Intelligent, sympathisch–aber vom Aussterben bedroht?
sg: Frau Prof. Stollberg-Rilinger, das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 2007 zum „Jahr der Geisteswissenschaften“ erklärt, die Vereinten Nationen haben zeitgleich das „Jahr des Delphins“ ausgerufen. Hochintelligent, Sympathieträger, aber vom Aussterben bedroht – Zyniker würden hier eine Parallele sehen, Sie auch?
Stollberg-Rilinger: Ich hatte auch sofort die Assoziation „bedrohte Tierart – Geisteswissenschaften.“ Man muss allerdings auch sagen, dass sich die Geisteswissenschaftler bislang immer beklagt haben, dass bei der Vergabe der Themenjahre nur die Naturwissenschaften Berücksichtigung gefunden haben. Insofern sollte man es jetzt vielleicht anders herum sehen: es ist gut, dass jetzt ein Jahr der Geisteswissenschaften kommt. Es besteht natürlich die Gefahr, dass es sich um eine kompensatorische Angelegenheit handelt. Trotzdem finde ich, man sollte jetzt nicht zu skeptisch sein: Auch wenn das Themenjahr „nur“ symbolische Bedeutung hat, so sollten gerade wir ja wissen, dass Symbolik sehr, sehr wichtig ist. Man sollte sich also grundsätzlich nicht entziehen, sondern das Jahr der Geisteswissenschaften als Chance sehen, sich öffentlich noch ein bisschen besser darzustellen.
sg: Wie könnte der Dialog zwischen Geisteswissenschaften und Öffentlichkeit 2007 aussehen?
Stollberg-Rilinger: Man kann zum Beispiel durch Ausstellungen auf Themen, mit denen man sich als Kulturwissenschaftler beschäftigt, stärker aufmerksam machen, so wie der SFB 496 mit der Ausstellung „Spektakel der Macht – Rituale im Alten Europa“ [die allerdings erst im kommenden Jahr im Kulturhistorischen Museum Magdeburg eröffnet wird; die Red.]. Gegenwärtig werden geisteswissenschaftliche Themen natürlich in allen möglichen Kulturzeitschriften aufgegriffen, auch in der Tagespresse und eben auch jetzt hier bei Ihnen, so dass man auf jeden Fall eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Die Universität Bremen beispielsweise hat einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben und fordert auf, sich ganz neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit zu überlegen. Das Spektrum von Möglichkeiten ist sicherlich nicht riesengroß, aber Ausstellungen, Fernseh-Features, das wären Beispiele. Das Problem ist natürlich auch, dass Geisteswissenschaften ein weites Feld sind - auf welche Geisteswissenschaften will man aufmerksam machen? Da gibt es dann womöglich auch Konkurrenzen.
Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger
geb. 1955, ist C 4-Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2005 wurde ihr der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen. Sie ist Mitherausgeberin von einschlägigen Fachzeitschriften und stellvertretende Vorsitzende des Verbands der Historiker Deutschlands. In diesem Jahr wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Ecole normale supérieure Lettres et Sciences humaines in Lyon verliehen. Sie forscht unter anderem zur Kultur- und Ideengeschichte der Aufklärung, zur Naturrechtslehre und Reichspublizistik und der Sozial- und Kulturgeschichte der ständischen Gesellschaft.
(Mehr Infos im Web)
sg: Das Ministerium wirbt gerade mit der Vielfalt von insgesamt 96 geisteswissenschaftlichen Fächern. Nun ist es aber nicht gerade ein Geheimnis, dass das Fächerspektrum an den bundesdeutschen Hochschulen immer weiter beschnitten wird – inzwischen fallen dem Rotstift nicht mehr allein so genannte „Exoten-Fächer“, sondern, wie etwa in Mannheim, ganze Philosophische Fakultäten zum Opfer. Ist das Ende der Vielfalt nicht schon lange erreicht?
