Erzähl' mir was von Relevanz!
Wissenschaft ist Teil der Gesellschaft. Sie wird vom Staat, den Steuerzahlern und in Teilbereichen auch von Unternehmen finanziert und schuldet diesen im Gegenzug Rechenschaft über die Verwendung der entsprechenden Mittel. Gesellschaftliche Relevanz ist die Währung, mit der diese Zustimmung erkauft und so die für das Forschen notwendigen Ressourcen langfristig gesichert werden. Doch: Was klingt wie ein TÜV für den sinnvollen Einsatz geistiger und sonstiger Ressourcen, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als diskursives Spiel voller Widersprüche und Fallstricke.
Das beginnt bereits damit, dass „die Gesellschaft“ nicht mit einer Stimme spricht. Stattdessen schreit der Wissenschaft ein vielstimmiger Chor seine Forderungen und Befürchtungen entgegen: Ökonomie, Politik, die verschiedensten Lobby- und Interessengruppen und auch noch der „wissenschaftlich interessierte Laie“. Die Spielwiese für diesen Austausch von Fakten und Vermutungen, Meinungen, Gegenmeinungen und auch Missverständnissen, Euphemismen und Polemik sind die Medien. Der Wissenschaft selbst, deren Spielregel im Finden „wahrer“ und Aufspüren „falscher“ Erkenntnisse liegt, fehlt in diesem Gemenge die rhetorische Durchschlagskraft. Folglich bleibt ihr nichts anderes übrig, als den Kontakt mit ihren zahlreichen Öffentlichkeiten den medialen Kommunikationsprofis zu überlassen – wohl oder übel.
Erkenntnishäppchen auf der Medienspielwiese
Denn die Medienspielwiese hat ihre eigenen Regeln, die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft werden dort nicht einfach eins zu eins wiedergegeben. Aus Sicht von Wissenschaftsjournalisten sind Forschungsergebnisse Nachrichten. Folglich treffen die Autoren von Artikeln, Rundfunk- und Filmbeiträgen oder Büchern eine Auswahl, die dem Geschmack des Publikums und der Suche nach einer guten Story mindestens ebenso verpflichtet ist wie den hehren Zielen von Aufklärung und Wissensvermittlung. Dass sie dabei dankbar nach Erkenntnishäppchen greifen, die bereits mund- und mediengerecht zurechtgeschnitten sind, ist nur wenig verwunderlich angesichts des wirtschaftlichen Drucks, unter dem viele Medienprodukte stehen. So weit die Fakten.
„Voll coole Wissenschaft“
Bleibt die Frage nach der Zuständigkeit für das Schnüren und Verpacken der Erkenntnispäckchen. Oft wird der Ruf laut, das müsse die Wissenschaft selbst leisten und der Vermittelbarkeit ihrer Ergebnisse mehr Gewicht verleihen. Fortbildungskurse zum Wissenschaftsmarketing scheinen ein erstes Heilmittel zu sein. Aber dabei bleibt es nicht. Vielmehr wird das ganze Sein der Wissenschaft mit ihrem Schein gleichgesetzt: „Mediale Verwertbarkeit = Relevanz = Förderungswürdigkeit“ lautet dann die Rechnung. Gleichzeitig wird Wissenschaft fürs Volk zur Kulisse von Events. In Hörsälen und Laboren sollen die Menschen dazu gebracht werden, Wissenschaft „spannend“, „cool“ oder „faszinierend“ zu finden. Leider bleibt das Wesentliche dabei für die Augen unsichtbar: „Geistesblitze“, Formeln oder auch Methoden – das „Wie“ der Forschung – lassen sich nur schwer in 20 Minuten Schnupperuni vermitteln. Und so legitim diese Reduktion von Zeit zu Zeit sein mag, besteht doch die Gefahr, dabei letztlich nur das Naheliegende wiederzukäuen.
