Die Natur als Vorbild für die Wissenschaft

Ameisen bei der FuttersucheIm Kollektiv bewältigen Ameisen und Vögel komplexe Aufgaben. Deren Schwarmintelligenz machen sich Forscher in der Informatik und der Mathematik zunutze.

Orks und E-Mails haben eines gemeinsam: Sie treten in Massen auf und brauchen viel Rechnerkapazität. Damit sind die kriegslustigen Ork-Horden aus dem Film „Herr der Ringe“ und die täglich steigende E-Mail-Flut eigentlich nichts anderes als Schwärme aus Bits und Bytes. Informatiker schauen sich Tricks von der Natur ab, um diese Mengen in den Griff zu bekommen.

Vögel machen …schnittiger

Optimierung einer Gelenkplatte
Optimierung einer Gelenkplatte

Im Bereich der Aerodynamik helfen Vogelschwärme Optimierungen für Luftwiderstände zu berechnen. Forscher bedienen sich der Regeln, die jeder einzelne Vogel im Schwarm befolgt, beispielsweise auf der Suche nach einem Rastplatz: Zunächst fliegen alle einem Tier hinterher, das dabei den größten Luftwiderstand aufnimmt. Ändert ein Vogel nun geringfügig seine Flugbahn, weil er eine Raststätte erspäht hat, folgen ihm die anderen. Damit erreichen sie zwei Ziele: Einen Rastplatz zu finden und auf so wenig Luftwiderstand wie möglich zu stoßen.

„Eines der ersten Beispiele dazu ist eine Gelenkplatte im Windkanal, die an zehn Stellen einstellbar ist“, erklärt Privatdozent Dr. Markus Borschbach von der Universität Münster. Im Versuchsaufbau sollte die Platte im Windkanal die beste Luftströmung ermöglichen. „Die denkbaren Kombinationen aller Einstellpunkte ist so hoch, dass selbst mit einer Rechenleistung von heute die Berechnung noch 100 Jahre dauern würde“, betont Dr. Borschbach. Deswegen nutzten die Forscher die Regeln eines Vogelschwarms. Die Ausrichtung der einzelnen Elemente der Gelenkplatte berechneten sie mit den Erkenntnissen des Vogelschwarms und optimierten schrittweise das Ergebnis. Wenn man diese Schwarmeigenschaften idealisiert und in den bisherigen Lösungsansatz mit hinein nimmt, kann der Prozess der Lösungsfindung beschleunigt werden“, fügt Borschbach hinzu.

Ameisen, Handelsreisende und Datennetze

Traveling Salesman Problem (TSP)
Animation (JAVA-Applet): das Traveling Salesman Problem (TSP)
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Schwärme helfen Forschern bei Lösungsansätzen von ganz alltäglichen Problemen. Das klassische Beispiel ist das Traveling Salesman Problem (TSP) – das Problem des Handelsreisenden. „Hier betrachtet man, welches die kürzeste Rundreise für einen Händler ist, wenn er viele Städte besuchen muss“, erklärt Markus Borschbach. Der Reisende soll auf seinem Weg keine Stadt doppelt bereisen und dabei den insgesamt kürzesten Weg nehmen. Ameisen zeigen uns, wie wir der Lösung dieser Aufgaben näher kommen können.
Die kleinen Tiere finden fast immer einen direkten Weg zwischen Nest und Futterquelle. Erstaunlich, wo selbst ein kleiner Grashalm ein großes Hindernis darstellen kann. Im Laufe der Evolution passten sich Ameisen der Natur so an, dass sie auch in einem Durcheinander ihre Existenz sichern können.
Bei der Futtersuche hinterlassen Ameisen auf ihrem Weg Pheromone, an denen sich nachfolgende Artgenossen orientieren. Existieren zwischen Futterquelle und Ameisenbau mehrere mögliche Wege, so wird mit der Zeit auf der kürzesten Strecke eine höhere Pheromonkonzentration vorherrschen. Nachkommende Ameisen folgen diesem Botenstoff jedoch nicht immer automatisch, es besteht nur eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie den stärker markierten Weg einschlagen. „Wichtig ist“, erklärt Borschbach „dass gerade Ausreißer, die sich nicht an der stärksten Absonderung orientieren, enorme Bedeutung haben.“ Gäbe es diese Ausreißer nicht, würden die Ameisen immer nur eine Standardroute wählen, die nicht zwangsläufig die Beste sein muss. „Die Ausreißer machen es erst möglich, eine kürzeste Strecke zu finden“, betont der Privatdozent. Diese Fähigkeiten der Ameisen setzen Mathematiker in Formeln und Algorithmen um und modellieren damit das Problem des Handlungsreisenden: Der Händler entscheidet sich, ähnlich wie eine Ameise, an einer Weggabelung eher für den Weg, den seine Kollegen schon öfter gegangen sind. Das sorgt dafür, dass die meisten dem bisher kürzesten Weg folgen. Doch auch hier finden die Ausreißer immer noch neue Wege. Somit liefert der Ameisenalgorithmus eine optimierte Lösung, das die Rechnerkapazitäten nicht sprengt.

