Studieren mit Profil

UTBDer UTB-Verlag hat unter dem Titel "Profile" eine neue Einführungsreihe herausgebracht. Sciencgarden hat nachgeprüft, inwiefern sie ihrem Namen gerecht wird.

Wer seinen Wagen zum TÜV bringt, sollte gute Reifen aufziehen. Zu wenig Profil – und schon verweigert der freundliche Prüfer womöglich die begehrte Plakette. Dasselbe gilt, ceteris paribus, für Prüfungen an Hochschulen. Auch wenn an der Alma mater das untere Ende der Notenskala oft nicht ausgereizt wird: wer zu wenig auf dem Kasten hat, fliegt durch. Das gilt erst recht für die neuen Bachelor-Studiengänge, in denen beinahe permanent an Klausuren, Hausarbeiten, Referaten und Tests gewerkelt wird. Um ausreichend Studienleistungen einzufahren, ist gut aufbereitetes, kompaktes, „modularisiertes“ Wissen gefragt.

Renommierte Verlage für Studienliteratur wie beispielsweise die Wissenschaftliche Buchgesellschaft aus Darmstadt oder der Verlagszusammenschluss UTB (das Kürzel steht für Uni-Taschenbücher) haben auf diese veränderten Bedingungen reagiert. Derzeit bedienen sie den Markt mit einer wahren Flut an neuen Einführungsbüchern. Um den Lesebedürfnissen ihrer Kundschaft Rechnung zu tragen, peppen sie die einstmals monotone Bleiwüste in ihren Lehrwerken mit Infokästen, Exkursen, Marginalspalten oder farbig markierten Lerntipps auf. Kurzkapitel und Texthäppchen sind angesagt. Nur Hyperlinks und Popups funktionieren auf Papier bisher noch nicht.

Keine Frage: Das Internet steht Pate bei all diesen neuen Büchern, die mit ihren Vorgängern kaum noch Familienähnlichkeiten aufweisen. Doch während Teile des Wissenschafts- und Kulturbetriebs zwischen den Seiten dieser noch jungen Lehrbuchgattung schon den Untergang des geistigen Abendlands wittern, gibt es immer wieder erfreuliche Ausnahmen, die für das Gegenteil von animierter Fast-Food-Wissenschaft stehen: Flott geschriebene, knappe und dennoch profunde geistige Appetithappen, die auch dem examinierten Neueinsteiger Lust auf mehr machen und reichlich Hinweise auf breitere und steilere Denkpfade enthalten.

Das gilt auch für eine neue Einführungsreihe, die der UTB-Verlag seit April 2008 vertreibt. Unter dem Obertitel „Profile“ bietet sie das, was (nicht nur) Erstsemester brauchen, auf schlanken 128 Seiten – für weniger als ein Fünftel dessen, was eine durchschnittliche Hauptuntersuchung beim TÜV kostet. Auch das inhaltliche Spektrum der Reihe ist vom Start weg beachtlich. Neben personenbezogenen Büchern zu Platon, Pestalozzi, Marx, Luther... sind thematische Einführungen unter anderem zum Thema Essstörungen, Sterbehilfe oder Hochbegabung im Programm, das laufend erweitert wird. Jedes Buch ist übersichtlich gegliedert. Eingangsfragen, Zusammenfassungen und Merksätze erleichtern die Lektüre. Nur bei der Herstellung hat man gelegentlich ein wenig gespart, so das manche Titel buchstäblich aus dem Leim gehen. Auch trüben vermeidbare Tippfehler den ansonsten positiven Gesamteindruck. Eine ärgerliche Tendenz, die heutzutage leider in vielen Verlagen dem Rotstift geschuldet ist, der an der falschen Stelle – nämlich ausgerechnet im Lektorat – ansetzt.

KapitalismusEin kleiner herstellungstechnischer Unfall ist so leider auch das ansonsten solide Kapitalismus-Profil von Hannes Leidinger geworden. Zudem ist der Titel des Bändchens zu großspurig. Enttäuscht wird nämlich, wer auf volkswirtschaftliche, soziologische oder gar philosophische Kapitalismusdefinitionen und einen tieferen Einblick in entsprechende Theorien und Debatten aus ist. Die streift der promovierte Historiker Leidinger eher am Rande (oder lagert sie in das umfangreiche Personenregister aus, das im Verhältnis zum Haupttext leicht hypertrophiert). Dafür legt er einen faktenreichen Galopp durch – je nach Ansicht – fünfhundert bis zweitausend Jahre Kapitalismusgeschichte hin. Im Zentrum stehen dabei die großen Entwicklungslinien und Umbrüche von den Phöniziern bis zum voll entwickelten, globalisierten „Weltsystem“ (Immanuel Wallerstein), vom antiken Händler zum Shareholder. Auf der Strecke bleiben dabei manche Phänomene und Fachbegriffe, zu deren Erläuterung am Ende wohl der Platz gefehlt hat. Aber dafür handelt es sich auch nur um eine Einführung, und beim Stichwort „Kapitalismus“ um einen Monsterbegriff – den Leidinger geschichtswissenschaftlich instruktiv gezähmt hat. Nur hätte man seine Mühe dann auch mit einem angemessenen Buchtitel entschädigen müssen.

