Apokalypsenangst

Der jüngste Report des Weltklimarates schätzt die Folgen des voranschreitenden Klimawandels dramatisch ein. Nur rasches und bestimmtes Handeln könnte das Schlimmste noch verhindern. Endlich scheint ein umweltpolitisches Umdenken stattzufinden. Doch werden tatsächlich die richtigen Maßnahmen ergriffen? Panischer Aktionismus könnte mehr schaden als nützen.

Der Klimawandel ist seit Wochen und Monaten das bestimmende Thema in der Öffentlichkeit. Eine ganze Heerschar von Journalisten und Politikern nimmt die Angst vor einem dramatischen Temperaturanstieg zum Anlass, sich gegenseitig mit immer neuen Hiobsbotschaften zu übertrumpfen. Dabei steht bei allen vorgeschlagenen Klimarettungsmaßnahmen die Reduktion der CO2-Emissionen im Mittelpunkt.

Waldrodung

Die Zerstörung der letzten großen Wälder schreitet unvermindert voran

Während Flugbeschränkungen und Tempolimits mittlerweile zum Repertoire der Umweltpolitiker gehören, war von positiven Anreizen, wie beispielsweise einer verkehrspolitischen Wende durch attraktive öffentliche Verkehrmittel, weniger die Rede. Jedoch lockt die Politik mit ökonomischen Versprechungen, durch die Entwicklung neuer energiesparender Technologien Arbeitsplätze schaffen zu wollen und Deutschland damit eine Spitzenreiterposition auf dem Weltmarkt zu sichern.
Das ist wunderbar bequem, denn so muss man wenigstens nicht ganz auf lieb gewonnene Gewohnheiten verzichten. Und dem Klima zuliebe gehen wir ja dann auch gern etwas vom Gas runter – bis der Vier-Liter-Benzin-Direkteinspritzmotor endlich auf dem Markt ist.

Angesichts des ungebremsten Wachstums von naturgemäß „klimafeindlichen“ Branchen wie der Automobilindustrie erscheint eine solche Strategie verfehlt, die vorrangig auf neue, im fossilen Energieverbrauch sparsamere Techniken setzt.
Allein in China wurden im vergangenen Jahr vier Millionen neue PKW zugelassen. Selbst wenn schon in kürzester Zeit der durchschnittliche Spritverbrauch von Benzinmotoren um die Hälfte reduziert würde, stiegen die Emissionen ungehindert an. Doch den Verzicht zu predigen ist unpopulärer als an Science-Fiction-Visionen festzuhalten.

Ohnehin drängt sich der Eindruck auf, dass der Gaul von hinten aufgezäumt wird. So trägt an einem einzigen Tag die voranschreitende Brandrodung der letzten Urwälder genausoviel zum Anstieg des CO2-Gehalts bei wie acht Millionen Flugpassagiere mit einer Reise von London nach New York. Doch die meisten Journalisten, Politiker und auch Wissenschaftler schwärmen lieber von neuartigen Kraftwerken, von der Verwendung von Biotreibstoffen und sogar von revolutionären Techniken zur CO2-Absorbtion, als viel Naheliegenderes zu fordern: die Rettung des letzten großen Klimastabilisators, des Regenwalds.

Ein Forstwissenschaftler äußerte jüngst gegenüber der englischen Zeitung The Independent sein vollkommenes Unverständnis: „Warum debattieren wir eigentlich über die schädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs, während die Menge des Kohlendioxids, das allein in den nächsten fünf Jahren durch Brandrodung freigesetzt wird, weitaus größer ist als der CO2-Ausstoß in der gesamten Geschichte des Flugverkehrs!

Es kommt noch schlimmer: Gerade ein ansteigender Bedarf an nachwachsenden Brennstoffen – als Klimaretter gelobpreist – dürfte die dramatische Geschwindigkeit, in der die letzten grünen Lungen des Planeten vernichtet werden, noch beschleunigen. Länder wie Brasilien oder Kolumbien stehen in den Startlöchern, zu Hauptlieferanten für nachwachsenden Biodiesel zu werden. Ökonomische Anreize, ihre Wälder zu bewahren, gibt es für diese Länder nicht.

Dies alles sind Beispiele für einen blinden Aktionismus westlicher Regierungen, der sämtliche Umweltgefahren auf einen einzigen Nenner bringen möchte – den „Klimawandel“. Die Reduktion der Industrie- und Verkehrsabgase wird zum obersten Ziel erklärt, gepaart mit der Hoffnung, dadurch letztlich die eigenen Volkswirtschaften zu beflügeln. Andere – nicht weniger umweltgefährdende – Risiken geraten darüber in Vergessenheit oder werden bewusst in Kauf genommen, wenn es darum geht, die angebliche „Gefahr Nummer eins“ zu bannen.