Denkbiotope für neue Welten
Genau das aber wäre das Ende der Wissenschaft. Sie funktioniert nicht wie jede x-beliebige Dienstleistung, die gemäß dem Wunsch von König Kunde gezielt ein Produkt anbietet. Ihre Natur ist das Betreten von Welten, die so neu sind, dass sie kein noch so trendbewusster Abnehmer vorausbestellen könnte. Doch um ihre Kraft zu entfalten, braucht sie kreative Freiräume, müssen Ab- und Umwege in Kauf genommen und kurzfristige Nützlichkeitserwartungen hintangestellt werden. Beispiele dafür, wie sich der Unterhalt solcher Denkbiotope auszahlt, gibt es aus der (Grundlagen-)Forschung viele. So wurden die Schaltkreise für den Computer in den dreißiger Jahren von Kernphysikern entdeckt, die eigentlich mit dem Zählen von Elementarteilchen beschäftigt waren. Seine zukünftige Relevanz sieht man einem Forschungsprojekt kaum von außen an, und vermutlich müssen sich Forscher sogar phasenweise von Gedanken an Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit lösen, um sich überhaupt auf ihren mühsamen und oft langen Erkenntnisweg zu machen. Als Gegenstück braucht es dann Profis, die ein Gespür für potenziell Relevantes besitzen.
Wissenschaftskommunikation at its best
Hierin liegt die vornehmste und zugleich spannendste Aufgabe der Wissenschafts-Kommunikatoren. Sie spüren interessante Themen auf, verpacken auch auf den ersten Blick Unattraktives in eine spannende Geschichte und schaffen es womöglich, mit dem richtigen Blick fürs Detail die „Relevanz der Irrelevanz“ zu vermitteln. Für erfahrungs- und naturwissenschaftliche Themen bietet sich neben den Ergebnissen dazu immer das Forschungsprozedere an – auch und gerade, wenn der Weg zur Erkenntnis zunächst von „Pleiten, Pech und Pannen“ gesäumt war. Und abstrakte geisteswissenschaftliche Themen können mit Analogien, Beispielen, lebendigen Formen wie Interviews oder durch Forscherporträts zugänglich gemacht werden. Bleibt nur noch, unter den zahlreichen Medienformaten dasjenige zu finden, das den Geschmack des Publikums trifft und zugleich den Inhalt möglichst ansprechend transportiert. Fernsehsendungen, Romane, Zeitschriften, oder Hypermedien stehen zur Auswahl, und jenseits des Konventionellen gibt es eine bunte Mischung von Ansätzen mit hoher Publikumsorientierung: seien es „Runde Tische“, Gastaufenthalte in der Forschung, offene Vorlesungen, Schülerlabore.
Relevanz im Dialog
Wissenschaft und Medien sind zwei Spiele mit unterschiedlichen Regeln. Innerhalb der Gesellschaft gibt es zwischen beiden Kontaktflächen, die bisher oftmals durch Unverständnis und Reibungsverluste gekennzeichnet sind. Eine gelungene Wissenschaftskommunikation trägt dazu bei, den Dialog zum beiderseitigen Nutzen zu gestalten. Eine aufgeklärte Öffentlichkeit kann wissenschaftliche Erkenntnis besser einschätzen und für ihre jeweiligen Zwecke nutzen; die Wissenschaft ihrerseits wird solide verankert und legitimiert und gewinnt gegebenenfalls neue Ideen und Inspiration. Und in genau diesem Dialog entsteht „Relevanz“. Nicht als dem Gegenstand innewohnende Eigenschaft, die durch das Aufprägen eines Gütesiegels belegt werden könnte, sondern als Ergebnis einer konstruktiven Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Professionelle Wissenschaftsvermittler tragen ihren Teil dazu bei, dass diese sich entfaltet, und so Relevanz nicht mit „Nützlichkeit“ gleichgesetzt, sondern als das Erkunden von Möglichkeiten verstanden wird – nahe liegender und auch ferner.
Zur Person
Claudia Gerhardt und Christiane Zehrer sind Redakteurinnen dieses Magazins.
