"Bedienen ohne Trinkgeld ist wie Sex ohne Höhepunkt"
Er stampft Limetten, gibt Eiswürfel dazu, ein Schuss Havanna Rum und zuletzt Cola. In weniger als einer Minute ist der Cuba Libre fertig. Henning H. stellt den Longdrink auf die Theke, „4,50 bitte“. „Stimmt so“, ruft ihm das Mädchen zu, um die laute Musik zu übertönen. Sie drückt dem 25-Jährigen fünf Euro in Münzen in die Hand. Das Trinkgeld lässt Henning in ein schon halb gefülltes Glas neben der Kasse fallen.
Kollektiver Gedanke
Seit einigen Monaten arbeitet der Student im Nachtclub Stella, um sich sein Studium zu finanzieren. „Die Arbeit macht richtig Spaß, das Klima unter den Mitarbeitern stimmt und die Bezahlung passt auch“, erzählt er während er hinter der Theke Gläser spült und wegräumt. Wie viel die Angestellten verdienen sei abhängig davon, wie viel am Abend los sei, zwischen 7,50 und zehn Euro, sagt Konstantin Papageorgiol, „und das Trinkgeld teilen wir einfach unter allen auf, da steckt ein kollektiver Gedanke dahinter“. Dieses Modell sei mit dem Personal abgesprochen, „und alle sind zufrieden“. Zufrieden sind nicht alle in Darmstadt.
Arbeitgeber behalten Trinkgeld
"Wir beobachten leider eine Zunahme dahin, dass Arbeitgeber das Trinkgeld für sich behalten", sagt Udo Löwenbrück von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Darmstadt. Rein arbeitsrechtlich betrachtet sei das überhaupt nicht zulässig, „aber wir können erst dann dagegen vorgehen, wenn der Arbeitsnehmer bei uns vorspricht“.
Allen Grund zum Vorsprechen hätte Henning früher gehabt. Bevor er angefangen hat, im Stella zu jobben, habe er jahrelang im Eichbaum Tresen gearbeitet, erzählt er. Doch dort sei das Trinkgeld nicht an die Servicekräfte ausgezahlt worden, „mit der Begründung, dass 8 Euro schon ein höherer Stundenlohn als sonst irgendwo ist“, fügt er verärgert hinzu. Das habe ihm irgendwann gereicht „wenn man mal nachrechnet und merkt, dass man an einem Abend sein Gehalt durchs Trinkgeld fast verdoppeln könnte, fühlt man sich einfach abgezockt“. „Das Trinkgeld wird auf alle aufgeteilt“, widerspricht Rosemarie Heuser, die Chefin der Gaststätte.
So sollte es eigentlich sein. „Eigentlich sollten Service, Küche und alle anderen Mitarbeiter etwas vom Trinkgeld abbekommen“, sagt Andrea Scülfort, Geschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Darmstadt, „aber wir können den Betrieben nicht aufoktruieren, wie damit umgegangen wird, das macht jeder anders“.
Insgesamt, vermutet Löwenbrück, behalten in der Darmstädter Gastronomie-Szene etwa ein Drittel der Arbeitgeber bis zu 50 Prozent des Trinkgeldes für sich, „das ist eine Unverschämtheit, das Trinkgeld gehört der Person, der es gegeben wird“.
Die Erfahrung, dass jeder Betrieb anders mit dem Thema Trinkgeld und Gehalt umgeht, hat auch Iman M. gemacht. Der Bauingenieurwesen-Student hat bereits in sechs verschiedenen Betrieben in Darmstadt gearbeitet, in drei davon habe er wegen unpassender Bezahlung oder ungerechtem Umgang mit dem Trinkgeld wieder aufgehört.
„Ich weiß was ich kann“, sagt der 21-Jährige, „da muss ich nicht abends, zu der Zeit, zu der ich eigentlich weggehen und feiern könnte, dastehen und für sechs oder sieben Euro die Stunde arbeiten“. Der Standard-Satz, den man bei der Einstellung zu hören bekomme, sei: „Du fängst mit diesem Gehalt an, irgendwann bekommst du dann mehr“, erzählt er, „dabei ist das niemals der Fall“.
Fehlen eines Mindestlohns
Nach dem aktuellen Tarifvertrag liegt das Einstiegsgehalt für so genannte einfachste Tätigkeiten, wie die eines Kellners oder einer Bardame bei 7,91 Euro pro Stunde, „aber gut die Hälfe aller Betriebe bezahlt unterhalb des Tariflohns, deswegen fordern wir zusammen mit Verdi den Mindestlohn von 7,50 Euro. Das Fehlen eines Mindestlohns öffnet auch der Schwarzarbeit Tür und Tor“, so Löwenbrück.
„Wir schauen nur, ob die Tarife eingehalten werden, wenn die Betriebe Tarifgebunden sind“, sagt Judith Sturm, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Darmstadt. „Was mit dem Trinkgeld passiert, erfahren wir gar nicht“, wenn es in dieser Hinsicht Beschwerden gebe, würde das vors Arbeitsgericht gehen und sei keine Sache mehr der Agentur für Arbeit.
Iman hat auch positive Erfahrungen in Darmstadt gemacht. „Am korrektesten lief es in der Centralstation“, das Trinkgeld sei dort auf sehr faire Weise aufgeteilt worden, „und wenn man abends oder nachts gearbeitet hat, gab es Gehalts-Zuschläge“. „Alle bekommen den selben Anteil, ob im Service, an der Bar oder an der Kasse gearbeitet wird, spielt keine Rolle“, erklärt der Gastronomieleiter Markus Heinisch.
Schwieriger als viele glauben
„In einem Betrieb, in dem mein Trinkgeld einbehalten wird, würde ich auf keinen Fall arbeiten, da würde ich mich betrogen fühlen“, sagt Katja M. Die 23-jährige Studentin aus Darmstadt arbeitet seit sie 18 ist in der Gastronomie. Das Arbeiten im Service sei schwieriger als viele glauben, erzählt sie, „der Job einer Bedienung ist es nicht nur, für Essen und Trinken zu sorgen.“ Am Ende des Abends freue sie sich riesig über ihr Trinkgeld, weil das bedeute, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hat, beschreibt sie den Wert des Geldes. „Bedienen ohne das Trinkgeld ausgezahlt zu bekommen ist wie Sex ohne Höhepunkt.“.
Zur Person
Lisa an der Heiden ist Redakteurin dieses Magazins.