Herausforderung Stadt: Pläne und Visionen

StadtplanÜberall auf der Welt wuchern die Metropolen – und das schafft Probleme. Dabei sind lebenswerte Städte keine Utopie. In den Niederlanden, in Freiburg, Bochum und den Arabischen Emiraten kann man ihre Zukunft schon heute besichtigen.

Fast 500 Jahre ist es her, dass Thomas Morus in seinem Buch „Utopia“ Ideen für eine bessere Zukunft der Gesellschaft niederschrieb – und er war bei weitem nicht der Erste. Weltverbesserung ist den Menschen offensichtlich schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen. Morus’ Utopie hat sich allerdings nicht bewahrheitet. Vielmehr sind wir tagtäglich mit den Problemen einer an allen Ecken und Enden mangelhaften Wirklichkeit konfrontiert. Genau dieser Zustand des Unperfekten aber ist auch heute wieder Nährboden für die Entwicklung neuer, innovativer und vielleicht utopischer Zukunftspläne. Nirgends trifft das mehr zu als in Städten.

Die Zusammenballung von Einwohnern und damit auch ihrer Bedürfnisse, Wünsche und Forderungen auf engstem Raum, schafft Probleme auf vielen Ebenen – im technischen genauso wie im sozialen Bereich. Der Fokus auf den Stadtbewohner und seine Lebenssituation wird sich in Zukunft sogar noch verstärken, denn der Trend zum urbanen Wohnen hält an. Lebt heute bereits gut die Hälfte der Bevölkerung in Städten, so werden es laut Vorhersagen der UNO in 50 Jahren schon mehr als drei Viertel sein. Nun sind die Probleme einer Megacity wie Mumbai mit ausgedehnten Elendsvierteln natürlich nicht identisch mit denen einer europäischen Großstadt wie Paris oder London. Doch mit ein paar grundlegenden Schwierigkeiten kämpfen Stadtplaner, Politiker, Techniker und Soziologen da wie dort.

Wenn Städte wachsen, dann nimmt nicht nur ihre Einwohnerzahl zu, sondern auch der Flächenverbrauch steigt drastisch an. Die Stadt frisst sich ins Umland, verschlingt Kulturlandschaften und Naturräume. So entwickelt sich einerseits die Versorgung der städtischen Bevölkerung zur logistischen Herausforderung, andererseits schränkt es die Möglichkeiten für Naherholung und Freizeitaktivitäten stark ein. In besonders bevölkerungsreichen Ländern wie Holland oder Japan, in denen Fläche umso kostbarer ist, sucht man deshalb schon lange nach Wegen, den zur Verfügung stehenden Raum zu verdichten. Gebäude wachsen in die Höhe genauso wie in die Tiefe, wobei herkömmliche Wolkenkratzer und unterirdische Lagerhallen, wie sie schon heute üblich sind, immer mehr an Attraktivität verlieren.

Seniorenwohnheim WOZOCO in AmsterdamDie niederländischen Architekten von MVRDV etwa gehen mit dem Design des Seniorenwohnheims WOZOCO in Amsterdam völlig neue Wege. Zusätzliche Wohnräume wachsen dort wie Bauklötze seitlich aus dem eigentlichen Gebäude. In Japan planten besonders kühne Visionäre die schwimmende Stadt TRY 2004, die in der Bucht von Tokyo entstehen soll. Auf einer 600 Meter dicken Stahlkonstruktion könnte die Stadt einmal pyramidenförmig 4000 Meter in den Himmel ragen und bis zu einer Million Menschen Wohn-, Arbeits- und Freizeitraum bieten. Realisierbar ist dieses Projekt mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln allerdings – noch – nicht.