Tschernobyl

Keine Alternative: Sicht auf die Geisterstadt von Tschernobyl

So treibt die Angst vor dem Klimawandel sogar nicht Wenige in das Lager der Atomkraftbefürworter. Selbst Skeptiker sehen im Atomstrom wieder vermehrt eine „Übergangslösung.“
Wie können eigentlich vernunftbegabte Menschen weiterhin eine solche Technik gutheißen? So gering das Restrisiko einer Havarie auch sein mag, spätestens seit Tschernobyl wissen wir um das fürchterliche Ausmaß eines niemals völlig auszuschließenden Reaktorunfalls. Und eine sichere Endlagerung ist ohnehin utopisch.

In den fünfziger Jahren hieß es noch, der gesundheitsschädliche Restmüll müsse nur (!) für etwa 800 Jahre unter verschlossenem Deckel gehalten werden, abgeschirmt von Mensch und Natur. Nicht einmal Friedrich Barbarossa hätte es geschafft, eine politische Ordnung zu etablieren, die eine sichere Verwahrung des Atommülls über einen derart langen Zeitraum garantiert hätte. Doch seit langem wissen wir, dass die tatsächliche Halbwertzeit atomarer Brennstoffe nicht Hunderte sondern Hunderttausende von Jahren beträgt.

Ohne Zweifel: Der menschenverursachte Klimawandel ist keine Schimäre. In Verbindung mit anderen höchst risikoreichen Hinterlassenschaften des 20. Jahrhunderts könnte er zivilisationsgefährdend sein. Doch falls wir tatsächlich unsere Anstrengungen auf die Reduktion des industriellen CO2-Ausstoßes konzentrieren, laufen wir Gefahr, dass uns auch diese anderen, nicht minder ernstzunehmenden Bedrohungen aus dem Ruder laufen.

Die Sorgen um den Eisbären, dessen Habitat dahinschmilzt, sind berechtigt. Doch sollten wir darüber nicht vergessen, dass jeden Tag fünfzig bis hundertfünfzig weitere Tier- und Pflanzenarten aussterben – durch menschliches Handeln hundert bis tausendmal mehr, als dies ohne Zutun des Menschen der Fall wäre.

Dafür ist kaum allein der Klimawandel, sondern zahlreiche weitere Faktoren verantwortlich, wie etwa die Vergiftung von Böden und Gewässern oder der voranschreitende Flächenverbrauch (allein in Deutschland mehr als 100 Hektar am Tag). Die langfristigen Auswirkungen neuer Technologien – wie der Gentechnologie – auf die Artenvielfalt der Erde sind noch nicht einmal im Ansatz absehbar – und schon allein deshalb sollte man sie nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Das Artensterben ist – anders als das Ansteigen des Thermometers – für von der Natur weitgehend entfremdete Menschen weniger nachvollziehbar. Doch Phänomene wie das gegenwärtige Bienensterben führen einem jeden vor Augen, wie bedeutend ein intaktes Ökosystem auch für uns selbst ist.

Der ungemindert dramatische Wirtschaftsboom und das urbane Wachstum in Südostasien oder die voranschreitende Vernichtung der letzten Urwälder lassen uns kleinräumige Umweltschutzbestrebungen hierzulande oft als naive oder ohnmächtige Sisyphos-Arbeit erscheinen. Doch sollten wir deswegen gleich alle Hoffnung aufgeben?
Um weltweit ein Umdenken und Umlenken zu fordern, müssen wir selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Das beinhaltet die Einschränkung des Energiekonsums genauso wie den Erhalt der heimischen Artenvielfalt!

Sperling

Die Rote Liste, auch für heimische Arten, wird immer länger.
Foto © NABU, 2002

Die heimischen und akut vom Aussterben bedrohten Vögel wie Baumpieper und Sperling sind genauso schützenswert wie der medial besser inszenierbare Eisbär. Die Feinstaubdebatte hat die Schattenseiten des Individualverkehrs in Erinnerung gerufen. Auf billiges Fleisch zu verzichten, das Auto stehen zu lassen und einen Baum zu pflanzen, nutzt nicht nur der Umwelt. Es steigert auch die eigene Lebensqualität – Verzicht muß nicht Verlust heißen.

Global hingegen bedarf es eines vielseitig orientierten Umweltschutzes. Eine medial aufgeschaukelte Klimahysterie hingegen, die die Politik einseitige, wenn auch vielleicht gutgemeinte Maßnahmen ergreifen lässt, ist nicht hilfreich, Apokalypsenangst genauso wenig wie Apokalypsenblindheit.

Beitrag von Joachim Jachnow

Zur Person

Joachim Jachnow ist Redakteur dieses Magazins.

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Themen: Klimawandel | Umwelt

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