer viralen Transfektion
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Frau Eichinger legt die nächste Folie auf und erklärt: „Hat man das veränderte Gen gefunden, muss es durch ein Gesundes ersetzt werden, das nennt man virale Transfektion“. Gesundes Erbmaterial wird von kleinen „Transportbehältern“, den Vektoren, in das Zellinnere befördert. Für die Herstellung von Vektoren sind Viren besonders gut geeignet, da sie leicht in den Zellkern eindringen können. Wichtig ist dabei, dass die Vektoren weder gesunde Körperzellen zerstören noch das Gleichgewicht der Gen-Produktion durcheinander bringen. Das Ziel-Gen darf durch das Virus also nicht in- oder überaktiv werden, weshalb es in der Forschung in erster Linie darum geht, sichere und wirksame Vektoren herzustellen (» s. Info „Virale Transfektion“).

„Wenn das so schwierig ist, warum transplantiert man dann nicht einfach ein komplett neues Auge?“ ruft da Benjamin von hinten. „Nein“, antwortet Frau Eichinger und lacht, „ein ganzes Auge dürfte schwer werden, aber mit einzelnen Gewebeschichten wird das bereits versucht“. Dadurch könnte RP gestoppt und im günstigsten Falle sogar das Sehvermögen verbessert werden. „Aktuell wird mit dem Ersatz von Stäbchen und Zapfen oder dem Austausch des Retinalen Pigmentepithels (RPE) experimentiert“, fährt die Lehrerin fort. Das RPE ist eine netzhauternährende Schicht, die zwischen Netz- und Aderhaut liegt.
„Und kommt diese Methode schon zum Einsatz?“, fragt Benjamin weiter. „Technisch ist das zwar möglich aber das Problem ist die Verträglichkeit. Unser Körper stößt fremdes Gewebe ab, was sich nur mit Medikamenteneinnahme verhindern lässt“, erklärt Frau Eichinger. Fraglich ist allerdings auch, ob die transplantierten Photorezeptoren das ins Auge kommende Licht aufnehmen und ins Gehirn weiterleiten können.

„Beeinflussung von körpereigenen Vorgängen“, liest Carola die nächste Folie laut. „Was soll das denn heißen?“. „Das bedeutet, dass verschiedene Substanzen wie körpereigene Wachstums- oder Überlebensfaktoren Einfluss auf die Netzhaut haben (» s. Info „Wachstums- und Überlebensfaktoren“). Sie sorgen für den Erhalt und die Regeneration von Nervenzellen“, antwortet die Lehrerin. Durch Tierversuche weiß man, dass bestimmte Überlebensfaktoren das Absterben der Zellen verlangsamen und die Sehfähigkeit somit länger erhalten bleibt. Schwierig ist allerdings, Wachstumsfaktoren in die Netzhaut des Menschen einzubringen, da die Blutschranke in der Retina im Weg ist.

Der Netzhaut helfen können außerdem „funktionelle“ Lebensmittel mit zellschützender Wirkung. Als besonders geeignet gelten Carotinoide, die in Broccoli, Grünkohl oder Spinat enthalten sind.

Vitamin A
Vitamin A
© NKK 2006

Frau Eichinger kommt zur letzten Folie. „Nützlich kann auch die Einnahme von Vitamin A sein, wodurch der Absterbeprozess der Sinneszellen bereits verlangsamt werden kann. Bei bestimmten Formen der RP ist von der Vitamin-A-Therapie allerdings abzusehen, da sie sich da unter Umständen sogar schädlich auswirken kann“, beendet die Lehrerin schließlich die Stunde und schaltet den Projektor aus.

Beitrag von Lisa an der Heiden und Simone Rapp.

Zur Person

Simone Rapp und Lisa an der Heiden studieren Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt.

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Themen: Medizin | Sehen
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