Weltgeist ist geil!
„Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ So schreibt Karl Marx (1818-1883) zu Beginn seines Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte. Die erste Hälfte des Zitats stammt tatsächlich von Marxens großem Lehrer Hegel. Genauer: aus den Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), geboren im provinziellen Stuttgart und in die Annalen der Philosophie eingegangen als einer ihrer größten und dunkelsten Meisterdenker.
Der hoch begabte Hegel, der die Studentenbude im Tübinger Stift mit Hölderlin und Schelling teilt, startet seine Karriere im Vergleich zu den schon bald prominenten Freunden erst spät. Nach Zwischenstationen in Bern, Frankfurt und Jena, wo er sein wohl einflussreichstes und bekanntestes Buch – die Phänomenologie des Geistes – verfasst, verschlägt es ihn als Gymnasiallehrer nach Nürnberg und schließlich, über Heidelberg, nach Berlin. Dort wird der schwäbelnde Weltgeist, dessen Vorlesungen die zahlreiche Hörerschaft nicht allein aufgrund des ungewohnten Dialekts nur mühsam versteht, rasch berühmt.
Das liegt zum einen an seinem apodiktischen und unbescheidenen Anspruch, das gesamte Wissen seiner Zeit ein letztes Mal unter einem philosophischen Dach zu einer großen Enzyklopädie, der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, zusammenzubinden, sondern auch an seiner imposanten, beinahe totalitären Geschichtsphilosophie und der konservativen Staatstheorie (Grundlinien der Philosophie des Rechts), in der Hegel erstmals grundlegend den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft definiert. Einige der kapitalismuskritischen Motive, die später bei Marx auftauchen, sind bereits bei Hegel angelegt, etwa die Entfremdung des Menschen durch Arbeitsteilung und Konsum.
These – Antithese – Synthese

Einem breiteren Publikum wird der „Staatsphilosoph“, wie er ob glühender Preußentreue bald genannt wird, durch die Vulgärversion seiner dreigliedrigen Dialektik und sein Verständnis der Negation als Bewegungsprinzip der Geschichte bekannt. Was auf den ersten Blick furchtbar abstrakt erscheint, stellt Hegels Schüler Marx später selbstbewusst „vom Kopf auf die Füße“. Sehr vereinfacht geht das so: Während Proletarier (These) und Unternehmer (Antithese) nur zwei Seiten der Entfremdung darstellten, ende die Ausbeutung aller, auch der Kapitalisten, erst im Kommunismus (Synthese). Die Revolution, die Umwälzung aller Verhältnisse, ist für Marx bei dieser Entwicklung die „Geburtshelferin“ der neuen Gesellschaft, die sich auf den Trümmern – der Negation – der alten erhebt.
Doch Marx ist nur einer der vielen geistigen Kinder, Kritiker und Apologeten Hegels. Als dieser 1831 überraschend von der Cholera dahingerafft wird, bilden sich sogleich zwei widerstreitende Schulen heraus, die Anspruch auf das geistige Erbe des Meisters anmelden: Die konservativen „Rechtshegelianer“ und die „Linkshegelianer“ um den Religionskritiker Ludwig Feuerbach und eben Marx. Darüber hinaus arbeiten sich ganze Heerscharen von Philosophenkönigen an Hegels sperrigem System ab. Schopenhauer ebenso wie Kierkegaard, der Begründer des Existentialismus, der Wissenschaftstheoretiker Popper, der Hegels Denken als demokratiefeindlich bezeichnet oder Jean-Paul Sartre und Theodor W. Adorno. Kurzum: Auch wenn die Hegel-Lektüre durchaus ein mühseliges Geschäft ist und manche Kritiker über Hegels Sprachmagie lästern, hinter der sie nichts als hohle Phrasen vermuten – ohne den brillanten Schwaben sind große Teile der jüngeren Geistesgeschichte einfach unverständlich.
Weltgeist zum Schnäppchenpreis
So ist es überaus verdienstvoll, dass der renommierte Meiner-Verlag, unter Dozierenden und Studierenden seit Jahrzehnten bekannt für grün gebundene philosophische Taschenbuchklassiker, vor einigen Jahren eine hochwertig aufgemachte Sammlung aller zu Lebzeiten veröffentlichten Werke Hegels auf den Markt gebracht hat. Doch weil sich ein solcher Großdenker nicht gerade verkauft wie geschnitten Brot, stagnierte der Absatz der sechsbändigen Hauptwerke – bisher, wie zu hoffen ist.
Denn wer sich die lohnende Lektüre-Mühe machen will, der sollte definitiv jetzt zuschlagen: Seit diesem März gibt das Hamburger Traditionshaus die Hauptwerke, darunter die Jenaer kritischen Schriften, die Phänomenologie des Geistes ebenso wie die Logik, die Rechtsphilosophie und die Enzyklopädie, für nur rund 50 Euro – statt früher 138 – ab. Das sind pro Band nicht einmal mehr achtfünfzig! Marx hätte in diesem Wiederholungsfall sicher keine Farce gewittert und auch keine Tragödie, sondern ungetrübtes Glück: Billiger kriegt man die sechsfache Dosis Weltgeist nirgendwo. Und schöner auch nicht.
Mit den schmucken Bänden im weinroten Schuber kann man getrost ein ganzes Studium bestreiten. Die Edition, orientiert an den nur in Fachkreisen gebräuchlichen und für Studierende unerschwinglichen Gesammelten Werken (GW), ist sogar dissertationstauglich und hat die höheren wissenschaftlichen Weihen. Denn bis auf die Rechtsphilosophie sind alle Bände seitenidentisch mit den GW und mit einem umfangreichen Anhang versehen, der sowohl die Entstehungsgeschichte der einzelnen Texte verzeichnet als auch umfangreiche Anmerkungen, Varianten und die Editionsrichtlinien sowie ein Personenregister enthält.
Fehlende Texte aus dem Gesamtwerk können beim selben Verlag in Taschenbuchausgaben ergänzt werden. Die ansehnliche Hegel-Box ist also nicht nur eine Regalzierde, sondern auch inhaltlich eine echte Alternative zur unmittelbare Konkurrenz, Suhrkamps zwanzigbändiger Taschenbuch-Kassette.
Zur Person
Christian Dries ist Chefredakteur dieses Magazins und hat sich an Hegel schon mehrfach lustvoll die Zähne ausgebissen.
Literatur
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1999): Hauptwerke. Sechs Bände im Schuber. Hamburg, zus. 3.246 S., geb., 49,95 Euro.
Kategorien
Themen: Philosophie
Kommentare
Wo für 50 EUR?
Bei Amazon kostet das Werk 138 EUR.
Bei Meiner...
...auf der Homepage unter http://www.meiner.de/product_info.php?products_id=1073.
Dort steht, etwas verwirrend, dass das limitierte Angebot vergriffen sei. Dabei lief es erst seit Ende März. Bei Amazon steht tatsächlich (noch/wieder?) der alte Preis.
Wir haben den Verantwortlichen beim Verlag zu einer Stellungnahme aufgefordert.
Bedauerlicherweise...
.. ist die Sonderausgabe tatsächlich vergriffen. Heute erreichte uns folgende Stellungnahme des Verlags:
"Im Verlag ist das limitierte Angebot leider bereits vergriffen. Erhältlich ist es aber (wie ich gerade aus dem Großhandel höre) nach wie vor im stationären Buchhandel und bei einigen Versandbuchhändlern, z.B. bei froelichundkaufmann.de, bei rhenania-buchversand.de und bei weltbild.de"
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels war dies leider nicht abzusehen. Andernfalls hätten wir keine Empfehlung ausgesprochen.