Stollberg-Rilinger: Die Vielfalt ist natürlich bedroht durch die Sparpolitik, aber man muss auch zugeben, dass eine gewisse Konzentration an bestimmten Standorten nicht völlig irrational ist, dass bestimmte Kombinationen sinnvoller sind als andere und eben an bestimmten Hochschulen bestimmte Fächer besser zusammenpassen oder notwendiger sind als an anderen. Eine gewisse Verlagerung vorzunehmen, ist nicht immer unvernünftig. Das Problem ist vielmehr, dass die Streichungen an den verschiedenen Hochschulen bisher völlig unkoordiniert passiert sind und man plötzlich gewahr wird, dass ein Fach in ganz Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht mehr vorkommt. Es ist bislang ein unkoordiniert vonstatten gehender Schrumpfprozess, der eher mit lokalen Faktoren zusammenhängt. Also etwa, wenn sich irgendwo ein Lehrstuhlinhaber besonders unbeliebt gemacht hat, dann wird dessen Stelle nach der Emeritierung eben deswegen gestrichen, und nicht etwa deshalb, weil sie für das Hochschulprofil und den betreffenden Fächerverbund besonders entbehrlich wäre.
sg: Trotzdem studieren an die 350.000 Studierende ein geisteswissenschaftliches Fach, das sind nahezu 30% der Gesamtstudierendenzahl. Jedes Jahr steigen die Immatrikulationen weiter an – wie beurteilen Sie das aus Ihren Erfahrung in der Lehre: ehrliche Begeisterung oder Unkenntnis der Verhältnisse?
Stollberg-Rilinger: Es ist sicherlich so, dass viele Leute Geisteswissenschaften studieren, weil sie denken „das ist besonders einfach“, „da braucht man keine besonderen Anforderungen zu erfüllen“, „da braucht man keine Mathematik“. Die Frage ist, was die dann am Ende damit anfangen. Doch es scheint ja so zu sein, dass selbst Abbrecher oder solche, die am Ende nur mit dem BA die Universität verlassen, in den verschiedenen Arbeitswelten trotzdem ganz gut zurecht kommen. Auch wenn wir die Karrieren unserer Abgänger nicht verfolgen können, weil wir nicht die Alumni-Kultur haben wie in Amerika, gibt es dafür gute Anhaltspunkte. Unter diesem Gesichtspunkt ist es vielleicht gar nicht so schlimm, wenn sehr viele Geisteswissenschaften studieren, ohne dass sie wirklich eine besondere Begabung oder eine besondere Neugier dafür mitbringen. Andererseits ist es natürlich so, dass man sich in der Lehre oft ärgert, wenn da Leute sitzen, von denen man den Eindruck hat, die sitzen hier nur ihre Zeit ab. Wenn die Politik allerdings will, dass 40 Prozent eines Altersjahrgangs an die Universitäten gehen und studieren soll, dann kann man nicht gleichzeitig erwarten, dass aus allen wirklich wissenschaftlich qualifizierte Leute werden. Das ist nicht vereinbar. Wahrscheinlich wird auf das Ganze gesehen eine Differenzierung unumgänglich sein, zwischen Leuten, die eine eher unspezifische Ausbildung für alle möglichen Arbeitsfelder erwerben, und solchen, die dann wirklich Geisteswissenschaftler im eigentlichen Sinne werden. Und um diese Differenzierung zu erreichen, ist es sinnvoll, dass bei den BA-Abschlüssen noch einmal eine deutliche Qualitätsabstufung vorgenommen wird, dass also den MA nur derjenige machen kann, der wirklich eine gute Note hat. Das war zumindest die ursprüngliche Idee bei der BA/MA-Reform. Ob das tatsächlich gelingt, das weiß ich nicht.
sg: Würden Sie Ihren Kindern zu einem geisteswissenschaftlichen Studium raten?
