Science doesn't matter
I.
Die Frage, was gesellschaftlich relevante Wissenschaft ist, ist ungenau gestellt. Sie verrät eine zu einfache Sicht auf das, was wir Gesellschaft nennen und eine zu naive Sicht auf die Wissenschaft. Ich möchte die Frage zuerst zerlegen, dann wieder zusammen setzten und am Ende auf den neuen Promotionspreis der Körber-Stiftung selbst beziehen. Zur Zerlegung der Frage: Was verstehen wir unter Gesellschaft? Was unter Relevanz? Was unter Wissenschaft? Die Frage „Was ist gesellschaftlich relevante Wissenschaft?“ soll also auf eine theorieambitionierte Hebebühne, wir können ihr Fahrwerk so von unten einsehen. Der Referenzrahmen soll dabei die Systemtheorie sein und es gilt, was Niklas Luhmann selbst empfahl: Bloß nicht zu ernst nehmen.
II.
Nehmen wir also, ausgehend von der Systemtheorie, einfach an: Das Abstraktum Gesellschaft besteht nicht aus Menschen, sondern bloß aus Kommunikation. Und: Die eine Gesellschaft gibt es nicht, sie zerfällt in funktional differenzierte und geschlossen operierende Subsysteme. Die Wissenschaft ist nur eins davon, Wirtschaft, Recht, Politik, Religion, Erziehung, Kunst sind andere. Es ist klar, dass es vielfältige strukturelle Kopplungen, Interdependenzen und Kontakte gibt. Allerdings gibt es kaum kausale Zusammenhänge, es gibt vielmehr komplexe Reaktionsweisen auf die gegenseitigen Störungen. Die Subsysteme bilden für andere Systeme jeweils unerreichbare Umwelten, wir haben es mit Komplexität zu tun. Und gegen die können wir weder rechtlich vorgehen, wir können sie nicht umerziehen, nicht einmal bestechen lässt sich diese Komplexität. Von solchen soziologischen Setzungen gehe ich aus; es gibt natürlich andere. In Bezug auf Gesellschaft sehe ich aber zurzeit auf dem Theoriemarkt kein begriffsschärferes Instrumentarium, allerdings auch kein ironischeres. Und Ironie, dies wusste schon der Vater von Joachim Fest, ist das „Eintrittsbillett ins Menschliche“.
III.
Die Wissenschaft ist zuständig für Erkenntnisproduktion und Begriffsbildung. Wir leiten also ab: Die Operationen des Wissenschaftssystems haben keine Relevanz für andere Systeme. Was Wissenschaftler machen, ist extern nicht wichtig und nicht erheblich. Egal, ob es um angewandte oder um Grundlagenforschung geht: Relevanz gibt es nur systemintern. Relevant ist nur, dass auf die internen Kommunikationen des Wissenschaftssystems neue interne Kommunikationen folgen. Die Anschlussfähigkeit muss gesichert werden, damit das System nicht zerfällt. Draußen ist die Umwelt und dahin führt kein Weg.
Natürlich taucht wissenschaftliches Wissen auch woanders auf, aber nur in Neuanwendung, Neuerfindung und oft erschreckend verwandelt – das zeigt die Wissensverwendungsforschung. Wissen wird zur Politik, zum Glauben, zur Erziehungskommunikation, zu Kunst oder sogar zu Geld, sobald es die Wissenschaft verlässt. Den Begriff der Relevanz möchte ich daher fallen lassen, ein anderer muss her. Mein Vorschlag: Resonanz.
Also lautet die Körber-Frage in meiner Neufassung: Welche Resonanz haben Operationen des Wissenschaftssystems in anderen gesellschaftlichen Systemen? Alteuropäisch könnte man auch von einem „Echo“ sprechen. Allerdings schallt nicht aus dem Wald heraus, was wir hineinrufen. Solche Kausalitäten entspringen nur den Märchen. Und aus der Wissenschaft wird auch nicht herausschallen, was der neue Promotionspreis der Körber-Stiftung hineinrufen will. (Es ist allerdings anzunehmen, dass es ein größeres Echo im Mediensystem gibt: und vielleicht ist das auch ein tragendes Motiv für den neuen Promotionspreis.)
Aber was ist nun Resonanz? Systeme reagieren auf Umwelteinflüsse, denen sie sich notwendigerweise anpassen müssen. Systeme mit Hang zur Missachtung von Umwelteinflüssen gehen nämlich unter. Wenn sich also das Wissenschaftssystem verändert, dann muss die Umwelt darauf reagieren. Das klingt sehr gut und solche Fantasien hat noch mancher idealistische Jungforscher. Schön wäre es! Leider sieht es anders aus: Das Wissenschaftssystem ist von Umwelten umgeben, die sehr viel Resonanz erzeugen. In der wissenschaftlichen Umwelt ist nicht nur Geflüster zu hören, der Lärm ist unüberhörbar. Die Wissenschaft muss mit einer Art Fieber auf diese Störungen reagieren und Antibiotika gegen 3. Mittel-Druck oder Verwaltungswahnsinn (Berlin) sind leider nicht in sicht. Die veränderten Präferenzen von Politik und Wirtschaft, mit der Folge veränderter Rechtsnormen, Erziehungsvorstellungen und Selektionsprozeduren erfordern vom Wissenschaftssystem nahezu eine Vollzeitresonanz. Professoren arbeiten heute zwar sehr viel und verdienen im Gegenzug viel weniger. Aber sie müssen, um überhaupt arbeiten zu können, einen großen Teil ihrer Energie zur Abwehr von Umweltstörungen investieren. Selbst forschungsintern kämpft man sich mehr an der Anpassung an DFG-Richtlinien und Publikationsmoden ab, als über Forschungsfragen nachzudenken, die an die Forschung selbst anschließen.
