Web 2.0–Social Software der neuen Generation

Web 2.0Viele halten das Web 2.0 für eine fixe Idee der Medien und Marketingabteilungen. Dahinter stecken aber konkrete Neuerungen, die das Internet revolutionieren. Und die Social Software spielt dabei eine zentrale Rolle.

Eine neue Generation von Anwendungen

Das Schlagwort Web 2.0 umfasst eine breite Sammlung kürzlich aufgekommener Trends und Entwicklungen in der Internettechnologie und -nutzung. Im Zentrum steht dabei der Einsatz so genannter Social Software. Als Social Software bezeichnet man all die Anwendungen, die Kommunikation, Interaktion und Zusammenarbeit im Internet unterstützen. Im Gegensatz zu reinen Präsentationstechnologien dienen diese unmittelbar dem aktiven Informationsaustausch, der sozialen Vernetzung und der kollaborativen Erstellung elektronischer Inhalte. Die bekanntesten Vertreter dieser Kategorie sind E-Mail, Instant Messenger, Chats, Foren und Redaktionssysteme.

Social Software
Der Fachbegriff Social Software ist in den 90er Jahren im Umfeld der Computerwirtschaft entstanden und ist unter wissenschaftlicher Betrachtungsweise verhältnismäßig unscharf. In der Regel wird damit Software bezeichnet, die Personen durch computervermittelte Interaktion ermöglicht zu kommunizieren, soziale Verbindungen aufzubauen und zusammenzuarbeiten. Das Kriterium ob etwas Social Software ist oder nicht, ist dabei eher vom zugedachten Einsatzzweck als von der konkreten Programmtechnik abhängig.

Mit „Web 2.0“ hat sich nun eine neue Generation internetbasierter Social Software-Anwendungen etabliert, deren Fokus auf der benutzerbasierten Erstellung von Inhalten, umfangreichen Interaktions- und Vernetzungsmöglichkeiten sowie einer leichten Bedienbarkeit liegt. Vorrangiges Ziel ist es, die Endnutzer gemeinschaftlich an der inhaltlichen Gestaltung eines Internetangebots zu beteiligen. Das individuelle Wissen wird so zu geteiltem Wissen, zur „shared information“. Inhalte sollen ohne zentrale redaktionelle Instanz von jedem erstellt, kommentiert, verknüpft und weiterverwendet werden können. Über begleitende Kommunikationskanäle wie zum Beispiel E-Mail oder Internettelephonie können die Benutzer zusätzlich direkt miteinander in Kontakt treten. Gemeinsam ermöglichen diese Funktionsangebote im Idealfall eine neue Qualität von Informations- und Beziehungsnetzwerken, zu deren eindrucksvollen Beispielen die Online-Enzyklopädie Wikipedia und die Netzwerkplattform myspace.com zählen.

Selbstorganisation als Prinzip

Maßgeblich für den Einsatz der neuen Social Software-Anwendungen sind die Prinzipien der redaktionellen Selbstorganisation („Graswurzelredaktion“) und der kollektiven Intelligenz. Durch das Zusammenwirken vieler Beteiligter und die Entstehung virtueller Gemeinschaften mit eigenen Verhaltensregeln können sich selbst regulierende virtuelle Systeme entwickeln. Diese Systeme können dabei emergente Eigenschaften* entwickeln, also eigenständige Qualitäten, die alleine aus der wechselseitigen Interaktion der Teilnehmer resultieren.

Ein Beispiel hierfür sind die über eine gemeinschaftliche Verschlagwortung (Tagging) entwickeln Indizes – so genannte Folksonomies* – wie sie beispielsweise auf der Fotoplattform flickr.com (www.flickr.com) entstehen. Solche nutzergenerierten Schlagwortkataloge zeichnen sich gegenüber traditionellen Katalogen durch einen großen alltagssprachlichen Bezug und hohe Aktualität und Dynamik aus. Eine traditionelle Redaktion ist zur Erstellung eines gleichwertigen Katalogs inhaltlich und technisch nicht in der Lage.

Ähnlich verhält es sich mit der enzyklopädischen Informationsplattform Wikipedia. Hier entsteht durch die wechselnde Übernahme der Rollen „schreibender Autor“ und „kontrollierender Redakteur“ durch die Benutzer ein sich selbst regulierender Redaktionsprozess. Das Resultat ist ein systematisches Begriffsnetzwerk, das bezüglich Entwicklungsdynamik und Umfang im Vergleich zu herkömmlichen Lexika eine neue Qualität darstellt.

