Übersichtliches Halbdunkel

KneipeViele Studenten arbeiten in Kneipen. Der Job scheint mehr einzubringen als nur Geld. Dies hat auch psychologische Gründe. Unser Redakteur Frank Berzbach hat sich in der Szene umgesehen.

„Wenn ich durch diese Türe gehe, bin ich ein anderer. Das ist wie Urlaub.“ sagt Aron. Wie viele Studenten arbeitet er abends in einer Kneipe, um sein Geld zu verdienen. Er studiert im vierten Semester an der Universität Köln und ist aus Süddeutschland in die Rheinmetropole gezogen.
Nach dem Abitur ist die Situation für viele gleich: Zu Hause aus- und in eine WG einziehen, die Heimat verlassen und ein Studium beginnen. Im Gegensatz zur wohl strukturierten Schulzeit wird das Leben nun unübersichtlich. Der Tag kennt keine vorgegebene Zeitstruktur mehr, der Freundeskreis muss neu aufgebaut werden und wie man sich innerhalb einer Massenuniversität orientieren soll, bleibt unklar. In ganz entscheidenden Aspekten wird der Alltag plötzlich zur Herausforderung. Hinzu kommt Geldmangel, die meisten Studierenden müssen sich nebenbei einen Job suchen. Zu den beliebtesten Arbeitsorten zählen Kneipen, und das nicht ohne Grund.

Die Kneipe bringt Ordnung in das unübersichtliche Studentenleben. „Ich muss hier an nichts zweifeln, die Regeln und Arbeitszeiten sind klar und ich kenne jeden Winkel.“ sagt dazu Lisa, die seit sechs Semestern in einer schicken Bar für die Cocktails zuständig ist. „Es ist meine Insel. Die Leute schauen mir fasziniert bei der Arbeit zu, ein bisschen ist das auch eine Bühne.“ Wer hinter der Theke steht, der folgt einem Drehbuch, in dem die Rollenanweisungen klar sind. Und es geht auch, man kann es übertrieben so nennen, um „Glamour“. Denn wer in einer Kneipe arbeitet, wird schnell zum Objekt der Begierde: ob Männer oder Frauen, das Personal muss – in welcher Form auch immer – gut aussehen, Ausstrahlung haben. Kneipen sind Spielstätten der Attraktivität, welcher Kunde lässt sich nicht gerne von einer schönen Frau bedienen (oder von einem schönen Mann)? Was zählt ist jedenfalls die Ästhetik, und weniger der Inhalt. Vielleicht ist das ein Geheimnis des Jobs: für ernste Gespräche bleibt meist gar keine Zeit. Die Probleme des Alltags bleiben erst einmal draußen. Zudem steht in Kneipen die Zeit still – Freizeit, Arbeitszeit, Tageszeit, hier wird alles zur Kneipenzeit. Ob es Dämmert oder nicht, das künstliche Licht erzeugt ein gastronomisches „Holodeck“.

Und dann die Musik. Mit ihr entscheiden sich der Dresscode und oft auch die Milieuzugehörigkeit. In Großstädten findet sich für alle der passende Ort. Wer stylisch sein will, der arbeitet in einem „Club“, andere kellnern lieber am Nachmittag und hören Jazz, es gibt Heavy Metal Kneipen, HipHop Abende, Depeche Mode Partys, Live Events, Kneipen in denen Radio läuft oder eben spanische Popmusik. Das Personal ordnet sich ein in das Spektrum und wird von den Gästen identifiziert mit den jeweiligen Läden. Das ist nicht ganz unwichtig für ein Selbstbild, welches sich in den Studienjahren oft verändert.

Auch Frust und Angst haben in der Kneipe Zutrittsverbot. Nicht nur die Psychoanalytiker wissen: „Das Über-Ich ist in Alkohol löslich“. Geistige Getränke wirken angstlösend. Das ist noch lange kein Drogenmissbrauch, Entspannung und Geselligkeit sind kulturell an Alkohol gebunden – nach einem Bier läuft vieles einfacher. Auch für das Personal, das für die Getränke natürlich nicht zahlen muss (zumindest in einer ordentlichen Kneipe). Wer zuviel trinkt, kann nicht mehr gut arbeiten. Aber wenn alle Gäste gegangen sind, kann immer noch passieren, was will. Vielleicht gehen auch gar nicht alle, oder man geht nicht allein. „Ich habe viele Leute, mit denen ich in der Uni zu tun habe – selbst Dozenten – hier während der Arbeit kennen gelernt“, sagt Lisa. In Großstädten sind Kneipen Orte der Begegnung, der Suche, ja sogar des „Networking“ geworden. Und während das für die Gäste nicht immer so ganz einfach ist, hat das Personal dazu jederzeit die Möglichkeit. Es hat einen stark ritualisierten und selektiven Zugang zu den Gästen. Kellnerinnen entscheiden jederzeit darüber, wem sie einen ausgeben, mit wem sie anbandeln wollen oder ob sie daran kein Interesse haben. Zuerst lernt man die Kollegen kennen und die kennen die Stammkunden. Kneipen sind Orte zahlloser Begegnungen, ohne das man dafür etwas tun müsste – außer eben dort zu arbeiten. Und für die Reibereien mit besoffenen Rüpeln gibt es in vielen Kneipen eine Routine des Rausschmisses.

Dass Kellnern auch ein anstrengender, (noch) verrauchter, stressiger Job ist und dass die Aufgaben des nächsten Tages nicht immer leicht von der Hand gehen, wenn man kaum geschlafen hat, kann keiner bestreiten. Jeder kennt auch die tragischen Existenzen, die zu lange am Kneipenjob kleben und nicht mehr studieren. Aber die bleiben, gemessen an der fleißig studierenden Mehrheit, die Ausnahme.

Das normale Kneipenpersonal wacht am nächsten morgen zwar körperlich müde, aber psychisch regeneriert auf. Und zum Ausgleich wartet der unübersichtliche Werktag, die intellektuellen Herausforderungen des Studiums, das grelle Tageslicht und die nüchterne Unsicherheit des Lebens. Und dieser Ausgleich zwischen nächtlicher Kneipe und Tagesgeschäft scheint ein bisschen abhängig zu machen: Auch Marie hat ihr Studium mit Kellnern finanziert, das ist aber schon fast zehn Jahre her. Sie arbeitet heute als rechte Hand der Direktorin in einer Akademie und mag ihren Beruf sehr. Aber auf meine Anfrage hin sagt sie: „Auch heute noch würde ich gerne einen Abend die Woche Kellnern, nur um dieses Gefühl zu haben – es geht dabei nicht um das Geld.“

(Namen von der Redaktion geändert.)

Beitrag von Frank Berzbach
Bildquellen: Nola Bunke / Köln 2007

Zur Person

Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung in Köln (www.ecosign.net). Einige Jahre hat er Randgruppen in einer Szenekneipe beschallt.

Nola Bunke ist Fotografin, mixt Cocktails in einer Bar in Köln und studiert Kommunikationsdesign.
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Themen: Studentenleben
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