Ameisen und E-Mail

Ameisen auf Futtersuche Routen von E-Mail-Paketen

„Ebenso übertragbar ist dieser Lösungsansatz auf die abstrakte Darstellung von Rechnernetzen oder allgemeiner auf Datennetze“ sagt Dr. Borschbach. Ein Beispiel hierfür wäre das Senden einer E-Mail durch das Internet. Ohne eine zentrale Organisation finden dezentrale Agenten für die E-Mail-Pakete schnelle Routen durch das Netz. Jedes versendete Paket speichert den Weg, den es gegangen ist, und „für die Antwort, die ich sende, sage ich: ‚Nutze unbedingt oder primär den kürzesten Weg’“, fährt Dr. Borschbach fort. „Das wäre eine Variante, bei der man Erkenntnisse aus der Ameisenmethode einfließen lässt“, ergänzt er.

Orkherden und die Schwarmintelligenz

Vogelschwarm auf Rastplatzsuche
Vogelschwarm auf Rastplatzsuche

Im Film „Herr der Ringe“ bedienten sich die Entwickler ebenfalls der Erkenntnisse über Schwärme. Die Massen der Orks, die sich auf die Festung Helms Klamm hinbewegen, verhalten sich ähnlich zu Vogelschwärmen, die gen Süden ziehen. „Das Ziel, sich konsequent über eine größere Distanz fortzubewegen, ist einfach nicht anders zu organisieren, als sich die Natur als Vorbild zu nehmen“, sagt Dr. Borschbach. Eine Distanz sei mit einer großen Population nur zu überwinden, wenn sich jeder an einen bestimmten Abstand und seine Position hielte. Ein chaotisches Durcheinanderrennen würde dagegen jedes Individuum zu viel Energie kosten, was uneffizient sei. Die Entwickler orientieren sich daher an den Vögeln, die sich beim Flug an ihrem Nachbarn orientieren: Jeder Ork richtet sich nach dem Verhalten seines Nebenmanns. Dadurch entsteht eine homogene Masse, die sich ohne Rempeleien und Umwege auf ein Ziel hinbewegt. Würden die Filmemacher jeden Ork einzeln berechnen und sich nicht des Ansatzes der Schwarmintelligenz bedienen, dauerte dies viel zu lange.

Menschliche Intelligenz komplexer als gedacht

Ameisen bei der Futtersuche
Ameisen bei der Futtersuche

Im Bereich der künstlichen Intelligenz sind Forscher jedoch noch lange nicht soweit, einen Menschen oder genauer gesagt seine Neuronen nachzuahmen. „Die menschliche Intelligenz mit ihrer hohen Form von Parallelität ist bis heute auf einem Rechner nicht nachzuempfinden“, sagt Dr. Markus Borschbach. Das hängt damit zusammen, dass Gehirne und Computer auf unterschiedliche Weise arbeiten. Verarbeitet ein Gehirn viele Informationen zur gleichen Zeit, arbeiten Rechner die Informationen einzeln nacheinander ab. Zuerst dachte man, dass innerhalb von zehn Jahren Programme in der Lage wären zu denken, man Intelligenz nachbilden und soziale Phänomene nachstellen könne. „Das hat sich alles nicht bewahrheitet“, erklärt der Privatdozent. Nervenzellen könne man zwar heute schon auf der untersten Ebene verstehen und einfache chemische Prozesse lassen sich mit bildgebenden Verfahren abbilden. Doch „die Konzepte dazwischen, die Vernetzung und die Aktivierungsmuster an sich zu erklären, ist noch das größte Problem.“

Beitrag von Katja Eisert
Bildquellen in Reihenfolge: Martin Müller, Katja Eisert (3), Siegfried Baier, Eva Heidenfelder; JAVA Applet: Katja Eisert, Matthias Hertog

Zur Person

Katja Eisert studiert Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt. Sie interessiert sich vor allem für Computer, Internet und Technik.

Kategorien

Themen: Biologie | Informatik | Schwärme
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