Von Trends profitieren und sie mitgestalten

Lars HinrichsDas Internet als Geschäftsfeld war gerade totgesagt, da gründete Lars Hinrichs im August 2003 die Open Business Club AG. Mit sg sprach Hinrichs über Erfolg und Risiken des Geschäfts mit Social Software, Trends der Online- und Offline-Welt sowie den Nutzen seiner Dienstleistung für Wissenschaftler.

sg: „Jeder kennt jeden über sechs Ecken.“ (s. Infokasten) Funktioniert XING, weil die Idee so bestechend einfach ist?

Lars Hinrichs: Wir bieten unseren Mitgliedern einen wirklichen Mehrwert, und haben ein funktionierendes wie einfaches Geschäftsmodell. XING ermöglicht seinen Mitgliedern überall auf der Welt, zu jeder Zeit, Geschäftsbeziehungen branchenübergreifend zu vertiefen und das eigene Netzwerk einfach und effizient zu erweitern. Und das wichtigste: Damit wirklich Umsatz zu generieren.

sg: XING, damals openBC, „war“ Web 2.0, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Woher kam die Idee zu dieser Social Software par excellence?

Lars Hinrichs: Zur Gründung der Plattform inspiriert hat mich das Buch „The tipping point“ von Malcolm Gladwell (s. Infokasten). Ich bin von Natur aus ein „Connector“ und stelle gerne Leute einander vor. Der Wunsch, die Kontakte meiner Kontakte sichtbar zu machen, brachte mich schließlich auf die Idee zu openBC.

Lars Hinrichs
gründete nach einer Beratertätigkeit 1998 im Alter von 22 Jahren die Internet-Plattform „Politik Digital“, 2003 die Open Business Club AG. Bereits 2004 wurde das Unternehmen mit dem „Deutschen Internetpreis“ in der Kategorie „Internetbasiertes Informationsmanagement für Mitarbeiter und Kunden“ ausgezeichnet, dem weitere folgten.

User als Ideen- und Geldgeber

sg: Gibt es einen XING-Thinktank, der jetzt schon den übernächsten Trend im Aktenkoffer hat?

Lars Hinrichs: Zum einen profitieren wir von bestehenden Trends, zum anderen gestalten wir sie mit: Es gibt mittlerweile 1 Milliarden Internetnutzer weltweit, für 2011 werden 2 Milliarden erwartet. Gleichzeitig sind immer mehr Internetnutzer bereit, für gute Inhalte zu bezahlen. Im Zuge der Globalisierung wird es für Geschäftsleute immer wichtiger, sich auch global zu vernetzen. Das XING- Angebot entspricht den neuen Gegebenheiten. Das nächste Feature auf der Plattform wird die Einführung eines Marktplatzes sein, der Premium-Mitgliedern die Veröffentlichung von Online-Kleinanzeigen ermöglicht, über die sie Dienstleistungen, Jobangebote und -gesuche sowie geschäftliche Immobilien austauschen können.

sg: Ob Social Software von der Netzgemeinde tatsächlich erwartungsgemäß genutzt wird, lässt sich vom Anbieter nur schwer beeinflussen. Was hätten Sie getan, wenn die Webgemeinde Ihre Plattform damals nicht angenommen hätte?

Lars Hinrichs: Ich habe von Anfang an an den Erfolg meiner Idee geglaubt; zu einer Zeit, als die meisten Internetgeschäftsmodelle für tot erklärten. Wenn es wider Erwarten nicht funktioniert hätte, würde ich jetzt eine andere innovative Idee verfolgen. Ich bin jemand, der nach vorne schaut.

sg: Und jetzt, wo es läuft, sind Sie als professionelle Netzwerk-Katalysatoren da nicht überflüssig?

Lars Hinrichs: Wir entwickeln kontinuierlich neue Features und arbeiten an der Optimierung der Plattform. Dabei orientieren wir uns an den Wünschen und Bedürfnissen unserer Nutzer und an dem Feedback, welches wir von ihnen erhalten. Wir wollen international expandieren, denn mit jedem neuen Nutzer wächst auch der Nutzen für das gesamte Netzwerk und für jedes einzelne Mitglied.

„Zuerst wird über die Plattform genetzwerkt, dann folgt das persönliche Kennenlernen offline.“

sg: Uns liegt eine Studie vor, der zufolge die meisten XING-User auf Ihrer Plattform nur Leute kontaktieren, die sie bereits „offline“ kennen gelernt haben, meist sogar langjährige Freunde. XING als bloßes Online-Adressbuch?

Kleine Welt-Phänomen
Begriff aus der Soziologie, der sich auf die Verkürzung der Verbindung zwischen zwei Personen in einer zunehmend vernetzten Gesellschaft bezieht. Das Phänomen wurde zuerst von dem amerikanischen Wissenschaftler S. Milgram experimentell erforscht, der seine Probanden aufforderte, ein Paket an eine ihnen unbekannte Person zu versenden, indem sie sich auf jeweils relativ weitläufige Bekannte stützten. Dabei zeigte sich, dass ein Paket im Durchschnitt nach 5,5 Zwischenstationen bei Vermittlerpersonen sein Ziel erreichte. Die technischen Möglichkeiten des Internets erleichtern die Nutzung dieser indirekten Kontakte. Quelle: Wikipedia DE

Lars Hinrichs: XING ist weit mehr als ein Verzeichnis von Geschäftskontakten. Unsere Mitglieder nutzen XING, weil sie einen wirklichen Mehrwert erhalten. Unserer Studie „Kommunikation und Networking im Internet", bei der 24.511 Nutzer weltweit befragt wurden, hat ergeben, dass - im Hinblick auf ein tatsächliches Neugeschäft mit Umsätzen durch openBC/XING-Kontakte - 16% unsere Nutzer mindestens einen Erfolg verbuchen konnten, davon jeder Vierte mit mehr als sechs Abschlüssen. […] Wir erleben eher den umgekehrten Fall: Zuerst wird über die Plattform genetzwerkt, dann folgt das persönliche Kennenlernen offline. Unsere Mitglieder organisieren regelmäßig selbst Offline-Events, um ihre über XING geknüpften geschäftlichen Kontakte zu vertiefen.