Die größten Flächenkiller in Städten sind aber nicht etwa Wohnhäuser, Büros und Fabriken, sondern Verkehrswege. Straßen und Parkplätze nehmen einen überproportional großen Anteil der Stadt ein. In Deutschland etwa entfallen rund 44 Prozent des gesamten Siedlungsgebiets auf Verkehrsflächen. Das liegt vor allem daran, dass die verschiedenen Lebensbereiche der Einwohner an unterschiedlichen, teilweise weit voneinander entfernten Orten, liegen. Wohnung, Arbeitsplatz, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitangebot – diese und andere Lebensbereiche können oft nur durch eine Autofahrt verbunden werden. Viele Menschen zieht es zum Wohnen in die Vorstädte, während der Arbeitsplatz nicht selten in der City liegt. Das Ergebnis sind tote Innenstädte, die nur während der Geschäftszeiten zum Leben erwachen. Außerdem kann es zu sozialen Problemen kommen, wenn in der Innenstadt nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung zurück bleibt, der es sich schlicht nicht leisten kann in die Vororte zu ziehen. So werden Ghettos geboren – mit all ihren Folgeerscheinungen. Eine enge räumliche Verbindung insbesondere von Arbeitsplatz und angenehmem Wohnraum ist also unbedingt nötig, um Innenstädte wieder attraktiver zu machen und die fortschreitende Zersiedlung des Stadtrandes aufzuhalten.

Stadtteil Vauban in FreiburgWie das aussehen könnte zeigt das Quartier Vauban, ein „grünes Viertel“ in Freiburg im Breisgau. Auf dem Gelände einer ehemaligen französischen Kaserne begannen öffentliche Wohnbaugesellschaften und private Initiativen Mitte der 90er Jahre eine Stadt der Zukunft im Kleinen zu realisieren. Wohnhäuser, Schulen und Geschäfte liegen hier direkt neben Gewerbeflächen und großzügigen naturbelassenen Arealen. Die Wege sind deshalb kurz und leicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu meistern. Ein dichtes Netz öffentlicher Verkehrsmittel verbindet die Siedlung zusätzlich mit dem Stadtkern. Wer trotzdem nicht auf individuelle Mobilität durch ein Auto verzichten will, der beteiligt sich an einem der zahlreichen Carsharing Projekte. Doch den meisten Bewohnern fällt der Verzicht aufs Auto leicht, denn er geht einher mit einem großen Gewinn an Lebensqualität. In Vauban ist viel Platz für erlebbare öffentliche Räume, für persönliche Entfaltung und zwischenmenschlichen Austausch. Auch politische Mitbestimmung durch die Einwohner wird groß geschrieben. Vor allem Familien zieht es hierher, was der hohe Anteil an Kindern im Quartier beweist. Aber nicht nur Vauban ist praktisch autofrei. So kommen zum Beispiel viele deutsche Nordseeinseln schon lange ohne Individualverkehr aus. Und auch bei einem Besuch in Venedig wird man kaum von Verkehrslärm belästigt, denn dort fährt man vor allem mit dem Boot.

In Städten, die das öffentliche Verkehrsnetz attraktiv gestalten und so ihre Bewohner von einem autofreien Leben überzeugen können, wäre es also möglich, Verkehrsflächen zu reduzieren, die dann für eine andere Nutzung zur Verfügung stünden. Dazu müsste aber auch der Frachtverkehr, der für die Versorgung der Stadtbevölkerung unabdingbar ist, von der Straße verschwinden.

Unter der Leitung von Prof. Dr.–Ing. Dietrich Stein wurde deshalb an der Ruhr-Universität Bochum ein Konzept entwickelt, das den Lkw als Transportmittel Nummer eins ablösen könnte. In unterirdischen Röhren sollen elektrisch angetriebene Frachtkapseln, so genannte CargoCaps, Güter selbstständig an ihren Bestimmungsort bringen. Das Prinzip erinnert an eine Art Rohrpost, nur in viel größeren Dimensionen. Die Vorteile des Systems liegen auf der Hand: Neben schnelleren Transportwegen ohne Stau würde die Stadt weder von Lärm noch von Abgasen belastet. Das System wird momentan bereits auf einer kleinen Modellstrecke auf dem Gelände des Kraftwerks Bochum der RWE Power AG getestet. Eine Verwirklichung in naher Zukunft scheint möglich, denn sowohl Wirtschaft als auch Politik haben bereits Interesse bekundet.