PhilosophieAutoren, die über Personen der jüngeren Geschichte schreiben, haben es da naturgemäß etwas leichter. Zum Beispiel Hans-Martin Schönherr-Mann: Der Professor am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU München hat sich Friedrich Nietzsche vorgenommen – für Schönherr-Mann, leicht übertrieben, der „meistgelesenste (!) deutsche Philosoph“ – und einen werkgeschichtlich und thematisch übersichtlich gegliederten Zugang zu diesem so umstrittenen wie populären Denker eröffnet. Das in zehn Kapitel unterteilte „Profil“ sortiert Nietzsches Gesamtwerk in zwei große Perioden, zwei Tendenzen und drei zentrale Konzeptionen, konzentriert auf die wesentlichen Grundgedanken, von der Genealogie der Moral und der Wissenschaft über den Willen zur Macht bis zum Übermenschen und zu Nietzsches politischer Ethik des Individuums. Schönherr-Mann macht seinen Protagonisten stark und hält sich mit expliziten Wertungen zurück, nicht ohne auf zentrale Widersprüche hinzuweisen. Natürlich wird auch die NS- Frage gestreift, die man Nietzsche seit 1945 posthum stellt. Der Autor beantwortet sie erfreulicherweise eindeutig zugunsten Nietzsches. Wer sich an den vielen Querverweisen nicht stört und an den etwas eigenwilligen Stil des Buchs gewöhnt – der übermäßige Gebrauch von Inversionen und fehlende kausale Konjunktionen produzieren gelegentlich enigmatische Sätze –, wird durch eine umfassende Darstellung und reichlich Originalzitate belohnt. Wohl dosierte Literaturhinweise und 38 „Lehrsätze“, die Nietzsches Philosophie auf ansprechendem Niveau vokabeltesttauglich machen, runden den Band ab.

FoucaultEin Aushängeschild der Reihe ist Reiner Ruffings „Profil“ von Michel Foucault. Es löst als einziges der drei vorgestellten Werke den Anspruch des Verlags ein, klar, knapp und konkret zugleich zu sein. Ruffing, promovierter Studienrat und Autor einführender Bücher in die Philosophie, versteht sein sprachliches Handwerkszeug vorzüglich. Sein Stil hebt sich wohltuend vom schwerblütigen Wissenschaftsdeutsch ab. Das ist nicht nur eine Formfrage. Die lebendige und im besten Sinn einfache Sprache macht die Lektüre zum intellektuellen Genuss. Am Ende hat man nicht nur einen profunden Einblick in die drei Schaffensphasen des französischen Modeintellektuellen gewonnen, sondern tatsächlich Lust auf noch mehr Foucault. Das liegt wesentlich daran, dass Ruffing seine Einführung so gestaltet hat, wie Foucault sein eigenes Werk verstanden wissen wollte: als Werkzeugkiste (siehe S. 23). Jedes der insgesamt zwölf Kapitel verdichtet die Kernaussagen Foucaults auf ihre Essenz und bietet damit – in Verbindung mit einem äußerst hilfreichen Glossar – eine optimale Einstiegshilfe ins Focaultsche Denkuniversum, die man auch für erste theoriehandwerkliche Fingerübungen nutzen kann. Dass Hinweise auf Ambivalenzen Kritik an Foucault etwas zu spärlich ausgefallen sind, schadet dem positiven Eindruck nicht.

Alles in allem hat der Verlag sich und seinen jungen Lesern mit dieser neuen Einführungsreihe einen Gefallen getan. Trotz der ein oder anderen kleinen Unwucht lautet unser TÜV-Urteil deshalb: Profil gut, Plakette erteilt!

Beitrag von Christian Dries
Bildquellen in Reihenfolge: UTB

Links zum Thema

  • UTB-Verlag
  • "Profile" bei UTB
  • Leseprobe (mp3) zum Foucault-Buch von Reiner Ruffing

Zur Person

Christian Dries ist Chefredakteur dieses Magazins.

Literatur

  • Hannes Leidinger (2008): Kapitalismus (UTB-Profile). Wien, 9,90 Euro
  • Hans-Martin Schönherr-Mann (2008): Friedrich Nietzsche (UTB-Profile). München, 9,90 Euro
  • Reiner Ruffing (2008): Michel Foucault (UTB-Profile). München, 9,90 Euro

Kategorien

Themen: Philosophie | Soziologie | Studium
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