Qualitätsmanagement sichert Vertrauen

sg: Spielen wir den gegenteiligen Fall durch. Ich suche mir über XING einen geschäftlichen Kontakt, die Korrespondenz, per E-Mail und dann postalisch und telefonisch, läuft einwandfrei. Doch dann stellt sich heraus, dass ich einem Betrüger aufgesessen bin. Was tun Sie, damit XING-Betrug nicht die gefährliche Variante des leider verbreiteten Betrugs auf eBay wird?

Lars Hinrichs: Der Unterschied zu eBay ist, dass sie bei XING selbst entscheiden, wem Sie vertrauen und wem Sie welche Daten frei geben. XING bildet allerdings auch nur die gesellschaftliche Realität ab, wir können gesellschaftliche Probleme nicht ganz ausblenden. Um Betrug vorzubeugen, haben wir eine extra Funktion eingerichtet, den Button „Profil als unecht melden“, über den unsere Nutzer uns regelmäßig verdächtige Profile melden. Unser Qualitätskontrolle-Team geht jeder einzelnen Meldung nach: Stellt sich der Verdacht als begründet heraus, wird das Profil gelöscht.

sg: Ganz anderes Thema: Sie haben sich nach und nach auch für andere Sprach- und Kulturräume außer Deutschland geöffnet. „Networked“ die ganze Welt gleich? Falls nein: Wie kommen Sie dieser neuen Klientel entgegen?

Lars Hinrichs: Ein beachtlicher Teil unserer Mitglieder kommt aus dem Ausland. Natürlich ist das Nutzerverhalten auch durch die kulturellen Unterschiede der Herkunftsländer geprägt. Deshalb wird XING vor Ort von Country Managern vertreten, die in den Ländern kulturell sowie wirtschaftlich verwurzelt sind und als lokale Ansprechpartner fungieren.

The Tipping Point
2001 erschienenes Buch von M. Gladwell. Gladwell stellt darin anschaulich und an Beispielen aus den verschiedensten Bereichen dar, wie kleine Veränderungen große Wirkung erzielen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die so genannten „Connectors“, Personen, die über vielfältige Informationen verfügen – und Menschen für die Ideen begeistern, die sie daraus gewinnen.

„Wir müssen für Wissenschaftler keine zusätzlichen Services einführen“

sg: Es gab mit „academici“ mal den Versuch, eine Networking-Plattform für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anzubieten. Die Anbieter bauen im Moment offenbar um, und halten sich bedeckt. Man würde denken, dass gerade der geistige Austausch durch Networking viel gewinnen könnte…

Lars Hinrichs: Auf XING gibt es ungefähr 4000 Gruppen (Stand September 2006), in denen Mitglieder Meinungen und Fachwissen zu den verschiedensten Themen austauschen, darunter zahlreiche wissenschaftliche wie z.B. die Gruppe „Life Sciences“ mit über 1.500 Mitgliedern weltweit, die fast ebenso große Gruppe „Wirtschaftsinformatik“ oder die „Mathematik“-Gruppe, in der mathematische Verfahren diskutiert werden. Im Gegensatz zu anderen Anbietern müssen wir keine zusätzlichen Services einführen, um Experten Gehör zu verschaffen. Mit der Neuorientierung im Zuge des Rebranding öffnen wir uns weiter für Wissenschaftler und Akademiker, da wir festgestellt haben, dass längst nicht nur Geschäftsleute die Plattform nutzen.

sg: XING ist von der Online- in die Offline-Welt migriert, Sie veranstalten dort regelmäßig Networking-Events. Welche Impulse – oder Synergien - können Sie sich in Zukunft durch die technische Entwicklung vorstellen, zum Beispiel durch Ubiquous computing (s. Infokasten)?

Lars Hinrichs: Unsere Mitglieder haben den Offline-Networking-Trend massiv geprägt. Wir haben es online geschafft, die Barrieren im Kontakteknüpfen zu minimieren, unsere Mitglieder haben uns geholfen, Mitgliederevents auch offline zu etablieren. Wir selbst werden in 2007 unser Live-Event-Angebot in strategisch ausgewählten Städten weiter aktiv und systematisch ausbauen. Zu diesem Zweck haben wir Anfang 2006 die First Tuesday AG erworben, die besonders erfahren bei der Organisation von Live Networking-Events ist.

sg: Vielen Dank für das Interview!

Ubiquous computing
(etwa: „allgegegenwärtige Computerverwendung“): Bezeichnung für einen technologischen Trend, der einerseits die Möglichkeiten umfasst, jederzeit und überall über technische Netzwerke Informationen zu erhalten und zu kommunizieren. Andererseits geht es darüber hinaus darum, auch Alltagsgegenstände mit Computerchips auszustatten, und diese so „intelligent“ zu machen: ein T-Shirt, das weiß, wann ich friere, ein Kühlschrank, der Auskunft über die Lebensmittelvorräte gibt, etc.

Beitrag von Christiane Zehrer.
Bildquelle: Xing/Lars Hinrichs

Links zum Thema

  • www.xing.com - Networking-Plattfrom XING
  • Diplomarbeit von Florian Renz. Hinterfragt den (Mehr-)Wert des Netzwerkens auf Online-Plattformen.

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Themen: Internet | Web 2.0
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