IV.
Und der neue Promotionspreis? Das Verteilen von Geld, und darüber scheint sich auch die Aufmerksamtkeitsökonomie der Medien zu organisieren, ist eine Operation des Wirtschaftssystems. Stiftungen agieren also primär wirtschaftlich, ohne selbst von den Wirtschaftsgesetzen zu sehr gestört zu werden. Nun ist man vom fördernden Eingriff in die Bildungsbiographien von zukünftigen Forschern abgerückt: Studierende, sogar Doktoranden, alle Fachhochschulabsolventen, Künstler, Designer, Architekten und andere „irrelevante Spinner“, werden kategorisch durch die neuen Richtlinien ausgeschlossen.
Ironischerweise ist der Presseverteiler wohl noch der alte: an der Fachhochschule Köln zum Bespiel hängen zahlreich die Plakate für die neue Promotionspreis-Ausschreibung, an der Fachhochschüler gar nicht mehr teilnehmen dürfen. Aber auch Universitätsstudenten sind nicht mehr gefragt. Man greift höher: am liebsten nur noch Summa cum laude-Dissertationen. Wir können also sicher sein: die disziplinären Notenverteilungskulturen werden selektionsrelevant. Biologen werden dabei sein! Nur wer also 100% angepasst ist im Wissenschaftssystem – meiner Meinung nach auch eine Konformitätsleistung – bekommt überhaupt die Möglichkeit der Teilnahme. Alle anderen werden für den Studienpreis gesellschaftlich und wissenschaftlich irrelevant.
Die Messlatte liegt aber eigentlich nicht höher, sie liegt ganz woanders. Der Promotionspreis setzt nicht mehr auf die klugen Köpfe, die sich in der wohl freiesten Phase ihres Studiums austoben wollen. Zwischen Freiheit und Kreativität gibt es einen engen Zusammenhang. Während die Dissertationen oft Stipendienvoraussetzungen erfüllen müssen oder nur einen Teilbereich großer, eher fremdbestimmter, Forschungszusammenhänge bearbeiten, ist die Masterthese oder ein eigens für einen Wettbewerb erarbeiteter Text von diesen Zwängen befreit. Dissertationen sind die wichtigste wissenschaftliche Qualifikationsarbeit, sie sollen die Befähigung des Kandidaten belegen. Sie soll weder gesellschaftlich relevant sein noch das Rad neu erfinden. Nach Dissertationen, die die Wissenschaft grundlegend vorangetrieben oder eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen haben, sucht man daher fast vergebens. Nicht weil Doktoranden Langweiler währen, sondern weil sie sich, damit am Ende auch eine Dissertation heraus kommt, an die Vorgaben halten müssen. Die Qualifikationsfunktion schränkt die Innovationsfähigkeit ein, es gilt sich naturgemäß anzupassen an Prüfungsordnungen, Betreuerwünsche und die Reinkultur wissenschaftlichen Handwerks. Und das ist nicht falsch, sondern völlig selbstverständlich. Die großen wissenschaftlichen Innovationen entstehen oft nach (oder statt) einer Dissertation. In den Geisteswissenschaften durch die schlechten Bedingungen sogar inzwischen nach der Emeritierung oder gleich im Ausland.
Zu den strikten internen Anforderungen kommt nun das Versprechen auf eine hohe Geldprämie, wenn die Dissertation zugleich außerhalb der Wissenschaft resonanzfähig sein kann. Das ist schwierig und zudem primär eine Sache der Darstellung. Es ist eine rhetorische Leistung – und nur die soll durch eine Jury festgestellt werden. Es ist also ein wenig wie bei Germanys Next Topmodel, nur im kleineren Rahmen (und zum Unglück der männlichen Bewerber auch nicht geleitet von Heidi Klum). Attraktivität, Telegenität und Beredsamkeit sind neben der Verständlichkeit des Gutachtens also die Herausforderungen für drei bald im Geldregen stehende Doktoren. Diese Umorientierung, sowohl im Hinblick auf die modische Exellenzorientierung, als auch die hohe Prämierung von Verbalisierungstauglichkeit hat in der Alumnigemeinde große Enttäuschung ausgelöst. Nicht weil sich die Spielregeln ändern, sondern kaum einem einleuchten will, warum noch ein zusätztlicher Promotionspreis nötig ist und die Körber-Stiftung ihr einzigartiges Profil des Deutschen Studienpreises aufgibt.
Aber wohl auch diese Veränderungen werden am Ende nicht relevant sein, wie auch Wissenschaft nicht im allgemeinen Sinne relevant sein kann. Es ist wie mit der Lyrik; schon T.S. Eliot wusste: „Poetry doesn`t matter“. Aber auf den neuen Studienpreis wird es Resonanz geben – nur weniger in den Köpfen junger Wissenschaftler.
Zur Person
Dr. Frank Berzbach unterrichtet Medienpädagogik und Psychologie. Er arbeitet an der ecosign Akademie für Gestaltung und der Fachhochschule Köln.
Literatur
- Joachim Fest (2006) Ich nicht. Erinnerungen an eine Jugend. Reinbek
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