Voraussetzung für die Entwicklung solcher qualitativer Eigenständigkeit ist jedoch eine ausreichende Anzahl engagierter Nutzer. Wird eine kritische Menge nicht erreicht, können sich keine ausreichenden Mechanismen der Selbstkontrolle und Nutzermotivation herausbilden. Gerade Betreiber kommerzieller Internetangebote wie der Networking-Plattformen Xing.de und MySpace.com setzen deshalb ständig neue Anreize zur aktiven Teilnahme. Frei organisierte und nichtkommerzielle Angebote wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia sind hingegen stärker von der intrinsischen Motivation* ihrer Nutzer abhängig.

Ob das Konzept eines Web 2.0-Projekts letztlich „funktioniert“ – also von Internetnutzern in ausreichendem Maße angenommen wird und die notwendige Eigendynamik entwickelt, das lässt sich nur schwer vorhersagen. Daher gehen die Betreiber oft ein hohes Risiko ein, weil sie kaum kalkulieren können, ob sich ihre Investitionen rentieren werden.

Einfache Technik für viele Nutzer

Auf der Ebene der Programmierung zeichnet sich das Web 2.0 durch einen einfachen Aufbau, hohe Skalierbarkeit und den Einsatz offener Standards und Programmierschnittstellen aus. Die Software ist ausgelegt für die Verwaltung einer großen Anzahl von Nutzern und Datensätze und lässt sich sehr schnell und flexibel weiterentwickeln. Die Funktionsvielfalt jeder einzelnen Anwendung ist im Vergleich zu klassischen Redaktions- oder Kommunikationslösungen eher beschränkt – die Einfachheit der Bedienung und die Eindeutigkeit des Einsatzzweckes stehen klar im Vordergrund. Ergänzt werden die Kernanwendungen durch standardisierte Datenaustauschformate (XML*, RSS*, Permalinks*, mp3*, MPEG*), die eine einfache Verbreitung und Verknüpfung von Inhalten mit anderen Anwendungen zum Beispiel über News-Feeds* ermöglichen.

Neue Bedien- und Visualisierungskonzepte
Um eine möglichst einfache Bedienung zu ermöglichen, werden für Benutzeroberflächen von Web 2.0-Anwendungen teilweise neue Bedienungs- und Anzeigekonzepte eingesetzt.
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Gerade für die Betreiber von kommerziellen Internetangeboten entstehen so große Herausforderung. Das Nutzerverhalten muss permanent beobachtet werden, damit schnell auf konzeptioneller und technischer Ebene reagiert werden kann. Dies führt zum verstärkten Einsatz neuer Techniken der Software-Entwicklung, die eine entsprechend hohe Entwicklungsgeschwindigkeit ermöglichen (Rapid Prototyping & Application Development*, agile Softwareentwicklung* etc.). Eine Software ist dabei aus der Sicht der Programmierer nie „fertig“, sondern befindet sich in einem andauernden Entwicklungsprozess.

Neben kommerziell entwickelten Anwendungen gibt es eine große Anzahl frei verfügbarer Entwicklungen auf Open source-Basis, die auch mit geringem technischen Aufwand installiert und betrieben werden können. Besonderen erfolgreich sind hier bislang Wiki- und Blogging-Programme (MediaWiki, Wordpress etc.) zur kollaborativen Inhalteerstelltung.

Unscharfe Kategorisierung

Eine trennscharfe Kategorisierung der Web 2.0-Projekte, die Social Software-Anwendungen einsetzen ist nur schwer möglich, da diese sich in ihren Funktionskonzepten überschneiden und schnell fortentwickeln. Nimmt man den vorrangigen Nutzen für den Endbenutzer als Kriterium, bietet sich folgende idealtypische Klassifizierung an:

Soziale Vernetzung (Networking/Community)

  • Xing.de (Business Networking)
  • MySpace.com (Privates Networking)
  • studiVZ.net (Studentisches Networking)

Geteilte Services (Shared Services)

  • YouTube.com (Videos)
  • flickr.com (Fotos)
  • del.icio.us (Social Bookmarking)
  • typolis.net (Blogging Plattform)

Kollaborative Inhalterstellung (Collaborative Content Management)

  • Wikipedia.org (Lexikon)
  • readers-edition.de (News-Portal)

Unterstützende Services und Dienste

  • Skype (Internettelephonie & Instant Messaging)
  • GoolgeMaps (Kartenservice)
  • Technokrati (Blog-Suchmaschine)
  • netvibes.com (RSS-Aggregator)

Revolution oder Evolution?

