Freiheit als Herausforderung – Zwölf Thesen zur Universität der Zukunft
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Universitäten sind Ort des längeren Gedankenspiels: die einzigen oft in einer Gesellschaft.
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Das wäre eine Qualität als Maß für die Universitätsentwicklung: nicht grösser werden, sondern konzentrierter, fokussierter, gedankenvoll.
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Organisatorisch folgt dem dies: Zerfällung aller grossen Universitäten in viele kleine. Jedes Seminar hat sein eigenes Gebäude innerhalb der Stadt, in urbaner Umgebung (niemals wieder out-of-area-universities. Oder abgeschottete campi).
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Die Architektur und die Organisation sind mindestens so entscheidend wie die inhaltliche Textur. Universitätsgebäude sollen architektonisch so gestaltet sein, daß man erhabenen Hauptes eintreten und sich in ihnen bewegen kann.
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Der Rest ist Qualität: des Denkens. Nicht lehren (im blinden Weitergeben), sondern ins Denken bringen wäre ihre Aufgabe. Der Denkstuhl denkt über die Art und Weise nach, wie er Denken erzeugen kann: als Induktionsphänomen.
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Daß man Denken lernt, ist nur ein Teil der Kompetenz, sich gleichzeitig mit anderen, die es ebenfalls lernen, auseinanderzusetzen. Denken, lehrt eine Universität en passant, ist ein modus collectivus, kein geniehafter Autismus. Also Kommunikation.
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Daß man zusammen lernt, ist eine Prägung/Investition fürs Leben: ein Netzwerkmodus, wenn er verstanden wird. Universitäten sind sich eröffnende Netzwerke von potentiellen Denkern und Entscheidern.
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Nicht dass Wissenschaft betrieben wird, zeichnet eine Universität aus, sondern dass sie das im Kontext von jungen Studenten tut, die jeweils in die Wissensschübe hinein genommen werden. Universitäre Wissenschaft ist Wissenschaft + Attraktion (junger Geister für Wissenschaft bzw. für Freiheit im Denken als Herausforderung).
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Wissenschaft kann völlig unabhängig von Universitäten geschehen; aber es ist den Universitäten abträglich, wenn die Kollegen nicht mehr die Studenten wie selbstverständlich in ihr elaboriertes Gespräch einbeziehen.
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Universität ist das Gespräch der Wissenschaftler im Gespräch mit den Studenten. Beide Foren interferieren: jedenfalls dann, wenn Universitäten Universitäten sind / oder bleiben.
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Alles andere ist das Erlangen von Zertifikaten für beglaubigten sozialen Aufstieg. Universitäten hingegen lehren nicht, sondern lassen die jungen Leute Forscher begleiten: im Denken, im Nach-Denken, im Laborieren, im sonstigen Forschen.
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Die Universitäten des 21. Jahrhunderts (des 3. Jahrtausends) kultivieren das, was in Gesellschaften knapp ist: gelassener Geist, lange Gespräche und Freude am Denken. Alles andere folgt daraus.
Links zum Thema
- Die Universität Witten/Herdecke im Internet
- Witten/Herdecke bei Wikipedia
Zur Person
Birger P. Priddat hat Kunst studiert, im Stahlbau, bei einer Unternehmensberatung und auf einer Werft gearbeitet, ist Ökonom und Philosoph – und seit dem 15. August 2007 auch Präsident der Privatuniversität Witten/Herdecke, an der er bereits von 1991 bis 2004 einen Denkstuhl innehatte, bevor er für drei Jahre Professor an der Zeppelin University am Bodensee wurde. Birger P. Priddat, der auch außerhalb der Universität ein gefragter Gesprächspatner ist, hat sein Hochschulverständnis in zwölf kompakten Thesen kondensiert, für die er in Vorträgen und auf Tagungen leidenschaftlich wirbt.