Ein Piranha kommt ungern allein
Im James Bond Klassiker "Man lebt nur zweimal" von 1967 werden wir Zeuge eines grausamen Verbrechens: Der Bösewicht Blofeld wirft seine Feinde einer Bande blutrünstiger Piranhas zum Fraß vor. Während dieser Szene läuft es uns eiskalt den Rücken runter und das allerletzte, was wir uns jetzt wünschen, ist ein Rendevouz mit einem Piranha – oder schlimmer noch: mit einem ganzen Schwarm. Beim Gedanken an so eine Horde zähnefletschender wild gewordener Killer-Fische können einem auch wirklich die Knie weich werden – und genau das bezweckt der Piranha, denn ohne seinem Schwarm geht’s ihm nicht anders: Er hat Angst.
Moment mal - Piranhas sollen Angst haben? Soll das ein schlechter Scherz sein? Zerbröckelt da etwa der Mythos einer grausamen Bestie, die sich unerschrocken durch alle Beutetiere frisst, die zufällig des Wegs kommen? Haben wir dem Piranha etwa all die Jahre lang Unrecht getan? Ja, erklärt uns eine Verhaltensstudie, die erstmals 2005 in den "Biology Letters" veröffentlicht wurde. Sie deckt nämlich auf, dass Piranhas in erster Linie Schwärme bilden, um sich selbst vor Angreifern zu schützen.
Helder Queiroz vom brasilianischen Mamirauá-Institut in Tefé und Anne Magurran von der St. Andrews Universität in Schottland führten Versuche mit in Aquarien lebenden Piranhas durch. Dabei trennten sie einzelne Fische vom restlichen Schwarm, mit dem Ergebnis, dass die isolierten Tiere schneller atmeten und in ihren Bewegungen immer unsicherer wurden. Noch ausgeprägter waren ihre Reaktionen bei einem simulierten Angriff eines Fressfeindes – einzelne Piranhas gerieten schneller in Panik und brauchten ohne die Gesellschaft ihrer Artgenossen mehr Zeit, um den Schock zu verdauen.
Doch Piranhas sind nicht die einzige Spezies, die aus ihrem Sicherheitsbedürfnis heraus Schwärme bilden. Der Biologe Hanno Hildebrandt von der niederländischen Universität Groningen befasst sich mit dem komplexen Schwarmverhalten von Tieren und Menschen. Er bestätigt, dass viele Tierarten, die in Schwärmen leben, Panik oder Stressreaktionen zeigen, wenn sie isoliert werden. "Ein Schwarm bietet einfach den Vorteil, dass durch ihn das sensorische System eines Räubers überfordert wird. Die Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Schwarms bei einer Räuberattacke erwischt zu werden, ist wesentlich geringer als außerhalb, besonders wenn sich die Individuen sehr ähnlich sind." Ein weiterer Nutzen besteht darin, dass viele Augen einfach mehr sehen als zwei. "Wenn andere Schwarmmitglieder auch nach Räubern Ausschau halten, kann ein einzelnes Individuum mehr Zeit mit anderen Dingen verbringen, wie beispielsweise der Nahrungsaufnahme." Sinn und Zweck eines Schwarms ist also nicht nur die gemeinsame Jagd nach Beutetieren, sondern eben auch, selbst nicht als solche zu enden. Da geht es den Piranhas nicht anders als anderen Schwarmtieren.
Doch wie sieht es mit der Gefahr für uns Menschen aus? Weder ein eingeschüchterter einsamer Piranha noch ein ganzer Schwarm werden uns hierzulande wohl über den Weg schwimmen. Oder etwa doch? Seit einiger Zeit werden sie vereinzelt in der rheinländischen Erft gesichtet – vermutlich von überforderten Aquarienbesitzern dort ausgesetzt. So fischten Angler in den letzten zehn Jahren doch ganze drei Piranhas an Land, was die Bild-Zeitung mit einer "Vorsicht! Piranhas in der Erft" – Schlagzeile kommentierte. Und die Panikmache zeigte Wirkung – einigen verging tatsächlich der Badespaß in der Erft, aus Angst einem der 15 bis 40 cm langen Fische mit ihren messerscharfen Zähnen zu begegnen.
Mit dem Verhalten von Piranhas ist auch Michael Hoffmann, Revierleiter des Aquariums im Dresdner Zoo, bestens vertraut. "Piranhas sind sehr ängstliche Fische. Ihre Beute greifen sie nur im Schwarm an, alleine trauen sie sich das nicht." Bei ihrem Fang handle es sich in der Regel jedoch nur um tote oder verletzte Tiere. Man könne daher relativ gefahrlos in Gewässern baden, in denen es auch Piranhas gibt. "Hat man Wunden, sollte man aber aufpassen. Durch das Blut könnten die Fische dann doch angelockt werden. Da kann’s auch schon mal zu kleineren Bisswunden kommen."
Allein diese Tatsache führt wohl dazu, dass Piranhas ihren Ruf als aggressive Monster nie ganz loswerden – und ein Blick auf ihr Gebiss macht das ja irgendwie auch verständlich: Ihre scharfen Zähne bilden eine Schneide, die einer Säge gleicht. Durch ihre starke Muskulatur und ihren kräftigen Kiefer ist es für sie eine Leichtigkeit, große Stücke aus ihrer Beute herauszureißen. So gelingt es ihnen, tote Tiere innerhalb von wenigen Minuten bis auf die Knochen zu verspeisen. Was viele nicht wissen: Damit erfüllen sie eine wichtige Aufgabe in der Natur. Sie befreien so das Wasser von verfaulendem Aas und verhindern dadurch die Ausbreitung von Krankheiten. An Land tun das die Hyänen und Geier, die sich daher ähnlicher Unbeliebtheit erfreuen und das obwohl oder gerade weil sie die ganze "Drecksarbeit" übernehmen.
Die Indianer Südamerikas dagegen haben zu den Piranhas ein recht unerschrockenes Verhältnis. Sie baden unbesorgt in Flüssen, in denen auch die Raubfische heimisch sind. Anstatt sich vor ihnen zu fürchten, machen sie sich die Eigenschaften der Tierchen zu Nutze: Möchte man den weit verbreiteten Erzählungen über die am Orinoko lebenden Indianer Glauben schenken, beerdigen einige der Stämme in Zeiten der Überschwemmung nur die Skelette ihrer Toten. Dafür hängen sie die Verstorbenen mit Hilfe eines Seils ins Wasser, in dem sich auch Piranhas tummeln. Nach wenigen Stunden bleiben dann nur noch die sorgfältig abgeknabberten Knochen übrig.
Und um zu der Frage, ob Piranhas eine Gefahr für den Menschen darstellen, zurück zu kommen: Von einem menschlichen Todesopfer durch Piranhas ist bisher nichts bekannt. Der Piranha muss uns weitaus mehr fürchten als wir ihn, denn insbesondere bei den südamerikanischen Ureinwohnern ist er ein begehrter Speisefisch – allerdings sehr grätenreich.
Zur Person
Valerie Dietrich, 26, studiert Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt. Sie schwärmt für Urlaub am Meer.
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Kommentare
Guter Beitrag
Finde es gut das hier Aufklärung über diese Fische
gemacht wird,weil sie sind keine Killer,u verhalten sich auch nicht so wie in Filme gezeigt wird..das sie dadurch einen schlechten Ruf haben ist echt sehr schade,aber wer sich wirklich dafür interresirt,wird schnell merken das viel nicht so ist..weiter infos könnt ihr gerne in meinen Forum nach Lesen
lg
Ernie