Weil Veränderungen in bereits bestehenden Städten aber langwierig sind, kreiert man andernorts völlig neue Städte praktisch auf der grünen Wiese. Im Fall von Masdar City aber wohl eher in der sandigen Wüste. Diese vom Londoner Star-Architekten Sir Norman Foster auf dem Reißbrett geplante Stadt entsteht gerade in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bis zu 50.000 Menschen soll die Stadt einmal beheimaten, und zwar unter höchsten ökologischen Standards. Weil kein Einwohner mehr als 200 m von seinem Arbeitsplatz entfernt wohnt, sind keine Autos nötig. Längere Strecken können mit Hilfe des gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetzes zurückgelegt werden. Die gesamte Energie für die Versorgung der Stadt kommt aus erneuerbaren Quellen, vor allem von riesigen Fotovoltaikanlagen, Solarkraftwerken und Windgeneratoren. Und die Häuser selbst sind energiesparend, dank ihrer besonderen Architektur. Die Gebäude sollen wenig Sonneneinstrahlung zulassen und mit Hilfe spezieller Pumpen Kühle aus tieferen Erdschichten herauf transportieren. So können zum Beispiel Klimaanlagen reduziert werden. Sämtlicher Müll der Stadt wird kompostiert oder in Reststoff-Kraftwerken verbrannt, wobei das entstehende Kohlendioxid als Pflanzendünger Wiederverwendung findet. „Nachhaltiger Städtebau“ – das sind hier nicht nur leere Worte, sondern die Erbauer von Masdar City versuchen tatsächlich eine ökologische Stadt zu kreieren. Damit die Stadt noch eine Zukunft hat.

Nicht überall sind jedoch die räumlichen und finanziellen Möglichkeiten gegeben, eine Stadt völlig neu zu erschaffen. Stadtplanung wird vor allem von den vorhandenen Gegebenheiten diktiert. Am schwierigsten sind Veränderungen deshalb sicher in den Slums vieler lateinamerikanischer, asiatischer und afrikanischer Städte, die von ihren Bewohnern größtenteils selbst gebaut wurden – ganz ohne Pläne.

Thomas Morus - Gemälde von Hans Hohlbein, 1527Das Bewusstsein für die Probleme heutiger und zukünftiger Städte ist aber geschärft, was internationale Bestrebungen, wie die „Globale Initiative für nachhaltige Entwicklung“ (Urban 21) zeigen. Die Bürgermeister der 21 größten Städte der Welt und viele andere Politiker und Wissenschaftler kamen im Jahr 2000 in Berlin zusammen um konkrete Lösungen für eine sozial- und umweltverträgliche Stadtentwicklung zu finden. Eine Weltkommission bestehend aus internationalen Experten erarbeitete dafür einen Bericht der die gegenwärtigen globalen Tendenzen der Stadtentwicklung analysiert und Leitideen für die Stadt im 21. Jahrhundert vorschlägt. Der Bericht gibt Grund zu vorsichtigem Optimismus. Denn trotz aller Schwierigkeiten sehen die Autoren durch eine fortschreitende Demokratisierung, technischen Fortschritt und die globale Vernetzung von Wissen eine Chance für die Entwicklung lebenswerter Städte und lebendiger Bürgergesellschaften. Thomas Morus hätte sicher seine Freude daran gehabt.

Beitrag von Kerstin Huber
Bildquellen in Reihenfolge: TomAlt (cc), DrBorka (cc), Claire7373 (cc), public domain

Links zum Thema

  • Wikipedia Artikel über Leben und Wirken von Thomas Morus
  • Homepage des Stadtteils Vauban
  • Homepage der CargoCap GmbH
  • Homepage der Masdar Initiative (englisch)
  • Homepage des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung mit dem „Weltbericht für die Zukunft der Städte“ zum downloaden

Zur Person

KarioKerstin Huber

Kerstin Huber studierte Biologie/Ökologie in Salzburg und promoviert derzeit am Institut für Limnologie (Gewässerforschung) der Uni Wien. Mit ihrem Text über Visionen der Stadtentwicklung hat sie den zweiten Preis beim sciencegarden-Schreibwettbewerb gewonnen.

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Themen: Architektur | Stadt | Stadtplanung
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