Stollberg-Rilinger: Ich habe gerade meinem Sohn davon abgeraten, der eigentlich gerne ein klassisches geisteswissenschaftliches Fach studiert hätte, aber auch schon von sich aus meinte, er hätte doch gern eine gewisse Chance, später auch Geld zu verdienen. Der studiert jetzt Jura…
sg: … auch ein geisteswissenschaftliches Fach…
Stollberg-Rilinger: …schon, aber doch sehr viel stärker auf ganz konkrete Anwendung ausgerichtet, und das ist ein deutlicher Unterschied. Also, ich muß ehrlicherweise sagen, dass ich meinen eigenen Kindern abgeraten habe. Wenn auch mit blutendem Herzen!
sg: Bleiben wir bei der Zukunft: in der Hochschulpolitik sind die Weichen ganz klar in Richtung Exzellenzinitiaven gestellt. Da fällt natürlich auf, dass es bisher bundesweit nur einen einzigen geisteswissenschaftlichen Exzellenzcluster gibt, nämlich Cluster 16 „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz. Plant die Politik an den Geisteswissenschaften vorbei?
Freiraum für die Geisteswissenschaften
Im Rahmen der Initiative „Freiraum für die Geisteswissenschaften“, sollen bis 2009 rund 64 Millionen Euro in die Förderung geisteswissenschaftlicher Forschung fließen.
(Anm. der Redaktion)
Stollberg-Rilinger: Die Exzellenzinitiative hat die Geisteswissenschaften strukturell benachteiligt. Das ist ganz sicher. Das haben die Politiker aber auch gemerkt: Frau Schavan hat vor ein paar Wochen verkündet, dass es jetzt neue Förderinstrumente speziell für Geisteswissenschaften geben soll, um das zu kompensieren. Es wird ja einerseits immer die Idee hochgehalten, dass es eine einheitliche Wissenschaftskultur gibt, dass also keine Unterscheidung in der Behandlung von Natur- und Geisteswissenschaften gemacht werden soll. Aber das ist natürlich eine Fiktion und führt dazu, dass tatsächlich in vielem die Maßstäbe der Naturwissenschaften auch auf die Geisteswissenschaften angelegt werden und diese dann zu kurz kommen, weil sie bestimmte Kriterien nicht erfüllen. Beispielsweise gibt es bei uns kaum internationale peering-group journals, die quantifizierbaren Leistungsparameter sind bei uns noch problematischer als bei den Naturwissenschaften, es gibt keine außeruniversitären Kooperationsmöglichkeiten mit Industriebetrieben – mit wem sollte man da kooperieren? –, es gibt auch nicht diese konkrete Orientierung am technologischen Fortschritt oder am Markt…
sg: …Gott sei dank…
Stollberg-Rilinger: …Gott sei dank, ja. Es ist natürlich in Wirklichkeit so, dass man bei den Naturwissenschaften auch sehr viel genauer hinschauen müsste: Die halten auch ihre wissenschaftliche Autonomie in der Regel sehr hoch, und die konkrete Nützlichkeit steht auch bei ihnen gar nicht immer im Vordergrund. Aber in der Wahrnehmung ist das bei den Geisteswissenschaften noch viel weniger der Fall. In dieser Hinsicht bleiben die Geisteswissenschaften hinter den Naturwissenschaften zurück, und wir sind in solchen Wettbewerben unterlegen. Als Geisteswissenschaftler hat man den Verdacht, dass das politisch auch so gewollt ist. Aber wie gesagt: jetzt wird versucht, das mit neuen Programmen zu kompensieren, und ich hoffe, dass die neuen Instrumente beibehalten und erfolgreich genutzt werden. Und vielleicht haben einige Politiker ja tatsächlich verstanden, dass man nicht gut daran tut, die Geisteswissenschaften zu benachteiligen. Es verhält sich nun einmal so: zu fast allen wichtigen Problemen, die uns im Moment beschäftigen, haben die Geisteswissenschaften etwas zu sagen und die Naturwissenschaften eher nicht, wenn man jetzt vom Klimawandel einmal absieht. Es ist im Moment aber auch sehr viel im Umbruch, und offenbar besteht sogar die Bereitschaft, angesichts der jetzt bevorstehenden Studentenzahlschwemme, die ja demographisch ganz klar vorhersehbar ist, mehr Geld in die Lehre zu investieren und beispielsweise den Mittelbau, nachdem man ihn gerade erst abgebaut hat, jetzt wieder neu aufzubauen, mit englischen Bezeichnungen zwar, und natürlich zu schlechteren Bedingungen. Aber so ganz pessimistisch muss man im Moment nicht sein. Das es nicht so weitergeht wie bisher, dass man nicht immer mehr Studenten für immer weniger Geld immer besser ausbilden kann, diese Botschaft ist jetzt, glaube ich, angekommen.