Viele Experten äußern sich sehr skeptisch, ob mit dem Begriff „Web 2.0“ wirkliche revolutionäre Neuerungen verbunden sind. Ideen von selbstorganisierenden virtuellen Gemeinschaften mit unmittelbarer Benutzerpartizipation sowie entsprechende Software existieren schon seit Jahren. Auch der Online-Buchhändler Amazon lässt schon lange seine Kunden Rezensionen schreiben und generiert aus Käuferprofilen Produktempfehlungen. Ist doch alles nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Neu ist in jedem Fall der Maßstab der Verbreitung der Konzepte und Anwendungen sowie deren technische Kompatibilität und Vernetzung. Die Schrittmacher Blogging, Wikis und Networking-Plattformen wie MySpace.com tragen maßgeblich dazu bei, dass sich in kurzer Zeit eine bedeutende Anzahl von Internetnutzern mit der Idee und dem Gebrauch der neuen Social Software-Anwendungen auseinandersetzt und angefreundet hat. So hat alleine die Networking-Plattform myspace.com mittlerweile weltweit rund 140 Millionen Mitglieder (Stand 01.2007). Die Vernetzung und Kooperation über das Internet wird dadurch zum quasi-Standard für die Masse der Internetbenutzer.

Parallel dazu nehmen die betreffenden Projekte und Anwendungen in steigendem Maße Bezug aufeinander. Der Benutzer einer Anwendung wird fast zwangsweise auf die Möglichkeit anderer Anwendungen hingewiesen und zu deren Nutzung animiert.

Als Folge dieser großen Verbreitung etabliert sich ein neues Leitbild der internetbasierten Kommunikation und Informationserstellung. Neben der klassischen Redaktion, beziehungsweise der detaillierten Vorgabe von Informations- und Kommunikationsstrukturen durch eine zentrale Instanz (top-down), wird künftig häufig eine benutzerbasierte Selbstorganisation (bottom-up) stehen. Software-Entwickler müssen entsprechende Funktionen und Schnittstellen beim Programmdesign als standardisierte Anforderung berücksichtigen. Gerade in den Startlöchern stehende Technologien wie Internetfernsehen, Internet für mobile Endgeräte und Personal Navigation Assistance* werden an die aktuelle Entwicklung anknüpfen und diese als integralen Bestandteil nutzen.

Vor diesem Hintergrund betrachtet, stellt die neue Generation von Social Software und ihr Einsatz im Web 2.0 einen deutlichen Entwicklungsschritt für das Internet und seine Nutzung dar.

Beitrag von Bert Brückmann
Bildquellen (der Reihe nache): Husky

Links zum Thema

  • What Is Web 2.0 - Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software. Text vom “Erfinder” des Begriffs “Web 2.0” Tim O’Reilly (en)
  • Web 2.0 – Definition in Wikipedia
  • web20spot.de- Netzwerk von deutschsprachigen Blogs zum Web 2.0.
  • Web2null – Das deutschsprachige Web 2.0 Sammelalbum
  • Networking im Internet-Zeitalter - Neue Praktiken des online-gestützten Netzwerkens und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Artikel in soz:mag
  • Agile Produktentwicklung im Neuen Web - Diplomarbeit zu den neuen Entwicklungs- und Produktstrategien im Web 2.0

Zur Person

Bert Brückmann arbeitet seit 1999 als Projektmanager und Berater in der Internetbranche.

Literatur

  • Musser, John; O'Reilly, Tim; O'Reilly Radar Team (November 2006) Web 2.0 Principles and Best Practices.
  • Schmidt, Jan (2006) Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie.
  • Döhring, Nicola (2003) Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Hogrefe-Verlag; Auflage: 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl.

Kategorien

Themen: Informatik | Internet | Web 2.0
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