sg: Stellen Sie sich vor, Frau Schavan sei eine gute Fee, die Ihnen erschiene und zu Ihnen spräche: „Frau Stollberg-Rilinger, Sie haben einen Wunsch frei!“ Was würden Sie sich wünschen?
Stollberg-Rilinger: Frau Schavan als gute Fee, das ist schwer vorstellbar. Außerdem muss man in einer solchen Situation ja sehr vorsichtig sein – wenn ich jetzt irgendeinen Fluch ausstoßen würde, dann wäre der Wunsch schon weg. Nein, im Ernst, auch wenn das Frau Schavan alleine vielleicht nicht erfüllen kann, mein wichtigster Wunsch ist eigentlich der, dass die Politiker und wir alle einsehen, dass die vollständige Ökonomisierung aller Lebensbereiche ein fataler Weg ist. Wenn man die Geisteswissenschaften gering schätzt und abbaut, dann gibt es praktisch keine Perspektive mehr, von der aus man dieses ökonomische Hamsterrad überhaupt noch als solches erkennen und beschreiben kann. Man fragt zwar, ob es sinnvoll ist, sich mit mittelalterlichen Handschriften zu befassen, aber keiner fragt danach, ob es sinnvoll ist, dass die 125. Deo-Seife auf den Markt kommt, oder die 75. Schaschlick-Sauce gekauft werden kann. Dass dieser unglaubliche Produktions-, Werbe-, Konsum- und Wachstumskreislauf ständig weiter beschleunigt wird – es ist common sense, dass das überhaupt nicht in Frage gestellt werden darf. Die Geisteswissenschaften hingegen können dazu beitragen, dass man einmal aus diesem Hamsterrad aussteigt und es sich von außen anschaut. Eine solche Beobachtungsebene erscheint mir unbedingt erforderlich. Übrigens gerade auch, um den Wandel der Arbeitswelt besser zu bewältigen. Das ist jetzt zwar kein wissenschaftspolitisches Statement und gehört hier vielleicht gar nicht hin, aber ich finde, man sollte sich nicht weiter vormachen, dass irgendwann wieder Vollbeschäftigung erreicht wird. Man sollte sich stattdessen klarmachen, dass die Arbeitsgesellschaft so, wie sie seit dem 19. Jahrhundert etabliert worden ist, in Zukunft nicht mehr existieren wird. Man sollte also überlegen, was es als Perspektiven für ein sinnvolles Lebens geben könnte, wenn man auf keine Erwerbsarbeit mehr hoffen darf. Wo aber sollen solche Sinnangebote herkommen, wenn man alles am Maßstab ökonomischen Erfolgs misst? Ich würde mir von der guten Fee wünschen, dass die Politiker solche Überlegungen in ihr Handeln einfließen lassen.
sg: Herzlichen Dank für dieses Interview!
Links zum Thema
- Wettbewerb „Geister begeistert“
- Internetseite von „ABC der Menschheit“